Beiträge von Macro

    Eine wahre Flut an Worten strömte auf Macro ein. Er bemühte sich sehr, jeder Aussage zu folgen, aber es blieb nicht genug Zeit, sie alle zu durchdenken, weil schon die nächste anrückte. Die wichtigsten Brocken blieben haften, so glaubte er. Auf alle Fälle hatte er eines verstanden, nämlich dass er und Linos aus zwei völlig verschiedenen Welten stammten, obwohl sie inzwischen in ein und derselben lebten.


    "Ja, das muss ganz anders sein, wenn man als freier Mann geboren wurde", antwortete Macro nachdenklich. "Du trägst eine Sehnsucht in dir, die ich nicht kenne. Deswegen vermisse ich auch viel weniger als du." Macro überlegte kurz, dann fügte er an: "Eigentlich vermisse ich gar nichts. Es ist für mich wie eine Anstellung hier. Ich bin sogar froh, so einen guten Arbeitgeber gefunden zu haben. Wir betrachten die Situation einfach unterschiedlich, aber das spielt jetzt keine Rolle. Es hilft dir nicht weiter." Macro dachte nach.


    "Lass uns mal schrittweise vorgehen. Du kommst mit der Gefangenschaft nicht zurecht und möchtest wieder frei sein, richtig? Es gibt dafür definitiv nur zwei Wege: Du fliehst oder du wirst freigelassen." Macro drückte Linos an der Schulter. Er wollte damit entweder Zustimmung oder Widerrede provozieren. "Ganz ehrlich: Die Flucht hat deine Lage deutlich schlechter als vorher gemacht. Du wirst es nie schaffen, Menecrates erfolgreich zu entfliehen. In Germanien hat er viele Soldaten, wo anders hilft ihm sein Geld und gute Beziehungen." Macro schüttelte den Kopf. "Dir bleibt nach meiner Ansicht nur die Hoffnung, freigelassen zu werden." Macro hob die Schulter, weil ihm keine dritte Alternative einfiel.
    "Tja, aber ob du bei Menecrates oder einem neuen Herrn größere Chancen für die Freilassung hast, das wissen nur die Götter. Eins weiß ich aber ganz genau: Andere Herren behandeln Sklaven mitunter deutlich schlechter als Menecrates." Macro analysierte eigentlich nie, heute schon, er musste für sich selbst sortieren. Dabei erinnerte er sich, dass Linos vorhin bereits erwähnte, er wolle gar nicht verkauft werden. Daraus ergaben sich für Macro zwei äußerst schwierige Vorhaben.
    1. Er musste Linos beibringen, seine Hoffnung auf Freiheit mit dem Dienst bei Menecrates zu verbinden.
    2. Er musste Menecrates von seinem Entschluss, Linos zu verkaufen, abbringen.
    Macro wusste nicht zu sagen, welches Vorhaben schwieriger sein würde. Aber immer ein Schritt nach dem anderen.


    "Als erstes werden wir genau das machen, was Menecrates will. Wir entwerfen zusammen das Plakat und hängen es in der Stadt auf. Dann suchen wir uns ein paar Kandidaten, die extra dumm oder ungebildet sind, und stellen sie Menecrates als Bewerber vor. Dann merkt er zunächst mal, wie gut du bist. Das zeigt natürlich nur dann Wirkung, wenn du dich korrekt wie früher verhältst, also keine frechen Worte, keine böse Miene, du weißt schon. Was sagst du?"

    Die ersten Worte wirkten auf Macro wie ein Klaps auf den Hinterkopf, wie eine Zurechtweisung aus Kindertagen, dann aber begriff er, warum Linos so außer Kontrolle war.
    "Oha", entfuhr es ihm, dann blieb sein Mund offenstehen, während er Linos anstarrte, als wäre der ein Wesen aus der Unterwelt. Das Hämmern auf seine Brust nahm er nur gedämpft wahr, weil er zu verstehen versuchte, was passiert sein könnte. Die Worte allerdings und die Art, wie Linos sie aussprach, drangen durch Macros Schale ein und hakten sich in seinem Herzen fest.
    "Verdammt", resümierte er, als Linos bereits zu seinem Platz zurückging. Dann aber kam Leben in den Hünen. Er ging zum Tisch, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben Linos.
    "Ich helfe dir, du musst mir nur sagen, wie." Dabei legte er den Arm um Linos und drückte dessen Schulter wie die seines besten Kumpels. "Wir machen alles wieder so, wie es mal war. Dazu muss ich nur wissen, was genau jetzt anders ist." Macro eignete sich nur bedingt zum Trösten, wozu er sich aber bestens eignete, war nach vorn zu schauen und etwas zu bewegen. Die Streitigkeiten, die es noch gestern zwischen ihnen wegen dem Brief an Morrigan gab, spielten keine Rolle mehr.

