Octavena registrierte die Neugier, die sich weiter auf Tariqs Zügen hielt, während sie von dem Brand der alten Casa erzählte, sagte dazu aber nichts. Eigentlich lieferte das Feuer wirklich keine schöne Geschichte, aber sie verstand durchaus, warum sie trotzdem eine gewisse Faszination auf jemanden ausüben konnte, der nicht mit dabei gewesen war. Sie hatte in der Vergangenheit ihrerseits schon Farold ausgebremst, der im falschen Moment zu neugierige Fragen über diese Nacht gestellt hatte ohne zu merken, dass er das tat. "Feuergeister kennen wir hier nicht", sagte sie also stattdessen und legte ein wenig den Kopf schief. "Wie besänftigt man solche Geister in deiner Heimat?" Bei seinen nächsten Worten und dem Kompliment über das dagegen lächelte sie dann ehrlich. So wie er sich benahm, bezweifelte Octavena, dass er tatsächlich groß Vergleichswerte dafür hatte, aber seine Worte klangen aufrichtig und sie war sowohl uneitel als auch sonst gefestigt genug, um sich nicht groß am möglichen Inhalt des Kompliments im Gegensatz zur Intention aufzuhängen. "Vielen Dank", erwiderte sie und lächelte dabei warm. "Mir gefällt es hier auch sehr gut."
Die Frage danach, ob oder wie weit das Leben in der Villa sicher war, überraschte Octavena ehrlich, genauso wie Tariqs Erklärung, woher der Gedanke kam. Seit sie Kinder hatte - und besonders seit dem Tod ihres Mannes - machte sich zwar selbst oft eher zu viel Sorgen als zu wenig, aber Sicherheit war nie etwas gewesen, worüber sie sich Gedanken gemacht hatte. Nicht in Mogontiacum und in Tarraco erst recht nicht. Die Bemerkung machte aber noch einmal deutlich, wie weit Tariqs bisheriges Leben von dem Moment hier und jetzt weg sein musste. Mogontiacum war eine römische Stadt, aber Octavena erinnerte sich selbst noch gut daran, wie fremd ihr Vieles in Germanien zu Beginn vorgekommen war. Und sie war damals zunächst einmal nur zu ihrem Onkel gezogen, was zwar neu, aber immerhin kein vollkommener Kulturschock gewesen war. "Oh, ja, wir haben Wachhunde." Octavena nickte langsam. "Zwei. Mein Mann hat die beiden vor Jahren angeschafft und abrichten lassen." Und jetzt hatte Ildrun - ganz zum Missfallen ihrer Mutter - aus unerfindlichen Gründen einen Narren an den beiden gefressen. Der Gedanke ließ einen kurzen Impuls der Sorge in Octavena aufsteigen, den sie allerdings eilig bei Seite schob. Das tat jetzt nichts zur Sache. "Vielleicht hast du die beiden gestern schon im Vorbeigehen gesehen. Die sollten eigentlich normalerweise vorne am Eingang unterwegs sein."
Der Gedanke von vorhin, dass Tariq sich hier gerade vermutlich auf mehreren Ebenen auf unbekanntem Terrain bewegte, bestätigte sich kurz darauf noch einmal. Er sah sie mit einem so entgeisterten Blick an, als sie ihm sagte, dass er hier seine Wäsche auch mit der der anderen waschen lassen konnte, dass Octavena beinahe ein wenig amüsiert geschmunzelt hätte, sich den Ausdruck aber noch gerade so verkniff, um ihn nicht weiter zu verunsichern. Es war wirklich ... ungewohnt und vielleicht auch ein klein wenig unterhaltsam, einen Gast zu haben, dem es so vollkommen fremd zu sein schien, dass andere etwas für ihn taten. Octavena auf der anderen Seite kannte das kaum anders. Für sie war ihre Hochzeit mit Witjon durchaus ein Aufstieg gewesen - schließlich war er lange einer der einflussreichsten Männer der Stadt gewesen - aber auch davor hatte sie immer in einem Haushalt gelebt, in dem andere das meiste für sie taten. Und auch jetzt kümmerte Octavena sich zwar gerne persönlich darum, dass auch wirklich alles im Haus erledigt wurde und gut erledigt wurde, aber es gab einen Unterschied dazwischen, alle Aufgaben zu koordinieren, im Vergleich dazu, sie selbst zu erledigen.
Trotzdem beschloss Octavena weiter, Tariqs Verlegenheit einfach zu übergehen. "Das habe ich mir schon gedacht", erwiderte sie gelassen. "Aber keine Sorge, wir haben hier ein großes Haus, da fällt so viel an, dass ein bisschen mehr oder weniger Arbeit kaum ins Gewicht fällt." Octavenas Blick glitt zurück zum Essen zwischen ihnen. Kurz überlegte sie, ihn zu fragen, ob er genug hatte, schon allein weil sie früher oder später wohl besser doch noch einmal draußen nach ihren Kindern schauen sollte, entschied sich aber dagegen. Sie wollte Tariq nicht hetzen und Ildrun und Farold würden noch etwas warten können. Zumal es sowieso sein konnte, dass die beiden längst irgendeinem der anderen Erwachsenen in die Arme gelaufen waren und damit die Diskussion mit dem Mantel ohne Octavenas Zutun längst durch war. "Hast du schon Pläne für den Rest des Tages?"