Beiträge von Petronia Octavena

    Ich will mich eigentlich nicht groß in die Diskussion hier einmischen, möchte aber kurz die Warnungen von Stella und Maesa an der Stelle wirklich auch nochmal bekräftigen. Wir leben in wirklich massiv wissenschaftsfeindlichen bis -leugnenden Zeiten und da stoßen einfach ein paar gut gemeinte Argumente in die Richtung von mehreren gleichberechtigten Ansichten an ihre Grenzen. Nichts gegen Yoga, die berühmte Gemüsesuppe oder einen guten Tee, aber passt auf mit den Relativierungen. Physische wie psychische Erkrankungen gehören medizinisch behandelt und der Weg von etwas zu blauäugigen Argumenten pro "Natürlichkeit" und gegen "die" Medizin zu wirklich gefährlichen Thesen, die schlicht und ergreifend in der extremsten Form Leute umbringen, kann wirklich erschreckend kurz sein. (Was auch der einzige Grund ist, warum ich mich hier gerade äußere. Ich habe das live miterlebt und dieses Kippen kann schnell passieren und ist alles andere als schön.) Ich möchte das niemandem hier unterstellen und lese eure Posts hier erstmal auch nur als Austausch, aber die Einwände, die hier kamen, sind schon wirklich wichtig. Und wenn es nur ist, damit sie als kleine Erinnerung an alle geäußert wurden.

    Octavena schmunzelte und merkte, wie etwas von der Anspannung, die sie schon den Morgen über begleitet hatte, von ihr abfiel. "Calvena ist notorisch schlecht in Wegbeschreibungen, aber wenn ich sie richtig verstanden habe, sollte er irgendwo da hinten stehen", erwiderte sie, allerdings ohne echte Abneigung in ihrer Stimme, und deutete vage nach vorne in die Richtung, in die sie ohnehin gingen. Sie mochte Calvena wirklich, betrachtete sie sogar als eine ihrer wenigen echten Freundinnen, weil sie zu denen gehörte, die auch zu ihr gehalten hatten, als sie sich nach dem Tod ihres Mannes eine Weile zurückgezogen hatte. Nur redete ihre Freundin auch viel und war wenig pragmatisch, weshalb es schwer sein konnte, ihr eine klare Antwort auf so banale Fragen wie der nach einer Ortsangabe zu entlocken. "Mal sehen, ob wir diesen ... Crius? Crixus? ... Ich bin mir nicht mehr sicher, wie sein Name war, aber es war irgendetwas in die Richtung." Octavena zuckte mit den Achseln. "Na ja, wir werden schon rausfinden, ob er heute hier ist und wir seinen Stand finden. Aber in jedem Fall sind angeblich seine Waren im Moment wohl der letzte Schrei in der Stadt." Ihre Stimme nahm bei diesen Worten einen gespielt verschwörerischen Tonfall an, obwohl Octavena wusste, dass sie davon überhaupt erst eher spät als früh erfahren hatte. Früher, da hätte sie das vielleicht gestört, aber da hatte es auch noch nicht so viele Dinge in ihrem Leben gegeben, die nun einmal ihre Aufmerksamkeit beanspruchten. Und in den letzten Monaten waren das eher mehr als weniger geworden.


    Im Grunde störte sie das auch nicht zu sehr. Ruhige Abende bei einem Glas Wein, wie Dagmar sie kurz darauf vorschlug, kamen Octavena ohnehin inzwischen immer verlockender vor. Sie war zwar nicht alt - noch nicht - aber sie war auch nicht mehr so jung, als dass sie Ruhe nicht zu schätzen gewusst hätte. Sie mochte den Trubel, mochte es, in Bewegung zu sein, mochte es, etwas zu tun zu haben, aber irgendwann brauchte es nun einmal auch Pausen davon. "Sehr gerne", erwiderte sie also lächelnd und blieb kurz stehen, um ihren Blick über ein paar Stoffauslagen eines Standes streifen zu lassen, den sie passierten, ging aber direkt weiter, als nichts davon ihre Aufmerksamkeit länger hielt. "Vielleicht bekomme ich ja auch Ildrun dazu, sich uns ab und zu mal anzuschließen. Die Übung würde ihr guttun und vielleicht gefällt es ihr ja sogar." Octavena verzog ein klein wenig das Gesicht, verkniff sich aber gerade noch selbst das Seufzen, das sie am liebsten hinterher geschickt hätte. Das war natürlich utopisch. Ildrun würde sich eher mit Händen und Füßen wehren, bevor sie sich mit ihrer Mutter und ihrer Tante hinsetzte und die Abende nähend verbrachte. Aber irgendwann würde selbst Octavenas störrische Tochter lernen müssen, dass sie nicht ewig ein Kind bleiben konnte, das durch die Villa Duccia tobte, als ob sie nichts je dazu bringen konnte, doch erwachsen zu werden. Sie schüttelte den Kopf. "Ich habe nichts Besonderes im Sinn. Ich habe mich eigentlich nur von Farold dazu überreden lassen, ihm noch einmal etwas von dem Leim mitzubringen, mit dem er so gerne bastelt", fuhr sie mit einem kleinen Grinsen fort. "Das werde ich zwar bereuen, aber versprochen ist versprochen. Ansonsten will ich mich nur umsehen, was mich so spontan anlacht." Octavena lachte unwillkürlich. "Was dann wohl bedeutet, dass ich wahrscheinlich wirklich wieder nur Schmuck kaufe. Vielleicht schaue ich aber nach ein paar Stoffen. Ich hätte eigentlich gerne ein paar mehr Tücher, wenn es im Herbst dann wieder kühler wird. Ich habe das Gefühl alles, was ich noch zu Hause habe, ist inzwischen entweder zu schwer für die Übergangszeit oder ein wenig zu alt und abgetragen."

    Es war ein schöner Sommertag, selbst nach Octavenas Maßstäben, und damit eigentlich auch eine perfekte Gelegenheit, um eben dieses gute Wetter zu nutzen und mal wieder nach Mogontiacum auf den Markt zu gehen. Octavena hatte es sich seit dem Frühjahr selbst nach und nach wieder angewöhnt, öfter wieder ihr Gesicht in der Stadt zu zeigen und ihre Freund- und Bekanntschaften dort zu pflegen, aber sie war noch immer seltener nur zum Vergnügen hier als früher. Als junges Mädchen, kurz nach ihrer Ankunft in Mogontiacum, war sie oft einfach so hier gewesen, aber dafür fehlte ihr inzwischen oft die Zeit. Nicht immer, aber doch wenigstens meistens. Oder zumindest hatte sie das Gefühl, dass das so war. Böse Zungen - also allen voran ihre Tochter - fanden ja, dass Octavena einfach nur ein Problem damit hatte, Kontrolle abzugeben und schlecht die Dinge einfach laufen lassen konnte, aber da war Octavena ihrerseits natürlich anderer Ansicht. Jedenfalls, wenn man sie danach fragte.


    Sie war auch heute nicht ganz entspannt, obwohl sie sich darauf gefreut hatte, herzukommen. Sie ging wirklich gern auf den Markt, das hatte sie schon immer, und sie war dieses Mal auch nicht allein unterwegs, sondern hatte sich mit Dagmar verabredet, mit der sie nun anfing, zwischen den Ständen herumzuschlendern. Trotzdem hatte sie sich heute morgen - mal wieder - mit Ildrun gestritten, die es nach wie vor nicht müde wurde, nur Widerworte zu geben und der alles, was ihre Mutter so sagte, nicht in den Kram passte. Und diese Streitereien waren auch jetzt noch immer genauso kräftezehrend, wie eh und je. Auch deshalb war es wohl gut, einmal rauszukommen, aber ganz abgeschüttelt hatte Octavena das Gefühl bisher nicht bekommen. Auch wenn sie sich Mühe gab.


