Beiträge von Lucius Petronius Crispus

    Von Ostia aus begab sich Lucius am nächsten Morgen umgehend nach Rom - er wollte seine letzte Aufgabe bei der Flotte immerhin zügig abschließen! Als er die riesige Stadt vor sich auftauchen sah, war er wieder recht beeindruckt - Alexandria war zwar ähnlich groß wie Rom, allerdings auch ziemlich flach und langweilig im Vergleich zu der siebenhügligen Stadt. Dafür war Rom aber auch ziemlich verwinkelt und chaotisch, wie sich wieder schnell bemerkbar machte - Lucius musste einige Male überlegen, welche Biegung er nehmen musste, um am schnellsten zum Forum zu gelangen. Die Basilica Iulia erkannte er dagegen schnell wieder.


    Dort ließ er sich direkt beim Praefectus Annonae anmelden, der sicherlich schon sehnlichst auf das Getreide aus Aegyptus wartete - immerhin waren sie ein bisschen spät dran!

    Als die Aeternitas am vordersten Pier vor Anker ging, hatte man bereits den Procurator Annonae informiert, der zu dieser Jahreszeit stets in Ostia auf die Getreideflotte wartete. Lucius wusste, dass sie spät dran waren - insofern erschien es ihm logisch, dass das Empfangskomitee doch recht umfangreich war. Kaum war die Laufplanke angelegt, ging er deshalb auf den Beamten zu. Das Gespräch ging dann angenehm schnell - nach ein paar dämlichen Floskeln über die Wetterlage auf dem Mare Nostrum um die Verspätung erklärte der Procurator recht nüchtern, wo die Schiffe vor Anker gehen sollten und übernahm die weitere Administration.


    Der Subpräfekt musste dagegen auf die Kapitäne - vor allem die der Geleitschiffe - warten. Er nutzte die Zeit, um einen jungen Burschen anzusprechen, der mit seinem Bauchladen Brötchen an die Seeleute und Hafenarbeiter verkaufte:
    "Hey, du! Bist du Bäcker?"
    "Wer, ich?"
    fragte der Verkäufer ein bisschen perplex.
    "Ja, wer sonst?"
    "Ich... bin Bäcker, ja!"
    antwortete er ein stammelnd.
    "Sag mir: Wie ist der Preis für einen Modius Getreide momentan?"
    fragte der Petronier - ein echter Bäcker würde sicherlich wissen, was seine zentrale Ressource momentan auf dem Markt kostete!
    "Äh - drei Sesterzen, Domine!"
    Scheinbar verstand der Bursche nicht, was Lucius wollte - kein Wunder, konnte er doch nicht ahnen, dass der Subpräfekt auch ein wenig Getreide auf eigene Rechnung mit nach Ostia gebracht hatte, das er möglichst vor dem Verkauf des staatliche gelieferten Getreides zum aktuell erhöhten Preis verkaufen wollte!
    "Was würdest du mir abnehmen, wenn ich dir... sagen wir einen Preis von zwei Sesterzen, drei Assen bieten würde?"
    Man musste einen kleinen Anreiz bieten - das weckte die Gier nach einem guten Geschäft!

    Die Reise hatte Ewigkeiten gedauert - von Alexandria aus waren die großen Getreideschiffe über die Levante nach Cyprus gesegelt, um von Achaia kommend den italischen Stiefel zu umrunden. Diese deutlich längere Überfahrt - die Jahre bei der Classis über hatte der Petronier kaum an größeren Flottenexpeditionen teilgenommen - war doch eher ambivalent ausgefallen: Einerseits hatte sie Lucius die Möglichkeit gegeben, sich intensiv mit Fragen der Navigation zu beschäftigen - vor allem tagsüber, da die Flotte nachts gewöhnlich vor Anker ging - und die Kartographie des Mare Nostrum zu studieren. Diese technischen Beschäftigungen waren aber auch dringend nötig gewesen, denn andererseits hatte es sich als unglaublich langweilig erwiesen. Jeder Tag war mehr oder minder gleich verlaufen: Aufstehen in irgendeiner schäbigen Unterkunft, dann obligatorisches Opfer an Neptun, dann In-See-Stechen, dann den ganzen Tag auf einem winzigen Raum Zeit totschlagen - die Abläufe an Bord wurden ja vom Kapitän und seiner Crew organisiert - , dann in einem Hafen vor Anker gehen, dann die organisatorischen Dinge der Übernachtung klären, dann die Stabsbesprechung - gerne mit irgendwelchen kleinlichen Problemen der einzelnen Kapitäne, die es mit Bestimmtheit zu lösen galt - , dann ein Abendessen bei irgendeinem langweiligen Honoratioren, dann ins Bett.


