Am Tage nach der Hochzeit, schon beim ersten Morgengrauen, begab ich mich von der Villa Aurelia hin zu der Villa Flavia, um dort unverzüglich meine Arbeit als frischgebackener Hauskünstler bei Herrn und Frau Senator Aulus Flavius Piso anzutreten. Mein Werkzeug, sowie die halbfertigen Standbilder, Büsten und Gemälde, hatte man schon Tage vorher auf einen speziell dafür konstruierten Karren laden lassen und dort in einer entsprechend großen Räumlichkeit, welche wohl später mal als mein neues Atelier fungieren sollte deponiert. Sogar das besagte Ruhebett, auf dem des verblichenen Corvinus edle Nichte und ich, der Sklavenbalg vom Schwarzen Meer, einst Arm in Arm gelegen und uns monatelang ausgiebig den Freuden und Genüssen einer "jungfräulichen" Liebe" hingaben, hatte man nach dorthin geschafft! Ahnungsloser, eitler Piso! Nur gut das Möbel genauso schweigsam sind wie durch eigene Hand ums Leben gebrachte Tanten! "Aber nun war die wilde Zeit vorbei und mein Herz so schwer wie Blei!" Murmelte ich beim Anblick meines kleinen, leergeräumten Ateliers, welches mir Prisca doch mit eigener Hand im Nebenraum ihres alten Cubiculum so liebevoll eingerichtet hatte. Offengestanden fühlte ich mich schlecht, gradezu beschissen. Wäre er, Piso an meiner Stelle, es ginge ihm wohl kaum besser! "Des einen Glück ist des anderen Leid, so ist der Welt Gerechtigkeit!" "Genug der schlechten Verse, Maler bleib bei deinem Pinsel!!!" ermahnte ich mich selber ein letztes Mal und beschritt dann den einsamen Weg hin zu meinem neuen Domizil.
Für die Dauer der Hochzeitsfeierlichkeiten ließ ich mich auf eigenes Verlangen hin von meiner Domina beurlauben und so hatte ich denn auch keinerlei Kenntniss von den Zeremonien und Ereignissen die während dieser für Prisca und Piso so überaus bedeutsamen Stunden stattgefunden hatten, aber beim Betreten der Villa Flavia schlug mir ein undefinierbarer, scharf-säuerlicher Geruch von Wein und Essen entgegen. Hier musste es gestern Abend hoch hergegangen sein. Wahrscheinlich eine 100 Millionen Sesterzen teure Sauf- und Fressorgie, wie sie das luxusgewöhnte Rom seit den Tagen Neros und Domitians nicht mehr erlebt hatte. Der Verfasser des "Satyricon" hätte sicher seine helle Freude gehabt, wäre er zugegen gewesen.
Warum hatte ich mich beurlauben lassen? Das ist schnell erklärt, erstens weil ich mich ebenfalls unsterblich in die Braut verliebt hatte und daher ein nicht unbeträchtliches Gefühl der Eifersucht gegen ihren jetzigen Ehemann hegte und zweitens weil ich als gläubiger Mensch der Meinung war, das ein heimlicher Liebhaber im Gefolge der Braut in irgendeiner Form das Missfallen der Götter erregen könnte und daher kein gutes Omen für den glücklichen Bestand dieser Verbindung sein könne und eben genau das wünschte ich meiner geliebten Herrin nicht, eine von Hass und Eifersucht gebeutelte Ehe, wie sie einst Onkel und Tante geführt hatten und welche sie schließlich in den Freitod trieb. Wie auch immer, das Gefühl der Eifersucht jedenfalls war eine Strafe der Götter und zugegeben trug sie eine gewisse Mitschuld an diesem Zustand, aber damals, vor acht Monaten, in der Gluthitze des Sommers, als sie mich aus den Händen dieses schmierigen Titus Tranquillus befreite, um mich dann wenige Stunden später im Balneum zu vernaschen, traute sie sich ja kaum von einer Hochzeit mit ihrem ach so innig geliebten Piso auch nur zu träumen, damals war das noch alles sehr weit entfernt und erst der Freitod ihres Onkels und dessen letzte, schriftich niedergelegte Permisson im Herbst darauf, machten den Weg frei für dieses, von beiden Seiten lang ersehnte Ehebündniss. Wie auch immer, ich konnte diesen Aulus Flavius P. nicht ausstehen, brachte er mich doch um die Schäferstündchen mit meiner geliebten Herrin und das war schlimm! Eine Frau wie Aurelia Prisca lieben zu dürfen und von Ihr wiedergeliebt zu werden, war schon etwas ganz besonderes, besonders dann wenn man der untersten Gesellschaftsschicht angehörte. Sie hatte alle Vorzüge und Tugenden an denen es ihrer verblichenen Tante immer gemangelt hatte, sie war nicht nur außergewöhnlich attraktiv von ihrer äußeren Erscheinung, sondern besaß auch noch ein anschmiegsames, liebevolles Wesen und sie war keine überspannte, kratzbürstige Egozentrikerin, welche in erster Linie nur an sich selber und der Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse dachte. Jeder Mann, egal ob hoch oder niedrig welcher Aurelia Prisca aus nächster Nähe kannte (und bei mir was das der Fall) musste daher den Glückspilz Piso um diese Ehefrau beneiden, selbst dann noch, wenn er ein ausgesprochener Ignorant und Antiästet war.
So durchschritt ich denn auf leisen Solen die Räume und Korridore der Villa Flavia und weidete meine Augen an den wundervoll gearbeiteten Fresken und Mosaiken, welche Fußböden und Wände zierten. Hier und dort dämmerte ein betrunkener Sklave oder Gast in einer Ecke und kurierte seinen Rausch aus. Die Sonne ging auf und mit ihren ersten goldenen Strahlen welche hier und dort auf die Farben der Fresken trafen, brachte sie selbige zum Leuchten und eine Atmosphäre der Verzauberung umgab den aufmerksamen Betrachter. Im Peristyl lehnte ein zartes, junges Mädchen mit vollen, dunklen Haaren an einer Säule und träumte mit geschlossenen Augen vor sich hin. "Guten Morgen!" rief ich ihr zu und lächelte freundlich. Sie war eine Schönheit, kaum älter als ich und außerordentlich wohl proportioniert. Das Aulus Flavius Piso einen Blick für schöne Frauen hatte war mir nicht neu und so schlussfolgerte ich mal spontan, das sie irgendwie zu seiner Dienerschaft gehören mochte, denn wie eine adlige römische Dame sah sie trotz ihres Festgewandes nicht aus. Die Römerinnen der Oberschicht trugen bei großangelegten Festlichkeiten wesentlich mehr Bleiweiß und Rouge auf ihren knochigen Wangen, außerdem aufwändig gelockte Frisuren oder Perücken, aber das Mädel hier trug nichts dergleichen und sie war eine sonnengebräunte Südländerin, warscheinlich Ägypten oder irgendeine andere Provinz des nahen Ostens, jedenfalls kam sie aus derselben Ecke wie meine Mutter, welche eine ägyptische Sklavin gewesen war.