Beiträge von Macro

    Die Sekunden zogen sich in die Länge als wären sie aus Baumharz. Macros Herz klopfte derweil wie ein Hammer, denn er fühlte sich von Morrigan an die Wand gestellt und von Linos im Stich gelassen, vielleicht sogar reingelegt. Sein Blick wich nicht von Linos und voller Unverständnis registrierte er, wie der kurz blinzelte und gleich wieder die Augen verschloss.


    "Du denkst auch, wenn du niemanden siehst, bist du selbst auch nicht zu sehen", sagte Macro zu Linos, als er sicher sein konnte, dass weder Linos noch Morrigan ihre Abwartehaltung aufgeben würden. "Und ich habe dir vertraut." Es klang bitter.
    Dann straffte er sich, drehte zuerst den Kopf und sich schließlich ganz Morrigan zu. Er sah sie nur kurz an, dann wich sein Blick aus. "Das war alles ein Fehler, der Brief, mein Vertrauen", begann er müde. "Ich hatte damals eine Seite des Lebens entdeckt, die ich bisher nicht kannte - schön und verwirrend und hoffnungslos zugleich. Leider hatte ich in diesem Götterverlassenen Landstrich die goldene Regel missachtet: Nur ein Trottel spricht, der Weise schweigt." Er atmete einmal durch und fügte an: "Ich muss jetzt hier raus." Bereits während der letzten Worte drehte er sich ab und strebte der Tür zu, den Blick auf den Boden gerichtet, nicht vor Scham, sondern nachdenklich. Nicht einmal herabstürzende Felsbrocken hätte es vermocht, ihn aufzuhalten.

    Der Gedanke, dass die Prügel als Fluchtauslöser gedient haben könnte, hielt Macro aufrecht sitzend. Doch als Linos verneinte und erneut auf seine komische Begegnung mit der Sklavin und dem Käsehändler verwies, sank Macro zurück und lümmelte sich wieder auf die Beine. Zum Weineinschenker fühlte er sich ohnehin nicht berufen.


    Passend zum Thema rutschte ihm raus: "Das ist doch Käse." Er konnte die Beweggründe nicht im Ansatz nachvollziehen. Allein schon der Fluchtgedanke ärgerte ihn und besonders unverschämt fand er Linos‘ Reue, die Flucht nicht gut genug vorbereitet zu haben. Entsprechend grummelig fühlte er sich, als Morrigan das Wort ergriff. Seine Hoffnung, sie würde Linos herunterputzen, erfüllte sich jedenfalls nicht. Stattdessen klang ihre Stimme sogar mitfühlend. Nun hielt es Macro nicht mehr auf der Bettkante. Er wollte Luft holen und sich bei Morrigan beschweren, dass sie Linos keine ausreichende Lehre erteilte, da wechselte sie das Thema und schmetterte ihm eine Forderung entgegen, die ihn auf der Stelle erstarren ließ. Er hätte seine letzte Tunika darauf verwettet, dass es nicht schlimmer werden konnte, aber er irrte. Sie drohte, Linos zu befragen, und nach all dem Salat war sich Macro nicht mehr sicher, ob der dicht halten würde. Er musste schlucken, dann blickte er von Morrigan zu Linos und wieder zurück. Wie konnte es nur geschehen, dass sie aus dem Brief seine Zuneigung herausgelesen hatte?


    "Äh, na klar habe ich euch allen geschrieben." Oder war der Brief tatsächlich nur an Morrigan gerichtet gewesen? Mist, er erinnerte sich nicht mehr genau. Eines jedoch wusste er ganz genau: Nie im Leben hatte er darin etwas über Zuneigung verlauten lassen.


    "Linos!?" Der Befehlston endete in einer Fragestellung und Macros Blick fixierte ihn. Wenn Blicke schütteln könnten, würde Linos wie Zittergras im Wind wirken.