    "Es ist schön, mal wieder hier so in Ruhe unterwegs zu sein. Ich vergesse immer, wie sehr mir das fehlt bis ich mal wieder herkomme", sagte sie trotzdem - oder gerade deswegen - zu Dagmar, während sie so zwischen den Ständen entlang gingen und lächelte. "Meine Freundin Calvena meinte, als ich sie vor einer Weile besucht habe, dass jetzt wohl ein neuer Händler mit wirklich schönem Schmuck öfter hierher auf den Markt kommt, bei dem muss ich glaube ich auch mal vorbeigehen. Willst du dir auch etwas Bestimmtes ansehen?"

    Duccia Camelia (Ildrun)

    "Das könnte dir mit Asper und Papias wohl auch passieren", erwiderte Ildrun auf Tariqs Ausführungen über die Hunde in seiner Heimat, grinste aber dabei breit, um deutlich zu machen, dass sie das nur halb ernst meinte. An sich stimmte natürlich, was sie sagte: Die beiden konnten gefährlich sein - sie waren es nur eben nicht gerade jetzt, wo sie es sich gerade träge auf dem Boden bequem machten und sonst weder Tariq noch Ildrun im Moment viel Beachtung schenkten. "Jedenfalls, wenn du sie ärgern würdest." Die Erklärung, dass er sonst einfach vor allem mit deutlich gefährlicheren Tieren zu tun gehabt hatte, ergab allerdings schon mehr Sinn als die Vorstellung, dass er einfach aus einem Land kam, in dem es keine Hunde gab. Wahrscheinlich hatte Farold auch bei dem Rest, den er so geplappert hatte, irgendetwas falsch verstanden und Cappadocia war gar nicht so viel anders als Mogontiacum.


    Bei seiner nächsten Frage hielt Ildrun kurz inne und sah ihn prüfend an, konnte aber keine Kritik in seinem Tonfall oder seinem Blick erkennen. "Ich bin gerne draußen", erwiderte sie dann wahrheitsgemäß. "Und ich mag die Hunde. Eigentlich die meisten Tiere." Sie zögerte erneut, als ihr klar wurde, dass das vermutlich eine ziemlich nichtssagende Erklärung war, wenn man das Leben in der Villa nicht kannte. "Ich war einfach schon immer viel draußen und außer meiner Mutter hat da auch nie jemand etwas dagegen gehabt", erklärte sie und zuckte dazu beiläufig mit den Achseln, so als ob sie über die normalste Sache der Welt redete, denn tatsächlich tat sie das ja auch, jedenfalls in ihrer Welt. "Das war schon immer so und na ja ... ist eben auch so geblieben. Ich kenne das gar nicht anders." Natürlich wusste Ildrun auch irgendwo, dass sie damit deutlich anders aufwuchs als die meisten anderen Mädchen - ihre manchmal dann doch sehr römische Mutter mit manchmal doch sehr römischen Erziehungsvorstellungen erinnerte sie da ja schließlich oft genug daran - aber das änderte nichts daran, dass für Ildrun diese Freiheiten, die sie hier genoss, schlicht selbstverständlich waren. Seit sie laufen konnte war sie immer zuerst nur durch die Villa und später über das gesamte Gelände getobt, sei es allein oder mit den Kindern der Angestellten. Sie kannte jeden Winkel hier, jedes Versteck. Die Villa und das Gelände drumherum waren nun einmal ihr Zuhause. Sie grinste verschwörerisch. "Und draußen ist es leichter, den Regeln meiner Mutter aus dem Weg zu gehen."

    Auch von mir alles Gute! Wir hatten zwar Simon wie Simoff das letzte Mal vor einer gefühlten Ewigkeit direkt miteinander zu tun, aber ich habe immer noch gute Erinnerungen an meine Anfangszeit, als ich hier gefühlt ziemlich chaotisch reingestolpert bin, und war/bin dir damals wie heute dankbar für die nette Aufnahme ins IR damals. In gewisser Weise springe ich deshalb heute noch immer hier rum :D In dem Sinne schließe ich mich den anderen an und vielleicht liest man sich ja doch in ferner Zukunft wieder ;)

    Duccia Camelia (Ildrun)

    Ildrun grinste selbstzufrieden, als Tariq sich von ihr provozieren ließ. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie damit voll ins Schwarze getroffen hatte und er das jetzt nur nicht vor ihr zugeben wollte. Trotzdem stichelte sie nicht weiter, schließlich gab es für sie keinen Grund, Streit zu suchen. Sie fühlte sich nur für den Moment noch ein klein wenig selbstbewusster als ohnehin.


    Als Tariq dann tatsächlich ihrem Vorschlag nachkam und Asper die Hand hinhielt, um den Hund daran schnuppern zu lassen, sah Ildrun ihm sowieso ganz genau an, dass er sich mehr vor dem Tier fürchtete als er gerade behauptet hatte. Ildrun dagegen beobachtete vollkommen entspannt, wie Asper sich genau so verhielt, wie sie erwartet hatte: Er schnupperte einen Moment an Tariqs Hand und verlor dann schnell wieder das Interesse und machte kehrt, um zurück in Richtung Torschatten zu trotten. Was Ildrun schon vorher gewusst hatte, schien Tariq dagegen ehrlich zu überraschen und das wiederum ... wunderte Ildrun dann doch. "Was hast du denn erwartet?", fragte sie und runzelte die Stirn. Nicht, dass er mit seiner Vorsicht gegenüber den Hunden vollkommen falsch gelegen hätte, das wusste sogar Ildrun, auch wenn sie das gerne leugnete. Asper und Papias waren gerade vollkommen ruhig und entspannt, weil sie wiederum entspannt war und sie wussten, dass dann im Moment keine Gefahr von Tariq ausging, auch wenn er ein Fremder war. Hätten sie ihn als Eindringling oder Bedrohung wahrgenommen, hätte diese Begegnung aber auch anders ablaufen können. Aber so, mit Ildrun direkt in der Nähe? Da gab es eigentlich nichts zu befürchten. "Haben die Leute da, wo du herkommst, keine Hunde?" Das erschien ihr zwar merkwürdig, aber es hätte immerhin erklärt, warum er sich jetzt für die Hunde der Villa interessierte, obwohl es nicht so wirkte, als ob er sie tatsächlich mochte. Und Ildrun wusste tatsächlich sehr wenig über Cappadocia und hatte auch ihrem Bruder bei seinem Geplapper nicht wirklich zugehört, mit dem er ihr schon brühwarm mehr oder weniger alles weitererzählt hatte, was er bisher so über Tariq und dessen Heimat aufgeschnappt hatte. Nachdem Farold aber auch irgendetwas von Feuer erzählt hatte, das aus dem Boden kam, wäre ein Land, in dem die Leute keine Hunde hielten, vermutlich noch verhältnismäßig unspektakulär gewesen. Zumindest, wenn seine Fantasie nicht schon wieder mit ihm durchgegangen war oder er irgendetwas falsch verstanden hatte.

    Duccia Camelia (Ildrun)

    Bei Tariqs Antwort legte Ildrun den Kopf ein wenig schief. Was glaubte er denn, wie viele lang abwesende Familienmitglieder mit Gästen im Schlepptau normalerweise so bei ihnen aufschlugen? Natürlich meinte sie Hadamar. "Ja, den meine ich", sagte sie trotzdem schlicht, ging aber nicht weiter auf die Verwandtschaftsverhältnisse ein, sondern versuchte, sich einfach nur unbeeindruckt zu wirken. Das hätte bedeutet, zu erklären, wie genau sie mit Hadamar und seinen Geschwistern verwandt war, und das wiederum hätte bedeutet, über ihren Vater zu sprechen, was das letzte Thema war, das sie einfach so mit einem Wildfremden anschneiden wollte. Abgesehen davon verstand sie sowieso nicht ganz, warum man Verwandtschaft so aufdröseln sollte. Am Ende war sowieso alles einfach Familie. Ob ein Onkel jetzt ein Onkel war, weil er ein Vetter zweiten oder dritten Grades ihres Vaters gewesen oder doch wieder anders verwandt war, war dann auch schon egal.


