Beiträge von Marcus Marius Madarus

    "Ja, gottverdammte Axt... drei Sesterzen auf Hadamar.. den Duccius... also den Rotschopf!!!", fluchte Sönke, und wandte sich gleich darauf zu dem Typen um, der ihm eine Kopfnuss verpasst hatte: "Willst du jetzt auch noch ein paar drauf, oder wie sieht das aus, eh?, kam ihm voll Ärger über die Lippen bevor er erkannte wer da vor ihm stand, und augenblicklich fiel sein Groll in sich zusammen, "Entschuldige, Signifer Acutius, ich wusste nicht, dass du es bist."
    Der Verlauf der Schlägerei war damit nachrangig geworden, hatte Sönke sich doch gerade selbst in die Scheisse geritten.

    Scheisstag.


    Das lichter werdende Grau des Himmels reichte beweitem nicht aus, die Dunkelheit aus der Barracke zu vertreiben bevor die Sonne aufging. In ihrer Zeit war die Sonne immernoch der unangefochten dominierende Lichtspender, in der Contubernie war der letzte der sich hinlegte für die Öllampe zuständig, die ihnen allen den Hauch von Orientierung gegeben hatte. Und der erste, der aufstand durfte sich damit beschäftigen wieder Licht ins Contubernium zu bringen. Sönke, wegen alter bäurischer Schlafgewohnheiten schon lange wach, hatte davon allerdings nicht die geringste Ahnung.. und so ließ er sich aus dem Bett gleiten, gähnte leise und suchte sich in der Dunkelheit den Nachttopf, um sich im Vorraum so leise wie möglich zu erleichtern. Es folgten weitere unsichere Schritte mit vorausgestreckten Armen (Sönke kannte die Butze natürlich noch nicht, und hatte daher keine Ahnung wo und wohin er sich eigentlich gerade bewegte.. was mit seinem Fuß im Nachttopf endete, zwei heruntergestoßenen Ausrüstungsteilen und jeder Menge Krach in seinem Contubernium.
    Die Zielsicherheit, mit der einer seiner Kameraden ihm dann eine Ohrfeige verpasste grenzte für Sönke gerade zu an Magie. Auch, wie der Kerl es geschafft hatte aufzustehen, ohne dass er es mitbekam. Die folgenden Minuten verbrachte Sönke so aufgerüttelt schließlich damit NOCH vorsichtiger vorzugehen.. was eine halbe Ewigkeit dauerte.


    Als er schließlich draußen vor seinem Ausbilder stand stank er tierisch nach menschlichen Hinterlassenschaften.. und hatte eine viel zu große Tunika am Leib, die ganz offensichtlich nicht die seine war.


    "Tiro Marius...", versuchte Sönke sich in einer passgerechten Meldung, "...meldet sich wie befohlen zum... Zusatzlauf, Legionarius Helvetius."


    Marschieren. Wieder einmal: einfach nur Marschieren. Sönke hatte von der Umgebung der Civitas in den letzten Wochen soviel gesehen wie in seinem ganzen Leben zuvor nicht. Warum auch? Wer ohne Grund durch die Gegend lief um irgendwelche vermeintlichen Schönheiten in der Landschaft zu betrachten hatte eine ganze Bandbreite an Todesarten zur Verfügung um sich umbringen zu lassen:
    - man konnte sich beim rumklettern in den Hügeln des Rhenuslandes alle Knochen, zumindest aber den Hals brechen
    - man versank in einem der vielen Moore
    - man wurde von einem Untier gefressen
    - man wurde von einem der Waldgeister entführt
    - man fand im Dickicht des Urwaldes einfach nicht mehr zurück
    - man ging Sklavenjägern ins Netz
    - man wurde ausgeraubt
    - man wurde abgestochen
    - man wurde abgestochen und dann ausgeraubt
    - man wurde ausgeraubt und dann abgestochen


    Aber: sie waren im Verbund, und bewegten sich selten abseits der Straßen. Irgendwo hatte das wohl auch die Wirkung, das man Präsenz zeigte, und als Sönke an einem Straßenhand die Familie eines Fuhrwerkers stehen sah, dessen Sohn ihn selbst mit weit geöffnetem Mund anglotzend, erinnerte sich Sönke tatsächlich an die Zeit, als er selbst auf diese Art und Weise in Blech und Leder gekleidete Marschgruppen angestarrt hatte. Das hatte ihn augenblicklich mit dem Marschieren versöhnt, und mittlerweile freute Sönke sich gar auf das Marschieren außerhalb des Lagers.. denn so konnte er zeigen, dass er seinen Traum wahrgemacht hatte.