    Wie zu erwarten, kamen zunächst Ausflüchte. Linos wand sich, aber Macro blieb stur und aß bequem auf den Oberschenkeln abgestützt weiter. Linos sollte als Erster berichten, denn noch immer sah ihn Macro in der Bringeschuld. Die Flucht des einstigen Kameraden brachte die Vertrauenssäulen zwischen ihnen zum Einsturz und die bisher gemachten Erklärungen konnten bestenfalls die Grundpfeiler wieder aufrichten. Macro erwartete Aufschlüsse über die Flucht, als Linos begann, aber stattdessen berichtete der über die Zeit davor. Je länger Macro zuhörte umso langsamer kaute er, bis er letztlich das Essen ganz einstellte. Er blickte Linos regungslos an, bis der seine Narben auf dem Rücken zeigte. Macro kannte Narben und konnte deren Alter an der Farbe der Haut ablesen. Er atmete einmal tief durch und richtete sich auf.


    "Hammer", entfuhr ihm. "Davon höre ich zum ersten Mal." Plötzlich kam ihm ein Gedanke, den er sofort mitteilte. "Steht die Prügelstrafe im Zusammenhang mit deiner Flucht?" Er hatte Morrigans Anwesenheit für den Moment vergessen, weil er glaubte, einer Erkenntnis auf der Spur zu sein. Diesen Fluchtauslöser würde er sehr viel eher nachvollziehen können als die Geschichte über die Hilfeleistung für eine andere Sklavin.

    Und ob er was zu essen vertragen konnte. Im Grunde spürte Macro ständig Hunger und wegen Linos' Ankunft und Versorgung lag die letzte Mahlzeit lange zurück. "Ich denke, wir haben besser gelebt als die Soldaten, aber Puls scheint hier das Nationalgericht zu sein. Ich kann es nicht mehr sehen."
    Als Quittung für sein Entsetzen über den schlafenden Linos erhielt Macro einen Knuff in die Seite. Im Normalfall hätte er ein Hehe erwidert, aber aktuell arbeitete sein Hirn durch das Wechselbad der Gefühle verlangsamt. Macros Gemütslage fand auch jetzt kein ruhiges Wasser, erst der Schreck, Linos könne schlafen und ihn doch mit Morrigan und ihren Fragen alleine lassen, dann stürmte Morrigan auf den erwachten Linos zu und umarmte ihn. Warum zum Hades gab ihm das eigentlich einen Stich in die Brust? Erstens hätte ihn selbst eine solche Begrüßung vermutlich überfordert und zweitens hatte er doch dafür gesorgt, dass sie bei ihm anders reagieren musste. 'Idiot', schimpfte er sich. Er musste sich hier bei Zeiten abseilen, um seine innere Ruhe wiederzufinden. Dann konnte er auch wieder vernünftig agieren.
    Wie er fand, entwickelte sich die Lage dennoch gut, denn nicht Nachfragen standen auf dem Plan, sondern feiern und essen. Da ließ sich Macro kein zweites Mal heran bitten. Er trat näher, übergab den Korb und setzte sich auf die Bettkante. Er grinste, als ihm Wein eingeschenkt wurde, während Linos Wasser bekam. Seine Belustigung steigerte sich in unterdrücktes Glucksen, als er genau in dem Moment Linos beobachtete, als der zunächst sein Wasser und dann ihren Wein betrachtete.
    Er griff nach einem Brotstück, riss den Laib auseinander und steckte sich ein Stück in den Mund, bevor er noch einmal den Duft inhaliert hatte. Die Unterarme auf den Schenkeln abgestützt, hielt er das Brot in den Händen und aß, während Morrigan erzählte. Er kannte alle, von denen sie berichtete und lauschte interessiert. Nur als die Rede auf diesen Antoninus kam, stockte der Nahrungsfluss. Es benötigte ein angestrengtes Schlucken, damit der Bissen nicht im Hals stecken blieb. Dann konnte er nicht mehr weiteressen, weil alle Aufmerksamkeit beim Zuhören lag, denn jetzt kam die Bestätigung: Sie hatte Liebeskummer, weil sich herausgestellt hatte, der Kerl liebte sie nicht. Viel zu schnell überging sie dieses Thema und befand sich bereits im nächsten, das Macro ganz leicht die Brauen heben ließ. Ihr ging es als Sklavin gut? Sie hatte sich arrangiert, weil sie glaubte, nicht mehr nach Hause zu können? Sie genoss die Versorgung und schätzte, dass sie nicht übermäßig viel arbeiten musste? Ohne es zu beabsichtigen, schaute er Morrigan fragend an.


