Beiträge von Flavia Domitilla

    Es war ein Fehler gewesen, länger zu bleiben. Zumindest wenn man Praxilla gefragt hätte. Allerdings fragte niemand Praxilla. Der Flavia jedoch war das nächste Gebot keinesfalls entgangen - und auch nicht die halbseidene "Dame", aus deren Mund es hinausgeschrien worden war. "Wie impertinent!", war ihre erste Reaktion. "Neureiches Gesindel!", die Zweite, als sie einen weiteren Blick auf die Dame geworfen hatte. Nein, so etwas konnte sie sich nicht bieten lassen! Auch wenn sie gerade noch von ihrer Leibsklavin davon überzeugt worden war, die Finger von dem Sklaven zu lassen. Aber diesen Sklaven nun dieser Kanaille zu überlassen, glich einer Kapitulation. Einer Kapitulation des guten Geschmacks.

    Wo war nur ihr Sklave Cato? Ach, sie hatte ihn losgeschickt um herauszufinden, wer der geheimnisvolle Bieter war. Unglücklicherweise war er von seiner Erkundungstour noch nicht zurück. Domitilla wurde von Minute zu Minute unleidlicher. Jedem, der sich gerade in ihrer unmittelbaren Umgebung aufhielt, war nun geboten, sich möglichst still und unauffällig zu verhalten, um dem aufkeimenden Zorn der Flavia möglichst unbeschadet zu entgehen.

    Als das nächste Gebot dann ausgerufen wurde, war auch der letzte Rest ihrer Geduld verlorengegangen. Zweitausend Sesterzen im Namen des Tribuns Decimus Serapio. Ausgerechnet in diesem Moment kehrte nun auch der bereits vermisste Cato zu seiner Herrin zurück. Noch war er guter Dinge, da er erfahren hatte, was seine Domina wissen wollte. Fatal nur, dass ihm ihr Stimmungswandel entgangen war. "Domina, der geheimnisvolle Interessent ist der Tribun Decimus Serapio!", rief er noch voller Optimismus. Doch kaum war das letzte Wort über seine Lippen gekommen, bemerkte er den eisigen Blick der Flavia.

    "Ach wirklich?!", war alles, was sie darauf sagte. Gewiss würde das ein Nachspiel haben!

    Die junge Sklavin erwiderte das Lacheln des Furiers und deutete eine leichte Verbeugung an. Seine Freundlichkeit und seine Bescheidenheit ließ sie vermuten, dass an den Gerüchten, die unter den Sklaven kursierten, doch ein wahrer Kern stecken musste.
    „Wie du möchtest, Dominus. Du kannst den Weg durch den Garten nehmen. Es führt ein Kiesweg bis zum Ende des Gartens. Dort befindet sich eine Tür, die zu einer Treppe führt, die bis hinunter zum Strand führt.“, erklärte sie freundlich.
    Als er sie nach ihrem Namen und den des Ianitor fragte, gab sie freimütig Antwort. „Mein Name ist Nicarete, Dominus und der Name des Ianitor lautet Aretas.“


    Derweil unten am Strand…


    Die Sklaven hatten einen kleinen Pavilion aufgebaut, der aus mehreren hölzernen Stangen und einigen Bahnen hellen Stoffes bestand. Darin standen zwei Klinen und ein Beistelltisch, auf dem zwei Becher und eine Kanne mit Wein bereitstanden.
    Flavia Domitilla hatte es vorgezogen, noch etwas am Strand entlang zu spazieren. Sie trug eine helle Tunika, die auf den ersten Blick recht schlicht wirkte. Doch sah man genau hin, erkannte man Goldfäden, die in das Gewebe des Stoffes mit eingewebt waren. Ihre Sandalen hatte sie ausgezogen, damit sie barfuß durch den feinen Sand des Strandes waten konnte. Eine ihrer Sklavinnen, die sie begleiteten, bewahrte sie für sie auf.
    Gelegentlich bückte sie sich, um eine Muschel aufzuheben, die das Meer ihr vor die Füße geschwemmt hatte. Schon als Kind hatte sie es geliebt, Muscheln am Strand zu sammeln. Hier draußen, wo nur das Rauschen des Meeres war und die Sanftheit des Windes ihr Haar streichelte, welches sie offen trug, fühlte sie sich wohl. Hier konnte sie ihren Gedanken freien Lauf lassen und all die Last, die ihr in Rom auf den Schultern lag, beiseiteschieben.