    Tariq schien allerdings ohnehin in Redelaune zu sein, denn er fuhr direkt damit fort, ihre erste Frage zu beantworten. Ildrun hörte ihm zu und streckte dabei beiläufig wieder die Hand nach Papias aus, der weiter neben ihr stand und zwar kurz zu Tariq hinübersah, aber wohl mehr auf Streicheleinheiten aus war als sich um den Fremden zu kümmern. So vorsichtig wie Tariq die beiden Tiere beobachtete, glaubte Ildrun zwar nicht, dass er Hunde unbedingt mochte, aber damit war er nicht der erste, der den beiden mit vorsichtiger Skepsis begegnete. Und auch nicht der erste, bei dem ihr das ihrerseits weitgehend egal war.

    "Kommt drauf an, wen du fragst", erwiderte sie stattdessen auf seine Frage und zuckte mit den Achseln. "Meine Mutter hat Angst vor ihnen." Weil ihre Mutter wie immer mit allem maßlos übertrieb und auch sowieso nicht besonders gut mit Tieren konnte. "Aber mich mögen sie." Ildrun strich Papias weiter sanft über den Kopf, während Asper nun neugierig in Tariqs Richtung guckte und dabei ein wenig mit der Nase schnupperte, als er versuchte, den Geruch des Fremden aufzunehmen. Die Andeutung eines Grinsens erschien auf Ildruns Zügen, als sie nun auch bewusst registrierte, wie vorsichtig Tariq seinerseits Abstand zu dem Tier hielt. Er wirkte zwar auf jeden Fall ein ganzes Stück älter als sie, aber den Gedanken, dass er sich trotzdem vor den Hunden fürchten könnte, während sie nicht im Geringsten Angst hatte, fand sie irgendwo lustig. Da redete ihre Mutter immer endlos davon, dass Ildrun noch ein Kind sei und die Hunde kein Spielzeug, und dann war sie jetzt diejenige, die jetzt mit den beiden Hunden vollkommen entspannt war. Wobei es sowieso wenig gab, das Ildrun wirklich Angst machte, dafür war sie sowieso inzwischen zu alt. Jedenfalls sagte sie sich das selbst. "Meistens sind sie harmlos", fuhr sie dann aber fort und war froh, dass ihre Mutter nicht hier war, um ihr schon wieder darin zu widersprechen. "Wenn du sie in Ruhe lässt, lassen sie dich auch in Ruhe." Ildrun lächelte, als Papias einen zufriedenen Laut von sich gab, als sie ihn weiter kraulte. "Aber man muss nur wissen, wie man mit ihnen umgehen muss." Sie ließ Papias los und nickte in Aspers Richtung, der gerade ein paar träge Schritte auf Tariq zu machte. "Probier es aus, wenn du willst. Wenn du ihm die Hand hinhältst, kann er deinen Geruch aufnehmen. Dann erkennt er dich später wieder." Sie sah zu ihm hinüber und ihre Augen blitzten herausfordernd auf, während sie nun wirklich grinste und sich dabei bewusst ein wenig größer machte. Eigentlich gab es keinen Grund, weshalb sie ihn hätte herausfordern müssen, aber so etwas kümmerte sie ohnehin selten. Besonders nicht, wenn sie neugierig war oder versuchte, aus jemandem schlau zu werden. So wie jetzt. "Oder hast du Angst?"

    Während Tariq losgezogen war, um das Gelände der Villa zu erkunden, war Octavena ihrerseits zunächst im Haus verschwunden, um Ilda zu suchen, und dann kurz auf dem Hof erschienen, um nach ihren Kindern zu sehen. Farold hatte wie versprochen Ildrun gefunden und ihr den Mantel gebracht, den sie auch angezogen hatte, aber als Octavena nach draußen gekommen war, hatte Ildrun sich trotzdem noch aus dem Staub gemacht, bevor Octavena auch nur mit ihr sprechen konnte. Stattdessen war Farold auf seine Mutter zugelaufen und hatte sie plappernd zurück ins Haus gelotst. Das war Absicht gewesen, so viel hatte auch Octavena begriffen, aber trotzdem mitgespielt. Ildrun trug den Mantel, das war Octavenas Sieg für diesen Morgen und das musste fürs erste reichen.


    Während Octavena also mit Farold zurück im Haus verschwand, lief Ildrun in die entgegen gesetzte Richtung. Sie hatte keine Lust, mit ihrer Mutter schon wieder über irgendetwas zu diskutieren. Wenn es nicht der Mantel war, dann würde sie sicher als Nächstes mit einem Schal anfangen, dann damit, dass es ja eigentlich sowieso zu kalt war, um draußen zu sein, oder was auch immer ihr sonst gerade so an Übertreibungen einfiel. Farold ließ das noch meistens mit sich machen, aber der musste auch - anders als Ildrun - nur richtig gucken, um ihre Mutter um den Finger zu wickeln. Nicht, dass Ildrun das nicht ab und zu nutzte und ihn vorschickte, wenn sie wollte, dass Octavena besser mit Farold beschäftigt war, statt Ildrun selbst auf die Nerven zu gehen, aber das änderte nichts daran, dass sie sich ihrer Mutter nur entziehen konnte, wenn sie nicht streiten wollte. Also lief sie stattdessen nach vorne zum Tor, um nach Asper und Papias zu sehen. Um diese Uhrzeit waren die beiden schon lange gefüttert und damit würde es eine Weile dauern, bis es irgendjemandem auffiel, wenn Ildrun sie mitnahm, um mit ihnen eine Weile übers Gelände zu ziehen. Und wenn doch, war das wahrscheinlich erstmal nur Leif, der in der Regel Besseres zu tun hatte als schnurstracks zu Octavena zu laufen, um ihr davon zu erzählen und so die nächste Diskussion zwischen Mutter und Tochter vom Zaun zu brechen.


    Sie wollte sich gerade mit den beiden Hunden in Richtung Garten verdrücken, da fiel ihr Blick auf einen Fremden, der ihr entgegenkam, und sie hielt inne. Sie kannte sonst jeden Bewohner der Villa, die meisten sogar schon ihr ganzes Leben oder wenigstens so lange sie sich erinnern konnte. Was umgekehrt bedeutete, dass das wohl der Junge war - auch wenn er doch ein ganzes Stück älter als Ildrun wirkte - von dem Farold schon erzählt hatte. Das bedeutete dann wohl, dass er inzwischen doch auch aufgestanden war, nachdem Farold den halben Morgen scheinbar vor seiner Tür herumgelungert hatte. Zuerst war Ildrun versucht, beiläufig mit den Hunden das Weite zu suchen, ehe er sie bemerken konnte, doch dann siegte ihre Neugier. Statt zu verschwinden, ging sie deshalb nur im Schatten des Tors in die Hocke, um die beiden Hunde abwechselnd hinter den Ohren zu kraulen, und beobachtete dabei über die Köpfe der Tiere hinweg, wie Tariq sich näherte.