    Als Linos loswetterte, hielt Macro einen imaginären Schild vor seine Brust, bis er bemerkte, die Pfeile aus Linos' Mund schossen kreuz und quer in alle möglichen Richtungen. Einige trafen Macro, andere zogen an ihm vorbei und er fragte sich, welches Ziel sie überhaupt ansteuerten. Immer wieder versuchte Macro eine Frage einzuwerfen, aber Linos ließ keine Unterbrechung zu.


    "Wieso los?" Was meinte er mit los sein?
    "Und wer ist er? Ich?" Er winkte ab, als Linos Wein anbot. Im Grunde schmeckte ihm das Zeug, das alle tranken, kein Stück.
    "Was meinst du mit ehrlich?"


    "Mann, jetzt hör endlich auf, dich wie ein Besoffener zu verhalten", fauchte ihn Macro an, als der Becher an die Wand knallte. "Erklär lieber, was du meinst, ich habe nämlich so gut wie nichts bisher verstanden."

    Obwohl es zu seinem Vorhaben gehörte, hatte Macro das Gespräch mit Linos noch nicht in die tat umgesetzt. Zwar schlich er immer wieder um die Sklavenunterkünfte herum, aber bislang nur halbherzig. Heute jedoch wollte er sich mit dem Gefährten aussprechen und ihr Missverhältnis klären. Gewappnet für Vorwürfe und bepackt mit guten Argumenten betrat Macro den Gebäudekomplex, wo die Unterkünfte für die restlichen Sklaven lagen. Er selbst schlief im Nebenzimmer von Menecrates.


    Unerwartet schepperte es in der Küche, dann fluchte jemand deftig. Die Stimme kannte Macro und er machte sich auf einen stinksauren Linos gefasst.


    "Bist du wegen mir so sauer?", fragte er, als er über die Türschwelle trat. Er bemühte sich, keine Kritik in der Stimme mitschwingen zu lassen. Die Frage klang neutral. Dann erblickte er den Wein und schüttelte den Kopf. "Mann, warum trinkst du? Probleme zu ersaufen, ist keine Lösung."

    Morrigan ließ Macro keine Zeit, weiter über den respektablen Eindruck nachzudenken, den ein Uniformierter auf Passanten und Frauen machte, und er stellte fest, er war ihr dankbar für die Ablenkung.
    "Ja, wenn wir nicht sofort Erfolg haben, dann kommst du in zeitliche Bedrängnis", stimmte Macro ihr zu. "Und beim Schneidern kann ich dir nicht helfen." Er hielt seine Hände nach oben, um die weniger feinen Finger zu zeigen, aber sein Pferd verstand das Zeichen falsch. Es preschte los, obwohl sie bereits das Haus erreicht hatten, und Macro musste einen Stopp aus dem Galoppsprung heraus erwirken. Das wiederum konnte er gut, denn in der Arena kam es auf spektakuläre Reitweise an. Wäre der Boden nicht so hart von der Kälte, würde sicherlich etwas Straßenstaub aufwirbeln, als das Pferd die Hinterbeine weit untersetzte und sich mit den vorderen abstemmte.
    Die Vorstellung, auf den Soldaten Rücksicht beim Reittempo nehmen zu müssen, entlockte Macro ein Grinsen. Andererseits ahnte er, dass dieser Reiter wohl schon länger als er im Sattel saß.