    „Tausend?!“, rief Domitilla erzürnt. Mit ihrer guten Laune war es ein für alle Mal an diesem Tag vorbei! Ihr Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Wer wagt es?“ Schwungvoll hatte sie sich in die Richtung gedreht, aus der das Gebot gekommen war. Es war wieder derselbe Mann, der sie schon einmal überboten hatte.
    „Finde heraus, zu wem er gehört! Ich möchte wissen, gegen wen ich biete!“, schmetterte sie Cato entgegen, der innerlich seufzte. Aber es blieb ihm nichts anderes übrig. So bahnte er sich einen Weg zu jenem Mann, der soeben das Gebot um gleich vierhundert Sesterzen erhöht hatte.


    Währenddessen Cato zu ebendiesem Mann vorgedrungen war und ihn ansprach, um den Namen seines Herrn zu erfahren, machte Praxilla, die Leibsklavin der Flavia einen eigenen Versuch, um das Gemüt ihrer Herrin wieder in etwas ruhigere Fahrwasser zu steuern. „Domina, tausend Sesterzen für einen gebrauchten Sklaven, den dein eigener Verwandter schon vor zwei Jahren verkauft hat, weil er offensichtlich nicht viel taugte? Glaubst du nicht, dass tausend Sesterzen da eindeutig zu viel sind?“ Domitilla warf ihrer Sklavin einen abschätzigen Blick zu. Nur sie durfte so mit ihr reden. In gewisser Weise hatte die griechische Sklavin dieses Privileg von ihrer verstorbenen Vorgängerin Amalthea geerbt.


    „Nun ja, vielleicht hast du ja Recht!“, entgegnete sie nach einer Weile. Doch jetzt einfach so das Feld räumen, kam auch nicht in Frage! Praxilla wollte schon den Sänftenträgern ein Zeichen geben, damit sie sich bereit machen konnten. Doch Domitilla hielt sie davon ab. „Nein, wir bleiben hier! Ich möchte erfahren, wer ihn bekommt!“

    Einen Gladiator ausbilden zu lassen war natürlich nur so eine fixe Idee der Flavia, die sie womöglich schon kurze Zeit später verwerfen würde. Doch der Sklave gefiel ihr. Immer noch rätselte sie, wo sie sein Gesicht schon einmal gesehen hatte. Als plötzlich einer der Sklaven, der sie begleitet hatte seinem Standeskollegen plötzlich etwas zuraunte, was ihre Aufmerksamkeit fand. „Ist das nicht Angus da oben?
    Die Flavia wandte sie um, um den Sklaven zu eruieren, der den Mann auf dem Verkaufspodest ganz offensichtlich kannte. „Was sagst du da? Wer ist das?“ Der angesprochene Sklave errötete und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Doch um es sich mit der Domina nicht zu verscherzen, antwortete er ihr. „Das ist Angus, Domina. Der ehemalige Sklave deines Verwandten Flavius Scato. Nach seinem Tod wurde er verkauft.“
    Sofort lenkte sie ihren Blick wieder hinauf zu dem Sklaven auf dem Verkaufspodest. „Aha, welch Ironie! Scatos ehemaliger Sklave also!“


    Genau in diesem Moment ging ein weiteres Gebot ein. Sofort ging ihr suchender Blick zu ihrem Konkurrenten. „Wer ist das? Kennt jemand diesen Mann?“ Doch selbst Cato konnte ihr diesmal mit keinerlei Auskünften dienen. Aber im Grunde war das auch unwichtig! Also forderte sie Cato erneut auf, für sie zu bieten. „Sechshundert!“, rief er daraufhin.

    Eine flavische Sänfte näherte sich dem Sklavenmarkt, begleitet von mehreren Sklaven, die zu der Flavia im Inneren der Sänfte gehörten. Die Träger, sechs Nubier deren Haut schwarz wie Ebenholz war, ließen die Sänfte ab und einer der Sklaven war seiner Domina dabei behilflich, der Sänfte zu entsteigen. Ihre beiden germanischen Custodes sorgten dafür, dass sich niemand Flavia Domitilla ungebührlich näherte. Gleichzeitig sorgten sie dafür, dass sie einen guten Platz erhaschen konnte, um die Angebote des Sklavenhändlers angemessen zu begutachten.
    Im Grunde hatte sie keinen dringenden Bedarf für einen neuen Sklaven. Zumal sie günstig an hervorragend ausgebildetes Personal aus der flavischen Zucht kommen konnte. Doch hin und wieder tat ein wenig frischer Wind sicher auch gut.


