Was ein ernsthaftes Gespräch unter Männern so alles bewirken konnte hätte Milo nicht gewagt zu träumen. Er fühlte sich so befriedigt wie lange nicht, denn endlich hatte er einmal wieder einen vernünftigen Gesprächspartner, der auch einmal widersprechen konnte und seine Meinung vertrat. Die Sklaven knickten ja immer gleich ein und seine Freunde wollten nie über solche höchst politischen Themen sprechen. Der Einzige mit dem er wohl über dergleichen hätte sprechen können war sein Großvater, den er allerdings auch nicht allzu oft zu Gesicht bekam. Insgeheim hoffte Milo ja, dass Varus bleiben würde und noch weitere tolle Gespräche folgen würden. Er war sich sicher, dass wenn er in seinem Alter gewesen wäre, sie bestimmt gute Freunde geworden wären. Aber war Alter eigentlich wirklich ein Kriterium für Freundschaft? Die im wahrsten Sinne des Wortes alten Griechen pflegten doch auch Freundschaften zu jüngeren Männern, allerdings waren diese wohl anderer Natur als die Art Freundschaft, an die er dachte.
Das Thema ob er bleiben würde war allerdings noch nicht vom Tisch, da es noch gar nicht angesprochen wurde. Noch gab es also Hoffnung für Milo. Zu einem späteren Zeitpunkt würde er dies dann noch ansprechen und Gewissheit haben.
Erst einmal sprach er allerdings von den Frauen. Wenn er wüsste, dass Milo tief in seinen Herzen schon die richtige gefunden hatte, auch wenn er sich darüber selbst noch nicht im Klaren war. Später erst würde ihm bewusst werden, was er für seine beste Freundin wirklich empfand. Jetzt allerdings nahm er das Ganze allzu sachlich auf und verstand die wahre Intention hinter dieser Frage gar nicht. Er wäre ohnehin nicht rot gewesen, aber vielleicht hätte er wenigstens ein kleines Lächeln als Regung seiner Menschlichkeit blicken lassen, so allerdings blieb er in seiner üblichen Distanziertheit. „Wirklich kinderarm waren unsere Ahnen in der Tat nie. Warum also nicht auch wir.“, meinte er und erinnerte sich wieder an den Stammbaum seiner Familie. Sein Großvater war ja ziemlich kinderreich gewesen. Allerdings waren aber Silana, Aviana und er Einzelkinder. Aber wenigstens blieb niemand kinderlos. Welcher Trend sich schließlich bei ihm durchsetzen würde, würde sich zeigen wenn er denn mal Kinder hätte, was bei ihm weniger Wunsch war als eine Art Verpflichtung seiner Familie gegenüber. Seine Zweig der Gens sollte unter keinen Umständen aussterben. Er musste sich also wirklich ins Zeug legen.
Zu seiner Freude ging das Thema rasch wieder auf den guten Potius Vescularius Salinator über und die große Verschwörungstheorie dahinter, bei der man einfach mal seine Phantasie spielen lassen konnte und Theorien aufstellen konnte. Je realistischer diese waren, desto mehr konnte er auch sein gegenüber von seiner Reife überzeugen, was ihm immer schon ein Anliegen war. Er war quasi ohne Eltern aufgewachsen und sehr früh selbstständig geworden. Das musste er sich selbst und allen um sich herum immer wieder beweisen.
„Salinator war ein Freund des Kaisers, jedenfalls erzählt man sich das so. Weshalb sollte er seinen Freund also wieder großartig einschränken wo der doch eigentlich gute Arbeit leistet? Und selbst wenn der Kaiser auf dem Weg der Besserung war, so war er doch dennoch noch die Marionette Salinators. Wen die Krankheit das Mittel war ihn zu beherrschen, wer sagt denn dann nicht, dass der Kaiser urplötzlich einen Rückfall hat? Und warum man den Sohn des Kaisers auch ermordet hat sage ich dir: Man munkelt da ja auch einiges. Er wäre wohl unfähig gewesen.“, fuhr er fort mit seinen Überlegungen. Für ihn war irgendwie klar, dass man Salinator nur stürzen konnte, wenn man ihm die Basis nahm und er selbst keinen Grund dafür hatte den Kaiser tot zu sehen. Er glaubte irgendwie an die Unschuld des Salinators, dieses mal jedenfalls.