    Ihre Aufforderung, nun selbst was hören zu wollen, riss ihn aus den Gedanken und gänzlich wach machte ihn Linos Vorschlag, er solle beginnen.
    "Vergiss es, Junge. Erstens bin ich noch nicht mit dem Essen fertig und zweitens hast du weit mehr zu berichten." Er richtete sich auf, griff nach einem Obststück und biss hinein. "Ich bin gespannt, ob du Morrigan genau dieselbe Geschichte berichtest wie mir." Die Bemerkung verdeutlichte, wie wenig er Linos' Antrieb für die Flucht folgen konnte.

    Es kam wie es kommen musste: Morrigan bat ihn zu warten. Zum Bedauern jedoch kam er nicht, denn ein Korb wollte gehalten werden, der unversehens an seiner Brust landete. Während Morrigan durch die Culina eilte, um ein ganzes Festmahl zusammenzustellen, erlaubte sich Macro, sie zu beobachten. Wenn sie Speisen brachte, schaute er entweder in den Korb oder zur Seite und sobald sie sich wieder abwandte, blickte er ihr nach. Ja, er fand sie toll - optisch und in ihrer Art. Alles hätte leicht sein können, wenn sie ein einfaches Sklavenmädchen wäre, aber das war sie nicht. Frei geboren, streckte sie ihre Arme nach weit Besserem aus als es Macro je darstellen könnte. Er wollte sie vergessen, sich mit anderen in Germanien ablenken, und nun weilte sie hier, Tag für Tag vor seiner Nase.
    Sein Blick hing an ihrem Unterarm, als sie kandierte Früchte in den Korb legte. Er traute sich nicht, sie direkt anzuschauen, weil er glaubte, er würde sonst zu viel verraten. Am besten wäre ohnehin, er würde betont ruppig zu ihr sein, falls ihm das gelang. Eigentlich sollte ihm das nicht schwer fallen, weil er auch Wut in sich spürte. Schon vor Tagen hatte sie geweint, nicht nur heute. Macro redete sich ein, Liebeskummer zu erkennen, weil sie hier ihren Prätorianer nicht mehr sehen konnte und der sich vermutlich eine andere Bettgefährtin suchen würde. Seinen Mund umspielte ein bitterer Zug, doch als das Brot den Weg in den Korb fand, kroch verführerischer Duft in seine Nase. Er musste schlucken und war abgelenkt. Prompt meldete sich sein Magen zu Wort.


    "Hm, ich könnte auch was vertragen", kommentierte er das Knurren. Plötzlich verkündete Morrigan das Ende der Essenssammlung. "Gut", erwiderte er, drehte sich um und ging voran. Ob nun tatsächlich oder eingebildet, er spürte Morrigans Blicke in seinem Rücken und beeilte sich, das Zimmer zu erreichen. Die Tür stand noch offen, er trat ein und erfasste die Situation.


    "Jetzt sag nicht, du pennst", sagte er entgeistert und blieb wie angewurzelt stehen.

    Alles lief wie geschmiert. Morrigan war mit seinem Vorschlag sofort einverstanden und Macro atmete auf. Bloß keinen Moment zu lange in der Küche verweilen, dachte sich Macro und drehte sich bereits wieder um, als er ihre Nachfragen hörte. Die Höflichkeit verbot, ohne Erwiderung davonzurennen, also verharrte er im Schritt und wandte sich wieder um. Die Idee, Verpflegung mitzunehmen fand er sogar gut.