    Domitilla erblickte den Sklaven, den man soeben auf den Podest geführt hatte. Ein blonder Kelte, gut gebaut. Doch irgendwie kam ihr dieses Gesicht bekannt vor. Als ob sie ihn schon einmal gesehen hätte. Natürlich konnte sie sich auch irren, denn diese Barbaren sahen ja alle gleich aus.


    „Wie findest du den?“, raunte sie Praxilla, ihrer Leibsklavin zu. Die Griechin begutachtete den Sklaven, so gut es von ihrem Platz aus ging. Er sah nicht schlecht aus. Gewiss war er kräftig. Was die Griechin jedoch etwas irritierte, war das niedrige Einstiegsgebot. 350 Sesterzen waren wirklich nicht viel für einen kräftigen Sklaven im besten Alter. Irgendwo musste da ein Pferdefuß versteckt sein. Doch sie konnte ihn beim besten Willen nicht entdecken.
    „Er sieht nicht schlecht aus, Domina. Darf ich fragen, wofür du ihn einzusetzen gedenkst?“ Praxilla wusste, dass ihre Domina keinen triftigen Grund brauchte, um sich einen neuen Sklaven anzueignen. Manchmal geschah dies einfach aus einer Laune heraus. Aber vielleicht gab es ja einen bestimmten Anlass.


    Ein Lächeln umschmeichelte ihren Mund. Der Sklave gefiel ihr, auch wenn sie im Augenblick explizit keinen Bedarf hatte. Doch was hatte der Händler gerade gerufen? Mit etwas Anleitungfür die Arena brauchbar? Warum eigentlich nicht?
    „Nun, ich könnte ihn als Gladiator ausbilden lassen,“ antwortete sie. Kurz darauf gab sie Cato, ihrem 'Mädchen für alles' ein Zeichen.
    „Meine Domina Flavia Domitilla bietet vierhundert Sesterzen für den Sklaven!“, rief dieser daraufhin.

    Ein wohlgestalteter Orientale, der als Ianitor diente, öffnete die Tür, nachdem er ein Klopfen vernommen hatte.


    „Salve Dominus und willkommen in der Casa Obsidia! Bitte tritt ein!“, begrüßte er sein Gegenüber mit einem leichten Akzent und ließ den Besucher ein.
    Da die Ankunft des Furius bereits erwartet wurde, erschienen gleich mehrere Sklaven, die sich um das Gefährt des Besuchers kümmerten. Eine junge Sklavin mit dunklem Haar und blauen Augen trat Furius Cerretanus entgegen. Sie hatte den Auftrag, sich um den Gast ihrer Domina zu kümmern.
    „Salve Dominus! Die Domina befindet sich gerade unten am Strand und macht dort einen Spaziergang. Wenn du möchtest, kann ich dich gerne dorthin führen. Falls du es aber vorziehen solltest, die Domina hier zu treffen, werde ich sie von deiner Ankunft unterrichten.“ Die junge Frau lächelte und erwartete geduldig die Entscheidung des furischen Besuchers.

    Domitilla, die sich noch immer im Griff ihres Vetters befand, versuchte in dessen Stimmlage sein Empfinden zu eruieren. Scheinbar wich sein Zorn allmählich, oder vielmehr war es wohl so, dass er sich auf den Tiberius zu projizieren begann. Dennoch ließ sich die Flavia nicht dazu hinreißen, weniger aufmerksam die Physiognomie ihres Verwandten und dessen Gestik weiter zu studieren. Dieses Maß an Nähe, die er nun ihr gegenüber zuließ, war für sie höchst ungewohnt. In dieser Hinsicht hatte ihn wohl das Alter, welches auch an ihm nicht spurlos vorbeigegangen war, verändert.


    „Ich… ich… wollte nicht wehklagen und dich mit meinen Lappalien belästigen, Manius. Ich bin zwar eine Frau, aber immer noch eine Flavia!“ Sie verachtete die Frauen, die ständig herumjammerten und sich öffentlich in ihrem Selbstmitleid badeten, nur um sich damit die damit Aufmerksamkeit ihrer Nächsten zu erschleichen. Nein, Domitilla hatte lange ausgeharrt und eine enorme Menge an Geduld aufgebracht. Sie hatte Lepidus immer wieder Möglichkeiten offengelassen, mit ihr eine harmonische Ehe zu führen. Doch nun war sie es endgültig leid geworden!