    Nachdem sie in eine Art Atrium geführt wurden, erklärten sowohl ihr Begleiter als auch Morrigan das Anliegen. Es blieb nichts anzufügen, also schwieg Macro. Völlig überflüssig fühlte er sich jedoch nicht, denn er trug das Geld für den Einkauf bei sich.
    Die Auskunft des Mannes ließ Macro nicht lange zögern. "Beim Hafen also. Um das Suchen möglichst kurz zu halten, bitten wir um eine Wegbeschreibung", erwiderte Macro, der sich beim Hafen kein Stück auskannte. "Es ist spät, wohnt dieser Mann namens Boduus denn auch dort? Also, werden wir ihn sicher dort antreffen?" Über Arbeitszeiten von Schneidern hatte sich Macro bisher nie Gedanken gemacht, aber er wollte vermeiden, dass ihnen die Zeit wegen unnötiger Gänge durch die Fingern rann.
    "Ich schätze, die Pferde werden heute noch genug Bewegung erhalten", sagte er zu Morrigan gewandt.

    Nach der Erfahrung, wie wenig kooperativ römische Bürger und einheimische Germanen sein konnten, freute sich Macro, dass der Eques die Passanten befragte. Damals, als Macro Linos' Spur aufnehmen wollte, kam er sehr viel langsamer voran. Ein Soldat machte eben Eindruck, stellte er widerwillig fest. Vermutlich wirkte auch dieser Eindruck stark auf Frauen. Bei diesem Gedanken angekommen, fühlte sich Macro fast schmächtig nehmen dem Eques. Er linste zu Morrigan, um sich zu überzeugen, wohin sie gerade blickte, dann saß auch er vor dem Haus des Petroniers ab. Vielleicht wäre sein Selbstvertrauen nicht so angeknackst, wenn er nicht genau wüsste, dass Morrigan einst einen Soldaten anhimmelte und er selbst weder frei noch einflussreich oder wohlhabend war.
    Er führte sein Pferd am Zügel zu Morrigan und hielt ihr Tier am Halfter fest, damit sie bequem absteigen konnte. Zwar schätzte er die kleine Perserin als Pferdeprofi ein, aber er besaß gleichzeitig eine zuvorkommende Art bei Hilflosen, Schwächeren oder Kinder und Frauen.


    Der Eques klopfte auch hier, was Macro die Erklärung an der Porta ersparte.

    Macro konnte reiten, aber erstens fehlte ihm die Übung und zweitens kam es früher während der Kämpfe nur darauf an, im Sattel zu bleiben. Optik spielte keine größere Rolle. Während sie auf Mogontiacums Hauptstraße vorankamen, anfangs trabend, weil der Eques am Lagertor Trab vorgab, rückte er sich immer wieder im Sattel zurecht, weil er nicht auf Anhieb eine angenehme Sitzposition fand. Das störte sein Pferd im flüssigen Lauf. Er blieb hinter den anderen zurück und fühlte sich unwohl. Traben - eine der unangenehmsten Gangarten bei Pferd, wie er fand. Schritt und Galopp wären ihm zehnmal lieber gewesen.
    Blöd vor allem, weil Morrigan dabei war. Macro wäre auch lieber so ein glänzender Held in Rüstung gewesen, der - wie ihr Begleiter - angegossen auf seinem Pferd saß. Dem jeder von weitem schon an der Nase ansah, dass er das Bürgerrecht besaß. Macro fragte sich, ob der deswegen nicht auf seine Frage beim Stall reagiert hatte. Viele Römer ließen durchblicken, dass sie sich für etwas Besseres hielten. Doch auch diesen Gedanken schob Macro zunächst fort, wie den am Lagertor über Morrigans mögliche Taktiken, weil er den Abstand aufholen musste. Er drückte dem Braunen die Fersen in die Seite und... es passierte nichts.
    "Brauchst du mehr Druck, sprichst du eine andere Sprache oder willst du dich mit mir anlegen?"


    Bald darauf fiel der Eques in den Schritt und Macro konnte aufholen. Sie gelangten in die Nähe des Forum, als ihr Begleiter plötzlich schwenkte und ein Wort sprach, ein einziges.
    "Immer noch zu diesem Tuchhändler Petronius Crispus", antwortete Macro mit einem Grinsen. Er fand, er hatte akkurat auf die Frage geantwortet, auch wenn ihm bewusst war, dass die Bemerkung ihnen nicht weiterhalf.
    Er sah zu Morrigan und überlegte. "Glaubst du, dass ein Händler um diese Uhrzeit noch in seinem Laden hockt?"