    "Das kann es, Optio Helvetius.", bestätigte der vollbepackte Sönke seinem Ausbilder knapp seine Bereitschaft. Kilometerweit durch's grüne Nichts.. aber hauptsache raus aus dem Lager.

    Angebrüllt zu werden gehörte in der Legion wohl zum guten Ton, und so hielt Sönke im folgenden schön die Klappe um weiteren Fehltritten nicht die Möglichkeit zu geben ihm den Tag zu versauen. Als sie vor dem Decurio Aufstellung bezogen hatten, ging die Frage auf sie nieder wie ein Peitschenhieb: man sollte sich freiwillig melden?
    Sönke tat es nicht, auch wenn er in der Hros das eine oder andere Mal seinem großen Bruder zur Hand gegangen war und sich einigermaßen gut auf's Reiten verstand. Im Reiten anderer Leute Pferde, natürlich. Seine Familie war bei weitem nicht so einflussreich sich eigene Pferde leisten zu können, galten diese in ihrer Zeit doch noch als absolutes Statusobjekt, das sich nur die wenigsten leisten konnten und die daher jeden Besitzer als Angehörigen der jeweiligen Oberschicht darstellten.
    Weshalb Sönke die Klappe hielt war relativ einfach zu erklären: als Befehlsempfänger aufgewachsen kam es ihm gar nicht in den Sinn sich freiwillig zu melden, er wartete einfach bis ihm jemand sagte was zu tun war. Früher war das genauso gelaufen, sein Vater hatte Arbeit gesehen oder von Lando oder Witjon bekommen.. und sie weiterdelegiert. Viel Wahlfreiheit war da nicht. Entsprechend unwissend reagierte Sönke jetzt auch auf diese Möglichkeit: Hand heben oder unten lassen? Na, er ließ sie unten.. das gab sicher nur Probleme.


    Ein anderer war es, den Sönke bisher nicht näher kennengelernt hatte weil er zu einer anderen Cohorte gehörte, der die Hand hob und mit einem entschlossenen "Ich kann reiten, Decurio." nach vorne trat um dem Decurio zu zeigen was er konnte.

    Zusammen mit den anderen Tirones seiner Centurio marschierte Sönke also zum Reitplatz.. in der Ausrüstung eines typischen Legionärs, immerhin hatte man sie für die Ausbildung zu Pferde nicht speziell für diese ausgestattet. Der Decurio der sie heute ausbilden würde hatte einen Ruf als Schinder, nicht nur unter den Frischlingen der Legion, und als Germanenhasser... was Sönke schon weit im Vorneherein die Sorgenfalten ins Gesicht getrieben hatte. Er hatte nie mit dem Gedanken gespielt zur Reiterei der Legion zu gehen, immerhin hatte die römische Kavalerie einen ziemlich miesen Ruf. Andererseits hatte er nie ein Problem mit den Tieren gehabt, weshalb er sich zumindest ansatzweise auf die Übungen am Pferde freute.


    Als sie schließlich vor dem Decurio Aufstellung nahmen, versuchte Sönke den Mann nicht allzu aufdringlich zu mustern. Allzu viele Griechen hatte er noch nicht wirklich gesehen... und konnte auf den ersten Blick keine großartigen Unterschiede zu einem Italiker feststellen. Kraftbepackt war der Kerl, und Sönke fragte den Typen neben ihm mit leicht verkniffenem Grinsen, ob der Vibius von seinem Pferd getragen wurde oder anders herum.