    In den Augen ihres Vetters schien sie langsam dessen Gedankengänge erkennen zu können. Sie hatten sich verengt und zeugten vom Wiedererstarken seines Grolls, der allerdings diesmal nicht ihr gelten konnte. Die Frage nach dem Verbleib ihres Ex-Gatten war daher plausibel und durchaus auch berechtigt.
    „Als ich Lepidus verließ, ließ ich ihm im Glauben, nur meine Familie besuchen zu wollen. Daher weilt er gewiss noch in Capua und vergnügt sich mit seinen Gespielinnen.“ Besonders in den letzten Teil ihrer Rede hatte man die mit Spott gepaarte Abscheu der Flavia heraushören können, die scheinbar auch jetzt noch tief gekränkt war, vom niederträchtigen Verhalten ihres ehemaligen Gatten. Wie viele Frauen ihrer Couleur, konnte Domitilla da sehr lange nachtragend sein.
    So wie sie den Tiberius einschätzte, würde er auch selbst jetzt nicht den Anstand besitzen und sich um sie bemühen, geschweige denn ein klärendes Gespräch mit ihr oder ihrem Vetter zu suchen.

    Nach fast drei Wochen war das Haus kaum wieder zu erkennen. Die Handwerker hatten ganze Arbeit geleistet. Das Haus und auch der kleine Garten waren wieder instand gesetzt worden. Die Wände hatten einen neuen Anstrich bekommen. Bunte Fresken, mit Szenen der griechischen Mythologie zierten jetzt jeden Raum. Ebenso hatte man die Räume mit neuem Möbel ausgestattet. Doch zweifelsfrei war das Mosaik, welches das Triclinium zierte und Amor und Psyche in inniger Umarmung darstellte, das Glanzstück der Nach fast drei Wochen war das Haus kaum wieder zu erkennen. Die Handwerker hatten ganze Arbeit geleistet. Das Haus und der kleine Garten waren wieder instand gesetzt worden. Die Wände hatten einen neuen Anstrich bekommen. Bunte Fresken, mit Szenen aus der griechischen Mythologie zierten jetzt jeden Raum. Ebenso hatte man die Räume mit neuem Möbel ausgestattet. Doch zweifelsfrei war das Mosaik, welches das Triclinium zierte und Amor und Psyche in inniger Umarmung darstellte, das Glanzstück der Renovierungsarbeiten.


    Bereits einige Tage vor dem Eintreffen der Flavia, waren dutzende flavischer Sklaven aus Baiae eingetroffen. Allesamt stammten sie aus der flavischen Zucht. Sie hatten die Aufgabe, alles für die Ankunft der Flavia und ihres Gastes vorzubereiten.
    Einen Tag, bevor sie ihren Geliebten erwartete, war dann auch Domitilla selbst nach Ostia gereist, begleitet von all ihren Sklaven.
    Die Sklaven hatten den Räumen mit frischen Blumen neues Leben eingehaucht und den Geruch der frischen Farbe hatte man versucht, mit Räucherwerk beizukommen.
    Domitilla hatte nach ihrer Ankunft sofort die Casa erkundet war mit allem sehr zufrieden gewesen und sie hatte nur lobende Worte für all ihre Sklaven gefunden – insbesondere für Castor, ihren maiordomus.


    Die Stunden, bis zum Eintreffen ihres Geliebten, vertrieb sich Domitilla mit einem erholsamen Spaziergang am nahen Strand. In der Tat war dies der perfekte Ort, um die Seele baumeln zu lassen und um alles um sie herum vergessen zu machen, was zwischen ihr und Furius stand.

    Fast drei Wochen nach ihrem ersten Treffen, machte sich einer von Domitillas Sklaven auf den Weg, um einen Brief in der Casa Furia abzugeben. Äußerlich sah man dem Unfreien seine Herkunft nicht an. Darauf hatte die Flavia Wert gelegt. Ebenso auf seine Verschwiegenheit.



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    Appius Furius Cerretanus
    Casa Furia
    Roma


    Salve, lieber Freund!


    Anlässlich einer kleinen privaten Feier, würde ich mich freuen, wenn du mich in drei Tagen in der Casa Obsidia in Ostia besuchen könntest, um an der Cena teilzunehmen.
    Die Casa liegt etwa eine duo milla passum südlich vor den Toren Ostias.


    Mögen dich die Ewigen beschützen!


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    Sein Einwand war durchaus berechtigt. Ein männlicher Name würde kein Aufsehen erregen.
    "Ja, du hast Recht! Also, wirst du dann Nachrichten von Soranus erhalten. Und ja, ich werde meine Briefe an deine Heimastadresse senden."