    "Suchst du jemanden?", fragte sie schließlich von ihrem Platz im Schatten aus, als er in Hörweite war, teils um einfach nur auf sich aufmerksam zu machen, ehe sie sich langsam erhob und ihn mit einem neugierigen Blick bedachte. "Du bist Tariq, oder?", fragte sie rundheraus. "Der Gast, der gestern mit meinem Onkel gekommen ist." Der Onkel, den sie bisher verpasst hatte und an den sie sich auch nur bestenfalls vage erinnerte, weil er so lange weg gewesen war. Aber bei einer großen Familie wie ihrer machte ein Onkel mehr oder weniger auch keinen Unterschied mehr. Zumal ihr ihre Familie in letzter Zeit sowieso oft genug vor allem auf die Nerven ging. "Ich bin Ildrun."

    Octavena nickte langsam und ein warmes Lächeln erschien auf ihren Zügen. "Das kann ich gut verstehen", erwiderte sie und entschied sich einfach dafür, nur den unkomplizierteren Teil seiner Worte aufzugreifen. Sie verstanden sich vielleicht gut, aber sie würde sicher nicht hier und jetzt ausdiskutieren, warum es ihr etwas unangenehm war, wie viel sie von ihren Sorgen hier gerade zugegeben hatte, ganz egal, was er sagte. Sie machte sich keine Illusionen, dass diese Dinge nicht dem Rest der Familie genauso klar waren und Hadamar schon deshalb früher oder später mitbekommen hätte, dass Ildrun sich schwertat, aber in der Regel beließ sie es dabei. Octavena konnte nicht verhindern, dass die anderen Augen im Kopf hatten, aber sie musste nicht noch zusätzlich darüber reden und dann am Ende doch nur weiter breittreten, dass ihre Bilanz als Mutter seit dem Tod ihres Mannes ganz offensichtlich eher durchwachsen war. Oder wie sehr das an ihrem Stolz und allem, das sie war, nagte. "Diese Familienfeiern in großer Runde sind viel wert", fuhr sie deshalb einfach fort. "Das würde mir glaube ich inzwischen auch sehr fehlen. Ich hätte es dir nur natürlich gegönnt, in etwas ..." Sie zögerte kurz, als sie nach dem richtigen Wort suchte und verzog dabei flüchtig das Gesicht, lächelte dann aber trotzdem. "Na ja, sagen wir einfach in etwas weniger komplizierten Zeiten heimzukommen. Die es einfacher machen, so eine Feier richtig zu genießen. Ich kann mir vorstellen, dass es auch so schon etwas ungewohnt sein kann, nach so langer Zeit wieder nach Hause zu kommen." Octavena jedenfalls wäre es das, aber für sie gab es inzwischen sowieso deutlich mehr Dinge, die sie in Mogontiacum hielten, als solche, die sie zurück nach Tarraco hätten ziehen können.


    Als Octavenas Blick durch die Erwähnung der Feier schließlich einen Moment lang zurück zum Haus glitt, wurde ihr doch wieder ein wenig bewusst, dass sie vermutlich langsam wirklich so lange vom Fest verschwunden war, dass es früher oder später jemandem auffallen würde. Und wenn es nur war, weil sich irgendwer doch noch Gedanken um sie machte, was Octavena vielleicht nicht gefiel, aber zumindest nicht vollkommen unberechtigt war, wenn man bedachte, warum sie sich überhaupt zurückgezogen hatte. "Ich sollte dann wahrscheinlich mal wieder zurück, bevor ich mich doch zu sehr rar mache", sagte sie mit einem etwas müden, aber bewusst nicht traurigen oder genervten Unterton, als sie wieder Hadamar ansah. Sie hätte gelogen, wenn sie behauptet hätte, dass ihr schon wieder vollkommen danach war, sich unter die Feiernden zu mischen, aber sie wusste auch, dass sie es mehr bereuen würde, wenn sie sich zu sehr abkapselte. Dafür hatte sie sich zu sehr auf diesen Abend gefreut, auch wenn ihr Plan, ihre Sorgen für einen Abend zu verbannen, dann doch nicht aufgegangen war. "Willst du dich mir anschließen oder bleibst du lieber noch etwas hier draußen?"

    Die Sonne schien und Octavena hatte schon seit Tagen gute Laune. Wirklich gute Laune. Das überraschte sie selbst ein wenig, weil diese Art Tage im letzten Jahr selten genug gewesen waren, und dann überraschte es sie auch wieder … kein Stück. Der Frühling hielt gerade Einzug in Mogontiacum. Endlich. Viel zu spät, wie Octavena fand, so wie jedes Jahr. Nur dieses Jahr hatte das auf eine Weise gestimmt, die anders als sonst gewesen war. Dieses Jahr hatte sie nicht nur einfach über das Wetter gemurrt und darüber, dass diese germanischen Winter einfach viel zu lang, kalt und nass waren, sondern dieses Jahr hatte sie all das irgendwann fast unerträglich gefunden. Nicht einfach nur, weil sie auch nach all den Jahren, die sie nun schon hier lebte, eine vage Sehnsucht nach der Hitze Hispanias hatte, sondern weil der Winter auch eine weitere Sammlung an ersten Malen ohne ihren Mann mit sich gebracht hatte.


    Sie vermisste Witjon nach wie vor, auch wenn sie sich sagte, dass das vermutlich albern war. Sie hatte ihn damals geheiratet, weil ihr Onkel das so arrangiert hatte, und Octavena hatte im Grunde nur keinen Einspruch erhoben. Warum auch? Witjon war wohlhabend und einflussreich und damit eine wirklich gute Partie, der Altersunterschied zwischen ihnen war nicht so groß gewesen, wie er bei so manchem anderen Mann hätte sein können, und sie hatte ihn ja auch tatsächlich sympathisch gefunden. Ganz davon zu schweigen, dass sie ja auch hatte heiraten wollen und insgeheim erleichtert gewesen war, dass es nun tatsächlich endlich einen Mann gab, der sie haben wollte. Das waren alles brauchbare Ausgangsbedingungen für eine Ehe gewesen und Octavena hätte sich genau damit auch zufriedengegeben. Ein Zuhause, ein Mann, der sie nicht lieben, aber vernünftig behandeln musste, und natürlich Kinder. Das wäre genug gewesen. Und vermutlich hätte das das gesamte letzte Jahr deutlich einfacher gemacht. Hätte.


    Gleichzeitig hatte der erste Winter nach dem Tod ihres Mannes Octavena vor allem eins noch einmal verdeutlicht: Sie vermisste Witjon, aber sie freute sich auch auf den Frühling. Sie freute sich darauf, dass alles wieder grünte und blühte, auf längere Tage und warmen Sonnenschein. Sie wollte endlich wieder den Frühling tatsächlich genießen. Sie wollte endlich etwas anderes tun als ihr Leben zusammen zu halten. Sie wollte nicht mehr traurig sein. Und im Gegensatz zu den langgezogenen Monaten im letzten Frühjahr und Sommer, als sie sich dazu hatte zwingen müssen, sich zusammenzureißen, fiel ihr das im Moment mit jedem Tag ein bisschen leichter. Octavena hatte schlicht das Gefühl, sich langsam, aber sicher die Kontrolle über ihr eigenes Leben zurückzuerobern. Schritt für Schritt. Zuerst im Haus und bei allen Aufgaben, die sie hatte schleifen lassen, weil ihr Kopf andernorts gewesen war, dann bei Witjons Erbe, von dem sie zwar immer noch nicht alles verstand, aber Fortschritte machte, und bald auch noch bei allem anderen, was noch so offen war. In ein paar Tagen war sie mit einer Freundin verabredet, um der auf den Zahn zu fühlen, was sie in den letzten Monaten so an wichtigem Klatsch und Tratsch verpasst hatte, und damit würde sie auch bald dem Gerede von Frauen wie Ceionia Secunda, die Octavena während der Saturnalienfeier in der Villa Duccia auf die Nerven gegangen war, ein Ende gesetzt haben. Es ging wieder bergauf. Endlich.


