Beiträge von Lucius Duccius Ferox

    Hadamar warf einen kurzen Seitenblick zu Corvinus, als der nur grüßte. Und schwieg. Und immer noch schwieg. Und dann beschloss er, seine Meldung noch zu ergänzen, bevor der Legat etwas sagen konnte. „Und Tiro Lucius Helvetius Corvinus. Wir, äh, melden uns.“ Er räusperte sich und blieb stramm stehen, während er versuchte, unauffällig den Legaten zu mustern – um etwa sehen zu können an seinem Gesichtsausdruck oder so, ob ihm das jetzt negativ aufgefallen war, und wenn ja, wie negativ genau...

    Hadamar wusste nicht so recht, wie er nun reagieren sollte, nachdem der Centurio ihn jetzt einfach so ignorierte. Allerdings war ziemlich wahrscheinlich, dass er noch mal etwas gesagt hätte – wenn er nicht plötzlich einen brennenden Schmerz in seinem Bein gespürt hätte. Er konnte ein leises Aufstöhnen nicht unterdrücken, und bis er wieder einigermaßen klar denken konnte, befand er sich schon, von Corvinus geschoben, auf halbem Weg zur Tür hinaus. Und war – was ihm wirklich, wirklich selten passierte – sprachlos.


    Er schwieg immer noch, während Corvinus ihn weiter schob, aus der Unterkunft hinaus, an die frische Luft. „Ich...“ Hadamars Mund klappte wieder zu. Wieder auf. Wieder zu, ohne dass diesmal etwas herausgekommen wäre. Und wieder auf. „Das...“ Und wieder zu.

    Der Tag war beschissen gewesen, stellte Hadamar fest, als er die Nachtwache antrat – und dem Optio zunickte, als dieser auch schon auftauchte um sie zu kontrollieren. War nicht anders zu nennen. Gab kein anderes Wort dafür. Oder doch, aber Hadamar hatte keine Lust auf eine endlose Litanei an Flüchen in seinem Kopf. Obwohl er dazu allen Grund gehabt hätte...
    Da war Punkt eins: Latrinen putzen. Heute. Er hatte immer noch das Gefühl, dass Gestank nach Scheiße und Urin in seiner Nase hing, mehr noch, dass er sich da festgefressen hatte und gar nicht mehr weggehen würde. Und die Aussicht darauf, dass sich der Centurio für mindestens die nächsten zwei Wochen ähnlich lustige Aufgaben für ihn und sein Contubernium einfallen lassen würde, war nicht wirklich prickelnd.
    Dann gabs Punkt zwei: mittlere Nachtwache. Juhu. Nachdem er in der letzten Nacht schon kaum Schlaf gekriegt hatte – der Grund dafür war recht witzig, nein, eigentlich war er gar nicht witzig, aber das gehörte zu Punkt vier, und er wollte nicht abschweifen, nicht mal in Gedanken –, jedenfalls, nachdem er vergangene Nacht schon kaum Schlaf gekriegt hatte, und an diesem Abend bisher auch noch keinen – gehörte zu Punkt drei, irgendwie –, war er ziemlich müde. Und die Aussicht darauf, dass das noch mindestens zwei Wochen so weiter gehen würde, war... nicht wirklich prickelnd.
    Als nächstes Punkt drei: seine Kameraden. Keiner von denen war begeistert gewesen. Natürlich nicht. Da war die Aussicht auf die nächsten zwei Wochen, die wie war? Richtig. Nicht wirklich prickelnd. Dazu kam die Tatsache, dass der Centurio gesagt hatte, das ganze Contubernium wäre auf Bewährung. Hadamar hatte zwar keine Ahnung, was genau er damit gemeint hatte, oder was den anderen blühte, wenn sie die nächsten zwei Wochen irgendwas versauten – oder besser: wenn er irgendwas versaute –, aber es klang nicht gut. So oder so war klar: er schuldete seinen Jungs eine Menge. Im Grunde schuldete er ihnen so viel, dass er das kaum jemals würde abarbeiten können. Und er würde ihnen noch viel mehr schulden, wenn sie sich in den nächsten zwei Wochen vorbildlich benahmen, denn in erster Linie hing davon seine Beförderung ab. Dass der Centurio sein Contubernium noch mal vom Haken ließ, war möglich, aber Hadamar hegte keinen Zweifel daran, dass er ihm selbst den Rest geben würde, wenn irgendwas war. Wenn er also die kommenden zwei Wochen überstand und danach immer noch Legionär war... und nicht wieder Tiro, oder noch schlimmer: rausgeschmissen, dann wusste Hadamar sehr genau, wem er das zu verdanken haben würde. Also hatte er sich gleich heute Abend daran gemacht, reihum die Rüstungen zu polieren. Von jedem einzelnen. Er wusste nicht, ob manche das nicht sogar erwarteten von ihm – wenn es so war, hatte zumindest keiner was gesagt – aber das war im Grunde auch egal. Er wollte das irgendwie wieder gut machen, dass sie jetzt auch leiden mussten. Die Putzerei allerdings hatte dazu geführt, dass er bis jetzt noch kein Auge zugetan hatte. Und die Aussicht auf die nächsten zwei Wochen? Kennen wir schon.
    Und zu guter Letzt Punkt vier: ihm tat alles weh. Aber auch wirklich alles. Nach der Tracht Prügel, die Fuscus ihm am gestrigen Abend verpasst hatte, nachdem er vorm gesamten Contubernium gestanden hatte was passiert war – was er ihnen eingebrockt hatte! –, hatte den Veteran nichts mehr halten können. Was Hadamar irgendwo ja auch verstehen konnte, immerhin ging es ihm ja nicht nur um die nächsten zwei Wochen, die sie schon irgendwie überstehen würden. Es ging ihm um seine Beförderung... die Hadamar wohl erst mal versaut hatte. Dann noch zu hören, dass er, Hadamar, an gerade diesem Abend zum Legionär befördert worden war und das auch bleiben würde – wenn auch auf Probe –, hatte nicht dazu beigetragen, Fuscus' Laune zu bessern. Und wie beschissen Fuscus' Laune war, hatte er Hadamar spüren lassen. Mit dem Schluss, dass er die Nacht vor Schmerzen kaum hatte schlafen können... und dass ihm auch jetzt noch alles weh tat. Dazu die Aussicht auf die nächsten zwei Wochen...