    Domitilla lächelte zufrieden. Noch immer lag sie dicht bei ihm und genoss seine Nähe. Sie verdrängte den Gedanken, wie lange es dauern mochte, bis sie ihn wiedersehen würde. Gleich morgen würde sie ihren Sklaven damit beauftragen, einen passenden Ort für ihre zukünftigen Zusammenkünfte zu finden.
    Zunächst aber würden sie sich trennen müssen. Auch wenn Domitilla ihre gemeinsame Zeit so lange wie möglich hinauszögern wollte, war dies bittere Gewissheit.
    "Ich werde dich sehr vermissen, mein Geliebter! Jeder Tag ohne dich wird eine Tortur für mich werden!" Wieder küsste sie ihn. "Ich werde den Göttern danken, dass sie uns beide zusammengeführt haben." Sie fragte sich, wie er seinen täglichen Dienst verrichten konnte. Vielleicht würde er sie stets in seinen Gedanken behalten. Besonders dann, wenn er wieder Dienst an jenem Stadttor hatte, an dem sie sich zum ersten Mal trafen.


    Eine ganze Weile lagen sie noch zusammen. Dann jedoch war die Zeit gekommen, dass sie gehen musste. Noch ein letzter sinnlicher Kuss, dann kleidete sie sich wieder an.
    Es brach ihr fast das Herz, als sie die Tür öffnete und noch einmal einen letzten Blick auf ihn warf.


    Schließlich stieg sie die Treppe hinab und bahnte sich ihren Weg zu ihren Sklaven. Sie selbst hatte wieder die Haltung einer Sklavin angenommen. Ihr Selbstbewusstsein war wie weggefegt.
    Offensichtlich waren Praxilla und die beiden Barbaren gerade im Gespräch mit - einem Kind? Nein, es war eine Zwergin!
    Ihre Leibsklavin wollte gerade etwas entgegnen, doch dann sah sie auf und erkannte die Flavia.
    "Und was hat der Dominus gesagt?" fragte sie.
    Domitilla sah kurz auf. "Der Dominus möchte, dass wir sofort heimkehren. Er bedarf heute Abend nicht mehr unserer Hilfe und erwartet uns morgen wieder." Dann warf sie einen flüchtigen Blick auf die Zwergin.
    "Na dann kommt! Auf, nach Hause!", rief Praxilla den beiden Germanen zu, als sie von ihrem Platz aufsprang. Recht forsch griff sie nach Domitillas Arm und zog sie mit sich. Die beiden Germanen folgten den beiden Frauen und ließen die Zwergin einfach stehen.

    Seit Domitilla nach Rom zurückgekehrt war, schien ihr Leben wieder in die rechten Fugen zurückgefunden zu haben. Sie war geschieden und bereit für eine neue Verbindung. Dass auch eine erneute Heirat nichts mit Liebe zu tun haben würde, sondern lediglich nur berechnende Familienpolitik sein konnte, war ihr bewusst. Doch dieses Mal würde sie nicht wieder den gleichen Fehler begehen.
    Nach ihrer Scheidung von Tiberius Lepidus, fühlte sich Domitilla nicht nur frei, sondern vor allem auch in ihrem Selbstbewusstsein bestärkt. Sie war schon lange nicht mehr das einfältige und unerfahrene Ding von einst. Die Ehe mit dem Tiberius hatte sie hart und eigennützig werden lassen. Dieses Mal würden vor allen Dingen erst einmal ihre eigenen Interessen im Vordergrund stehen. Von niemandem würde sie sich diesmal in eine Ehe drängen lassen. Nicht einmal von ihrem Vetter Gracchus!


    Eine großartige Zukunft lag direkt vor ihr, davon war sie überzeugt. Sie musste nur die richtige Wahl treffen. Um ganz sicher zu gehen, bedurfte es nur noch eins: Das Wohlwollen der Ahnen! Ihr letzter Besuch im Templum Flaviae lag schon eine Weile zurück. Doch nun, da ihr Leben eine neue Richtung einschlagen sollte, war es ihr sehr wichtig, dies mit der Gunst der Ahnen zu tun.


    Die Sonne war bereits untergegangen, als sich Domitilla anschickte, die Villa zu verlassen. Eine Sänfte, die von ihren beiden germanischen Custodes und einer kleinen Schar von Sklaven begleitet worden war, trug sie zum Tempel ihrer Ahnen am Palatin. Die Sklaven waren mit allerhand Opfergaben bepackt. Weihrauch, Blumen, Datteln, Kekse und eine Kanne Falerner hatte Domitilla mitgebracht. Ein blutiges Opfer wollte sie sich für später aufheben. Dann wenn sich ihre zukünftigen Schritte erahnen ließen.


