Da der Iulier eine Vermutung definierte als etwas, das jemand vermutete, wie ihm wiederum 'etwas zu vermuten' nicht anderes war als 'etwas für glaubhaft oder wahrscheinlich zu halten', vermochte er die erneute Rede des Iunius von einer Vermutung nicht ganz nachvollziehen zu können. Denn noch immer betrachtete Dives diese Tabula, wie sie hier allein und nur für sich genommen lag, als ein Indiz, welches faktisch auf das Umfeld eines jeden Opfers der mercatorischen Gerüchteküche weisen konnte. Zu der vom Tribun geäußerten Vermutung, dass jemand im Umfeld ausgerechnet der Iulier für den Mord damals verantwortlich wäre, führte ihn allein dieses einzelne Indiz jedenfalls mitnichten. Indes war es wohl erheblich wahrscheinlicher, dass die Tabula nicht das einzige Indiz war, welches den Iunier auf ausgerechnet das iulische Umfeld sich fokussieren ließ, sodass der Senator nun seinerseits zu einer gefährlichen Vermutung kam...
Der Tribunus hatte es bislang vermieden, zu erwähnen, woher er die Tabula erhalten hatte, während der Quaestorier jedoch wusste, dass es der neuste Gespiele Decimus Serapios war, der sie einst vom Tatort entwendet und wohl auf direktem Wege zu seinem Liebhaber gebracht hatte. So hatte es namentlicher Borkan dereinst erzählt. Die ebenfalls involvierte Quintilia Valentina nach ihrer unerwartet freundlichen Tempelbegegnung aus einem Bauchgefühl heraus ausschließend, richtete sich die divitische Vermutung in der Folge also recht eindeutig gegen den Decimer und seinen Bettgenossen. Sie mussten wohl die Tabula - welche der Senator heute tatsächlich zum ersten Mal erblickte, wenngleich ihm ihre Existenz selbstredend bereits zuvor alles andere als unbekannt war - an den Tribun gegeben haben. Sie mussten vermutlich auch den Namen der Quintilia aus dem Schriftstück gelöscht und selbiges folglich bewusst verändert - manipuliert - haben. Denn in der vorliegenden Fassung fehlte ihr Name, wie sie dereinst jedoch selbst berichtete, auf der Wachstafel erwähnt zu sein. Und nachdem das Schriftstück allein offenkundig wenig Aussagekraft besaß, mussten sie, der Decimer und sein neuer Gefährte, darüber hinaus wohl auch den iunischen Tribun derartig zu beeinflussen versucht haben, dass er hier und heute nun erklärte, den für den Händlermord Verantwortlichen im Umfeld des Iuliers und seiner Familia zu vermuten.
Während der Iunier nachfolgend nun davon sprach und dem Senator dazu riet, ein Auge auf sein Umfeld zu haben, stahl sich ein enttäuschtes Lächeln auf die iulischen Lippen. Denn just in diesem Augenblick wurde ihm klar, dass er sich wohl einmal mehr hatte vom Decimer hintergehen lassen. Es läge ihm fern, Dives und den Seinen schaden zu wollen. Andernfalls auch hätte er nicht das Gespräch mit dem Quaestorier gesucht, sondern sich an eine höhere Stelle gewandt. Auf diese oder ähnliche Weise mochte sich Decimus Serapio wohl damals geäußert haben. Ob Dives dies bisher geglaubt hatte, wusste er augenblicklich selbst nicht genau zu sagen. Spätestens mit diesem Gespräch nun jedoch war der Glaube allerdings ohnehin einerlei und hinfällig geworden und machte Platz für die Gewissheit einer neuerlichen Enttäuschung.
"Ich danke dir für deinen Rat, Iunius, und versichere dir, dass ich künftig noch acht- und sorgsamer mit meinem Vertrauen umgehen werde.", erklärte er nicht zuletzt auch sich selbst mit einem unglücklichen Lächeln, sich nicht noch einmal Hals über Kopf und voll jugendlich-naivem Vertrauen in etwas zu stürzen, das ihm am Ende nur solche Schmerzen bereitete. Der strahlend schöne Callistus war mutmaßlich ohnehin in die germanischen Provinzen zurückgekehrt und damit bereits von sich aus außerhalb der divitischen Reichweite, wie Dives sämtliche künftigen Bekanntschaften 'nur' distanziert genug auf Abstand halten müsste. Und dies, so sagte er sich, sollte wohl zu schaffen sein. "Ferner möchte ich dir für deine Einladung zu diesem Gespräch und deine Offenheit in selbigen danken, wie auch ich nur hoffe, bei unserer nächsten Begegnung über Erfreulicheres mit dir sprechen zu können.", erhob sich der Iulier letztlich, als die Verabschiedung eingeleitete wurde. "Vale, Tribunus Iunius.", erwiderte er anschließend höflich lächelnd den Abschiedsgruß, bevor er schweren Schrittes erst das tribunische Officium und hernach die Castra Praetoria verließ.