„Es wäre doch töricht einen schwachen Herrscher einzusetzen bei einer starken Position des Vesculariers. Ich bin sicher er hätte ihn komplett gelenkt. Außerdem denke ich er hätte auch auf den Rat des Praefectus Urbi gebaut. Schließlich war der ja angeblich ein Freund seines Vaters. Wenn jemandem vertrauen, dann wohl einem Vertrauten des Vaters. Nein, er war ein Unsicherheitsfaktor. Ich denke das hier sollte auch dagegen sprechen, dass es der Vescularier war, der den Mord befohlen hat.“, erklärte er dann weiter und hielt auch nicht inne den Vescularier zu verteidigen. Irgendwie wollte er sein Gegenüber überzeugen, dass er Recht hatte und der Praefect unschuldig war. Er wollte einfach nur Recht haben. Aber so war Milo nun mal. Er bezog seine Selbstachtung unter anderem daraus, dass er andere davon überzeugte, dass er Recht hatte.
In einer Sache hatte Varus allerdings Recht. Man würde hier jetzt nicht die Wahrheit finden können. Sie würde sich im Laufe der Zeit selbst offenbaren, beziehungsweise wäre man dann wieder etwas klüger. Es galt einfach abzuwarten. „Ja, wir werden es in den nächsten Wochen wohl erfahren.“, stimmte er ihm nickend zu.
Die Sache mit der Treue und den Aeliern war ihm mittlerweile etwas lästig. Er wusste nicht warum Varus sich so auf diese eingeschossen hatte, wo doch klar war, dass das Patronat und die damit verbundene Treue den Ulpiern gegenüber durch deren Aussterben erloschen war. Es gab keine Treuevererbung. Jedenfalls seiner Meinung nach nicht.
„Das „nur“ ist gut. Er war rechtlich gesehen ein vollwertiger Sohn der Ulpier.“, merkte er erst einmal etwas überdrüssig an, ehe er dann abermals seine Meinung zum Ausdruck brachte.
„Du scheinst die Aelier zu mögen oder? Nur weil sie unter Umständen einen Anspruch geltend machen könnten womöglich? Jedenfalls sollten wir wirklich abwarten, ehe wir uns erneut positionieren. Wer weiß, vielleicht war es ja auch das Oberhaupt der Aelier, der den Mord in Auftrag gegeben hat. Brudermord ist ja nichts Neues in der Geschichte. Mir jedenfalls widerstrebt es blindlings meine Treue einer anderen Gens zu vergeben. Treue wird nicht vererbt wie ein Gegenstand, sie muss verdient werden. Überhaupt: Wer sagt denn, dass die Aelier ebenso empfinden? Und vor allem: Was geben sie uns für unsere Treue? Das sollte im Vorfeld klar gemacht werden und das liegt eigentlich in den Händen des Pater Familias.“
Wenn es nach ihm ging, dann war dieses Thema vorerst durch und er hatte wirklich keine Lust mehr darüber zu reden, weshalb er schließlich noch einige abschließende Worte in den Raum warf, die gut von seinem weisen Großvater hätten stammen können.
„Wie du schon sagtest: Eine voreilige Positionierung könnte schaden. Dem Ansehen der Familie und auch den Chancen künftiger Generationen auf dem Weg nach oben. Was auch immer du tun wirst, ich kann dich wohl kaum an irgendetwas hindern, denke daran, dass du nicht nur dir selbst verpflichtet bist, sondern auch deiner Gens.“ Nach diesem abschließenden verbalen Aufbäumen sank er ein wenig im Stuhl zusammen und trank noch einen Schluck Wein.