    Auf Anweisung ihrer Domina verharrten die beiden Custodes draußen vor dem Tempel. Eingehüllt in eine Palla erklomm sie voller Ehrfurcht die Treppe und den Säulengang des Tempels. Gefolgt von ihrer Leibsklavin Praxilla, der der Weihrauch anvertraut worden war und drei weiteren flavischen Sklaven, betrat sie das Innere des Heiligtums. Da es bereits zu dunkeln begonnen hatte, sorgten etliche Öllampen für ein gedämmtes Licht. Die Schwere des Lampenöls lag in der Luft, gepaart mit dem Duft von Weihrauch.
    Domitillas Blick fiel zunächst auf die marmornen Standbilder ihrer Ahnen, der göttlichen flavischen Kaiser. Davor befanden sich verschiedene Altäre.
    Um die Aufmerksamkeit ihrer Ahnen zu gewinnen, begann sie damit, den Weihrauch und die Blumen in die Glut der Kohle zu legen. Sogleich stieg der Rauch des verbrennenden Weihrauchs auf und verströmte seinen erhabenen Duft.
    Dann opferte sie die Datteln und die Kekse. Den Falerner goss sie in eine bereitstehende Schale. Schließlich bedeckte sie ihr Haupt mit der Pala, und sank auf ihre Knie. Bittend hob sie ihre Hände gen Himmel und begann ihr Gebet.
    „Oh ihr großen Ahnen! Ich, Flavia Domitilla, Tochter von Gnaeus Flavius Aetius, Tochter von eurem Blute, bitte euch um eure Gunst. Ihr Ahnen, wacht über meine Familie und lenkt alle meine Schritte. Ihr Ahnen, beschützt mich und die Meinen vor allem Unglück und…“
    Ein lautes Geräusch, das die Stille des Tempels durchdrang, ließ sie erschrecken und innehalten. Irritiert, d sie in ihrem Gebet gestört worden war, sah sie sich um, konnte aber nichts erkennen, was jenes Geräusch verursacht hatte.

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    | Castor


    Ein Tag nach dem amourösen Treffen seiner Herrin, machte sich Castor auf den Weg nach Ostia. Die Flavia hatte ihm aufgetragen, sich nach einer geeigneten Immobilie umzuschauen. Ein kleines Häuschen – kein Palast. Doch über alle Annehmlichkeiten, die eine Villa hatte, sollte das Haus schon verfügen.


    Castor hatte sich in der Stadt umgehört. Er hatte auch einige Häuser besichtigt und war am Ende sehr resigniert. Keines der Häuser hatte den Anforderungen seiner Domina entsprochen. Wie sollte er sich mit leeren Händen zurück nach Rom trauen? Die Domina würde furchtbar wütend sein, wenn er ihr sagte, dass es ein solches Haus nur in ihrer Vorstellung gab. Auspeitschen lassen würde sie ihn! Darin kannte sie keine Gnade.


    Castor beschloss seinen Aufenthalt in Ostia mit einem Besuch in einer Taberna zu beenden. Es war besser, sich vorher etwas Mut anzutrinken, als vollkommen nüchtern seiner Bestrafung entgegenzutreten. Doch scheinbar hatte ein Gott mit dem Sklaven erbarmen, denn wie es der Zufall wollte, schnappte er am Nachbartisch das Gespräch zweier Männer auf, die sich über ein Haus vor den Toren Ostias unterhielten. Das Haus, so erzählte der eine, stand schon jahrelang leer, was im Grunde eine Schande war, da es doch an einem perfekten Platz, direkt am Meer erbaut worden war und über einen hübschen kleinen Garten und sogar eigenes Balneum verfügte.
    Castor wurde hellhörig, da er glaubte, so noch sein eigenes Schicksal herumreißen zu können. „Vergib mir meine Neugier, aber ist dieses Haus verkäuflich?“ Die beiden Männer sahen den Sklaven zunächst verwundert an. „Ich denke schon, aber bedenke, wieviel Geld du investieren musst, um es zu renovieren!“ Castor begann zu strahlen, denn er war so gut, wie gerettet! „Geld spielt keine Rolle!“


    Eine Stunde später stand Castor mit dem Mann aus der Taberna vor dem besagten Haus – der Casa Obsidia. Die Größe und auch die Lage stimmten. Doch das Haus war in einem schlechten Zustand. Ein kleines Heer von Handwerkern würde ein paar Wochen damit zu tun haben, es wieder instand zu setzen. Doch wie gesagt, Geld spielte keine Rolle!
    Zufrieden kehrte Castor nach Rom zu seiner Domina zurück, um einige Tage später mit ihr wieder zum Haus am Meer zurückzukehren. Sie war entzückt, von dem was sie sah und hatte sich sofort darin verliebt...