    Kurzum: ein beschissener Tag hinter ihm. Dreizehn beschissene Tage vor ihm. Und jetzt? Nachtwache. Na super.

    Für einen Moment fehlten Hadamar die Worte, als er die Abfuhr vom Centurio hörte. Für einen Moment. Dann kamen sie wieder. „Aber... das ist unfair!“ protestierte er – wieder ohne nachzudenken. Da hatte er extra, extra niemanden eingeweiht, nicht mal um um Hilfe zu bitten, damit sie eben aus dem Schneider waren, falls er erwischt wurde – und dann kam das? Sie wurden trotzdem mit bestraft? „ICH hab doch Mist gebaut, warum sollen sie dafür büßen?“

    Mit beiden Sklaven. Hadamar zog kurz die Nase kraus. Er hatte keine großartige Lust, hier sonderlich lange zu warten. Ja, wenn er mit Corvinus wieder losziehen könnte, um nach der Ische zu suchen – wunderbar. Aber hier rumhängen? Mit den Hirten, die nur darauf warteten sie endlich loszuwerden, und dem Kerl am Boden, der... irgendwie... nervtötend war, wenn er wach war?
    Als Corvinus dann allerdings weiter sprach, hellte sich Hadamars Stimmung wieder auf. Selbst weiter rumzustreunern wäre lustiger gewesen, aber heimgehen war immer noch besser als hier den Aufpasser zu spielen. „Äh“, kratzte er sich dann am Kopf. Schlafen. Schlafen? Er hätte ja eher vorgeschlagen dass sie irgendwas spielen sollten. Er hatte verschiedene Spielsteine und Würfel dabei... aber gut. Corvinus' Vorschlag klang vernünftiger. Wie eigentlich immer. Leider. Trotzdem musste man der Unvernunft doch wenigstens eine Chance geben, oder? „Gut, ah... keine Lust auf ein Spiel?“ Hadamar grinste auffordernd. „Aber wenn du wirklich lieber pennen willst... Kannst anfangen, ich bin grad net müde.“

    Gemeinsam mit dem Rest ihres Contuberniums wartete Hadamar vor dem Zelt des Legaten darauf, dass Fuscus seinen Bericht ablieferte und sie gehen konnten – als der allerdings wieder kam, hatte er eine Überraschung im Gepäck. Der Legat wollte Corvinus und ihn sprechen? Hä? Und dann sollte auch noch er den Anfang machen, wo Fuscus doch genau wusste, dass Corvinus das tausendmal besser konnte? Ein Wieso das denn? lag ihm auf der Zunge, aber Fuscus machte nicht den Eindruck, als ob er sonderlich lange mit ihnen quatschen wollte. Und der Legat würde kaum lange auf sie warten wollen, vermutete er.
    Hadamar wechselte also nur mit Corvinus einen kurzen Blick – und zuckte dann die Achseln. Wenn er da vorgehen sollte, machte er das halt, aber er garantierte für nix... erst recht nicht dafür, dass Fuscus später mit ihnen würde zufrieden sein können. Der kannte ihn doch eigentlich mittlerweile... andererseits: was konnte er schon großartig anstellen da drin? Der Legat war auch nur nen Kerl.