    "Wein zum Trinken oder zum Desinfizieren?", fragte er nach, um Missverständnisse auszuschließen. "Zum Trinken empfehle ich Wasser. Er muss langsam wieder an feste und flüssige Nahrung gewöhnt werden." Auf der einen Seite kam es ihm gelegen, dass sich ihre Gedanken ausschließlich um Linos drehten. Andererseits machte sie sich ganz offensichtlich zu viele Sorgen. "Ähm, einen Medicus brauchen wir nicht. Wir kommen ja gerade aus dem Lazarett", antwortete er zögerlich, weil er nicht wusste, ob er die Situation ausnutzen und von sich ablenken sollte. Das Dumme: Wenn sie so zaghaft und zerbrechlich wirkte, was eigentlich gänzlich ihrem Wesen widersprach, machte sich Macro wiederum Sorgen um Morrigan. Was für eine blöde Situation. Er könnte die Gefahr herunterspielen, Morrigan wäre erleichtert und ihre Aufmerksam damit von Linos abgelenkt. Was dann geschehen würde, konnte er sich ausmalen. Einen Vorgeschmack gab es vorhin. Alternativ könnte er Morrigan in Sorge gefangen halten, was ihm selbst Luft verschaffte. Die Vor- und Nachteile beider Varianten lagen klar auf der Hand. Er blickte zu Boden, als er nach der Lösung suchte und verfluchte seine Neigung zu Aufrichtigkeit. Warum konnte er nicht wie andere eigennützig sein? Er seufzte und blickte zur Seite.


    "Er wird wieder. In seine Wunde darf nur keine Entzündung kommen", sagte er aus Überzeugung und auf der Grundlage seines Laienwissens. Ein kurzer Blick zeigte ihm die in Tränen schwimmenden Augen, was ihm gar nicht behagte. Jetzt gab es einen Grund, sich abzuwenden.


    "Bring etwas Essen und Wasser, sowie Wein für den Fall der Wundnässung mit. Ich gehe schon einmal vor." Er zögerte. "Oder soll ich tragen helfen?" Er hoffte, sie würde nein sagen, aber ohne Nachfrage hätte er nicht gehen können. Das verbot seine Erziehung.

    Linos' Vorschlag war nicht nur nicht die beste Idee, er war für Macro praktisch unbrauchbar.


    "Mann, du kapierst auch gar nichts." Er schlug sich an die Stirn, bevor er weitersprach. "Wenn ich sie nach diesem Antoninus frage, stelle ich mich bloß und blamiere mich doch umso mehr." Macros Auftreten schwankte wie seine Gefühlslage - von panisch zu ärgerlich und dann wieder zu besorgt. Doch plötzlich kam ihm eine Idee. Wenn der Weissager nicht zum Berg kam, musste der Berg...genau: Morrigan musste zum Krankenlager, wenn Linos nicht laufen konnte.


    Ohne den Kameraden über seinen Plan zu unterrichten, verließ Macro das Zimmer - fast schon fluchtartig. Selten maß seine Schrittlänge so viel wie heute und so stand er alsbald vor der Küchentür. Er stoppte abrupt, räusperte sich und öffnete die Tür mit Schwung.


    "Morrigan." Ein Krächzen behinderte das weiterreden. 'Jetzt reiß dich zusammen', befahl er sich selbst. "Kommst du mit in Linos' Zimmer? Ich beantworte dort deine Fragen, denn ich möchte ihn nicht allzu lange alleine lassen." Sein Lächeln wirkte deplatziert, weil aus ihm Erleichterung sprach, die nur jemand verstehen konnte, der wusste, was ihn bewegte.

    Marco konnte kein Verständnis für Linos' Themenwechsel aufbringen und antwortete daher auf dessen Frage: "Woher soll ich das wissen?" Ihn interessierte der Genesungstrank nicht die Bohne, er steckte in Schwierigkeiten.
    Wenigstens kehre Linos mit der nächsten Frage wieder zu Macros Dreh- und Angelpunkt zurück. Macro versuchte, sich zu erinnern, mit welchen Worten Morrigan auf den Brief eingegangen war, aber von der Anspannung musste sein Gedächtnis außer Betrieb gesetzt worden sein. "Ich weiß es nicht, um ehrlich zu sein", antworte er. Kummerfalten überzogen seine Stirn. "Sie weiß aber etwas, was sie nicht wissen sollte. Das ist mir verdammt peinlich, zumal ich nicht annehmen kann, dass sie…ähnlich, äh…dass sie empfänglich...verdammt, sie hat doch diesen Kerl bei den Prätorianern. Sie wird sich über mich kringelig lachen! Und das Schlimmste ist, sie will, dass ich ihr Rede und Antwort stehe. Kannst du mich nicht in die Küche begleiten?" Macros Blick bat eindringlich. Am liebsten wäre er aus dem Lager gerannt und niemals wiedergekommen.




    edit: Formatierung korrigiert

    "Worüber weiß sie Bescheid? Worüber weiß sie Bescheid?", äffte Macro nach. "Dir ist doch nicht etwa beim Fluchtversuch Hirn abhanden gekommen?" Die Panik spiegelte sich in Macros Worten wieder. Gemeinheiten gehörten ansonsten nicht zu seinem Repertoire, aber heute befand sich der Hüne im Ausnahmezustand. Umso mehr, als er sich einbildete, ein Grinsen im Gesicht des einstigen Kameraden zu erkennen. Auch nach der nächsten Äußerung wollte er es noch erkannt haben, was ihn ärgerte.


