| Quintus Petilius Rufinus
Der Augenblick der Wahrheit nahte mit großen Schritten, bis er letztlich da war, der Moment, in welchem sich auf einmal die Augen halb Romas auf ihn richteten.
"Ho...", versagte dem Petilier schon gleich zu Beginn die eigene Stimme ihren Dienst. Hastig nahm er die rechte Faust vor den Mund und räusperte sich. Seine Ohren begannen zu glühen vor Aufregung. "Hohes Gericht! Verehrte Ehrengäste! Geschätztes Volk von Roma!" Quintus fing den etwas mürrischen Blick eines wohlhabend gekleideten Mannes aus der vordersten Zuschauerreihe ein. Kurz senkte der Petilier den Kopf und sah auf den Boden, während er in sich ging und noch einmal tief durchatmete. Anschließend sah er wieder auf und knapp über die Köpfe des Publikums hinweg.
"Mein Name ist Quintus Petilius Rufinus, Sohn des Quintus Petilius Sophus, Enkel des Quintus Petilius Rufus, und ich stehe heute hier vor euch, den Griechen Theseus zu verteidigen", erklärte er und ließ eine kurze Kunstpause folgen, "zu verteidigen gegen einen Vorwurf, der kurioser kaum sein könnte! Denn dieser Theseus, das lässt sich nicht leugnen, ist ein Held - ja, ein wahrhaftiger Held!", unterstrich Quintus mit seiner zur Faust geballten linken Hand, bevor er selbige senkte und mit seinem rechten Zeigefinger einmal oberflächlich das Publikum musterte. "Aber ich sehe sie genau, die Skepsis in den Augen einiger hier. Deshalb will ich euch nicht mit leeren Phrasen überschütten, sondern will zeigen, weshalb es für mich außer Frage steht, es hier mit einem wahren Helden zu tun zu haben." Er hob seinen rechten Zeigefinger, die Anwesenden zu erhöhter Aufmerksamkeit zu bewegen.
"Theseus wurde geboren als Sohn der Königstochter Aithra, während die einen im attischen König Aigeus - die anderen in keinem Geringeren als dem großen und mächtigen Poseidon seinen Vater sehen.", ließ Quintus kurz wirken. "Doch machte allein nur seine königlich-göttliche Abstammung den Divus Iulius zu einem Helden Romas?", zog er sodann eine Parallele, welche das Publikum heimlich auf seine Seite zu ziehen versuchte. Denn während die Geschichte des Griechen Theseus für viele stadtrömische Bürger mutmaßlich weit entfernt und lange her schien, war die Geschichte des Iuliers, eines Bürgers ihrer Stadt, ihnen doch vermutlich weitaus näher, wie sie zudem selbstredend auch mehrere Jahrhunderte jünger war. "Nein! Es war nicht allein seine Abstammung, sondern vor allem sein Einsatz für EUCH, seine Taten für das Volk von Roma, welche ihn zu einem zurecht bis heute verehrten Helden werden ließen.", beschwor der Petilier das Publikum und beendete mit einer künstlichen Pause seinen Vergleich.
"Also richten wir unseren Fokus nun auf die Taten des Theseus - und wir erkennen, dass auch er viel getan und geleistet hat für SEIN Volk, das Volk der Griechen. So nahm er am Argonautenzug teil und war an der Erlegung eines großen und gefährlichen Untiers, des Kalydonischen Ebers, beteiligt. Ferner wählte er nicht den sicheren Seeweg, von Troizen aus - seiner Geburtsstadt, in welcher er bei seiner Mutter aufwuchs - ins Zentrum der griechischen Welt nach Athen - wo sein Vater Aigeus als König residierte - zu reisen. Stattdessen entschied er sich für den ungleich gefährlicheren Landweg, auf welchem er den räuberischen Keulenträger Periphetes im Ringkampf töte. Er brachte den bekannten Straßenräuber Sinis zur Strecke, als jener ihn zu überfallen versuchte. Er befreite die Stadt Krommyon von der dort wütenden krommyonischen Sau Phaia. Er besiegte und tötete den gemeinen Straßenräuber Skiron, den mordenden Ringer Kerkyon und den riesigen Wegelagerer Prokustes - und hatte schon damals, als er sich am Fluss Kephissos vom Blutvergießen rituell reinigen ließ, viel getan für sein griechisches Volk und insbesondere die Sicherheit der Reisenden.", teilte Quintus die lange Liste der großen Taten seines Klienten mit dem Publikum. "Doch seine größte und bedeutendste Heldentat, die sollte erst noch folgen." Nach dieser Ankündigung nickte er kurz bestätigend und ließ eine weitere Kunstpause.