    War vermutlich ganz gut so, dass Hadamar keine Gelegenheit hatte, auch nur einen dieser flüchtigen Gedanken laut zu äußern. Er grinste Fuscus also nur kurz zu, und er tat das in der besten Absicht, den Veteran damit zu beruhigen – musste allerdings feststellen, dass der daraufhin ein wenig finster drein blickte. Mit einer beschwichtigenden Geste wandte er sich ab und betrat dann das Zelt, wo er ordnungsgemäß salutierte. „Tiro Lucius Duccius Ferox meldet sich wie befohlen, Legatus.“ Für einen winzigen Moment grübelte er, ob er Corvinus mitmelden sollte... aber da sie nur zu zweit waren, beschloss er, das seinem Kameraden selbst zu überlassen. Und hoffte dass er damit richtig lag, denn dass Fuscus ihnen wie angekündigt das Leben zur Hölle machen würde, darauf hatte er keine Lust.

    Als der Sklave auf den Boden knallte, zuckte Hadamar selbst zusammen. Autsch, das musste weh getan haben... und wie. Und das tat ihm diesmal auch tatsächlich leid, genauso wie es ihn ziemlich wunderte. Er hatte die Decke doch richtig übereinander geschlagen? Naja gut. Vielleicht zu wenig... so wirklich hatte er das Prinzip nie kapiert. Trotzdem kratzte er sich ein wenig verwirrt am Kopf. „Das erklärt aber noch net, warum die Decke gerissen ist und net einfach nur auseinander gerutscht... Dem Hirten erzähl ich was, wenn der uns noch mal ne fehlerhafte andreht“, brummte er zurück und ging los, um eine weitere Decke zu holen.


    Kurze Zeit später tauchte Hadamar wieder im Stall auf, in der Hand eine weitere Decke, die er diesmal sorgfältig überprüft hatte auf Dicke und mögliche fehlerhafte Stellen – egal ob sie nun irgendwo durchgewetzt war oder schon Löcher hatte oder sonst was. „Die sollte halten. Vorausgesetzt wir machen's diesmal richtig“, scherzte er. „Wann wollten Fuscus und die anderen wieder kommen? Wenn wir heut noch los wollen sollten die mal auftauchen.“

    Hadamar wusste, was geschehen würde, er konnte es immerhin sehen – als der Centurio sich abwandte, wusste er es freilich noch nicht, aber spätestens als er seine Hand nach dem Stock ausstreckte, war alles klar. Und wieder wäre er am liebsten zurückgewichen. Natürlich, wer würde das nicht mit der Aussicht auf ein paar Schläge? Aber mehr instinktiv als tatsächlich bewusst war ihm klar, klar, dass er da jetzt nicht zurückweichen durfte. Also blieb er stehen, mit zusammengepressten Kiefern, und wartete auf das Unvermeidliche... und zuckte tatsächlich erst dann zusammen, als ihn der Rebstock wirklich traf. Einmal. Zweimal. Und ein drittes Mal. Wieder zerriss Stoff, und darunter auch die Haut, wenn obwohl die neuen Wunden deutlich oberflächlicher waren als die am Bein, brannten sie trotzdem mehr... und irgendwie auf eine fiesere Art.


    Ganz kurz taumelte Hadamar unter den Schlägen, weil sein elendes linkes Bein unter dem verstärkten Druck nachgab, aber dann stand er wieder gerade, nahm Haltung an, auch wenn es schwer fiel. Allerdings nur wenige Momente... denn dann fing der Centurio wieder zu sprechen an, und jetzt verlor Hadamar die Fassung. Sein Contubernium? Sein Contubernium wurde da mit reingezogen? Das konnte, das durfte nicht sein! „Nein. NEIN!“ rief er aus und machte einen Schritt auf den Centurio zu. „Centurio, bitte! Mach mit mir was du willst, lass mich ein Jahr die Latrinen schrubben und Mittelschicht machen, oder... keine Ahnung, wirf mich in den Carcer, was auch immer, aber lass meine Kameraden da raus! Die hatten nichts damit zu tun!“