    Sein Blick erfasste wieder den Eques. "Wenn du nicht weißt, wo er wohnt oder seinen Stand hat, müssen wir uns wohl oder übel zu ihm durchfragen." Die Vorstellung gefiel Macro nicht.

    Zitat

    Original von Titus Vibius Vespa
    Nachdem der Grieche durch das Tor der Ställe ritt bog er nach links ab, um der Straße, an der Principia vorbei, zur Porta Praetoria zu folgen.
    Er hatte beim verlassen der Ställe noch kurz nach den beiden Sklaven zu geschaut, um sicher zu gehen, dass sie ihm auch folgten. Die Frau schien kein Problem mit dem reiten zu haben, aber das wunderte ihn nicht. Sklaven waren in der Regel Barbaren oder Menschen aus fernen Kulturen, bei denen eine reitende Frau nichts besonderes war. Für eine römische Frau wäre das Reiten eher ungewöhnlich. Varelas dachte nicht viel über Gefühle nach, aber durch die Tatsache, dass er nun zwei Sklaven begleitete, keimte in ihm der Gedanke mit seiner Schwester auf.


    Am Tor angekommen nickte er dem wachhabenen Soldat zu, passierte mit den Sklaven das Tor und fing an vom Schritt in den Trab überzugehen.


    Interesse einer Frau an einem Mann sah anders aus, das musste selbst Macro einsehen, aber ein Urteil konnte er sich über Morrigan noch lange nicht erlauben. Erstens waren die beiden nicht ungestört und zweitens teile Macro die Überzeugung, dass Frauen sehr durchdacht vorgehen konnten. Auf ihn würde eine Frau, die sich sofort anbot, jedenfalls wie ein Mädchen aus dem Lupanar wirken. Morrigan aber besaß Stil, also würde sie auf alle Fälle zunächst zurückhaltend sein.
    Sein Lächeln, mit dem er Morrigan antwortete, wischte gleichsam die Grübeleien fort. Sie belasteten ihn, aber gänzlich los wurde er sie nicht. Andererseits, der abendliche Ritt bot noch genügend Möglichkeiten zur Beobachtung, daher wandte sich Macro dem Vorrangigen zu. Doch bevor er ihren Begleiter ansprechen konnte, mussten sie erst einmal das Tor passieren.


    Ihr Begleiter blieb stumm, daher fühlte sich Macro dazu veranlasst, etwas zu sagen. Wortlos an den wachen vorbei wäre ihm nicht in den Sinn gekommen.
    "Wir gehen einem eiligen Auftrag unseres Herrn Claudius Menecrates nach und es ist geplant, dass wir noch heute Nacht zurückkehren." Eher früher als später, fügte Macro in Gedanken an, weil er an die Nähaufgabe dachte.


    "Wir wissen Bescheid", erwiderte der Wachsoldat und winkte sie durch.
    Macro sah zu Morrigan und zuckte mit einer Schulter, was so viel heißen sollte, wie: 'Geht doch.' Früher musste das bei Linos ähnlich glatt gelaufen sein, nur eben nicht mehr seit seiner Ergreifung.

    Macro wusste, wie sehr Morrigan Pferde liebte, daher überraschte es ihn nicht, dass sie ohne zu zögern das zweite Pferd aufsattelte. Er lächelte, als er ihre Worte hörte, dabei bemerkte, dass ihre Augen zum ersten Mal strahlen, seit sie in Germanien weilte. Früher hätte ihn dieser Anblick gefreut, heutzutage verband er die anhaltende Traurigkeit noch immer mit dem Herzschmerz nach diesem Prätorianer, was ihm tatsächlich etwas ausmachte.
    Glücklicherweise lenkte ihn der Eques ab, der soeben eintraf. Er sagte, sie sollten ihm folgen. Dem Wunsch kam Macro gerne nach, weil er sich nur teilweise in Mogontiacum auskannte und außerdem die Erklärung für die Wachen gerne abgab. Er sprang auf das Pferd - nicht geübt, aber auch nicht gänzlich ungeschickt - und nahm die Zügel auf. Er legte sie seitlich an den Hals und veranlasste das Tier, sich seitlich zu wenden, um in langsamen Schritt auf die Stalltür zuzuschreiten.