"Athen, eine Stadt im Herzen Griechenlands wie Roma eine Stadt im Herzen von Italia, war verantwortlich gemacht worden für den Tod des minoischen Königssohnes Androgeos. So griff denn der kretische König Minos die Athener an, bezwang sie und bescherte ihnen, so möchte ich sagen, ihr griechisches Cannae.", sparte Quintus auch weiterhin nicht an Parallelen, welche die anwesenden Römer auf die Seite des Atheners Theseus ziehen und zugleich gegen die Partei der kretischen Klägerin aufbringen sollte. "Die Athener wurden gezwungen, alle neun Jahre sieben Jünglinge und sieben Jungfrauen als Menschenopfer für den Minotaurus - ein grausames Ungetüm, halb Mensch, halb Stier - nach Kreta zu schicken." Er schüttelte betroffen seinen Kopf. "Ich sage euch, auch die einstigen Punier unter ihrem Feldherrn Hannibal hätten sich gewiss kaum eine schlimmere Strafe einfallen lassen können.", bekam zuletzt auch Minos noch seinen Part in diesem Vergleich zugewiesen.
"Jedoch mein Klient Theseus meldete sich freiwillig, als einer der zu opfernden Jünglinge nach Kreta zu reisen, um dort den Minotaurus des Minos genauso unschädlich zu machen, wie einst auch der berühmte Cornelius Scipio aufbrach nach Zama, Hannibal und dessen ungetüme Elefanten heldenhaft und vernichtend zu schlagen!", schüttelte Quintus nach dem Divus Iulius nun noch einen weiteren römischen Helden aus seinen Togafalten. "Und ich kann euch sagen, wie Cornelius Scipio mit taktischem Geschick die Elefanten des Hannibal bei Zama ausmanövrierte und so mit Leichtigkeit unschädlich machte, so vermochte es auch Theseus letztlich mit taktischem Geschick und Raffinesse den kretischen Minotaurus zu töten, bevor er alle mit ihm nach Kreta gereisten Athener wieder sicher zurück in ihre Heimat führte. Wäre mein Klient Theseus ein Römer, ja, er würde nach dieser Tat für sein Volk den Ehrennamen 'Creticus' genauso tragen, wie man Cornelius Scipio seit Zama auch anerkennend 'Africanus' nennt.", beendete der Petilier seine Ausführungen dazu, weshalb er seinen Klienten Theseus unbedingt für einen großen Helden hielt.
"Ich stelle also fest, dass Theseus ohne jeden Zweifel ein Held ist, der Großes geleistet hat für Athen und die Athener Bevölkerung. Hat er im Rahmen dieser Heldentat nun der Ariadne sein Eheversprechen gegeben? - Die einfache Antwort darauf lautet, ja, das hat er.", gab Quintus in nüchternem Tonfall unumwunden zu. "Doch tat er dies aus völlig freien Stücken? Ich wage es zu bezweifeln. - Wurde er indes von Ariadne, über ihre möglichen Motive mag man spekulieren, in dieses Eheversprechen gezwungen? Ich vermag es nicht auszuschließen. - Und zu guter Letzt", betonte er die Climax seines Trikolon, "war dieses Eheversprechen - ob nun freiwillig oder erzwungen - überhaupt gültig und bindend, bedenkt man, dass die Klägerin Ariadne gewiss nicht die Zustimmung ihres eigenen Vaters Minos zu einem Eheschluss mit dem für Athen und gegen Kreta kämpfenden Theseus hatte?!" Mit großen Augen blickte der Petilier auffordernd in die Menge. "Ich vermute nicht nur, sondern bin mir sogar überaus sicher, dass sie diese Zustimmung nicht hatte. Und bei allen guten Sitten, DAS ist eine absolute Ungeheuerlichkeit!", wurde so nun letztlich der zweite Teil der Rede eingeleitet, in welchem es hauptsächlich um Ariadne gehen würde.
"Ihr Römerinnen und Römer, die ihr euch treu an die Sitten und Traditionen haltet, ich appelliere an euch, die Klägerin Ariadne nicht für das zu sehen, was sie nicht ist. Denn sie war ihrem Vater keine treue und sittsame Tochter, sich zweifellos ohne seine Zustimmung mit dem Sohn des Feindes verloben zu wollen und anschließend mit ihm gar aus dem Reich des Vaters zu fliehen. - Das, Quiriten, ist weder sittsam noch treu; es ist im Gegenteil sogar nicht weniger als ein Verrat am eigenen Vater!", empörte sich Quintus. "Doch was weiß Ariadne überhaupt vom Pflichtgefühl gegenüber der eigenen Familia? IHR, Quiriten, wisst ALLE, was es heißt, der eigenen Familie und den eigenen Ahnen treu zu dienen, den eigenen Namen hochzuhalten - sei er Flavius, Veturia oder Decimus.", bediente er sich exemplarisch bei den Namen der drei Richter, "IHR ALLE wisst, was es heißt, für die eigene Familie - und im Zweifelsfall gegen jedweden Widerstand - einzustehen! Nie würdet ihr auf die Idee kommen, jemanden bei der Ermordung eures eigenen Bruders zu unterstützen." Der Petilier riss in erregter Empörung die Hände nach oben. "Die Klägerin Ariadne hingegen verriet nicht nur ihren eigenen Vater, sondern lieferte meinem Klienten Theseus überdies sogar eigenhändig jene Waffe, welche ihren Halbbruder, den Minotaurus, in der Folge aus dem Leben befördern sollte. - Ja, die Klägerin ist eine Verräterin! Eine Verräterin an ihrer eigenen Familie!", redete er sich allmählich in eine Rage gegen Ariadne.
