Tugend verloren- Alles verloren!
Gedanken, wie die folgenden, laß dich
nicht anfechten: Ich soll in Schande leben, und als der
Garnichts auf der Gotteswelt. Denn wenn die Schande
ein Übel ist, so kann dir das Übel ebensowenig
durch einen andern aufgenötigt werden, als etwas
Sittlich-schlechtes. Ist es etwa dein eigen Werk, mit
einem Amte bekleidet, oder zur Tafel gezogen zu werden?
Keineswegs. Wie könnte also das eine Schande
sein? Und inwiefern wirst du der Garnichts sein, da
du doch nur in den Dingen etwas sein sollst, in welchen
es ganz bei dir steht, dich auf's höchste auszuzeichnen?
2. Aber du wirst deine Freunde ohne Unterstützung lassen müssen? -Was soll das heißen: ohne Unterstützung?
- Sie werden kein Geld von dir bekommen;
du wirst ihnen das römische Bürgerrecht nicht verschaffen
können? -Wer hat dir denn gesagt, daß dies
zu den Dingen gehöre, die in unserer Gewalt sind, und
nicht vielmehr etwas sei, das uns fremd ist? - Wer
kann einem andern geben, was er selbst nicht hat?
3. So erwirb, heißt es jetzt, daß wir auch etwas
haben! - Wenn ich erwerben kann ohne Verletzung
des Ehrgefühls, der Treue und der großherzigen Gesinnung,
so zeige mir den Weg, und ich will es tun.
Wenn ihr mir aber zumutet, ich soll die Güter, die
mir selbst gehören, verlieren, damit ihr erlanget, was
kein Gut ist, so erkennet doch, wie unbillig ihr seid,
und wie unverständig.Was wollt ihr denn lieber?
Geld, oder einen treuen und ehrliebenden Freund? -
So verhelft mir doch lieber zu dem letzteren, und
mutet mir nicht zu, etwas zu thun, wodurch ich eben
dies verlieren müßte.
4. Aber das Vaterland, sagt man, wird, wenigstens
von mir, keine Unterstützung haben. Ich frage: Wieso
keine Unterstützung? - Es wird keine Säulengänge
und keine Bäder durch dich bekommen. Und was liegt
daran? Bekommt es doch auch keine Schuhe vom
Schmied, und keine Waffen vom Schuster. - Es genügt
aber, wenn jeder sein Werk recht tut. Wenn du
ihm einen andern zu einem treuen und ehrenhaften Bürger heranbildest, hast du ihm dann nichts genützt?
- Ja doch! Also wärst doch auch du nicht so
ganz ohne Nutzen für dasselbe!
5. Welche Stellung werde ich nun im Staate einnehmen?
so fragt man. Diejenige, welche du einnehmen
kannst, ohne daß du aufhören mußt, beides, ein
treuer und ein ehrliebender Mensch zu sein. Wirfst du
aber dieses von dir, um dem Staate zu nützen, welchen
Nutzen hätte er wohl von dir, wenn du ehr- und
treulos geworden wärst? -