    "Wir müssen einen Tuchhändler aufsuchen", erklärte Macro statt einem Weber, weil er mit Kleidung und Stoffen nicht so sehr den Weber verband. "Sein Name ist Petronius Crispius. Marcus, glaube ich." Er blickte zu Morrigan, ob die bestätigte. "Weißt du zufällig, wo er wohnt?"


    Während er auf die Antwort wartete, wurde ihm bewusst, wer sie eigentlich begleitete: ein römische Bürger in Uniform - genau passend in Morrigans Beuteschema. Macro blickte sich erneut nach ihr um und nahm sich vor, auf jedes Wort und jeden Blick von ihr zu achten.

    Macro nahm den Geldbeutel entgegen und winkte Morrigan mit dem Kopf als Aufforderung, ihm zu folgen.


    "Wird erledigt. Marcus Petronius", wiederholte er, dann blickte er Morrigan an. "Merk dir den Namen auch. Bist du startklar oder musst du dir noch was drüberziehen?" Frauen froren schnell, das wusste Macro, aber wie es sich speziell bei Morrigan verhielt, konnte er nicht einschätzen. "Naja, du triffst mich bei den Ställen, falls du noch eine Decke brauchst."
    Manchmal wusste er nicht, wie er mit Morrigan umgehen sollte, ob besonders vorsichtig oder doch lieber unbekümmert. Meist machte er es davon abhängig, wie sie reagierte und wie sie gestellt war, ob er Liebeskummer erkannte oder eine fröhliche junge Frau.

    Den Auftrag im Kopf, den Geldbeutel in der Hand betrat Macro die Ställe. Er und Morrigan brauchten ein Pferd und sie mussten ihren Begleiter finden.


    "Jemand hier?", rief Macro beim Eintreten. Pferde schnaubten als Antwort, bevor einer der Stallbursche zu ihnen trat.
    "Befehl vom Legaten, wir brauchen zwei Pferde für einen Ritt in die Stadt und zwar sofort", kam Macro einer Nachfrage zuvor.


    Der Stallbursche überlegte nur einen Moment, aber weil ihm nur die Ausgabe eines Pferdes an den Sekretär des Legaten verboten wurde, kam er der Aufforderung nach. Er nahm ein Halfter und einen Sattel und ging zum ersten Stand. "Wenn sich einer von euch auskennt, kann er schon das zweite Pferd satteln. Hoch kommt ihr dann hoffentlich, oder?" Er musterte die Sklaven, dann warf er den Sattel auf den Rücken des Braunen.

    Das ursprüngliche Ziel, Schadensbegrenzung zu betreiben, wurde bei Macro von der Erkenntnis abgelöst, dass sein Seelenleben inzwischen allgemein ausgebreitet lag. Was er davon hielt, hatte er soeben kundgetan. Nun blieb nichts weiter, als nach vorn zu sehen und mit der Tatsache klarzukommen. Bei diesem Gedanken angekommen, bemerkte er Morrigan, die das Zimmer betrat. Er wunderte sich über ihren Gesichtsausdruck und bezog die Enttäuschung auf sich. Aber er verstand nicht, warum er Traurigkeit ausgelöst haben sollte. Vor Jahren noch hätte er einfach seine Klappe gehalten. Inzwischen glaubte er, dass Klärungen auf lange Sicht die besseren Lösungen darstellten.
    "Wie meinst du das?", fragte er zunächst unsicher. Seine Stirn lag in Falten, weil er angestrengt versuchte, die Worte selbst zu deuten. Eine Idee kam ihm freilich und er ruckte mit dem Kopf ein Stück nach hinten, während er Morrigan nicht aus den Augen ließ. "Gab es jemand unter den Herrschaften, der…" Während er nach Worten suchte und im Geiste die Familienmitglieder seines Herrn durch ging, verließ Morrigan den Raum. Er wusste, vor der Claudia gab es für Morrigan nur die Freiheit und die Fortnahme der Selbstbestimmung musste für jeden in Gefangenschaft geraten Menschen noch schmerzlicher sein als für ihn selbst. Auf Linos traf gleiches zu, das wusste Macro. Er blickte zu Linos, als der die Krücken nahm und aufzustehen versuchte. Und prompt sprach Linos das aus, was soeben Macro klar wurde. Und dann diese Stimme… Wie er es aussprach, ließ Macros Nackenhaare aufstellen und eine imaginäre Faust im Magen spüren, doch so sehr er sich anstrengte - seine Fantasie konnte nicht ausmalen, was die beiden wirklich meinten.