    Also stand Octavena an diesem Morgen in aller Frühe auf, öffnete das Fenster und atmete erst einmal gut gelaunt die kühle Frühlingsluft ein. Sie blieb dort einen Moment lang stehen und genoss das gute Wetter ehe sie sich wieder umdrehte und sich summend und pfeifend in ihren Tag stürzte. Als sie am Schminktisch vorbeiging, hielt sie kurz inne, als ihr Blick kurz an der Schmuckschatulle mit der Kette und den Ohrringen hängen blieb, die Witjon ihr zu Farolds Geburt geschenkt hatte, und ein kleines Lächeln huschte über ihre Lippen. Beides gehörte immer noch zu ihrem Lieblingsschmuck, auch wenn sie es im letzten Jahr nicht über sich gebracht hatte, weder die Ohrringe noch die Kette tatsächlich zu tragen. Vielleicht sollte sie das demnächst mal wieder ändern, wenn sich die richtige Gelegenheit für beides bot. Aber das hatte Zeit. Heute wartete erst einmal ihr Alltag in der Villa auf Octavena. Ein Schritt nach dem anderen. Und zumindest heute würde ihr nichts und niemand die Laune verhageln können. Das war ein Anfang.

    Octavena musste sich erneut ein wenig zusammennehmen, um sich nicht zu deutlich anmerken zu lassen, wie … ja, fast schon rührend sie insgeheim manche von Tariqs Fragen fand. Nicht, dass an seinem Gedankengang etwas falsch oder sie deswegen beleidigt gewesen wäre, aber für Octavena lag es auf der Hand, dass ein Anwesen wie die Villa gut geschützt war. Vermutlich spielten die Hunde dabei nicht einmal die größte Rolle, sonst hätte Leif sich vermutlich längst auf ihre Seite geschlagen, statt ihr zu versichern, dass nichts dabei war, wenn Ildrun an den Hunden hing und ständig mit den beiden durch die Gegend lief. Und auch sonst war die Villa sicher, das war so ein Haus immer. Dafür steckte hinter dem Bau der Villa und der Familie, die sie bewohnte, auch eindeutig genug Geld und Ansehen.

    "Oh, nein." Octavena schüttelte auf die Frage nach Ildrun und ob sie sich um die Hunde kümmerte knapp den Kopf. "Das wäre dann wohl eher Leif, der hat die beiden schon vor Jahren für meinen Mann abgerichtet", erwiderte sie und lächelte weiter, wenn auch ein klein wenig gezwungen. "Ildrun mag nur Tiere und hat eine Schwäche für die Hunde. Sie soll die beiden eigentlich am Tor oder bei den Ställen lassen, wo sie hingehören, aber sie hört da nicht immer auf mich." Oder nie. Und weil es im Moment einfacher war, sich ihre Streitereien mit Ildrun ganz bewusst auszusuchen statt sich mehr oder weniger ohne Unterbrechung mit ihr anzugiften, ließ Octavena sie in dieser Sache im Speziellen einfach in Ruhe. Auch wenn das vermutlich nicht ewig so würde weitergehen können. Aber das waren alles keine Dinge, mit denen Tariq sich beschäftigen musste, also behielt Octavena das für sich.


    "Gerne", sagte sie stattdessen, nachdem sie die letzten organisatorischen Dinge für den Tag geklärt hatten und Tariq sich bei ihr für ihre Zeit bedankte. "Wenn dir später noch etwas einfällt, kannst du sonst auch die anderen oder die Hausangestellten fragen." Sie erhob sich von ihrem Platz am Tisch und sah kurz zu Marga hinüber, die aber in der Ecke döste, woraufhin Octavena beschloss, sie einfach in Ruhe zu lassen. Dass die Reste vom Frühstück noch weggeräumt werden mussten, musste sie der alten Köchin nicht noch einmal extra sagen und sie zu wecken hätte sie vermutlich eher geärgert als die Teller kommentarlos stehenzulassen. Und auch wenn Octavena als Hausherrin genau genommen nichts von Marga zu befürchten hatte, hatte sie schnell begriffen, dass es für alle im Haus besser war, wenn sie sich gut verstanden, und diese Strategie auch nie bereut. Sie nickte in Richtung Tür, um Tariq wie versprochen den Weg zurück durchs Haus zu zeigen und ihm noch, wenn nötig, ein paar Fragen zu beantworten, wo was war, ehe sie sich auf die Suche nach Ilda machte. Und dann würde erstmal Farold dran sein. Der hatte vorhin so verdächtig unbeeindruckt geklungen, als sie ihn daran erinnert hatte, sich etwas Warmes anzuziehen, da würde Octavena sicher noch einmal nachhaken müssen, bevor sie sich um ihre eigentlichen Aufgaben für heute kümmerte.

    Octavena schmunzelte amüsiert. "Nass" wäre nicht das erste Wort gewesen, womit sie Germanien beschrieben hätte, aber es traf das Land hier trotzdem recht gut. Sie hätte vermutlich zuerst an die Kälte gedacht, gerade um diese Jahreszeit, aber egal ob kalt oder nass, Feuergeister passten tatsächlich nicht hierher. "Die Römer kennen zumindest Flussgeister", erwiderte sie. "Aber die müssen eher selten besänftigt werden, jedenfalls wohl nicht so wie eure Djinni. Nach germanischen Geistern solltest du aber eher Hadamar oder seine Geschwister fragen. Da bin ich die falsche, um dir großartig etwas erzählen zu können." Das stimmte tatsächlich nur bis zu einem gewissen Grad. Octavena lebte inzwischen lang genug in einer germanischen Familie, zu der ja nicht zuletzt auch ihre eigenen Kinder gehörten, um ein paar Dinge zumindest aufgeschnappt zu haben, aber abgesehen davon, dass die anderen sich tatsächlich besser damit auskannten, würde Tariq die Frage vielleicht nutzen können, um mit dem Rest der Familie genauso ein wenig ins Gespräch zu kommen. Dem neugierigen, aber etwas unsicheren Eindruck nach, den er bisher auf Octavena machte, konnte das vielleicht nicht schaden.


    Als Tariq dagegen erwähnte, gerne die Wachhunde sehen zu wollen, hob Octavena kurz überrascht die Brauen. Sie hatte angenommen, dass er nur aus Höflichkeit nach den beiden gefragt hatte, auch wenn natürlich nichts dagegen sprach, wenn er sich die Tiere ansehen wollte. "Du kannst gerne mal beim Tor vorbeisehen, eigentlich sollten sie wie gesagt meistens da sein. Sonst ist wahrscheinlich meine Tochter mit ihnen hier irgendwo auf dem Gelände unterwegs", erklärte sie. "Magst du Hunde? Oder warum interessierst du dich für die beiden?"


    Octavena registrierte kurz darauf das leichte Bedauern, mit dem Tariq den Teller mit dem Essen vor sich schließlich zur Seite schob, und beschloss, dieses Detail im Hinterkopf zu behalten. Es passte zu seiner allgemeinen Zurückhaltung und dazu, wie er vorher schon das Essen in sich hinein geschaufelt hatte. Er war es wohl wirklich gewohnt, dass er sich primär selbst um sich kümmern musste. "In Ordnung, dann gebe ich Ilda Bescheid wegen der Wäsche." Octavena nickte und sprach damit auch weiterhin die Gedanken, die sie sich so machte, nicht aus, um Tariq nicht am Ende noch mehr in Verlegenheit zu bringen. "Und ein Bad können wir dir auch nachher noch einlassen. Nach der Reise war das ja sowieso nur zu erwarten." Sie nickte in Richtung des Tellers. "Brauchst du sonst noch etwas? Sonst kann ich dir den Weg zurück zeigen und fange dann mal Ilda ab." Ein schiefes Grinsen erschien auf ihren Zügen. "Und ich sollte wohl mal für alle Fälle draußen nach Farold sehen. Nachdem er heute schon den ganzen Morgen die Füße still gehalten hat, hat er jetzt sicher nur Flausen im Kopf."