    Hadamars unverletztes Bein begann zu zittern, je länger er sein Gewicht so gut es ging nur darauf ließ – und zugleich wurden die Schmerzen in seinem anderen stärker, je länger er in strammer Haltung vor dem Centurio stand und es nicht komplett entlasten konnte. Irgendwie eine beschissene Situation... aber Hadamar wollte nicht schwach erscheinen, nicht jetzt, nicht vor dem Centurio. Also blieb er stehen, mit zusammengebissenen Zähnen, und ließ sich weiter anbrüllen.
    Und brauchte wieder einen Moment, bis er kapierte, was er zu hören bekam... neben dem ganzen Rumgemotze war da ganz klar vor allem eine Sache zu hören: bestandene Grundausbildung. Beförderung zum Legionär. Hadamar versuchte ja, sich zusammenzureißen, aber wo ihm das bei seinem... nun ja, Schiss vor dieser Situation gelungen war, und bei den Schmerzen wenigstens halbwegs gelang, hatte er bei seiner Verblüffung jetzt ein wenig mehr Mühe damit. Seine Augen wurden größer, sein Mund klappte leicht auf, bevor er sich – mit Hilfe von Massas Brüllerei – daran erinnerte, warum er überhaupt hier war, und ihn wieder zuklappte. Perplex blieb er trotzdem. Grundausbildung bestanden? Er? Der Centurio hatte ihn tatsächlich für gut genug gehalten? Das war... das war... wuha!


    Hadamar starrte den Centurio weiter an, und neben dem ganzen Angeschnauztwerden und Perplexsein schaffte es ein Teil von ihm doch tatsächlich, parallel dazu noch beinahe fasziniert den Farbwechsel in Massas Gesicht zu beobachten. Dann allerdings schwieg dieser plötzlich, und nun war es die Stille, die in Hadamars Ohren klingelte. Einen Moment später wurde ihm klar, dass es jetzt wieder an ihm war zu reden – aber er wusste immer noch nicht so recht, was er antworten sollte. Zu erklären was ihm seine Familie bedeutete, und dass sie seine Familie war und bleiben würde, trotz seiner Zugehörigkeit zur Legio, schied aus. Dass er sich, davon abgesehen, für seine Verhältnisse ja vorbildlich an die Regeln hier hielt, ebenso. Mitleid und eine Entschuldigung, weil er gar nicht daran gedacht hatte, wie der Centurio vor seinen Vorgesetzten da stand? Keine Chance. Hadamar hatte zwar nicht daran gedacht, und das tat ihm sogar ein bisschen leid, aber wenn er das laut sagte, würde der Centurio ihn wohl in Grund und Boden stampfen. Mal ganz abgesehen davon, dass die Sache selbst ihm nicht leid tat... und dass er es vermutlich wieder tun würde, in einer ähnlichen Situation. Aber das hatte Massa zum Glück nicht gefragt.
    „Nee, in ne Kneipe rein- oder rauszuschleichen ist deutlich einfacher“, platzte es ohne nachzudenken aus ihm heraus, bevor sich die Stille zu lang ziehen konnte. Und dann wich er dem Blick aus und sah kurz zu seinen Füßen hinunter, bevor er Massa wieder ansah. Blieb also noch die Sache mit der Degradierung. „Ehm. Nein, Centurio“, antwortete er dann simpel. Was hätte er auch sonst antworten sollen? Weinerliches Rumbetteln, er möge ihn doch verschonen und es wär ja alles gar nicht so schlimm gewesen und es käm auch nie wieder vor, ganz bestimmt nicht, Ehrenwort – kam nicht in Frage. Und ein ja erst recht nicht. Himmel, er war Legionär, oder würde es bald sein, wenn diese Beförderung durchging! Da würde er doch nicht freiwillig drauf verzichten, sollte der Centurio sich doch was anderes einfallen lassen, womit er ihn für seinen Mist bestrafen konnte!

    Noch bevor er sich beim Optio melden konnte, trat der schon ein – und es dauerte nur einen Moment, da hörte Hadamar den Centurio schon brüllen. Auweia... der klang sauer. Der klang RICHTIG sauer. Hinter dem Optio betrat nun auch Hadamar das Zimmer und konnte schon die typischen Anzeichen sehen, die darauf hinwiesen, dass Massa wütend wurde... nicht dass das nötig gewesen wäre. Die Lautstärke war da schon Hinweis genug dafür. Und Hadamar war so darauf fixiert, irgendwie diesen Wutausbruch zu überstehen, dass er erst nach einem Augenblick kapierte, was der Centurio gerade gesagt hatte. „Bewas?“ entfuhr es ihm erstaunt, während Massa noch tobte, und dann kam der Kerl schon auf ihn zugestürmt wie eine Wildsau und baute sich dicht vor ihm auf. Und jeder Gedanke an Beförderung war weggefegt bei Hadamar.
    Am liebsten wäre er zurückgewichen, einen Schritt mindestens, eher noch viel mehr, aber auch wenn er recht gut darin war, sich vor irgendwas zu drücken oder aus Ärger raus zu lavieren – wenn es hart auf hart kam, hatte er noch nie gekniffen. Möglichkeiten zu nutzen, um glimpflicher davon zu kommen, war eine Sache, aber davon laufen kam nicht in Frage.


