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Octavena wandte den Kopf, um sich nach der Römerin umzusehen, die Varus erwähnte, und runzelte dann im nächsten Moment leicht die Stirn. Eigentlich hätte sie erwartet, die junge Frau zu erkennen, schon weil sie die Mehrheit der Gäste kannte oder wenigstens in irgendeiner Form zuordnen konnte, doch bei dieser Römerin war sie sich ziemlich sicher, sie noch nie gesehen zu haben und auch nicht zu wissen, zu wem sie vermutlich gehörte. Octavenas Blick blieb auch kurz an Ildrun hängen, die das Gespräch zwischen Sabaco und der jungen Frau halb gelangweilt zu beobachten schien, und ihr Herz wurde unwillkürlich etwas schwer. Varus hatte recht, Ildrun war ein hübsches Mädchen - oder wurde es viel mehr jeden Tag ein bisschen mehr. Nicht mehr lange und ihre Züge würden mehr und mehr das Kindliche, das sie noch an sich hatten, verloren haben, und in ein paar Jahren dann würde Octavena sich auch schon Gedanken darüber machen müssen, einen passenden Mann für sie zu finden. Ein Gedanke, der in Octavena ... nun, gemischte Gefühle auslöste.
"Was? Oh, danke", erwiderte sie auf Varus' Kompliment zu dem Fest und drehte den Kopf wieder in seine Richtung, während sie alle Gedanken an die Zukunft eisern zur Seite schob. "Ich mag diese Feiern zu den Saturnalien und zu Jul selbst sehr. So lang und dunkel wie die Winter hier sein können, ist es schön, zwischendrin so einen Lichtblick zu haben."
Er schnippte nach einem der Haussklaven, welche für die Bedienung der Gäste zuständig waren. Dem drückte er einige Münzen in die Hand. "Bring der jungen Dame ein Tuch für die Schultern, das sie mit nach Hause nehmen kann. Keins, das kratzt. Weich und warm soll es sein."
Octavena nippte an ihrem Met, hielt dann aber inne, als einer der Angestellten für den Abend näher trat und das Gespräch kurz unterbrach. Das Personal der Villa hatte heute zum größten Teil frei, also hatte Octavena Ersatz vor allem aus den duccischen Betrieben organisieren lassen. Die wiederum waren alle bezahlt und hatten klare Anweisungen bekommen, aber der Fall, dass ein Gast ihnen Geld in die Hand drückte, um einer der anwesenden Damen, noch dazu wohl einer Fremden, ein Tuch bringen zu lassen, gehörte nicht dazu. Octavena sah noch einmal flüchtig zu Sabaco und der jungen Frau und überlegte kurz, was sie genau davon als Gastgeberin hielt. Sie hatte tatsächlich ein paar Tücher herauslegen lassen, schon weil es bei diesen Feiern immer irgendwen gab, der die Temperaturen unterschätzte, aber irgendwie hielt sie spontan wenig davon, wenn einer ihrer Gäste von diesem Angebot Gebrauch machte, wohl um eine hübsche junge Dame zu beeindrucken. "Im Haus liegen sowieso schon ein paar Tücher für die Gäste bereit. Bring ihr eines davon in meinem Namen und gib dem Matinius sein Geld zurück", wies Octavena also den Angestellten an, der daraufhin nickte und auch prompt verschwand, um der Anweisung folge zu leisten.
Noch während er verschwand, wandte Octavena sich wieder lächelnd Varus zu. "Hast du sonst schon ein paar Kontakte knüpfen können?", fragte sie ihn beiläufig und nippte erneut an ihrem Met. "Heute Abend sind wahrscheinlich einige Leute da, die dir helfen könnten, wenn dir schon eine politische Karriere vorschwebt." Sie beobachtete ihn vorsichtig aus den Augenwinkeln bei den Worten. Es gab keinen Grund, ihn zu hetzen, aber Octavena wäre nicht Octavena gewesen, wenn sie sich nicht wenigstens ein bisschen Sorgen gemacht hätte, ob und wie ihr Vetter mit seinen Karriereplänen weitermachen würde. Schließlich hatte sie auch selbst wenig Lust, sich Vorwürfe aus Hispania anhören zu müssen, sie hätte ihn nicht genug unterstützt.