"Der nächste Brief trägt die Unterschrift einer Servilia Gemina.", kündigte der Sekretär anschließend an. "Aus Misenum?", erkundigte sich Dives nach kurzem Überlegen. "Aus Roma, steht hier. Abgeschickt am sechsten Tag vor den Nonen des October.", beantwortete der Unfreie. "Hm. Okay. Dann lies.", fiel dem Iulier in der Folge kaum mehr dazu ein.
"... Der Kandidat aus dem Hause der Bavier, welcher meine geliebte Tochter Iulia Phoebe - du kennst sie vielleicht noch von damals, als sie ein Neugeborenes war - heiraten sollte, ist vor kurzem tödlich verunglückt.", las der Sklave, als der Senator hörbar aufstöhnte. "Das ist _doch_ die Servilia aus Misenum.", erklärte er dann. "Die gute Dame war nämlich bereits in ihren letzten Briefen stets davon überzeugt, ich müsste ihre Tochter kennen - obgleich ich meine eigene Kindheit und Jugend doch im fernen Asia und Achaia, nicht hier in Italia verlebte.", kritisierte Dives die Frau für ihr offenbar stures Festhalten an dieser offenkundig fehlerhaften Erzählung.
"... Damit ist er schon der vierte Freier um Iulia - sie mag es ja nicht, wenn man sie bei ihrem Cognomen anspricht - der auf diese Weise in die Unterwelt hinabgestiegen ist.", kam der Sekretär nur unwesentlich weiter, bevor der Aedil ihn neuerlich unterbrach. "Da lügt sie sich wieder einmal nur selbst in die Tasche, sage ich dir. Denn dass sie nicht einmal ihre eigene _Tochter_ beim Cognomen nennen kann, sondern nur steif als 'Iulia' von ihr schreibt, liegt gewiss einzig an ihrer eigenen Abneigung gegen das iulische Geschlecht und nicht an der jungen Iulia.", welche der Senator seinerseits nur beim Gentilnomen nannte, da er sie bisherig nicht persönlich kannte - eine Entschuldigung, welche er für die Servilierin als Mutter selbstredend mitnichten gelten lassen würde.
"... Mein Mann, Kaeso Iulius, der Tartarus mögen ihm ewige Qualen bereiten" - "Ach, diese Frau.", ärgerte sich der Iulier grimmig. "hatte im Zuge einer weiteren seiner wirren Ideen, in seinem letzten Testament verfügt, dass Iulia nicht unter die Patria Potestas ihres nächsten männlichen Verwandten fallen würde, wenn sie innerhalb von drei Monaten nach seinem Tode einen ihrer Freier heiraten würde.", bemühte sich der Sekretär, die divitischen Unterbrechungen nach Kräften zu ignorieren. "Das muss sie gewiss missverstanden haben.", kommentierte der Iulier einmal mehr mit einem Einwurf. "Vermutlich verwechselt sie da die Patria Potestas mit der Tutela Mulierum. Aber fahr fort.", bat er.
"... Jedenfalls hatte Kaeso Iulius dies als seinen letzten Willen aufgesetzt. Er musste somit erfüllt werden. Ich schwöre vor den Göttern, wir haben alles in unserer Macht stehende versucht, doch niemals kam es zum ersehnten Hochzeitsfest. Die Frist ist verstrichen und damit der Wille meines weichlichen, toten Mannes erfüllt. Iulia befindet sich nun unter deiner Patria Potestas, als ihrem nächsten männlichen Verwandten." Mit großen Augen saß der Iulier hinter seinem Schreibtisch. Dann schüttelte er kurz seinen Kopf. "Notiere dir, dass ich dieses Testament unbedingt sehen muss, bevor ich mich auf das Wort dieser Frau verlasse, die gewiss nicht ganz unschuldig ist an dem frühen Ableben meines Verwandten Iuvenalis.", unterstellte Dives - der wohl selbst in einer vergleichbaren Ehe steckte und darob das größte Verständnis für den verblichenen Iulius Iuvenalis hatte - der Servilia.
"Außerdem hat Marcus Iulius Proximus, der Besitzer der iulischen Villa in Misenum, seine Drohung wahr gemacht und uns die Tür gewiesen." Dives, der vor seinem Sklaven kein Geheimnis daraus machte, dass er keine allzu hohe Meinung von der Absenderin dieses Briefes hatte, konnte sich eines Kopfschüttelns nicht erwehren. "Und aus welchem Grund überrascht sie das?" So sie auch in Gegenwart seines Onkels Proximus derart abfällig über die Iulier und ein Mitglied der ihren gesprochen hatte, war diese Reaktion Proximus wohl nur eine Frage der Zeit gewesen.
"... Ich bitte dich, Marcus Iulius, gewähre uns in deinem Domus zu wohnen.", hallte der Satz der Sätze dieses Schreibens dem fernen Donnergrollen eines langsam nahenden Unwetters mehrfach im Kopf des Senators nach, sodass er in der Folge den Rest des Briefes nur mit einem Ohr noch mitbekam. "Ihr Götter steht mir bei.", entwich es letztlich seinen entgeisterten Gesichtszügen. "Leg den Brief auf den gleichen Stapel wie jenen des Iulius Babilus und lass uns die restlichen Briefe morgen vornehmen.", bat er anschließend. "Diesen servilischen Schock muss ich erst einmal verarbeiten..."