    ..unter ihnen Sönke, der mit schlafverklebten Augen aus dem Zimmer seiner Contubernie trottete. Es war doch etwas ganz anderes, einen Abend auf dem Hof ausklingen zu lassen als auf in einer Barracke mit zig anderen Typen. Vor allem seine eigene Contubernie! Was hatte er dem Centurio eigentlich getan, in eine Contubernie geschickt zu werden in denen gleich drei von den Typen unverbesserliche Schnarcher waren?
    Sönke hatte es sich zur Angewohnheit gemacht als erster schlafen zu gehen, weil er es sonst nicht schaffen würde überhaupt in die Nähe eines erholsamen Schlafs zu kommen sollte sich einer der Schnarcher zuerst hingelegt haben. Das zweite Problem war... wie bekam man sich müde? Richtig... man ackerte wie ein Gaul. Etwas, was Sönke nur allzu bekannt war, auch wenn ihm der Sinn gewisser Übungen während seiner Grundausbildung beileibe nicht aufging.
    Auch wenn Sönke sich also relativ fix in den Schlaf ackerte.. manchmal waren die Schnarcher einfach schneller.


    Wie heute zum Beispiel... kein Auge hatte er in der Nacht zugetan, und entsprechend fix und fertig. Einer der Veteranen seiner Contubernie hatte sich nicht mit Rufen aufgehalten und ihn einfach aus seinem Bett gezogen und seinen Kopf in den mit allerlei besser weiterhin undefiniert bleibenden Flüssigkeiten gefüllten Pott gesteckt. Wenn es nicht die Kälte war, die Sönke schlagartig wach machte... dann der Gestank.
    Ein netter Nebeneffekt war, dass Sönke so selbst im engen Flur einen kleinen Platz für sich ganz alleine hatte, weil alle anderen ihn mieden.

    Sönke wanderte gerade das Castellum ab, mal wieder, um sich die Lage der einzelnen Bauten ein für allemal einzuprägen, als er beim Brunnen ankam, der zur Not errichtet worden war wenn das Aquaeductum im Winter zufror. Eine kleine Menschentraube hatte sich dort gebildet, und mit Blick hinter sich und zur Seite änderte der junge Tiro rein zufällig seine Route um sich genauer anzusehen was da los war.
    Als passionierter Kneipenschläger brauchte er nicht lange um zu erkennen, was da gerade vor sich hing als er erst einmal einen Blick darauf werfen konnte, und doch überraschte ihn zu sehen WER genau da gerade dabei war jemandem anderes aus die Schnauze zu hauen.


    "Slaag de Krupp de Huck vou, 'dmar!", kam ihm unwillkürlich über die Lippen bevor er wieder darauf achten konnte, wer eigentlich dabei stand, so automatisch war er wieder in der kleinen Welt der Raufereien, die sofort bedingungslose Loyalität erforderten wenn jemand Bekanntes involviert war. Also nahm er sich wie selbstverständlich ein paar Momente, um seinen Freund und quasi-Boss die metaphorische Stange zu halten.

    Während er mehrere Runden im Pulk mit den anderen Probati über den Platz marschierte, ging Sönke irgendwann auf, dass marschierende Legionäre wohl nur dann toll und eindrucksvoll aussahen, wenn man keiner von ihnen war. Ihm selbst kam seine Beschäftigung ziemlich fix sehr, sehr sinnlos vor. Hatte er auf der Rus stets ein unmittelbares Ziel vor Augen gehabt (satte Viecher, zerlegte Viecher, effektiv eingepferchte Viecher, windgeschützt schlafende Viecher), war das einzige ihm erkennbare Ziel jenes, dass sie sich von A zu B begaben, um von B wieder zu D zu marschieren und sich nachher dafür ankacken zu lassen, dass sie C vergessen hatten.