    "Warte, ich helfe dir", sagte Macro in Ermangelung besserer Worte. Er griff Linos unter den Arm und hievte ihn an den Bettrand. "Ja, äh, danke", erwiderte er auf die Entschuldigung und drückte damit aus, was ihm die Einsicht des anderen bedeutete.
    Er stand auf, als Linos aufstand. "Wenn es etwas gibt, das mir hilft zu verstehen, dann würde ich es mir nachher gerne anhören." Dann ließ er dem Freund Zeit, sich Luft zu verschaffen. Er kannte solchen Drang und respektierte ihn.


    Als er nachdenklich aus der Tür trat, um wie ferngesteuert nach Morrigans Frühstück zu sehen, gewahrte er sie. Morrigan lehnte an der Wand neben der Tür, fast wäre er gegen sie gelaufen, aber er stoppte rechtzeitig, wenn auch abrupt. Er betrachtete sie einen Moment, bevor er fragte:
    "Bist du geschlagen worden?"
    Macro wusste, jeder Sklave musste den Anweisungen sämtlicher Herrschaften Folge leisten. Nur auf ihn konnten nicht alle beliebig zugreifen, weil er der Leibsklave des Familienoberhauptes war.

    Als Erster traf Macro ein. Sein Zimmer lag unmittelbar neben dem Cubiculum seines Herrn und er hielt sich zufällig darin auf - wie öfters in den letzten Wochen, obwohl die unangenehme Aufklärung über den bewussten Brief bereits länger zurücklag. Es gab für ihn allgemein nicht viel zu tun, sodass er oft herumlungerte. Der Ruf seines Herrn überraschte ihn.


    Er betrat das Besprechungszimmer und wunderte sich, warum er hierher beordert wurde. Dieses Zimmer diente für Unterhaltungen mit ranghöheren Besuchern oder privaten Gästen. Für Anweisungen an die Sklaven wurde es bisher nicht benutzt.
    Macro wartete ab, bis sein Herr das Wort an ihn richten würde. Der jedoch schwieg, weil noch nicht alle Personen anwesend waren.

    Als Linos lauthals 'richtig' sagte, fragte sich Macro, was denn wohl richtig sein könne, wenn ihm nun alles zu viel wurde. Er strich sich über den Kopf und seufzte, um danach erneut den Kopf mit den Armen abzustützen. Mit jedem nachfolgenden Wort, das den Inhalt des Briefes erklärte, verzog sich Macros Gesicht mehr. So plump hätte er sich nie ausgedrückt, wenn er selbst gesprochen hätte. Und dann die Forderung, ehrlich mit Gefühlen umzugehen? Macro blickte auf.


    "Es kommt niemand zu Schaden, wenn ich mein Empfinden für mich behalte", erwiderte er. Ärger schwang in seiner Stimme mit, dann holte ihn die Peinlichkeit der Situation wieder ein und er schüttelte den Kopf.


    "Wir zwei sind komplett verschieden", sagte er und es klang kraftlos. "Ich weiß, dass ich Zeit meines Lebens Sklave bin und habe es akzeptiert. Ich muss gehorchen, aber nur einem und das ist mein Herr, ansonsten bin ich selbstbestimmt. Weißt du, was du mir gerade genommen hast?" Macro blickte Linos traurig an und beantwortete die Frage selbst: "Die Selbstbestimmung über meine ganz persönlichen Dinge."

    Nach dem Räuspern ging alles schnell. So schnell, dass Macro kaum mit dem Begreifen hinterherkam. Sein Vorhaben, sich selbst zu entschuldigen, ging in der längsten Rede, die er je von Linos gehört hatte, sang und klanglos unter. Zuerst begriff Macro nicht, dann aber dämmerte ihm die Erkenntnis. Als erstes wurde ihm klar, dass er doch nicht diktiert hatte, er vermisste speziell Morrigan, sondern ganz allgemein alle Bewohner der Villa Claudia in Rom und seines Standes. Die Erleuchtung kam spät, aber umso einschlagender. Was musste jetzt Morrigan denken? Und außerdem bedeutete dies, Linos hatte doch geschummelt und nicht zu knapp. Das Erschrecken über die restliche Beichte fiel nicht mehr groß aus, weil eine Form von Verzweiflung die Entrüstung und Enttäuschung schluckte. Einzig wohltuend und auch glaubhaft wirkte die Aussage über die Wichtigkeit der Freundschaft. Auch an Linos‘ Antrieb, helfen zu wollen, zweifelte Macro nur noch marginal, denn er spürte vor allem Niedergeschlagenheit.