    Anstatt also dem Fluchtreflex nachzugeben, blieb Hadamar also stehen – mehr noch: er salutierte, ungeachtet der Tatsache, dass der Centurio so dicht vor ihm zum Stehen gekommen war, dass nicht mehr viel Platz zwischen ihren beiden Gesichtern war. Und er ignorierte weiterhin die Schmerzen in seinem Bein und blieb stramm stehen, auch als Massa ihn so laut anbrüllte, dass ihm die Ohren klingelten. Nur was er auf die Frage antworten sollte, war ihm nicht so ganz klar. Nichts wäre wohl korrekt gewesen, war ja eigentlich schon alles gesagt worden, aber dass das nicht so gut ankommen würde, war ihm klar. „Ehm. Ich musste in die Stadt, Centurio“, antwortete er. „Familiensache.“ War wohl besser, mutmaßte er, sich auch hier erst mal kurz zu fassen... wenn er weitere Fragen ins Gesicht gebrüllt bekam, konnte er immer noch ausführlicher antworten.

    Als Corvinus ihn runterließ, nachdem sie von der Krankenstation gekommen waren, und Hadamar einen leichten Schlag auf den Kopf spürte, konnte er sogar wieder grinsen, wenn auch nur flüchtig. „Hajo. Wird mich schon net in Stücke reißen…“ Im Grunde, redete er sich ein, stimmte das ja. Was konnte der Centurio schon groß machen? Ihn bestrafen, sicher, aber es war nicht das erste Mal, dass er eine Strafe bekam – oder sonst wie irgendwas einstecken musste. Augen zu und durch, und dann hatte man es auch schon wieder hinter sich. Es sei denn… es sei denn der Centurio beschloss, dass ihn rauszuwerfen aus der Legio, weil er sich als Tiro so was rausgenommen hatte, aber daran glaubte Hadamar nicht. Daran wollte er nicht glauben, so einfach war das.


    Immer noch humpelnd, aber sehr bemüht, so unbeeinträchtigt wie möglich zu gehen und zu wirken, betrat er also die Unterkunft, in der der Centurio zu finden war – und fand den Optio vor der Tür vor. Und mit einem Mal war da dieses Unbehagen da in ihm, das fast immer da war, wenn ihm eine Standpauke drohte.

    Zum Glück war es dunkel – und zum Glück passte Corvinus auf. Hätte ihn jemand so gesehen, Hadamar wäre vermutlich im Boden versunken vor Scham. Und der Spott der halben Legion, davon war er überzeugt, wäre ihm wohl auch sicher gewesen in den nächsten Tagen. Aber sie kamen ungesehen bis zu den Unterkünften, und allein dafür war Hadamar dankbar, was seine Laune doch etwas besserte.

    Auf Fuscus‘ Kommando hin nahmen sie wieder die vorige Marschformation ein, mit den beiden Jüngsten am Schluss – und liefen schweigend durch den Wald zurück zu ihrem eigenen Lager. Hadamar war immer noch enttäuscht. Schlaf. Wer brauchte schon Schlaf? War doch viel lustiger, wenn sie unterwegs sein konnten… Aber er vermutete mal stark, dass Fuscus – und die meisten anderen seiner Kameraden – das anders sahen als er, also hielt er die Klappe und marschierte einfach mit.


    Den Rückweg brachten sie um ein gutes Stück schneller hinter sich – zum einen war der Weg nun nicht mehr völlig unbekannt, zum anderen war da die Aussicht, schnell schlafen zu können, die sie anspornte. Und so meldeten sie sich deutlich früher beim Lagereingang und kurze Zeit danach beim Zelt des Legaten zurück, als die Kameraden wohl gedacht hatten. Beim Legaten jedenfalls angekommen, trat Fuscus einen Schritt vor und salutierte vor der Wache: „Contubernium Sextus, Centuria IV, Cohors II meldet sich zurück mit dem Bericht für den Legaten.“

    Dass Corvinus noch irgendwas zu dem Medicus sagte, bekam Hadamar gar nicht mehr wirklich mit, weil er schon auf dem Weg nach draußen war. Missgelaunt humpelte er weiter und brummte dabei noch ein paar Verwünschungen in seinen nicht vorhandenen Bart, aber er kam nur ein paar Schritte weit, bis Corvinus ihn schon wieder eingeholt hatte. Bei dessen Angebot zögerte Hadamar einen Moment. Er wollte nicht jammern, oder verweichlicht erscheinen. War schon genug, dass der Medicus ihn so hatte da stehen lassen, obwohl er nur nach einem festeren Verband gefragt hatte, einem, der Blutung auch stoppte – der Medicus konnte erzählen was er wollte, Hadamar glaubte da nicht so recht dran, dass das wirklich gut sein sollte, wenn sein Bein einfach munter weiter blutete. So oberflächlich war die Wunde nun auch wieder nicht... aber gut, das war etwas, worum er sich später dann selbst kümmern konnte. Die Hose war eh hinüber, daraus konnte er auch Streifen reißen und die noch mal fester und vor allem in mehreren Lagen drum wickeln.