    Auch Domitilla schmunzelte in sich hinein. In ihrem Hier und Jetzt gab es zwischen ihnen keine Standesunterschiede. Sie waren zwei Menschen, die sich geliebt hatten und womöglich konnte daraus noch mehr entstehen, als die bloße Erfüllung menschlicher Gelüste. Ein erster Schritt dazu war seine Entscheidung, sie wieder sehen zu wollen. Ob er in diesem Moment ahnte, wie glücklich er sie damit machte?


    Sie bettete ihren Kopf auf seine Brust, nachdem er sie zu sich herangezogen hatte. So hatte sie es sich immer erhofft, wenn sie bei ihrem Manne läge. Leider hatte sich dieser Wunsch nie erfüllt. Lepidus war in ihrer Gegenwart stets kühl gewesen. Er hatte in ihrem Zusammensein nichts weiter als eine Pflicht gesehen, die er zu erfüllen hatte. Irgendwann hatte er dann auch diese Pflicht als erfüllt gesehen.

    „Mein Gatte wiegt sich noch in dem Glauben, dass ich nur für ein paar Tage hier in Rom bei meiner Familie verweile. Doch heute Morgen habe ich ihm in einem Brief mitgeteilt, dass ich die Scheidung will. Der Brief wird einige Tage benötigen, bis er sein Ziel erreicht hat. Indes habe ich allerdings die Scheidung bereits im Eheregister eintragen lassen.“ Während sie Furius dies in einer Art Plauderton unterbreitete, strichen ihre Finger sacht über seinen Oberkörper.


    Nach einer Weile hob sie ihren Kopf, so dass sie ihm in die Augenschauen konnte. „Wenn wir uns wiedersehen, dann darf dies nur im Geheimen stattfinden! Darf ich dir Briefe schicken? Ich konnte dir auf diesem Wege mitteilen, wo und wann wir uns treffen könnten. Natürlich nicht unter meinem Namen…“ Sie verstummte kurz und sann über einen geeigneten Decknamen nach. Dann griff sie reflexartig nach dem Anhänger, der eigentlich ihrem Sklaven Soranus gehörte. „Sorana, ich werde meine Briefe mit Sorana zeichnen.“ Dann küsste sie ihn zärtlich.
    Natürlich musste sie auch noch einen geeigneten Ort für ihre Treffen finden. Doch damit konnte sie sich auch noch morgen beschäftigen.



    ~~~***~~~


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    | Praxilla, Gundolf et Berengar


    Praxillas Blick hätte töten können. Doch die beiden Germanen waren unter Alkoholeinfluss die reinsten Kindsköpfe und ließen sich von der griechischen Sklavin mittleren Alters wenig beeindrucken. Im Gegenteil, sie feixten munter weiter. Erst als die Zwergin von einer rothaarigen Römerin zu sprechen begann, verstummten sie und beäugten die kleine Frau misstrauisch.
    „Eine rothaarige Römerin? Hast du ´ne rothaarige Römerin gesehen?“ fragte Gundolf und stieß Berengar an. „Nö, ´ne rothaarige Römerin hab ich nich´ gesehen!“
    „Wer ist denn dein Dominus?“, fragte Praxilla mit eisiger Stimme.

    Schon in ihrer Jugend hatte Domitilla die flavische Bibliothek und deren Kostbarkeiten sehr geschätzt. Sie verfügte über hunderte von Abschriften, teils wahrhafte Raritäten, die dazu verführten, sich in der Villa ein ruhiges Plätzchen zu suchen und dort mit einer Schriftrolle den Tag zu verbringen. Genau das hatte die Flavia im Sinn gehabt. Unter den strengen Augen Magos, dem flavischen Bibliothekar, hatte sie in den Regalen gestöbert und war schließlich bei Petronius‘ Satyrikon hängengeblieben. Sie überlegte kurz und griff dann nach der Schriftrolle.
    Gefolgt von Praxilla, ihrer Leibsklavin schlenderte sie anschließend gemütlich zum Peristylium, um sich dort auf einer Kline niederzulassen. Sklaven versorgten sie mit verdünntem Wein und frischen Feigen.