    Am Ende taten ihm die Füße tierisch weh, denn Caligae hatten sie selbst nur selten getragen, und hier klebten sie ständig an seinen Füßen. Mal davon abgesehen, dass er solche Strecken (er war hier gefühlte zehntausend Meilen gelaufen, und das bei stetem Treten und getreten werden) wohl noch nie an einem Stück gelaufen war. Alles sehr neu, alles sehr seltsan, und alles andere als schmerzfrei. Als sie schließlich wieder vor dem Centurio Aufstellung bezogen und er ihnen verkündete, dass sie genug für den Tag hätten war es nicht nur Sönke, der erleichtert aufatmete, was sich augenblicklich rächte, als der Offizier verkündete, dass er in die Einzelausbildung kam und von dem Helvetier persönlich getreten wurde. Er konnte spüren wie ihm augenblicklich das Blut ins Gesicht schoss und er einige Handbreit zu schrumpfen schien, als er die Blicke der anderen Probati hinter ihm auf seinen Helm prassen spürte. Hatte er sich zu offensichtlich über das Ende des Exerzierens gefreut? Warum er, warum nicht ein anderer?


    Als sie wegtraten ging Sönke automatisch alleine zu seiner Barracke, auch wenn er nicht der einzige Tiro seines Centurie war. Altgewohnte Unsicherheit machte sich in ihm breit wie ein Tropfen Tinte in sonst kristallklarem Wasser und trübte die heute morgen noch dagewesene Zuversicht hier endlich das erleben zu können, wovon er sonst nur geträumt hatte.

    "Make de Römschgen datt sou?", hakte Sönke nach, der sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dass die Römer sich gleich massenfach keilten nur um einen Mann zu seinem sich selbst zugesprochenen Recht zu verhelfen. In seinem Sinne, der er die Bürgerkriege des Vierkaiserjahrs nicht miterlebt hatte hatte und seine Familie sich damals noch im Dunstkreis der ebenfalls am Boden liegenden noch-nicht-Duccii befand, war das für ihn reichlich unverständlich, sprach sein Vater doch an langen Abenden immer wieder um Ehrenkämpfe die Mann gegen Mann ausgefochten wurden.. und wenn sich schon jemand seiner Sippe als Waffenmacht bediente, ging das später stets in einem Stammeskrieg aus. Wie jener, der die Chatten vor nicht allzu langer Zeit beschäftigt gehalten hatte.
    "Wenni datt no doen, da givt et viu Blod to vergiese.."

    Weiter ging es mit einer steten Wiederholung, und Sönke kam sich selten blöd dabei vor ohne großen Hintergedanken auf einem Platz herumzumarschieren, der wahrscheinlich auch noch für genau diesen Fall angelegt worden war. Und selbst als er sich so blöd dabei vorkam, war es ihm doch gerade zu recht sich nicht allzu sehr mit Denkarbeit belasten zu müssen, die nun wirklich nicht zu seinen Stärken zählte. Er steckte einfach in seinem Helm und versuchte einfach nicht aufzufallen neben den anderen Tirones, die sich mehr oder eher viel minderer effektiv über den Platz schoben, um schließlich mit der Nase am Rand zu enden.


    Sim-Off:

    80, Nase raus.

    "Hmhmhm... datt maakt jewo Senn." , quittierte Sönke die Erklärung der jeweiligen Hierarchien hier im Ort. Dass selbst Witjon sich an gewisse Order halten musste war klar.. sie hatten oft genug mitbekommen, dass die Wolfrikssöhne nicht nur Freunde hatten, und teilweise einige Probleme hatten sich mit diesen mächtigen Gegnern zu arrangieren. Der Tod Landos, in Sönkes Erinnerung nicht einmal mehr blasse Erinnerung, sondern etwas was ihm jeder einredete dass er das erlebt hätte, war so eine Episode gewesen, wenn auch schon recht lange her.
    "Najo, abr wie geven die sik no oppe Köppe? Un... wenn do torecht nodinks.. wodat sollt se no de Ümbringer to de Kisr usrufe lasse? Ik meen.. et kunnt do jede herlöppt Orloogsherr make, wenna jenoch Looger opp sine Site het... wi use Legad döt." , ließ Sönke mit leisen Worten seine Sorge durchblicken, weil er keinesfalls der Auffassung war wirklich zu wissen welche Seite nun die richtige war. Und wo die Grenzen verliefen... und was überhaupt abging. Andererseits würde er wohl kaum eine Entscheidung treffen, ohne die vorher mit Hadamar abzusprechen.. immerhin war der hier quasi Witjon-in-Vertretung.

