Bei der Erwähnung von Rhaban und Dagny drehte Octavena den Kopf und das Lächeln auf ihren Lippen wurde kurz zu einem schiefen Grinsen. "Es kann sein, dass es da eine Verbindung gibt", gab sie amüsiert zurück. "Farold guckt sich die meisten seiner Tricks bei anderen ab, meistens bei Ildrun. Aber ihre Unschuldsmiene war trotzdem noch nie so gut wie seine." Damit kam sie zu Ildrun und weil das kein unkompliziertes Thema war, beeilte sich Octavena, den Bogen zurück zu ihrem Sohn zu schlagen, der meistens unverfänglicheren Gesprächsstoff lieferte als seine Schwester.
"Dachte ich mir", erwiderte Octavena und lachte leise, als Hadamar meinte, dass er mit Farolds Neugier schon klarkommen würde. Das stimmte ja auch, sie hatte sich eigentlich nicht ernsthaft Gedanken gemacht, dass er etwas dagegen haben würde, wenn Farold ihn ein wenig mit seinen Fragen löcherte. Die gesamte Familie war da inzwischen abgehärtet, ob sie es wollten oder nicht. Es war nur einfacher, über Farold zu reden, als ihre Sorge um Ildrun laut auszusprechen. Aber gerade, weil Octavena eigentlich vorgehabt hatte, damit dem Thema ganz auszuweichen, traf sie das, was Hadamar als Nächstes sagte, vollkommen unvorbereitet.
Hilfe. Das Angebot rührte sie, mehr als sie erwartet oder gar zugegeben hätte. Nicht nur, weil es ihren Kindern galt, sondern auch ihr persönlich, was wie immer etwas war, das Octavena ein wenig überforderte, weil sie das selbst weder beansprucht noch eingefordert hätte. Natürlich, sie hatte nicht erst gestern bei den Ducciern eingeheiratet und sie wusste, dass Witjons weit verzweigte Familie in der Regel füreinander da war - sie hatte ja selbst inzwischen auch dazu beigetragen, dass das so war - aber ihr erster Impuls blieb nach wie vor, sich selbst um ihre Probleme zu kümmern und sie gerade nicht den anderen einfach so aufzubürden. Selbst jetzt, nach dem Jahr, das sie hinter sich hatten und dessen Gewicht sie mit einem Mal wieder überdeutlich auf ihren Schultern spüren konnte. Nach Witjons Tod hatte Octavena einfach stur weiter gemacht, so weit sie es gekonnt hatte, und sich so halbwegs um Normalität bemüht. Was wäre ihr auch anderes übrig geblieben? Ihre Kinder so im Stich lassen, wie ihr eigener Vater sie nach dem Tod ihrer Mutter im Stich gelassen hatte? Vom Rest der Familie, die Octavena auch nicht gleichgültig waren, ganz zu schweigen. Nein, das wäre nicht infrage gekommen. Und Octavena hatte sich ja auch selbst im Griff, jedenfalls meistens. Sie hatte ihren Mann verloren, ja, und das tat weh und hatte einen Haufen Probleme in ihrem Leben erzeugt, aber sie wusste auch, dass sie sich davon früher oder später erholen würde. Schritt für Schritt, ein Problem nach dem anderen. Und trotzdem: Genau das hatte auch an ihren Kräften gezehrt, was sie jetzt so klar und deutlich spürte wie selten, auch wenn es nur für einen kurzen Augenblick war.
"Danke", erwiderte Octavena schließlich, während sie noch dabei war, ihre eigenen Gedanken für ihre Antwort zu sortieren. "Das ist … sehr nett von dir." Sie warf ihm ein ehrlich dankbares Lächeln zu. "Und du drängst dich nicht auf. Ich freue mich wirklich, wenn du helfen willst." Kurz zögerte sie erneut, mit einem Mal unsicher, was denn tatsächlich Dinge wären, die Hadamar tun konnte. Farold war einfach, aber der bereitete Octavena zwar viele Kopfschmerzen, dafür aber wenig Sorgen. Und Ildrun dagegen war so kompliziert, dass Octavena selbst nicht mehr so richtig wusste, wo sie bei ihr ansetzen sollte. "Wahrscheinlich hilft es wirklich einfach schon, wenn du dich von Farold überfallen lässt. Wie gesagt, er ist neugierig und ab und zu etwas überschwänglich, aber er hängt sehr an der Familie und es tut ihm immer gut, wenn er jemanden findet, dem er ein bisschen mit seinen Fragen auf die Nerven gehen kann." Das war nichts Neues, aber das machte es nicht weniger wahr. Vielleicht hatte er auch deshalb die letzten Monate besser weggesteckt als seine Schwester. Weil er sich, während Ildrun sich eingeigelt hatte, nur noch mehr auf sein Umfeld eingelassen hatte. "Wenn du willst, kannst du auch versuchen, auf Ildrun zuzugehen", fuhr Octavena dann langsam fort und ihr Tonfall wurde vorsichtiger. Das war der Teil, bei dem sie verhindern wollte, dass Hadamar sich verpflichtet fühlte, eine vertrackte Situation zu lösen, die vielleicht so im Moment nicht lösbar war. "Aber wunder dich nicht, wenn du sie nicht geknackt bekommst. In letzter Zeit schafft das niemand, wenn du dir also auch die Zähne ausbeißt, wäre das nicht überraschend. Wie gesagt, sie kann sehr stur sein." Ein müdes Lächeln huschte über ihre Züge. Eigentlich war Octavena ja sehr stolz auf ihre Tochter, die ihr in manchen Dingen so ähnlich sein konnte. Nur im Moment machte ihr das auch ein wenig Angst. Gerade weil sie wusste, wie sehr Ildrun sich selbst würde schaden können, wenn sie weiter so um sich schlug, wie sie es tat, und weil Octavena einmal selbst so gewesen war - was wiederum nicht besonders gut geendet hatte. "Und was mich angeht …" Das Lächeln auf ihren Lippen verlor seine Müdigkeit und nahm stattdessen einen selbstironischen Zug an. Eigentlich redeten sie hier ja gerade über genug Dinge, die Octavena durchaus belasteten und die sie deshalb selten so offen aussprach wie jetzt, trotzdem fand sie dann doch wieder ein bisschen von ihrem Humor und der guten Laune wieder, mit der sie sich auf den Abend gefreut hatte. "Ich bin zäher, als ich aussehe, keine Sorge. Ihren Dickschädel hat Ildrun von mir und ich bin wahrscheinlich selber einfach zu stur, um mich nicht früher oder später wieder richtig zu fangen. Im Moment will ich einfach sichergehen, dass es meinen Kindern gutgeht, und der Rest fügt sich dann schon noch."