"Doch selbst damit noch nicht genug, versucht sie jetzt auch euch, Quiriten - jeden Einzelnen von euch - zu betrügen, zu hintergehen und hinters Licht zu führen! So berichtet sie in ihrer ersten Anhörung mitleiderregend davon, wie sie allein und schwanger auf der Insel Naxos ausgesetzt und von meinem Klienten Theseus verlassen wurde. Dabei sieht die Wahrheit doch eigentlich ganz anders aus!", erhob Quintus einmal mehr seinen tadelnden Zeigefinger gegen die Klägerin. "Denn längst - und ich wiederhole längst - hat sie schon einen neuen Mann sich an Land gezogen! So hat sich, kaum dass mein Klient die Insel Naxos in Richtung Athen verlassen hatte, bereits kein Geringerer als Dionysos der seither alles andere als schwanger auf sich allein gestellten Ariadne angenommen.", förderte der Petilier auch die zweite Hälfte der Wahrheit mit Vergnügen noch ans Tageslicht. "Und ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und stelle die Vermutung in den Raum, dass diese gesamte Klage der Ariadne einzig und allein nur den einen Grund hat, mit einer öffentlichen Verurteilung meines Klienten selbst besser dazustehen und sodann gleich in das nächste Eheversprechen sich zu stürzen!" Es folgte ein energisches Kopfschütteln.
"Deshalb fasse ich am Ende meiner Rede noch einmal alle Fakten zusammen und stelle fest, dass auf der einen Seite mein Klient Theseus ein wahrhaftiger Held ist, der genauso Großes leistete für Athen wie einst auch Cornelius Scipio Africanus Großes leistete für Roma. Auf der anderen Seite steht die Klägerin Ariadne, die sich auszeichnet vor allem durch ihre fehlende Sittsamkeit und Treue, ihr fehlendes Familiengefühl, und nicht zuletzt natürlich auch ihre dreiste Schamlosigkeit." Quintus holte vor seinem finalen Todesstoß noch einmal tief Luft. "Denn hohes Gericht, verehrte Ehrengäste und ihr geschätzten Quiriten, wir befinden uns hier und heute auf römischen Boden in Roma. Hier gilt folglich nicht zuletzt auch unser gutes römisches Recht. Und jenes zuletzt, das gebe ich dem hohen Gericht überaus mahnend zu bedenken, lehnt jeglichen Zwang zur Ehe entschieden ab. So rufe ich daher das hohe Gericht und alle Anwesenden auf, dieser klar und deutlich gegen die guten Sitten verstoßenden Klage auf einen Bruch des heiligen Eheversprechens mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten, sie abzuweisen und der Klägerin nicht auch noch die Möglichkeit zu geben, vor einer derart breiten Öffentlichkeit und den höchsten Vertretern Romas ihre falsche Selbstdarstellung weiter zu verbreiten.", brachte der Petilier sein stärkstes Argument samt zugehöriger Schlussfolgerung und einem entsprechenden Appell selbstredend erst zum Schluss seiner Rede an. Nicht zuletzt auch hätte er wohl kaum noch viel lobpreisen und wettern können, hätte er auf die Unsittlichkeit dieser Klage bereits zu Beginn seiner Rede hingewiesen.
So also hatte Quintus seine Wettbewerbs-Rede hinter sich gebracht. Sein erster Blick selbstredend ging sodann in Richtung seines Vaters, den er mittlerweile natürlich ausgemacht hatte im Publikum. Dabei konnte der junge Petilier nur hoffen, dass der ältere Petilius am Ende doch etwas Gefallen gefunden hatte an den Ausführungen seines Sohnes. Vielleicht bekäme Quintus Minor am Ende gar erstmals ein Lob des Quintus Maior zu hören? - Es war eine Stille Hoffnung, vor deren Erfüllung oder Nicht-Erfüllung in jedem Fall jedoch zunächst erst einmal die Beantwortung möglicher Fragen des Richtergremiums stand.
Sim-Off:Edit: Rechtschreibung will gelernt sein.