    "Sag mal, machst du dich etwa über mich lustig? Und abwarten kann ich auch nicht. Sie ist hier und erwartet Erklärungen von mir." Macro schnaufte wie unter großer Anstrengung. Er nahm es Linos übel, dass der seine Situation nicht ernst genug nahm. "Und was heißt hier, meine Ehrlichkeit? Ich habe doch überhaupt nichts gesagt? Und geschrieben habe ich auch nichts bzw. habe ich nichts schreiben lassen. Oder hast du etwa nicht dichtgehalten?" Diese Möglichkeit fiel Macro prompt ein, weil er das Grinsen nicht aus den Gedanken bekam.


    Anstatt sich einzusetzen, sank Linos wieder auf das Bett zurück. Macro starrte ihn fassungslos an.
    "Moment mal! Hier wird nicht weitergepennt, bevor wir nicht alles besprochen haben." Mit einem Satz war er über Linos und schüttelte ihn.

    Zufrieden registrierte Macro den Erfolg seiner Bemühungen. Linos reagierte prompt, wenn auch etwas desorientiert.


    "Wer sagt denn, dass du laufen sollst?", antwortete Macro und trat einen Schritt näher. "Du sollst mir aus dem Schlamassel helfen." Wie eindringlich die Bitte, oder besser die Forderung war, zeigte das Rütteln an Linos‘ Schulter.
    "Ja, sicher ist Morrigan hier, genau das ist ja mein Problem. Und sie weiß Bescheid! Wie konnte das passieren? Und wie stehe ich jetzt da? Und vor allem, was mache ich denn jetzt?" Macro schaute fast flehentlich. In seiner Ratlosigkeit glaubte er, Linos wüsste die Lösung.

    In dem Maße, wie Morrigan weniger fordernd wurde, beruhigte sich Macro, und als sie das Zimmer verließ, spürte er kaum noch Widerstand in sich. Mit der Ordnung in sich sah es allerdings anders aus. Alleine ihre Anwesenheit verunsicherte ihn. Doch dem nicht genug, seine Selbstsicherheit wankte bei der Vermutung, sie könne etwas von seiner Zuneigung erfahren haben.
    Und nun stand er im Raum, hörte ihre Bitte noch in den Ohren klingen, konnte aber keinen Fuß vor den anderen setzen. Selbst der Antrieb, in sein Zimmer zu flüchten, fehlte ihm, weil er nichts als Chaos in sich spürte. In seiner Ratlosigkeit drehte er sich zu Linos um.


    "Du liegst hier rum, als ob dich das alles nichts angeht. Wie konnte sie nur zwischen den Zeilen lesen? Jetzt hilf mir doch mal." In einer Anwandlung von Hilflosigkeit donnerte er mit dem Fuß an das Bettgestell.

    So ergeben Macro gegenüber seinem Herrn war, so sehr achtete er auf die Wahrung seiner Unabhängigkeit gegenüber anderen Personen. Natürlich kam Morrigans Auftrumpfen entsprechend schlecht bei ihm an. Befehle nahm er von niemanden sonst entgegen und die Formulierungen ‚ich will‘ oder ‚du musst‘ verabscheute er maßlos. Er ging in den Widerstand und alle weiteren Worte rauschten ungehört an ihm vorbei. Als sie ihn an der Brust tippte, trat er sogar einen Schritt zurück, und aus ihrem Griff befreite er sich durch eine Armbewegung. Nur aus dem Zimmer kam er nicht, weil Morrigan die Tür besetzt hielt.