    "Zieh deinen Mantel richtig an, Farold", sagte Octavena genervt, während sie ihrem Sohn, der gut gelaunt über den Hof der Villa Duccia sprang, einen warnenden Blick zuwarf. "Ich will mich nicht wiederholen." Farold drehte den Kopf und beantwortete den Blick seiner Mutter mit einem strahlenden Grinsen, gehorchte aber, als Octavena ihn weiterhin streng ansah und damit deutlich machte, dass es ihr ernst war. Ein paar Schritte entfernt stand Ildrun und schüttelte den Kopf, während sie einen der beiden Wachhunde der Villa - Asper, wie sie ihre Mutter, für die die beiden Hunde nach wie vor kaum zu unterscheiden waren, vorhin aufgeklärt hatte - hinterm Ohr kraulte. Octavena überging ihre Reaktion, auch wenn sie sich im Stillen dachte, dass Hadamar vermutlich nicht wusste, worauf er sich mit seiner Idee, ihre beiden Kinder auf einen Ausflug einzuladen, eigentlich eingelassen hatte.


    Farold war von dem Vorschlag begeistert gewesen, genau wie Octavena vorher vermutet hatte. Er witterte ein Abenteuer - wobei genau genommen vieles für ihn ein Abenteuer war - und in der Villa fiel ihm um diese Jahreszeit sowieso schnell die Decke auf den Kopf. Ildrun hatte deutlich weniger von der Idee gehalten und zuerst verkündet, sie wolle nicht mitkommen. Dass sie jetzt trotzdem hier stand und darauf wartete, dass ihr Onkel aufschlug, um mit den beiden etwas zu unternehmen, lag vor allem an ihrem Bruder, der einfach das getan hatte, was er manchmal tat, wenn er etwas von seiner Schwester wollte, worauf sie keine Lust hatte: Er hatte einfach so lange gequengelt, bis sie noch weniger Lust gehabt hatte, weiter zu versuchen, ihn abzuwimmeln, und einfach nachgegeben hatte. Das war keine besonders raffinierte Strategie, aber sie funktionierte. Warum es ihm überhaupt wichtig gewesen war, dass Ildrun mitkam, war auch Octavena nicht ganz klar, aber er hatte manchmal diese Art, seine Schwester aus der Reserve zu locken, da wunderte es sie auch nicht wirklich, dass er das auch jetzt wieder getan hatte. Ildrun guckte zwar noch immer ziemlich mürrisch aus der Wäsche, aber sie war hier, was Octavena im Stillen als Erfolg verbuchte, auch wenn sie es nicht weiter kommentiert hatte. Octavena verkniff sich ein leises Seufzen, zwang sich dann aber selbst zur Ruhe. Sie hatte ihren Schwager wirklich ausführlich genug vorgewarnt - auch wenn das so nicht geplant gewesen war - der Rest würde jetzt an ihm liegen. Inklusive ob und wie er mit ihrer störrischen Tochter umgehen wollte. Seine Geschwister bekamen das ja auch irgendwie hin.

    "Ich gehe jetzt wieder nach drinnen", teilte sie also ihren Kindern mit und sah dann doch noch einmal prüfend zwischen den beiden hin und her. "Benehmt euch, verstanden? Ich will später keine Klagen hören." Ildrun rollte mit den Augen und murmelte irgendetwas, das Octavena nicht hören konnte. Farold dagegen grinste noch einmal breit auf diese Art, bei der Octavena auch klar war, dass er ihr jetzt nur zustimmte, damit sie Ruhe gab. "Ja-haa, Mama."


    Octavena schüttelte leicht den Kopf und drehte sich um in Richtung Haus. Hadamar hatte ja unbedingt helfen und Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen. Jetzt würde er wohl selbst herausfinden, was das bedeutete und ob ihm das nicht doch zu viel war.

    Octavena registrierte die Neugier, die sich weiter auf Tariqs Zügen hielt, während sie von dem Brand der alten Casa erzählte, sagte dazu aber nichts. Eigentlich lieferte das Feuer wirklich keine schöne Geschichte, aber sie verstand durchaus, warum sie trotzdem eine gewisse Faszination auf jemanden ausüben konnte, der nicht mit dabei gewesen war. Sie hatte in der Vergangenheit ihrerseits schon Farold ausgebremst, der im falschen Moment zu neugierige Fragen über diese Nacht gestellt hatte ohne zu merken, dass er das tat. "Feuergeister kennen wir hier nicht", sagte sie also stattdessen und legte ein wenig den Kopf schief. "Wie besänftigt man solche Geister in deiner Heimat?" Bei seinen nächsten Worten und dem Kompliment über das dagegen lächelte sie dann ehrlich. So wie er sich benahm, bezweifelte Octavena, dass er tatsächlich groß Vergleichswerte dafür hatte, aber seine Worte klangen aufrichtig und sie war sowohl uneitel als auch sonst gefestigt genug, um sich nicht groß am möglichen Inhalt des Kompliments im Gegensatz zur Intention aufzuhängen. "Vielen Dank", erwiderte sie und lächelte dabei warm. "Mir gefällt es hier auch sehr gut."


    Die Frage danach, ob oder wie weit das Leben in der Villa sicher war, überraschte Octavena ehrlich, genauso wie Tariqs Erklärung, woher der Gedanke kam. Seit sie Kinder hatte - und besonders seit dem Tod ihres Mannes - machte sich zwar selbst oft eher zu viel Sorgen als zu wenig, aber Sicherheit war nie etwas gewesen, worüber sie sich Gedanken gemacht hatte. Nicht in Mogontiacum und in Tarraco erst recht nicht. Die Bemerkung machte aber noch einmal deutlich, wie weit Tariqs bisheriges Leben von dem Moment hier und jetzt weg sein musste. Mogontiacum war eine römische Stadt, aber Octavena erinnerte sich selbst noch gut daran, wie fremd ihr Vieles in Germanien zu Beginn vorgekommen war. Und sie war damals zunächst einmal nur zu ihrem Onkel gezogen, was zwar neu, aber immerhin kein vollkommener Kulturschock gewesen war. "Oh, ja, wir haben Wachhunde." Octavena nickte langsam. "Zwei. Mein Mann hat die beiden vor Jahren angeschafft und abrichten lassen." Und jetzt hatte Ildrun - ganz zum Missfallen ihrer Mutter - aus unerfindlichen Gründen einen Narren an den beiden gefressen. Der Gedanke ließ einen kurzen Impuls der Sorge in Octavena aufsteigen, den sie allerdings eilig bei Seite schob. Das tat jetzt nichts zur Sache. "Vielleicht hast du die beiden gestern schon im Vorbeigehen gesehen. Die sollten eigentlich normalerweise vorne am Eingang unterwegs sein."