    Als der Centurio wieder eingriff, gaben sich die Tirones besondere Mühe, immerhin wollte keiner sofort wieder rausfliegen. Jeder lauschte gebannt was da kam, auch Sönke, der sich redliche Mühe gab in der Menge der Tirones unsichtbar zu werden. Mit dem Befehl von oben setzten sich die Tirones in Bewegung, wobei vor allem die armen Tröpfe die ganz vorne in der Marschkolonne standen das Pech hatten die Richtung vorgeben zu müssen... und die Richtungswechsel. Beim einen oder anderen Richtungswechsel scherte einer der Leitwölfe aus und bog in die falsche Richtung ab, was die ganze Kolonne einen Moment lang aufhielt.. aber zumeist hatte man sich schnell wieder eingegliedert... und folgte einfach der Masse.
    Sönke selbst stand mittendrin, und hatte daher auch bei jedem Richtungswechsel das Glück eben nicht in der vordersten Reihe zu stehen und sich Gedanken darüber machen zu müssen. Soweit schien alles einigermaßen glatt zu gehen, auch wenn immer wieder der Takt verloren ging... war ja schließlich ihr erster Tag. Was allerdings beim besten Willen nicht klappen wollte war das Richtungswechseln ohne Kurve. Das bekamen sie einfach nicht hin, egal wie oft sie versuchten.


    Sim-Off:

    98 mit der Nase zur 99.

    Sönke wurde einfach überrollt. Wirklich erfassen, was der Legat ihnen da entgegenschmetterte konnte er nicht, zu abstrakt schien ihm selbst die römische Welt von Gehorsam und Obrigkeit. Der Kaiser war ihrer aller Boss, soviel hatte er schon eingeimpft bekommen. Quasi der Ober-Duumvir ohne Kollegen... als wäre das römische Reich ein sich ständig im Krieg befindender Stamm.


    "Iurann... Imprato... ..gustus.. turos... ..temtem... manapublica..."


    Was das für Folgen haben würde konnte er daher nicht wirklich abschätzen, und als er es versuchte wurden sie schon von dem Gemurmel des Eides eingenommen, den Sönke automatisch mitsprach, wenn auch nicht allzu enthusiastisch, denn in seinem Kopf machte sich ein seiner Art als Muntling entsprechender Gedanke sehr schnell sehr laut bemerkbar: Tote zahlten keinen Sold.

    Sönke machte bei der Antwort seines Freundes ein ziemlich langes Gesicht, denn so richtig wollte ihm nicht aufgehen, worauf Hadamar eigentlich hinaus wollte. Was vor allem daran lag, dass er partout nicht verstand, wieso die Taten Witjons mit dem Willen des Kaisers einhergingen.
    "Eh... meens, datt de Kisr de Munthärr vonne Witjon iss? Wie löpt'n datt no?", hakte Sönke auf eine Art und Weise nach, die deutlich werden ließ wie groß das unsichtbare Fragezeichen über seinem Kopf war. Schließlich war die Ansage, einfach mal von Fall zu Fall zu entscheiden nicht wirklich hilfreich... eher noch verwirrender. Denn immerhin war der Kaiser tot!
    "Un' watt maake wi nu, wo de Kisr dot iss? Ik meen, de Jong hets ja ook plattmaakt. Watt issn no? De Römsche maake datt do met hehle Sirhit anners as wi, oda niet? Mötten die si nu umme Nachfolge schlaje, so Mannslö vers Mannslö?"