    „Sorge dafür, dass ich meine Ruhe habe, während ich hier lese!“ Praxilla tat gut daran, dem Wunsch ihrer Domina zu folgen. Sie wusste, wie launisch sie sein konnte, wenn sie gestört wurde. Jedes Mal wenn sich ein Sklave dem Peristyl näherte, sorgte sie mit unmissverständlichen Gesten dafür, dass er sich aus dem Staub machen sollte. Auf diese Weise verschaffte sie ihrer Domina die Nötige Ruhe, um sich voll und ganz Petronius zu widmen. Hin und wieder naschte sie eine Frucht oder trank einen Schluck Wein.


    Nach einigen Stunden der Muse, war es, als höre sie die brüllende Stimme ihres Vetters Gracchus, welche aus dem Inneren der Villa zu ihr hinausdrang. Mit einem enervierten Seufzer sah sie kurz auf, um sich recht schnell wieder ihrem Text zu widmen.
    Doch bei dem Lärm aus der Ferne blieb es nicht! Eilige Schritte näherten sich dem Peristylium. Wieder sah sie auf und erkannte schließlich ihren Vetter, der sehr aufgebracht wirkte. „Manius?“Sie sah ihn fragend an, als er direkt auf sie zusteuerte.
    „Ma-ni-us!“, rief sie, als er sie an den Schultern packte und sie auf ihre Füße zog. Was hat er ge..tan!?, schrie er sie an. Domitilla riss verschreckt die Augen auf. Sie wusste zunächst gar nicht, wie ihr geschah, geschweige denn wen er meinte. Was hat er dir angetan? Sein Groll war kaum zu bändigen.


    „Meinst du etwa meinen Göttergatten, pardon meinen Ex-Göttergatten?“ Fraglos war er es, der ihren Vetter dermaßen in Raserei versetzte. Noch war sie sich nicht ganz sicher, ob er sie wegen der Scheidung verurteilte. Aber nein, sie hatte einen triftigen Grund für diese Entscheidung. Ihr Vetter würde das gewiss auch verstehen.
    „Er hat mich gequält und gedemütigt. Uber all die Jahre, Manius!“. Wenn das kein Grund war. Natürlich hatte er sie nicht physisch gequält. Nein, sein Tun war weitaus perfider gewesen.

    Morgen schon würde sie wieder frei sein! Ihre Mundwinkel zogen sich nach oben. Von nun an würde sie selbst die Entscheidung treffen, mit wem sie das Bett teilte. Zwar stand Domitilla nach der Scheidung wieder unter der Patria Potestas ihres Vaters. Flavius Aetius war aber inzwischen ein alter Tattergreis, dessen Tage gezählt waren. Jedoch würde sie niemals den Fehler begehen, ihn zu unterschätzen. Auch wenn die Gicht ihn plagte und er die Anzeichen einer beginnenden Demenz aufwies, besaß er noch immer Mittel und Wege seinen Willen durchzusetzen.


    Sie nahm einen weiteren Schluck des gekühlten Getränks uns stellte den Becher wieder ab. Dann schloss sie die Augen und sog den süßen Duft der Rosen ein. Später wollte sie ihrer Leibsklavin damit auftragen, ihr einen Strauß Rosen in ihr Cubiculum zu stellen.
    Als sie die Augen wieder öffnete, entdeckte sie Prisca, die Ehefrau ihres Vetters Manius Gracchus. Es war lange her, seit sie sich gesehen hatten. Bei ihrem letzten Besuch vor einigen Monaten in Rom war sie absent gewesen.


    „Prisca! Welch eine Überraschung! In der Tat, es ist eine Ewigkeit her! Ich glaube, es war an der Wahlsiegesfeier des armen Flavius Scato. Ein Jammer, dass er so früh von uns gehen musste!“ Domitilla hatte die Nachricht vom Tod ihres Neffen damals tief getroffen. Selbst jetzt noch mochte sie nur ungern über diese schlimme Zeit vor zwei Jahren nachdenken. Es war die Zeit ihrer dritten Fehlgeburt gewesen, die sie auch daran gehindert hatte, an der Trauerfeier teilzunehmen.


    „Oh, mir geht es hervorragend! Die Reise war zwar lang und anstrengend. Doch nun bin ich endlich hier! Aber sag, wie geht es dir und den Zwillingen?“ Im Gegensatz zu ihr war Prisca das Mutterglück vergönnt gewesen. Wobei das Leben mit Zwillingen im Kleinkindalter gewiss auch kein Zuckerschlecken war.