    Der Gedanke von vorhin, dass Tariq sich hier gerade vermutlich auf mehreren Ebenen auf unbekanntem Terrain bewegte, bestätigte sich kurz darauf noch einmal. Er sah sie mit einem so entgeisterten Blick an, als sie ihm sagte, dass er hier seine Wäsche auch mit der der anderen waschen lassen konnte, dass Octavena beinahe ein wenig amüsiert geschmunzelt hätte, sich den Ausdruck aber noch gerade so verkniff, um ihn nicht weiter zu verunsichern. Es war wirklich ... ungewohnt und vielleicht auch ein klein wenig unterhaltsam, einen Gast zu haben, dem es so vollkommen fremd zu sein schien, dass andere etwas für ihn taten. Octavena auf der anderen Seite kannte das kaum anders. Für sie war ihre Hochzeit mit Witjon durchaus ein Aufstieg gewesen - schließlich war er lange einer der einflussreichsten Männer der Stadt gewesen - aber auch davor hatte sie immer in einem Haushalt gelebt, in dem andere das meiste für sie taten. Und auch jetzt kümmerte Octavena sich zwar gerne persönlich darum, dass auch wirklich alles im Haus erledigt wurde und gut erledigt wurde, aber es gab einen Unterschied dazwischen, alle Aufgaben zu koordinieren, im Vergleich dazu, sie selbst zu erledigen.


    Trotzdem beschloss Octavena weiter, Tariqs Verlegenheit einfach zu übergehen. "Das habe ich mir schon gedacht", erwiderte sie gelassen. "Aber keine Sorge, wir haben hier ein großes Haus, da fällt so viel an, dass ein bisschen mehr oder weniger Arbeit kaum ins Gewicht fällt." Octavenas Blick glitt zurück zum Essen zwischen ihnen. Kurz überlegte sie, ihn zu fragen, ob er genug hatte, schon allein weil sie früher oder später wohl besser doch noch einmal draußen nach ihren Kindern schauen sollte, entschied sich aber dagegen. Sie wollte Tariq nicht hetzen und Ildrun und Farold würden noch etwas warten können. Zumal es sowieso sein konnte, dass die beiden längst irgendeinem der anderen Erwachsenen in die Arme gelaufen waren und damit die Diskussion mit dem Mantel ohne Octavenas Zutun längst durch war. "Hast du schon Pläne für den Rest des Tages?"

    Octavena blinzelte ein paar Mal überrascht und schüttelte dann kaum merklich den Kopf, als Hadamar ihr dankte, auch wenn es noch so beiläufig war. "Ich habe dasselbe wie immer getan und vom Rest hat Dagmar einiges aufgefangen", sagte sie, lächelte aber trotzdem. Ganz davon zu schweigen, dass es gerade in den ersten Wochen nach Witjons Tod sowieso leichter gewesen war, in Bewegung zu bleiben. Etwas zu tun zu haben. Vielleicht war das ein Fehler gewesen, aber ändern ließ es sich jetzt auch nicht mehr, also war es müßig, darüber nachzugrübeln. Sie hatte in den letzten Monaten genug gegrübelt und tat es noch, ob es ihr gefiel oder nicht. Und tatsächlich gefiel ihr das eigentlich nicht, auch wenn sie da nicht aus ihrer Haut konnte.


    Das war auch einer der Gründe, warum sie ganz froh darüber war, als Hadamar kurz darauf ihr den Gefallen tat, auf ihren Witzversuch einzusteigen. Das war jedenfalls besser als Blicke wie der, den er ihr kurz davor zugeworfen hatte. Die Art Blick, den sie zwar meistens ignorierte, bei dem sie sich aber trotzdem immer etwas hilflos vorkam. "Könnte man inzwischen glatt vergessen." Octavena lachte leise und verstellte sich dafür nicht einmal, wäre aber bei seinen nächsten Worten - und dem sanften Tonfall, den sie begleiteten - trotzdem beinahe zusammengezuckt. Sie musste verzweifelter wirken als ihr das lieb gewesen wäre, wenn er ihr so einen Rat gab, und ganz kurz ärgerte sie sich über sich selbst, weil ihr gerade mehr rausgerutscht war als geplant. Im Grunde hatte er aber ja recht: Vielleicht wäre es wirklich eine gute Idee, sich einen Rat von jemandem zu holen, die ihre Lage nachvollziehen konnte. Und wenn es nur als Versicherung war, dass sie übertrieb und sie Ildrun nur weiter Zeit lassen musste. Aber da war noch ein Gedanke, der bei seinen Worten ihr durch den Kopf ging. Er hatte jetzt zweimal kurz hintereinander erwähnt, selbst nicht einfach gewesen zu sein. Octavena mochte im Moment allgemein nicht ganz auf der Höhe und nicht so aufmerksam wie sonst sein - ganz davon zu schweigen, dass sie das Angebot als solches überrascht hatte - aber die Wiederholung ließ sie nun doch ein wenig aufhorchen. War er deshalb so deutlich darauf aus, ihr zu helfen? Wahrscheinlich, wenn man bedachte, dass er seinen eigenen Vater und dessen Tod schon erwähnt hatte, als er das Hilfsangebot überhaupt angesprochen hatte. Die Vermutung hätte jedenfalls das Angebot ein wenig über bloßen Familiensinn hinaus erklärt, auch wenn Octavena noch nicht genau wusste, was sie mit dieser Vermutung anstellen sollte. Oder ob irgendetwas davon überhaupt eine Rolle spielte. "Ich lasse mir die Idee durch den Kopf gehen", sagte sie also einfach und lächelte noch einmal etwas schief. "Zu versuchen, für renitente Kinder da zu sein, ist mir jedenfalls ziemlich vertraut. Und deine Mutter hat ohnehin meinen vollen Respekt, das mit fünf Kindern irgendwie geschafft zu haben. Mich halten meine beiden ja schon nur zu zweit auf Trab." Sie hielt noch einmal kurz inne, fuhr dann aber doch fort, weiter das leicht schiefe Lächeln auf den Lippen. "Aber danke. Für den Rat und das Angebot. Ich hatte eigentlich wirklich nicht vor, dir erstmal ein Ohr mit meinen Sorgen abzukauen. Besonders nicht heute." Oder an den meisten anderen Tagen. Ihre Kinder waren und blieben schließlich im Kern Octavenas Verantwortung und ihr Problem. Die Art Problem, bei dem es ihr immer widerstrebte, es anderen aufzubürden.

    Während Hadamar davon sprach, dass er einfach mal versuchen wollte, mit Farold die Gegend zu erkunden und Ildrun wenigstens zu fragen, ob sie doch mitkommen wollte, konnte Octavena nicht ganz umhin, kurz noch einmal etwas von der Dankbarkeit von eben in sich aufsteigen zu spüren. Wahrscheinlich war ja tatsächlich nichts dabei, gerade um Farolds Neugier würde er sowieso nicht herumkommen und vermutlich würde das nicht nennenswert etwas an der Situation als Ganzes ändern, aber Octavena rechnete ihm schon die Geste hoch an. Gerade weil Hadamar sich leichter als der Rest der Familie, die Octavenas Kinder ständig direkt vor der Nase hatten, einfach hätte wegducken können und Octavena ihm das auch nicht einmal übel genommen hätte. Gleichzeitig fühlte sie sich bei seinen Worten aber auch ein wenig ertappt, weil er mit seiner Antwort sie und Ildrun in einem Atemzug genannt hatte. Benahm sie sich am Ende gerade doch nicht viel anders als ihre Tochter? Ildrun hatte seit Witjons Tod besonders gegenüber ihrer Mutter komplett dicht gemacht, weil sie wahrscheinlich nicht wusste, wie sie sonst mit der Situation umgehen sollte. Und sie selbst … Octavena hatte definitiv nicht so um sich geschlagen, wie ihre Tochter, aus diesem Alter war sie zum Glück lange raus, aber jemanden richtig an sich heran gelassen hatte sie auch nicht. Sie war sich nicht sicher, ob Hadamar das durchschaut hatte oder die Formulierung Zufall gewesen war, aber in diesem Moment fühlte Octavena sich doch kurz … erwischt. Das war ungewohnt und vor allem etwas, das sie gerade nicht gebrauchen konnte. Dieses gesamte Gespräch hatte gerade sowieso schon eine andere Wendung genommen als sie erwartet hatte, das reichte ihr eigentlich schon. Besonders an einem Abend wie diesem, der sowieso wenigstens das Potential hatte, komplizierte Gefühle in ihr zu wecken.