    Nein, verweichlicht wollte er nicht wirken. Aber sein Verstand – und die Schmerzen in seinem Bein – sagten Hadamar, dass Corvinus Recht hatte. Er hatte nicht wirklich eine Ahnung, was ihn erwartete beim Centurio, aber dass er dafür wohl noch Kraft brauchen würde, war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit richtig. Und er wollte vor dem Centurio wenigstens gerade stehen können... was auch leichter sein würde, wenn er eben nicht den ganzen Weg da selbst hingehumpelt war. „Naja...“ antwortete er, immer noch zögernd, und mit einem Tonfall, der verriet, wie unangenehm ihm das war. „Wär wahrscheinlich besser, ja. Wenn's dir nichts ausmacht“, fügte er noch hinzu – und hoffte nur, dass ihn tatsächlich keiner sehen würde.

    Als Hadamar hörte, wer da aufgetaucht war, war er enttäuscht. Der Auftrag des Legaten hatte sich damit wohl erledigt, und das weit schneller als er gedacht hätte. Und dabei hatte er sich schon so darauf gefreut, ein bisschen Abwechslung zu haben und das Lager-Einerlei mitmachen zu müssen. Zugleich war er aber auch verwundert, denn so wie es der Eques zuvor beschrieben hatte, war das Lager der Ala noch weit weg... was um alles in der Welt machte deren Präfekt dann hier mitten im Wald, in relativer Nähe zum Lager der Legio II, anstatt bei seinen eigenen Truppen zu sein? War der etwa ohnehin zu ihrem Legat unterwegs gewesen?


    Letztlich konnte ihm das aber auch egal sein. Was der Legat ihnen aufgetragen hatte, hatte Fuscus mit der Überbringung der Botschaft nun hinter sich gebracht. Blieb nur noch die Antwort des Präfekten abzuwarten, um damit dann ins Lager zurück marschieren.

    „Ja klar, weil das nen Verband ist“, murrte Hadamar zurück. Elfleda war Heilerin gewesen, und bei ihr hatte das irgendwie anders ausgesehen. „Bist du der Medicus oder ich?“ maulte er zurück auf die rhetorischen Fragen von Repentinus. Hauptsächlich verstand er blablabla, weil es ihn im Moment gar nicht interessierte, was für einen Zweck das Blut hatte oder wo wie viel Haut fehlte. Die Wunde brannte immer noch, und mittlerweile war Hadamar schlicht und ergreifend ziemlich übel gelaunt – und noch schlechter auf diesen Kerl zu sprechen, der sich so aufspielte. Und erzählte der jetzt tatsächlich noch was von Flicken und Haut irgendwo wegschneiden? „Außerdem hab ich kein Wort von Flicken gesagt, nur obs da noch irgendwas Gscheides gibt. So, verbandsmäßig, weißt du? Nen bisschen mehr Stoff rumwickeln?“ Er zuckte sichtbar zusammen, als der Kerl in aller Seelenruhe – und ziemlich rüde – noch mal an dem Stück Stoff rumzupfte. „Oh du kannst mich mal, echt ey!“ fuhr er auf und erhob sich mit einem Ruck. Die Schmerzen mit zusammengebissenen Zähnen ignorierend humpelte er zu Corvinus hinüber – und an ihm vorbei und schnurstracks zur Tür. „Oooh und das beruht auf Gegenseitigkeit, der Sack ist ja so was von liebenswürdig“ ätzte er auf dem Weg nach draußen – und gab einen Dreck drauf, wer ihn da womöglich hören konnte. Der Abend war eh im Eimer... und Hadamar war im Moment irgendwie alles egal. Er dachte nicht einmal einen winzigen Augenblick daran, dass er das vielleicht irgendwann noch bereuen würde, dass er sich gerade aufführte wie die Axt im Walde. „Ich freu mich jetzt schon auf das Wiedersehen! Kanns gar nicht erwarten! Elender Klugscheißer...“

    Hadamar grunzte bloß auf die Feststellung hin, dass er wohl etwas angestellt haben musste. Nein, das würde er NICHT beantworten, nicht diesem Kerl, dem würde er garantiert nicht unter die Nase binden, wie recht er mit der Vermutung hatte. Stattdessen humpelte und hopste er zu einer der Liegen, um sich darauf zu setzen, während der Optio nach einem anderen rief für. War ihm wurscht, dass der nix gesagt hatte, er sah gar nicht ein sich im Stehen behandeln zu lassen.