    Was schiefgehen konnte ging schief. Sönke konnte gar nicht schauen, so schnell schlichen sich in die Ausführung der Befehle Fehler ein. Als der Centurio sie anbrüllte, versanken die Tirones in betretenes Schweigen, so stiller möglich war. Wofür der Stock da war, wusste keiner von ihnen... sie waren ja neu. Erst als Sönke beim erneuten Aufstellungnehmen irgendwie keinen Platz in seiner Reihe fand und sich daher etwas schräg aufstellte, ging ihm auf wofür das Ding da war. Noch Minuten später brannte sein Gesicht von dem Hieb, den er abbekommen hatte, doch war er viel zu sehr an Schläge gewöhnt um sich so aus der Fassung bringen zu lassen. Er nahm es eher hin wie ein schlichter Esel.. und boxte sich mit Vehemenz seinen Platz in den Reihen frei, wenn es wieder einmal einen Aufstellungswechsel gab.

    Sönke spürte wie ihm unter dem Helm die Ohren rot wurden als ihr Ausbilder seine Antwort runtermachte. Das war ja ein glorreicher Einstieg in seine Ausbildung. Um das wieder wett zu machen, passte Sönke bei der Beschreibung des Marschierens und der Kommandos auf wie ein Schießhund. So wie der Helvetier das da machte, sah es doch alles ganz einfach aus... als sie aber schließlich selbst wieder an der Reihe waren nach den Kommandos des Ausbilders das Marschieren zu üben, funktionierte es nur so lange, wie sie die Richtung nicht ändern mussten. Geradeaus, ja, das konnten sie alle bald einigermaßen, auch wenn der Rhythmus definitiv noch nicht in ihren Köpfen und Beinen drin war... aber als es an die Wendungen ging, brach wieder einmal heilloses Chaos aus, als der Helvetier ihnen verbot einfache Kurven zu laufen. Keiner der Rekruten, am allerwenigsten Sönke, hatte eine Ahnung wie man eine Marschkollonne die Richtung wechseln ließ, ohne dass diese dabei einfache Kurven lief. Keiner.
    Jedes Mal wenn der Befehl dazu kam hielt einer es für notwendig kürzer zu treten, damit andere an ihm vorbeikonnten, andere wiederrum rannten in die kürzer tretenden rein... und irgendwann hatte man schließlich drei Marschkollonnen mit drei verschiedenen Richtungen und drei verschiedenen Tempos. Sönke hatte nicht die geringste Ahnung, welche von den dreien es jetzt richtig gemacht hatte.

    "Komm ers emo nei... un pakk je net minge Helm a mit deene Pottfinners..", zog Sönke sich aus dem Flur in seine Stube zurück, schließlich war es eine Sache die man nicht eben in zehn Sekunden klären konnte, und wenn irgendwer Hadamar und ihn beim labern auf dem Flur erwischte, wäre es sofort hin mit dem Gespräch.


    "Aso...", begann er, nachdem er seinen Helm dorthin gepackt hatte wo er hingehörte, "..de Kiser iss ja no dod. Datt hett mi opp een Probleem uffmerksam maakt, watt ik scho vo heel en tiet inne Kopp hatte. On zwa: ik heb mine Eed oppe Kiser jeleisdet, wie alle hia... aba... eejentlich bi ik vo Jeburt an dinge Sipp verpflichtet... aso de Witjon... un hel di. Watt maak ik no, wenn de Kiser watt vo mi will, watt ditte Sipp schad? Oda Witjon watt vo mi, watt de Kiser schad? Aso.. wennet nu ne nue gibbet, heest datt."