    Also schob sie den Gedanken eilig bei Seite und lachte stattdessen leise auf. "Ach, es ist zum Glück ja auch nicht so als ob wir hier im Chaos versinken würden - auch wenn das bei meinem Gejammer vielleicht so klingt", wiegelte sie ab, während sie noch diese kurz auflodernde Unsicherheit wieder niederkämpfte, spiegelte aber trotzdem Hadamars Grinsen mit einem kleinen Lächeln. "Farold freut sich garantiert, wenn du Zeit mit ihm verbringst und dir die Gegend mit ihm ansiehst. Ildrun gefällt die Idee bestimmt auch, du müsstest sie nur dazu bekommen, das zuzugeben." Sie hob etwas hilflos die Schultern. Wenn sie ehrlich war, dann war Octavena selbst sehr müde, wenn es um die Konflikte mit ihrer Tochter ging. Ildrun ließ sie seit Monaten gegen Wände rennen und tat umgekehrt ihrerseits viel, womit sie ihre Mutter fast in den Wahnsinn trieb. Als ob nicht so schon alles schwierig genug gewesen wäre. "Ich kann dir nur leider auch keinen sinnvollen Rat geben, wie du das am schlausten anstellst. Du stehst für sie aber wahrscheinlich immerhin nicht so unter dem Verdacht, dass ich dich auf sie angesetzt haben könnte. Vielleicht blockt sie deshalb nicht sofort ab." Ehe Octavena es verhindern konnte, rutschte ihr ein weiteres Seufzen raus, aber schon im nächsten Moment zwang sie sich wieder dazu, sich zusammenzureißen und wenigstens die Andeutung eines Lächelns aufzulegen. "Aber wie gesagt, wahrscheinlich jammere ich auch mehr als nötig wäre. Wenn du also Zeit für Ildrun und Farold findest, freut mich das, aber ich will dir auch nicht noch meine Probleme aufhalsen. Ich weiß, du hast auch so genug um die Ohren." Ihr Blick glitt einen Moment lang schweigend zurück zum Teich vor ihnen. So viel zu ihrem Plan, sich heute Abend ihre Sorgen einfach mal selbst zu verbieten. Zugegeben, das hatte schon vor diesem Gespräch nur begrenzt geklappt, aber jetzt hatte sie vor Hadamar einen guten Teil davon ausgebreitet, sehr viel mehr als sie von sich aus zugegeben hätte. Aber er hatte gefragt und Octavena hatte weder Lust noch Nerv gehabt, ihn rundheraus zu belügen. Auch wenn das bedeutete, dass sie damit gerade wohl erfolgreich die Stimmung gedrückt hatte. Mal wieder. Noch so etwas, das ihr an ihr selbst im Moment alles andere als gefiel, das sie aber nicht ganz abgeschüttelt bekam.

    Langsam wandte Octavena den Kopf. "Wie auch immer ...", sagte sie dabei und ihre Stimme nahm einen leicht witzelnden Unterton an, um die Stimmung wieder etwas zu lockern. "Willkommen zu Hause. Du merkst, Langeweile ist und bleibt uns hier vollkommen fremd."

    "Natürlich." Octavena hielt ihm die Wachstafel wieder hin. "Ich werde mich in der Zeit um alles Nötige von meiner Seite kümmern."


    Damit verabschiedete sie Selenus und ließ ihn wieder nach draußen führen. Ein paar Tage später kehrte er wie versprochen zurück, während Octavena ihrerseits, ebenfalls wie versprochen, schon den entsprechenden Vertrag vorbereitet bereithielt, um den Verkauf nun auch offiziell zu machen. Der Gedanke fühlte sich noch immer etwas merkwürdig an, weil sie noch immer einen Teil des Erbes ihres Mannes verkaufte, aber Octavena hatte ihre Entscheidung getroffen. Sie verkaufte das Land genauso schnell, wie sie sich seiner Existenz überhaupt erst bewusst geworden war und war damit eigentlich mehr erleichtert, damit ein Problem weniger zu haben, über das sie sich würde Gedanken machen müssen. Ein weiterer Schritt, mit dem Octavena sich jetzt langsam, aber sicher ihr Leben zurückerobern wollte, war getan.

    Octavena nahm auch das zweite Schreiben entgegen und wie schon beim ersten nahm sie sich einen Moment, um das Siegel zu brechen und schließlich den Inhalt zu lesen. Als sie das tat, spürte sie, wie sie sich ein wenig entspannte. Der Preis, den der Senator vorschlug, war definitiv angemessen. Vielleicht hätte sie mit etwas Verhandlungsgeschick noch mehr herausschlagen können, aber die Summe entsprach dem, was das Land so weit sie in Erfahrung hatte bringen können, auch wert war, und sie hatte ohnehin wenig Lust, sich mit dieser Angelegenheit länger aufzuhalten als nötig. Der Vorschlag war fair und Octavena würde auf diesem Weg ein Problem von der Liste der Dinge, um die sie sich kümmern musste, streichen können. Und alles, was ihr im Moment ohne großen Aufwand Probleme abnahm statt neue zu verursachen, war Octavena eigentlich ganz recht.


    Sie sah wieder auf. "Die Summe ist in Ordnung für mich", sagte sie zu Selenus und nickte dabei langsam. "Für den Preis kann der Senator die drei Grundstücke gerne haben."

    Octavena nahm das Schreiben, das Selenus ihr gab, und nahm sich einen Moment Zeit, um nacheinander die Siegel am Ledereinband als auch an der Schriftrolle selbst kurz anzusehen und sie dann schließlich vorsichtig aufzubrechen, um schließlich den Brief selbst zu lesen.


    Viel zu früh verstorben. Wäre sie allein gewesen, hätte Octavena wahrscheinlich hörbar geseufzt bei dieser Formulierung. Sie bezweifelte, dass der Annaeus wusste, wie recht er damit hatte. Wahrscheinlich hatte er das nur als Höflichkeitsfloskel geschrieben, so wie man das eben tat, wenn man einer Fremden schrieb, deren Mann noch nicht einmal ein ganzes Jahr tot war. Noch eine der schier endlosen Beileidsbekundungen, die Octavena eigentlich schon länger nicht mehr hören konnte, weil sie das damit verbundene Mitleid für sie selbst kaum noch ertrug. Trotzdem lag in dieser Floskel im Speziellen viel Wahrheit. Aber das tat alles jetzt nichts zur Sache. Der Brief und vor allem das Siegel bestätigten, dass Selenus die Wahrheit sagte, und das war das Entscheidende daran, nicht Octavenas Frustration über ihre eigene Situation.


    "In Ordnung", sagte sie schließlich und blickte wieder von dem Schreiben auf. "Hier steht, du bist berechtigt, mit mir über den Kaufpreis zu verhandeln." Octavena senkte den Brief wieder und hob die Brauen. Ihr war durchaus aufgefallen, dass der Brief selbst keinen Preis nannte, sondern nur Selenus' Identität bestätigte, obwohl es natürlich ein Leichtes gewesen wäre, das bei dieser Gelegenheit zu erwähnen. Im Grunde kümmerte es sie nicht einmal, ob das Zufall oder Absicht war, aber sie bemerkte es trotzdem. Einen Moment überlegte sie, selbst eine Forderung zu formulieren, entschied sich dann aber dagegen. Sie wollte zuerst wissen, woran zu war, ehe sie ihre eigenen Karten auf den Tisch legte. "Welche Summe schwebt deinem Herrn denn für das Land vor?"