    "Das ist mir alles zu viel", seufzte er, während er auf Linos zuging. Er ließ sich auf dessen Bettkante nieder und begrub den Kopf in den Händen. Er schätzte Ehrlichkeit, sagte selbst vielleicht nicht viel, aber immer die Wahrheit und verzweifelte an diesem Lügengerüst. Denn eines wurde ihm ebenfalls klar: Auch Morrigan war im Garten nicht aufrichtig zu ihm gewesen.

    Obwohl von dem Wunsch, sich schnellstens zu entschuldigen getrieben, setzte Macro den ersten Schritt nur zögerlich in Linos' Zimmer. Er blieb stehen und lugte, ob Linos schlief oder bereit für ein Gespräch war. Das Räuspern fiel klein aus, konnte aber gehört werden.

    Morrigans erste Reaktion auf Macros Frage war ein Vorwurf, der aber nicht ernst bei ihm ankam. Selbst wenn er ernst gemeint gewesen wäre, sein Augenmerk lag auf der Antwort, die er angespannt erwartete. Als sie kam, sog er jedes Wort auf, prüfte es und stand vor einem Rätsel. Seine Vermutung, Linos könne ihn reingelegt haben, bewahrheitete sich nicht. Jedes Wort, von dem Morrigan berichtete, hatte er ihm diktiert. Erleichterung machte sich in ihm breit und wirkte noch, als Morrigan zugab, mehr aus den Zeilen herausgelesen zu haben. Dann jedoch schlug sein Gewissen zu. Er blies angestrengt die Luft aus, bevor er antwortete.


    "Nicht so schlimm, Morrigan. Das hätte mir auch passieren können." Autsch, dachte Macro innerlich, aber zu spät, der Satz war raus. Wie dumm war er eigentlich? Wie konnte er das nur zugeben! Die Erleichterung machte ihn offensichtlich fahrlässig, daher riss er sich innerlich zusammen, bevor er weitersprach.


    "Ich bin ein Idiot. Linos' Gesundheit ist angegriffen und ich habe nichts Besseres zu tun, als ihn zu verdächtigen. Ich muss mich entschuldigen gehen." Er klang zerknirscht. Das schlechte Gewissen ließ ihn umdrehen, denn er wollte so schnell es ging den Kameraden aufsuchen. Was war das alles nur für ein Schlamassel. Macro führte die augenblicklichen Katastrophen auf seinen veränderten Zustand zurück, denn zu keiner Zeit sonst gab es so viele Komplikationen und Missverständnisse um ihn herum. Und er hinterfragte nicht, ob Linos' Verhalten bei der Befragung zu der Annahme passte, Morrigan habe die harmlosen Zeilen fehlinterpretiert.

    Allein fühlte er sich wohler als zwischen anderen. Die Einsamkeit ermöglichte, dass er zu sich fand. Niemand bedrängte ihn, keiner lenkte ab. Es bedurfte keines Entschlusses, er würde Linos zur Rede stellen und Rechenschaft fordern. Heute noch nicht, vielleicht morgen.
    Der Marmor kühlte seine Haut, fungierte als Stütze und zugleich als Sichtschutz. Die Kühle beruhigte und je länger er stand umso weniger fühlte er die Peinlichkeit der Situation. Von außen betrachtet gab es keinen Grund, sich schlecht zu fühlen. Er hatte nichts Verwerfliches getan, niemand hintergangen oder betrogen. Trotzdem fühlte er sich wie ein Junge, der bei Doktorspielen ertappt wurde. Der Vergleich hinkte zwar, weil verbotene Handlungen längst nicht so peinlich wie ungewollt offengelegte Empfindungen waren. Macro atmete tief durch, dann hörte er plötzlich Schnitzgeräusche.
    Er neigte den Kopf, um die Quelle zu orten, da erblickte er sie. Zu weit weg, um zu verstehen, was sie murmelte, aber nah genug, um zu erkennen, was sie tat. Er schüttelte den Kopf, denn es wäre seine Aufgabe gewesen, sich um Linos‘ Krücken zu kümmern. Allerdings konnte er sich gestern nicht mehr dazu überwinden. Ob sie wohl brauchbare Krücken herstellen konnte? Ein Mundwinkel hob sich zu einem Lächeln, denn er glaubte, es zu wissen. Widerstreitende Gefühlte rührten sich in ihm. Ein Teil fürchtete sich vor einer Konfrontation, der andere forderte nach Wissen. Hören, was er eigentlich nicht hören wollte, aber gleichzeitig wissen musste. Der innere Streit produzierte ein Hämmern im Brustkorb. Adrenalin gelangte in Blut und Adern.


