Der III. Conventus Societatis war der reinste Alptraum gewesen für Dives, der in krankheitsbedingter Abwesenheit seines Cousins, Senator Iulius Centho, als Organisator und Ausrichter fungiert hatte. Nicht, dass es schlimm war, dass einige Sodales zu spät erschienen waren - nein, dafür hatte er mit entsprechenden Schreibern gesorgt, die die Neuankömmlinge sogleich über die wichtigsten Geschehnisse in Kenntnis gesetzt hatten. Auch was die Erfrischungen anbelangte, hatte er genügend Wasser und Wein ordern lassen, sodass am Ende gar noch etwas übrig geblieben war. Ja, an diese offensichtlichen Dinge hatte Dives gedacht, doch die weniger offensichtlichen Dinge hatte er dabei aus den Augen verloren: Der Abstimmungsmechanismus bei der Magister-Frage hatte den Conventus gesprengt! Erst gab es einen, nach einer Weile zwei, dann drei und letztlich wieder nur noch zwei Kandidaten auf diese ehrevolle Position. Das wurde werder dem Amt gerecht, noch dem Rahmen eines Conventus und zu guter Letzt gab es dadurch auch nur ein äußerst mäßiges Vorankommen, was Kandidatur-Reden, Nachfragen und Ergänzungen betraf. Alles in allem also ein völliges Fiasko!
So kam es dann auch, dass die Magister-Frage vertagt und der III. Conventus Societatis für vorerst beendet erklärt wurde. Die Sodales verließen das Domus Societatis und Dives war allein (die paar Sklaven zählte er nicht). Die geplante feierliche Prozession aller Sodales vom Hauptsitz der Societas Claudiana et Iuliana zum Templum Divi Claudii würde es nicht geben - ebensowenig wie ein großes, pompöses Opfer der gesamten Societas anlässlich des 117. Jahrestages der Geburt des Divus Claudius, dem ersten Augustus aus der Gens der Claudier. Zuvor waren natürlich bereits Tiberius und dessen Nachfolger ursprünglich aus der claudischen Gens stammende Augusti, doch durch die Adoptionspolitik des erhabenen ersten Augustus wurden jene noch vor Regierungsantritt rein rechtlich eben zu Iuliern.
Aber darüber dachte Dives nicht nach, als er begleitet nur von ein paar als Opferhelfer gedachten Sklaven zum Templum des Divus Claudius geleitet wurde. Vielmehr beschäftigte ihn, ob der so strahelnd weiße Stier, der als Opfertier ausgesucht worden war, zusammen mit den zur Aufsicht über das Tier befohlenen Sklaven noch vor Ort sein würde. Um den Stier ruhig zu halten würden schließlich einige Mengen Rauschmittel benötigt worden sein...
Dann endlich kam der Tempel in Sichtweite und bereits aus der Entfernung konnte Dives mit Erleichterung feststellen, dass das Opfertier noch immer ruhig vor dem Tempel stand, wo es festgemacht war. Folglich kein Grund zur Aufregung. Das Opfer könnte - wennauch in anderem Rahmen - dennoch erbracht werden. So erklomm Dives dann die einzelnen Stufen des Tempels und reinigte sich beim Eintritt ins Tempelinnere symbolisch, indem er seine Hände in einer Schale voll Wasser wusch und dabei sprach:
"Möge dieses Wasser alle Unreinheit von meinem Körper waschen wie das Verwandeln von Blei in Gold. Reinige den Verstand. Reinige das Fleisch. Reinige den Geist. So ist es."
Dann bedeckte er sein Haupt mit einem Teil seiner toga und trat ehrfürchtig an den Opferaltar. Er ließ sich den Weihrauch lautlos in einer acerra reichen und nachdem er ihn in die entsprechende Feuerstele getreut hatte, bereitete sich binnen kurzer Zeit der Wohlgeruch im ganzen Tempelinneren aus. Dives rief mit nach oben zeigenden Handflächen den Gott Ianus an, wie es zu Beginn eines Opfers Ritus war, um die Verbindung von sich zu den Göttern herzustellen.