    Er schwieg auch weiterhin, als der Gerufene kam und sich das Bein ansah, biss nur die Zähne so fest aufeinander, dass es weh tat, als Repentinus mit einem Ruck die Hose nach unten hin aufriss – nicht etwa weil die ihm so viel bedeutete, sondern weil es schlicht weh tat. Was allerdings erst der Anfang war. So sehr Hadamar versuchte, sich zusammenzureißen, er konnte ein dumpfes Ächzen nicht unterdrücken, als der Wein über die offene Wunde floss. Sein Körper verkrampfte sich, seine Hände klammerten sich rechts und links so fest um den Rand der Liege, dass die Knöchel weiß hervortraten, er atmete schwer, und sein Gesicht war schmerzverzerrt, während er mit geschlossenen Augen darauf wartete, dass das glühende Brennen in seinem Bein wieder abebbte. Was allerdings noch ein wenig auf sich warten ließ, da der Kerl recht bald weiter machte und irgendeine Paste draufstrich. Und dann, als der Schmerz wenigstens etwas abklang und Hadamar wieder einigermaßen klar denken konnte, sah auch er wieder auf die Wunde – und war doch leicht irritiert. Das Blut klumpte zwar schon ein bisschen, aber die Wunde war größtenteils nach wie vor offen. Und blutete immer noch. Und da legte der Kerl nur nen Streifen Leintuch drauf? „Jaja“, brummte er auf die Anweisung mit dem Knoblauch hin. „Willst da noch nen Verband draus machen oder soll das so bleiben?“ Auf dem Weiß des Tuchs bildete sich bereits jetzt ein roter Fleck, wo das Blut durch den Stoff hindurch drang.

    Auf Hadamars Gesicht breitete sich erneut ein Grinsen aus. „Klar führ ich euch durch den Wald“, ließ er fröhlich, aber dennoch leise von sich hören, als er an der Reihe war. War das doch zu irgendwas gut, dass er seit frühester Kindheit mit seinen Freunden immer lieber in den Wäldern um die Höfe rumgestreunt war als irgendwas zu lernen… oder zu arbeiten. „Lass mich mal die Karte sehen, Fuscus…“ Er stapfte zum Ältesten und orientierte sich kurz bei dem schwachen Mondschein. „Wir sind…“
    „Hier“, brummte Fuscus und deutete mit einem Finger auf den Ort auf der Karte, um dann weiter zu fahren und andere Stellen zu kennzeichnen. „Unser Lager. Und da hätten wir das Lager der Ala… laut unserem Kameraden von der Reiterei.“
    Hadamar nickte und besah sich den Bereich genauer, durch den sie gehen mussten, um so schnell wie möglich zu dem anderen Lager zu kommen, prägte sich die Besonderheiten ein, die eingezeichnet waren – und sowohl Orientierungshilfe wie auch Hindernis sein konnten. Ein Bach schlängelte sich irgendwo durch, scheinbar, und den ein oder anderen Abhang schien es auch zu geben, allerdings war alles ziemlich oberflächlich… natürlich. Hatte ja kaum jemand den ganzen Wald hier durchkämmt, nur um eine akkurate Karte hinzubekommen. Trotzdem war Hadamar zuversichtlich. Die Karte war gut und schön zur Orientierung, aber früher hatten seine Kumpel und er sich auch so durch die Wälder geschlagen, ohne Karte.


    Wie das folgende genau zustande kam, sollte wohl im rätselhaften Nebel der Geschichte verschwunden bleiben. Wie auch immer: bevor sie allerdings tatsächlich losgehen konnten, tauchten plötzlich Gestalten rund um sie herum auf... trotz der Tatsache, dass eine Turma der Legio II in der Nähe war, und trotz der Tatsache, dass die restlichen sechs Mann des Contuberniums nicht etwa tatenlos und vor allem blind und taub in der Gegend herumstanden, sondern Wache hielten, während Fuscus und Hadamar sich die Karte besahen. Was sie allerdings nicht daran hinderte, ebenso blitzschnell zu reagieren, kaum dass das erste Warnsignal gegeben worden war. Noch bevor sie endgültig umzingelt waren, hatten die Legionäre einen Kreis gebildetet, mit erhobenen Schilden, die Speere angelegt. „Wie wär's wenn ihr uns sagt, wer ihr Weicheier seid?“ knurrte Fuscus zurück.