    Wären seine Scheuklappen weniger groß gewesen, hätte er gehört, wie Morrigan die Möglichkeit in Erwägung zog, dass sich Linos selbst in seine missliche Lage manövriert hatte. So aber blieb die Erleichterung aus. Einer Abreibung von Seiten Morrigans hätte er sicher gerne beigewohnt, wenn sie Linos traf. Dann aber, wie aus heiterem Himmel... Die letzten Worte, vielleicht weil sie leiser aus ihrem Mund kamen, drangen in sein Bewusstsein und trafen ihn wie ein Schock.
    "Was?!" Macro starrte Morrigan fassungslos an. Wann zum Hades sollte er je erwähnt haben, dass er sie mochte? Der Brief? Nein, unmöglich! Er hatte sich dort sowas von vorsichtig ausgedrückt. Und was bedeutete: mehr sogar? Ihm wurde siedend heiß. Er atmete stoßweise, weil sein Herz raste. Panik befiel ihn und ließ die Hirntätigkeit scheinbar einfrieren. Und als ob das nicht genug war, packte sie auch noch ihre schärfste Waffe - ihre Traurigkeit - aus und richtete sie auf ihn.


    "Falsch gemacht?", wiederholte er, weil ihm nichts Besseres einfiel. "Quatsch, nichts." Und leiser fuhr er fort: "Ich glaube, ich habe was falsch gemacht, ich weiß nur nicht, wann."

    Macro glaubte, sich verhört zu haben, als Morrigan ihn anklagend fragte, warum er nicht auf Linos aufgepasst habe.


    "ICH?" Sein Kopf ruckte vor, damit er besser hören konnte. Gleichzeitig weiteten sich seine Augen. Die Empörung ließ ihm das Blut schneller durch die Adern rauschen. So redete man doch nicht mit ihm. Er war doch ein Kerl mit Ehre und hier unterstellte man ihm fehlende Fürsorge für einen Schwächeren, aber Macro war bewusst ausgebotet worden, ja von Linos sogar hinters Licht geführt worden. Er kaute noch an der Enttäuschung über Linos, da knallte ihm Morrigan sowas vor die Füße.


    Er schnaufte erbost, als er die wenigen Schritte hinter Morrigan hertrabte. Wie weggefegt war der Gedanke, Linos könnte nicht mehr bei Bewusstsein sein, weil er die Reise über den Fluss antrat. Er dachte nur noch über das eben Gehörte nach. Wie im Trance betrat er das Zimmer, legte Linos auf das Bett und wollte schnellstmöglich verschwinden, als der nächste Hammer aus Morrigans Mund kam. Er ruckte herum. Nein, er wollte eigentlich nicht mit ihr in die Küche, er wollte weg!


    "Äh, ne. Ich habe keine Zeit", platzte es aus ihm heraus.

    Als Macro bemerkte, wie schlapp Linos in seinen Armen hing, wurde ihm mulmig zumute. Die Beine, schon weich wegen Morrigan, nun auch noch von Stress gezeichnet wegen Linos, fühlten sich wenig standfest an.


    "Das muss jetzt schnell gehen", krächzte er. Und die Erklärung folgte, um von sich abzulenken. "Ich weiß nicht, ob er ohnmächtig ist oder schon im Delirium. Vielleicht fährt er ja bereits über den Fluss, weil er so entkräftet ist. Jetzt lass uns aber Dampf machen, um ihn den Göttern noch einmal zu entreißen." Noch immer fehlte die Zuweisung für ein Bett. Macro stand ratlos da und blickte wie hypnotisiert auf Morrigan, von der er sich Antworten erhoffte.

    Morrigan nahte und bei Macro fingen die Nerven an zu flattern. Jetzt
    bloß nichts anmerken und auch nicht in die Karten sehen lasse. Nichts
    wäre schlimmer als wie ein Dämlack dazustehen. Er setzte eine coole
    Maske auf und räusperte sich, damit die Stimme nicht belegt klang.


    "Linos, zwar verarztet, aber auch unterernährt und verletzt, ist
    wieder da. Mach mal die Tür auf."
    Selbstverständlich trat Macro in
    den Privaträumen nicht einfach gegen eine verschlossene Tür. Er
    wollte schließlich seinen Herrn nicht verärgern. "Ich brauche ein
    freies Bett, wo ist hier eins?"
    Manchmal wechselte das Personal,
    sodass ihm der Überblick über die Belegung der Zimmer fehlte.
    Außerdem mied er diese Unterkünfte, seid Morrigan hier weilte und
    Linos ausgebüxt war.