    Aufgeputscht durch das Hormon trat er aus dem Säulenschatten, ohne es bewusst zu steuern. Die Ungewissheit errang den Sieg über den Fluchtgedanken und führte ihn zum Garten. Er blieb in einer Entfernung von mehreren Schritten hinter ihr stehen - bereit, sich jederzeit umzudrehen und zu gehen. Seine Stimme klang ungewohnt leise, als er Morrigan ansprach.


    "Was stand in diesem Brief?"

    In Rom wäre Macro über die Hügel oder den Markt, vielleicht auch durch die Gassen gegangen, um ungestört sein zu können. In Mogontiacum gab es nur die Miniaturstadt oder das Kastell und beide sprachen ihn nicht an. Hier kannte ihn inzwischen fast jeder und manch einer sprach ihn an. Außerdem musste er für seinen Herrn erreichbar bleiben, auch wenn sich seine Einsätze bestenfalls auf Nebensächlichkeiten beschränkten, seit es jede Menge greifbare Soldaten für Menecrates gab.


    Heute zog es Macro in den Säulengang. Er lehnte sich an den kühlen Marmor und verharrte regungslos, denn er wollte nicht bemerkt werden und Zeit zum Sammeln haben. Sein Blick richtete sich in die Ferne. Bislang vermied er jedes Nachdenken. Er verdrängte die Ereignisse am Vortag so gut es ging und wollte den Blick nach vorne richten.

    Es gab Momente, da setze der Verstand aus und nur Gefühle zählten noch. Macro befand sich in einer solchen Situation. Er fühlte sich seelisch nackt, enttäuscht, hilflos, fast schon panisch. Natürlich hörte er Linos und nahm auch dessen Schreck in der Stimme wahr, doch der Hinweis auf den guten Hintergedanken blieb ungehört, weil die Stimme wegbrach, während Macro hinauseilte. Scheuklappen schirmten nahezu alles von ihm ab. Kein noch so guter Hinweis, keine noch so klare und perfekte Erklärung wäre zu ihm durchgedrungen. Er brauchte Zeit, sich zu finden. Nichts brauchte er mehr als seine innere Sicherheit, und er glaubte, sie nur weit weg von diesem Zimmer finden zu können. Da kam Morrigans Bitte zu warten, nicht wirklich gelegen. Macro fühlte sich wie ein Mühlenrad, dass eine starke Hand stoppte, obwohl die Kraft des Wassers es zwang, sich eigentlich weiterzudrehen. Er verhielt trotzdem den Schritt, blickte sich aber nicht zu ihr um, sondern bemühte sich, ihren Worten zu folgen.


    Schon möglich, dass Linos helfen wollte und diese Intension hätte Macro nicht einmal verwerflich gefunden. Aber nicht dazu zu stehen, sondern den anderen auflaufen zu lassen und feige zu sein, ließ viel eher den Schluss zu, Macro hereinlegen oder sich einen Spaß erlauben anstelle helfen zu wollen. Kannte er den einstigen Kameraden noch? Darüber musste er sich im Klaren werden, doch Morrigan sprach bereits weiter. Ihre leisen Worte tröpfelten behutsam, legten sich auf die Verletzung und linderten den Schmerz, auch wenn er nicht alles begriff, was sie sagte. Der Antrieb fortzulaufen, wurde kleiner, und als sie sich umwandte, gestattete sich Macro zum Durchatmen zu verweilen, bevor er gemäßigten Schrittes dem Atrium der Villa zustrebte. Alleinsein wollte er, wenn auch nicht mehr derartig dringend wie noch vorhin.