'... dass du uns nicht ewig erhalten bleiben wirst.', hallte es in Dives' Kopf nach. An genau solchen Formulierung erkannte er die Frenudlichkeit des Duumvirs, die dieser gegenüber ihm an den Tag legte. Dass damit noch lange nichts über Zuspruch oder Ablehnung zu den Plänen des Iuliers gesagt war, war ihm aber auch klar. Dennoch schaffte der Mann den Balance-Akt zwischen einer relativen Offenheit des Gesprächsinhaltes bei gleichzeitiger höflicher Zurückhaltung im Ausdruck. Dafür war Dives seinem Gegenüber auch dankbar.
Doch es besaß eben nicht jeder die Fähigkeit für einen solchen Drahtseil-Akt. So sehr sich der Iulier in der Vergangenheit und Gegenwart auch bemüht hatte, war die Wirkung seiner selbst auf andere Leute in den seltensten Fällen so, wie er es beabsichtigte. Im Prinzip war es ein ständiges Auf und Ab, einer Sinuskurve gleich, deren Amplitude sich zwar tendenziell verringerte, die aber selbst im Unendlichen wohl zu keiner Geraden werden würde und deren Periodenlängen etwa konstant blieb. Im Klartext war er zunächst nur wenig zurückhaltend und bescheiden gewesen, was man ihm als übermäßige Arroganz angelastet hatte. Er nahm, was er kriegen konnte, ohne weiter nachzudenken. Das war seine frühe Jugend. Als Reaktion auf die Kritik an ihm schlug Dives dann ins andere Extrem um und übte sich in absoluter Zurückhaltung, was sogar soweit ging, dass er kaum noch Geschenke, die über einen einfachen Glückwunsch hinaus gingen, annahm. Bis er auch mit diesem Verhalten den ersten vor den Kopf stieß, war nur eine Frage der Zeit.
Aktuell befand er sich wohl gerade wieder auf der zu selbstfixierten Seite, wie er die Worte des Duumvirs interpretierte. Der würde nämlich sicherlich nicht von Selbstlosigkeit, Demut und Bescheidenheit im Zusammenhang mit dem, was Dives zur Überzeugung der Decuriones von sich tun sollte, reden, wenn der Iulier diese Dinge perfekt beherrschen würde. Ein Großteil dessen waren wohl die vielen Verwandten, auf die er sich gerne berief und die er äußerst gern anführte. Dass das wieder auf ein moderates Niveau umzustellen sich als schwierig erweisen würde, da es allein gefühlsmäßig zunächst ein Verrat an jenen Verwandten wäre, dämmerte Dives schon.
"Hmhm...", nickte Dives langsam mit starrem Blick zum Duumvir.
"Das verstehe ich. Das einzige, was ich neben der Beteuerung, dass ich hier in Ostia BIN, weil ich im Dienste OSTIAS tätig sein will und nicht in irgendeiner anderen Civitas, noch sagen kann, ist, dass der Gang hierher von Beginn an keinesfalls der widerstandsfreiste zu sein schien." Verdammte Schachtelsätze. Zum Glück war er ruhig und mit entsprechenden Betonungen und Pausen gesprochen, sodass er hoffentlich nicht mehr ganz so komplex wirkte.
"Ich weis nicht, wie vertraut dir die Curia von Misenum ist. Wäre ich damals nur darauf aus gewesen die Stufen der Karriereleiter möglichst schnell hinauf zu stolpern, dann wäre ich sicherlich eher dorthin gegangen. Zwei iulische Verwandte als Duumviri Misenums... ich denke, du weist, worauf ich hinaus will." Natürlich hatte auch die Nähe zur Factio Veneta die Entscheidung beeinflusst, aber sicherlich nicht primär.
"Ich wollte aber den schwierigeren und steinigeren Weg gehen, wollte auch mal Kritik einstecken müssen und nicht nur einen kleinen Klapps auf die Finger bekommen. Zugegeben... ich war so manches Mal schon ganz schön überrascht von der Intensität der Debatten und auch davon, was ich auszuhalten im Stande sein muss. Aber andersherum bin ich froh, dass ich diese Erfahrungen jetzt sammle und nicht erst bei einer Bewerbung zum Vigintivirat in Roma, wo der Gegenwind sicherlich noch stärker bläst.", erklärte Dives ganz ruhig und blickte dem Duumvir dabei immer wieder in die Augen. Wenn er auch nur ein bisschen Empathie hätte, was zweifelsohne der Fall war, dann würde er im iulischen Blick lesen können, dass dieser die Worte ehrlich und frei heraus sprach.
"Ohne die Standhaftigkeit, die ich hier lernen musste und auch noch lernen muss, glaube ich, dass mich der Gegenwind völlig gnadenlos umgeworfen hätte, sodass ich letztlich wahrscheinlich auch nichtmehr die Kraft zum Aufstehen gehabt hätte." Er holte kurz Luft und begann leicht zu nicken.
"Ja, ich glaube, dass ich auch jetzt den stürmischen Böen im römischen Senat noch nicht genug Erfahrung entgegenzusetzen hätte, um eine Bewerbung auch nur für das unterste Amt erfolgreich zu bestehen." Gut, das war jetzt vielleicht doch etwas dick aufgetragen. Dives hatte nicht wenige Verwandte im Senat, darunter auch einen Consular und einen Praetorier, sodass ein Vigintivirat vielleicht sogar machbar war - abhängig natürlich auch von den Gegenkandidaten. Aber letztlich würde er sich doch sicherer fühlen und wahrscheinlich auch erfolgreicher sein, wenn er sich mit einem Master-Abschluss in Roma bewarb statt 'nur' mit einem Bachelor.
"Aus diesem Grund möchte ich also auch ersteinmal weiter hier in Ostia bleiben, weiter lernen und meine Erfahrungen machen - vorzugsweise bald als Decurio Ostiensis. Die Civitas Ostia war mir bislang ein guter Lehrmeister und wenn ich etwas von ihr gelernt habe, dann dass ich noch einiges mehr von ihr lernen kann." Das war doch ein ganz schönes Schlusswort für seine Reaktion und so hoben sich die Mundwinkel des Iuliers leicht zu einem Lächeln, während er dem Duumvir noch immer in die Augen schaute.