    "Was zu essen und zu trinken wäre auch nicht schlecht."
    Macro blieb stehen und ließ sich den Weg weisen. Derweil klopfte sein
    Herz unerträglich laut. Er verfluchte innerlich die Aufregung und
    nahm sich vor, endlich etwas gegen diese törichten Gefühle zu
    unternehmen.

    Macro nahm sich im Angesicht dieser Prozedur vor, stets gut auf seine Knochen zu achten. Gut, dass kein Blut lief. Dann wäre er vielleicht sogar mit Linos zusammen umgekippt. Er erhaschte den flehenden Blick des Mitgefährten, als der wieder klar denken konnte, und handelte.


    "Äh, wir sind ja fertig hier", sagte er in Richtung des Arztes. Ohne auf seine Bestätigung zu warten, trat er auf Linos zu und schob einen Arm unter die Kniekehlen. Mit dem anderen umfasste er den Rumpf und hob das Fliegengewicht an.


    "Um die Krücken kümmere ich mich und ebenso um die Opfergänge", versprach er dem Medicus. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und steuerte zur Tür. Es hätte mehr als Worte bedurft, ihn zurückzuhalten, aber die Lazarettmannschaft blieb auch stumm.


    "Wenn du noch mal abhaust, bekommst du Dresche von mir. Dass das klar ist", drohte Marco, als sie an die Luft traten. "So, jetzt in die Unterkunft. Mehr Anweisungen habe ich bisher nicht von Menecrates, wir werden ja sehen, wie es weitergeht." Damit die Last nicht unnötig lange auf seinen Armen lag, schritt er zügig aus. In Gedanken überlegte er, wo er die Krücken herbekommen soll, aber kam Zeit kam Rat.

    Oh ja, Macro wusste, dass Morrigan aus Rom eingetroffen war. Er wusste es und mied die Unterkunft. Großartig erklären musste er das nicht, weil er stets im Nebenzimmer von Menecrates schlief.


    HEUTE jedoch gab es einen vortrefflichen Grund, Morrigan unter die Augen zu treten und nicht in Verlegenheit zu erstarren. Sie musste den von Linos verfassten Brief längst gelesen haben, und auch wenn er harmlos war, Macro fühlte sich unwohl in seiner Haut.


    "Morrigan! Wo bist du? Ich brauche Hilfe!" Mit Linos auf den Armen suchte Marco das richtige Zimmer.


    Quintus Saltius Repentinus



    "Fasel nicht so dummes Zeug", herrschte der Medicus Linos an, als der seiner These vom Göttereinfluss widersprach. "Ohne die Verärgerung der Götter, wärst du gar nicht in der Ecke geflogen. Selbstverständlich führen die Götter die Hand jedes Soldaten, deswegen betet er ja auch regelmäßig und erbringt Opfer." Wie konnte man nur so dumm sein? Aber andererseits, musste sich der Medicus nicht wundern, denn vor ihm saß ja auch kein Römer.
    Er packte noch eine Spur fester zu und begann die Luft in einer Form Singsang auszustoßen. Der Laut war langgezogen und erinnerte an die Vorbereitung eines Kraftprotzes für den geplanten Gewaltakt.
    Einmal holte er noch Luft und stieß aus: "Wenn ich das nicht hinbekomme, müssen wir amputieren." Er zeigte eine ernste Miene. In Wirklichkeit wollte er Linos einen Schrecken einjagen, denn erstens mochte er keine anderen Völker und zweitens schon gar keine Sklaven.


    Plötzlich stieß er einen Schrei aus, der einem Gladiator Ehre machen würde. Gleichzeitig riss er das angewinkelte Bein zur Seite und überdehnte so die Bänder. Er wusste, dass die Öffnung der Hüftpfanne seitlich saß. Hier konnte die Kugel wieder ohne Hindernis in die Rundung der Pfanne gleiten, was sie auch auf Anhieb tat.