    Er hatte gewartet... und gewartet... und gewartet... dabei poliert... und poliert... und poliert. Man konnte es kaum übersehen, dass Sönke jemanden erwartete, denn er belagerte quasi den ganzen Flur der Centurienbarracke, während er auf dem Boden hockte und seinen Helm mit etwas schrubbte, das vor langer Zeit mal ein Stück Stoff gewesen war, mittlerweile aber nurnoch aus abgeriebenem Metall und vor allem Dreck bestand, der so festgepresst war, dass er die kritische Masse überschritten hatte und die außerordentliche Fähigkeit entwickelt hatte NOCH MEHR Dreck anzuziehen. Ein Physicus hätte das ganze wahrscheinlich erklären können.. für Sönke war es einfach nur ein magisches Stück Dreck, das dazu da war um noch mehr Dreck zu entfernen.
    Immer wenn jemand vorbeikam murrte er eine Begrüßung und versuchte so beschäftigt wie möglich dreinzuschauen.. nicht, dass jemand auf die Idee kam dem einfachen Tiro noch eine Aufgabe aufzudrücken und ihm damit dem eigentlichen Sinn seines ganzen Wartens zu berauben. Allerdings hatten sowohl Centurio als auch Optio als auch Signifer die Güte, nicht aufzutauchen und ihn in seinem Tun zu unterbrechen um ihn einer sinnvolleren Betätigung zuzuführen.


    Als die Person schließlich auftauchte, auf die Sönke die ganze Zeit gewartet hatte, hatte schon die dritte Stunde des eifrigen Polierens angeschlagen, und sein Helm blitzte und blinkte selbst im Halbdunkel der Barracke so stark, dass Sönke sein eigenes verzerrtes Gesicht darin entdecken konnte. Soviel zum Thema Neuware.


    "HADAMAR!!", sprang Sönke schließlich auf, als genau dieser auftauchte, "Jong, wi mötten watt bekürn.. ik hebb do ne Fraach..."

    Trommelwirbel.... mehr Trommelwirbel.... noch mehr Trommelwirbel... FANFARE!!! Tusch.


    So sehr Sönkes Blut in Wallung geriet, als der Legat sich zeigte, und damit sein Sammelalbum an Legionsoffizieren um die Spitze bereicherte (es fehlten noch der Praefectus Castrorum, der Tribunus Laticlavius, der Aquilifer und ein Decurio), so verstörte ihn doch die Einleitung... hatten sie eine Schlacht verloren, von der er nichts wusste? Quasi über Nacht?
    Dann die Ansage: der Kaiser war tot. Die Nachricht war definitiv zu groß für Sönke, als dass er auch nur erahnen konnte, was dies überhaupt bedeutete. Nein, Sönkes menthale Kapazität reichte definitiv nicht, um zu verstehen worum es gerade ging, und was ein toter Kaiser mitsamt Sohn für sie alle jetzt bedeutete. Entsprechend konsterniert war er, Fragen türmten sich in seinem Geist auf, und durch die Reihe seines Contuberniums suchte er den blitzblankgeputzten Helm des Optios ihrer Centuria, der sein Ausbilder war. Als er dessen Helm gefunden hatte, tat ihm dieser nicht den Gefallen ihm telepatisch mitzuteilen was jetzt eigentlich das Problem war, und so blieb Sönke immernoch reichlich unwissend und mit riesemgroßem Fragezeichen über dem Schädel in der Masse an Soldaten stehen, und wartete darauf, dass der Erklärbär auftauchte um dieses schwere Fragezeichen von seinem Kopf zu wischen...

    Als sie den Marsch hinter sich hatten taten Sönke die Fersen und die Fußspitzen weh, und er hatte sich gleich drei andere Tirones ausgeguckt, an denen er sich in den kommenden Wochen auf die eine oder andere Art würde für seine plattgetretenen Füße rächen müssen. Dummerweise zeugten die Blicke von gleich vier anderen Tirones, dass er ebenso auf dieser stummen Liste stand.
    Auf dem Campus stehend nahmen sie recht dürftig Haltung an, der eine lax, der andere gar nicht... und Sönke stand so unnatürlich aufrecht, dass es im Rücken schmerzte. Der Centurio und sein Ausbilder tuschelten wieder irgendwas zusammen, und als der Helvetier zurückkam, deutete wenig später sein Finger in Sönkes Richtung und beharkte ihn mit einer Reihe von Fragen, auf die Sönke erst einmal mit betretenem Schweigen antwortete.


    "Öh...", war dann der erste Laut, der ihm über die Lippen kam, "...viele? ...und... und sie hat ein paar Cohortes... ein paar Centuriae.. und... und... und einen Tribunen."