"Ianus, Gott des Wandels, der du gleichsam am Anfang und Ende aller Dinge stehst!
Gott der Götter, der du wachst über die himmlischen Tore! Gott des Übergangs!
Ich, Marcus Iulius Dives, Sohn des Caius Iulius Constantius, möchte dir diesen Weihrauch zum Geschenk machen!
Bitte nimm dies Opfer an und lass mich damit ein gutes Gebet sprechen!"
Abschließend wandte er sich nach rechts, womit dieses Gebet beendet war.
Nun, da sich der benebelnde Dampf so wunderbar verteilt hatte, war Dives davon überzeugt, dass Ianus das Weihrauch-Opfer angenommen hatte und eine Verbindung zum Divus Claudius herstellen würde. Somit konnte jetzt das eigentliche Voropfer folgen. Dives lies sich die sorgfältig präparierten Opfergaben reichen, was abermals geräuschlos von Statten ging. Dann nahm Dives die Gaben und streckte sie einzeln dem Gott entgegen, sodass jener auch genau sehen konnte, was geopfert werden sollte.
Anschließend legte er die Gaben am Altar ab: Blumen, Kräuter, Obst und Wein, der in eine entsprechende Öffnung gegossen wurde.
Nun folgte das erste Gebet zum Divus Claudius. Wieder streckte Dives beide Hände mit nach oben zeigenden Handflächen in die Höhe und sprach:
"O Divus Claudius, Schutzherr der Res Publica und des Imperium Romanum und aller Imperatores Caesares Augusti!
Als Du noch auf Erden wandeltest, hast Du die Res Publica gut geführt, die Grenzen des Imperiums bis nach Britannia ausgeweitet und die Romanisierung im Reich vorangetrieben! Auch vom Himmel herab schenkst Du unserem Staat Huld und Segen und mehrst unsere Macht!
Ich, Marcus Iulius Dives, Sohn des Caius Iulius Constantius, Sodalis der Societas Claudiana et Iuliana, möchte dir dafür im Namen der gesamten Societas Claudiana et Iuliana danken!
Ich bitte dich, nimm diese ausgesuchten Opfergaben als Zeichen unseres Dankes an!"
Um dieses Dankesgebet an den Divus Claudius zu beenden, wandte Dives sich nun traditionsgemäß zur rechten Seite um und noch immer war der Ort erfüllt von anmutiger Ruhe und ehrfürchtiger Stille, was durch nichts und niemanden gestört wurde.
So ging Dives mit einem zufriedenen Gesicht nach diesem Voropfer wieder nach draußen, auf dass das Hauptopfer - anders ausgedrückt: der blutige Teil des Opfers - folgen mochte. Die Aufforderung 'Favete linguis!' konnte er sich dabei sparen, da hier nicht ansatzweise Betrieb war und folglich auch ohne diese Worte beinahe Stille herrschte. Erneut wurde Divse eine Schüssel Wasser gereicht, in welcher er seine Hände zur symbolischen Reinigung zu waschen hatte, bevor er sie mit einem weißen Tuch, dem mallium latum, abtrocknete.
Dann trat er neben den strahlend weiß gepuderten (auch wenn das Pudern wohl nicht nötig gewesen wäre) mit weißen und roten infulae mit vittae um die Stirn, einer dorsule auf dem Rücken und vergoldeten Hörnern geschmückten Stier, erhob seine Hände mit zum Himmel zeigenden Handflächen und sprach:
"O Divus Claudius, Schutzherr der Res Publica und des Imperium Romanum und aller Imperatores Caesares Augusti!