    Gestützt von Corvinus humpelte Hadamar die letzten paar Schritte in das Gebäude hinein. „Das du geholfen hättest, dacht ich mir“, murmelte er zurück, „aber-“ Bevor er allerdings weiterkam, sagte Corvinus noch etwas – und das führte dazu, dass Hadamar ihn ungläubig anstarrte. Dann machte er den Mund auf, um zu protestieren. Wär ja noch schöner, wenn seine Kameraden da jetzt auch noch bestraft wurden – obwohl Hadamar genau deshalb darauf verzichtet hatte, irgendwen einzuweihen, selbst Corvinus!
    „Das kann er net machen!“ zischte er noch, aber zu mehr kam er nicht, weil in dem Moment der diensthabende Medicus schon dazu kam. Hadamar starrte noch kurz Corvinus an, wandte dann aber widerwillig seinen Blick dem anderen zu – mit noch verbissenerem Gesichtsausdruck als ohnehin schon. Die Aussicht darauf, dass der Centurio womöglich das gesamte Contubernium bestrafen würde, war mit Abstand die mieseste des ganzen bisherigen Abends. Irgendwie... irgendwie musste er das verhindern, wenn Massa tatsächlich auf diesen Gedanken kommen sollte.


    Dass der Optio hier jetzt munter irgendwelche Sprüche riss, taugte Hadamar in seiner momentanen Stimmung noch weniger. „Ja, und wir alle wollen ja gemästet werden“, schnauzte Hadamar unwirsch. „Deswegen ham sie mich wahrscheinlich auch für ne Sau gehalten und abgeschossen.“ Was eine leichte Variante von: geht dich nen Scheißdreck an war. So langsam wurde Hadamar das alles einfach zu viel: der doppelte Anschiss daheim, dann der Beschuss am Tor, die Schmerzen, die kurze Unterhaltung mit Corvinus, und jetzt auch noch der Medicus, der irgendwelche Sprüche riss? Nä, was zu viel war, war zu viel. Das es vielleicht etwas unklug war, den Kerl zu beleidigen, der ihn jetzt gleich behandeln sollte, daran dachte Hadamar im Augenblick gar nicht. Stattdessen stützte er sich nur noch ein bisschen mehr auf Corvinus und schob das linke Bein vor, um die Wunde zu zeigen. Drum herum und weiter darunter war der Stoff der Hose vollgeblutet; dazu gesellte sich noch der Schmutz, den Hadamar abbekommen hatte als er auf dem Boden gelandet war, der um dieser Jahreszeit nicht wirklich trocken gewesen war. Die Wunde selbst befand sich an der Außenseite des Oberschenkels, wo die Spitze des Pilums einen ordentlichen Krater gerissen hatte.

    Ha! Das besänftigte Hadamar doch gleich wieder, dass Corvinus die Kampfkraft anerkannte. Beim nächsten Teil sah er allerdings ebenso verständnislos zurück, wie der andere ihn ansah. Das klang so einfach, wie Corvinus das sagte, aber ganz so einfach… war das dann doch nicht. Fand Hadamar. Oder glaubte er wenigstens. Was war den bitte ein wahrer Römer? Ja, seine Familie war jetzt römisch, hatte einen römischen Namen, das römische Bürgerrecht. Aber trotzdem fühlten sie sich ihrem Ursprung verbunden und verpflichtet. „Na… ja… es gibt… genügend von den Stämmen, die Sklaven sind“, murmelte er, während er zugleich die Decke ausbreitete und die beiden Stämme parallel zueinander darauf legte, um irgendwas zu tun haben. Für ihn war das Thema nicht ganz einfach, mehr noch, es verwirrte ihn ziemlich. Er hatte eigentlich keine Ahnung, was er Corvinus sagen sollte… er wusste nur, oder besser, er spürte das mehr, dass es halt irgendwie nicht damit getan war, dass er Römer war. Sie nannten sich daheim ja noch nicht mal bei ihren römischen Namen, sondern hatten alle ihre germanischen… Andererseits: ihr Sippenoberhaupt war Duumvir von Mogontiacum, der erste Mann der Stadt, verantwortlich für den ganzen Politikkram da. Was war er denn dann, wenn nicht Römer?


    „Ich zweifel ja net. Aber mein Vater hat das Bürgerrecht halt erst bekommen.“ Genauso wie die anderen seiner Generation. Und das war in seiner Familie durchaus noch deutlich spürbar – damit war er aufgewachsen. Hadamar ließ den zweiten Stamm auf die Decke knallen und schnaubte unzufrieden. Das Thema war vollkommen bescheuert, und er hatte keine Lust, darüber nachzudenken – und trotzdem hatte er die Befürchtung, dass es irgendwie in seinem Kopf hängen bleiben würde, jetzt, wo es da war. „Das isn Wort“, grinste er Corvinus dann schief an, schlug die Decken übereinander und ging zu dem Sklaven, der am Boden saß. „Lass uns das gleich mal ausprobieren“, meinte er zu Corvinus, bückte sich und hob den Sklaven hoch, um ihn gleich darauf wieder auf der Decke runterzulassen.