    "Ah, Glück gehabt", sagte er und wischte sich Schweißperlen von der Stirn.
    "Die nächsten Tage Salbe drauf. Sieh zu, dass du Krücken benutzt, das Bein sollte möglichst wenig belastet werden. Außerdem..." Er blickte wieder streng. "Täglich Opfergaben, am besten alle möglichen dir wertvollen Dinge in Form eines Beins. Du verstehst?" Der Medicus blickte skeptisch. Sicher saß ein Ungläubiger vor ihm. Ein abfälliges "Ähhh." Und ein Abwinken mit der Hand beendeten seinen Einsatz. Er ging zum Waschtisch und säuberte sich die Hände.




    MILES MEDICUS - LEGIO II


    Quintus Saltius Repentinus




    Der Medicus hörte die Erklärung, wollte sich aber selbst überzeugen. Da jedoch unter seinen Händen meistens harte Soldaten lagen, kam für ihn das Anfassen mit Samthandschuhe nicht mehr in Frage. Er griff mit der einen oberhalb des Knies, mit der anderen sicherte er die Hüfte, dann versuchte er das Bein anzuwinkeln - soweit es eben ging. Als das Ende der Bewegungsfähigkeit zeitig erreicht war, ließ er zunächst locker und wandte sich an den Patienten.


    "Da hast du die Götter aber mächtig verärgert." Er machte eine Kunstpause. "Alle körperlichen Beschwerden sind die gerechte Strafe für Fehlverhalten." Der Medicus blickte streng, weil er zunächst jedem Patienten Gottesfürchtigkeit und Folgsamkeit in Bezug auf Befehle anriet. Nach seiner Überzeugung resultierten Krankheiten, Verletzungen und Gebrechen ausschließlich aus Flüchen der Götter oder auch durch böse Geister und jeder hatte es selbst in der Hand, ob er jemanden erzürnte oder nicht.


    "Und denke nicht, ich weiß nicht, was du für einen Mist gebaut hast. Das weiß hier jeder im Castellum." Er fasste wieder fester zu und gab sich keine Mühe, sanft oder rücksichtsvoll zu sein.
    "Aeschines, misch schon mal Salbei, Rosmarin und Fenchel mit Knoblauch. Schön sämig machen und zuvor brauch ich den Trank."
    Der Gehilfe brachte einen Becher, aus dem es deftig stank.


    "Los trinken!", befahl der Medicus.




    MILES MEDICUS - LEGIO II

    Macro ignorierte die Blicke neugieriger Soldaten. Den Blick nach vorn gerichtet, schritt er zügig aus, bog in die Lagergasse zum Valetuduanarium ein und steuerte auf die Tür zu.


    "Ist dir eigentlich das Glück deiner Situation bewusst?", fragte Macro auf den letzten Schritten. "Wärst du nicht zufällig Eigentum eines der reichsten Bürger in deinem Fall zudem Legaten, dann könntest du dir abschminken, ärztlich behandelt zu werden. Du könntest Äskulap um Heilung bitten, mehr aber nicht. Naja gut, in wie weit die hier angewandten Heilmittel zuträglich sind, muss sich noch zeigen. Ich habe keine Ahnung, wie gut Legionsärzte sind."


    In Ermangelung freier Arme trat er mit dem Fuß gegen die Tür, die aufsprang. Natürlich, er war nur ein Sklave, aber im Bewusstsein, nicht von irgendjemandem, sondern von einem einflussreichen Patrizier und Legaten Leibeigener zu sein, nahm er sich jede mögliche Freiheit und manchmal sogar Frechheit heraus. Linos hingegen schien Angst zu bekommen. Anders konnte Macro dessen sorgenvoll klingende Nachfrage nicht werten.
    "Ja klar bleib ich hier. Schließlich musst du ja auch wieder zur Unterkunft kommen."


    Ohne zu fragen, ob er bereits an der Reihe war, betrat er den Behandlungsraum und setzte Linos auf einem Untersuchungstisch. Auf die fragenden Blicke des Medicus' antwortete er:


    "Auftrag von Claudius Menecrates. Sein Privatsekretär soll ärztlich versorgt werden."


    "Na, wenn das so ist", erwiderte der Medicus und trat hinzu. "Wo klemmt es denn?" Er blickte den Patienten fragend an.