Als Du noch auf Erden wandeltest, hast Du die Res Publica gut geführt, die Grenzen des Imperiums bis nach Britannia ausgeweitet und die Romanisierung im Reich vorangetrieben! Auch vom Himmel herab schenkst Du unserem Staat Huld und Segen und mehrst unsere Macht!
Ich, Marcus Iulius Dives, Sohn des Caius Iulius Constantius, Sodalis der Societas Claudiana et Iuliana, möchte dir dafür im Namen der gesamten Societas Claudiana et Iuliana nochmals danken!
Daher möchte ich dir nun diesen mit Argusaugen ausgesuchten schneeweißen Stier zum Geschenk machen!
Und damit möchte ich dich auch bitten, unserem Staat auch weiterhin Huld und Segen zu schenken und unsere Macht zu mehren!
Dann gelobe ich im Namen der Societas Claudiana et Iuliana, dass dir noch viele Opfer dargebracht werden und wir weiterhin deinen Namen in Erinnerung halten! Do ut des."
Mit einer Wendung nach rechts symbolisierte Dives, dass er sein Gebet gesprochen hatte und sogleich wurde damit begonnen, das Opfertier abzuschmücken und mit mola salsa zu bestreichen. Dives bekam seinerseits das Opfermesser gereicht, mit welchem er nun langsam dem Tier scheinbar von Kopf bis Schwanz strich. Bei genauerer Betrachtung würde man sehen, dass er die Klinge knapp über dem weißen Fell hielt. Das schöne Puder sollte ja hierdurch nicht abgestrichen werden.
Dann übergab Dives das Opfermesser dem cultrarius, woraufhin der victimarius mit dem Hammer in der Hand ihm die Frage der Fragen stellte: "Agone?" - "Age!", antwortete Dives mit fester Stimme.
ZACK! - ZACK!
So fand erst der Hammer in perfektem Bogen den Weg auf den Kopf des Ochsen, bevor im Augenblick danach aus einer Halsschlagader zwei halbe wurden. Kraftlos, lautlos und irgendwie ganz unspektakulär sackte das Tier in sich zusammen. Sofort eilten einige Opferdiener herbei, um ein Teil des Blutes in paterae aufzufangen. Dennoch bildete sich innerhalb von nur wenigen Wimpernschlägen eine große Blutlache, die schonmal als gutes Omen gedeutet werden konnte.
Nachdem das Rind ausgeblutet war, wurde der Bauchraum vorsichtig geöffnet, die Eingeweide entnommen und in einzelne paterae gelegt. Die Eingeweideschau könnte beginnen. Dives war gespannt, ob der Vergötlichte sein Opfer angenommen hatte...
Ein Aedituus übernahm die Betrachtung der Innereien des Stiers, der zeitgleich weiter zerlegt wurde. Bisher war das Opfer gut verlaufen, doch hatte es auch in den Augen des Gottes gereicht?
Zunächst untersuchte er das Herz, als wichtigstes Organ: Hier schien alles in Ordnung zu sein! Keine Fehler, Flecken oder sonstige Verunreinigungen waren auszumachen. Es folgten die Leber, die Gallenblase, die Lunge, ... Und so konnte bis zuletzt nur die Reinheit des Tieres festgestellt werden...
Folglich hatte der Divus Claudius sein Opfer angenommen und er konnte "LITATIO!" ausrufen.
Auf dem Altar wurden anschließend die wichtigsten Organe, wie Herz, Leber und Lunge des Tieres verbrannt, um sie so zu Divus Claudius zu überführen. Der größte Teil des genießbaren Fleisches jedoch wurde verpackt und auf direktem Weg zum Domus Societatis Claudianae et Iulianae gebracht, wo es in geeigneten Räumlichkeiten zubereitet werden würde und anschließend an als Gabe der Societas an die Bevölkerung verteilt werden würde.
Dives indes verließ den Opferort und ging in Richtung Casa Iulia. Es war schon spät und morgen würde auch wieder ein langer Tag werden...