    Heute aber würde all das zu Ende sein, denn heute erreichten sie Portus Romae, den großen Hafen der Stadt, in der der Subpraefectus zukünftig seinen Dienst verrichten würde! Lucius ließ die Ruderer nochmals antreiben, als endlich der große Leuchtturm dieses unglaublich modernen Hafens in Sicht kam - Traianus war ja noch nicht allzu lange tot - und die Aeternitas lief an der Spitze der Getreideflotte in den Hafen ein. Lucius staunte nicht schlecht: Portus war ein gewaltiger Hafen, vollgestopft mit Schiffen aller Größe und Form. In einer Ecke sah er sogar einige Liburnen liegen - wohl der Stützpunkt der Vexillatio von der Classis Misenensis, wo er die zusätzlichen Soldaten abliefern sollte!
    "Mann, bin ich froh, endlich aus diesem Griechenbetrieb rauszukommen!"
    erklärte er Armin, der neben ihm stand.
    "Ja, hier is' wenigstens das Wetter 'n kleines bisschen kühler... Schade, dass sie dich nicht zu 'ner Legion in Germania gepackt haben!"
    antwortete der Sklave. Lucius grinste.
    "Sei froh, dass ich nicht in irgendsoein Berbernest in der Wüste gesteckt worden bin! Roma is' doch ein ganz guter Kompromiss!"
    Das konnte man wirklich laut sagen - wo sonst würde er die Gelegenheit haben, so viele nützliche Kontakte zu knüpfen wie hier? Außerdem waren die Cohortes Urbanae sicherlich ein spannendes Tätigkeitsfeld und eine willkommene Ablenkung zum eintönigen Dienst bei der Flotte - Verbrecherjagd, öffentliche Sicherheit etc. etc. standen ab sofort auf dem Programm!

    Nachdem die Flotte endlich den griechischen Osten hinter sich gelassen hatte, berührten die Getreidefrachter nach langer Reise endlich italische Gewässer - Heimatland für den Subpräfekten, selbst wenn er eigentlich aus Germania stammte. Obwohl er inzwischen ziemlich fließend Griechisch sprach, war er froh, als im Hafen endlich wieder Latein die meistgehörte Sprache war - selbst wenn viele Bewohner von Brundisium, Tarentum und so weiter auch noch die Sprache ihrer griechischen Vorfahren sprachen. Von Brundisium aus, wo traditionell die Überfahrt nach Achaia begann, war dann die Umrundung des italischen Stiefels an der Reihe.


    Ein kritischer Punkt war das Fretum Siculum, wo es gefährliche Strömungen gab. Lucius ließ die Segel einholen und auf Ruder umstellen - der Wind war viel zu wankelmütig! Heliodorus, der Kapitän der Aeternitas, stimmte dem zu, sodass die ganze Flotte sich verlangsamte. Insbesondere die großen ägyptischen Frachter waren ohne Segel weitgehend manövrierunfähig und mussten kleine Schleppboote zu Wasser lassen. Dazu kamen Schlepper von den Küstendörfern, die sich alljährlich mit der Getreideflotte eine goldene Nase verdienten. Außerdem stellten sie mehrere Lotsen, um die gefährlichsten Strömungen selbst zu umfahren - selbst wenn Heliodorus das wenig gefiel:
    "Pah, seit mehr als zehn Jahren fahr' ich jetzt diese Passage! Ich kenne das verdammte Fretum wie den Bausch meiner Toga!"
    schimpfte er, während er mit dem Petronier am Heck des Flaggschiffes stand, das als erstes in die Meerenge einfuhr.
    "Sicher ist sicher."
    kommentierte Lucius nur. Er hatte eine ganze Weile abgewogen, ob es sich lohnte, die Lotsen zu bezahlen - sie verlangten traditionell einen stolzen Preis für ihre Dienste! - hatte dann aber errechnet, dass es deutlich sicherer und damit rationaler war: Die Kapitäne der Frachter fuhren diese Strecke im Schnitt 1-2x pro Jahr. Gerade Männer wie Heliodorus waren daneben auf allen möglichen Gewässern unterwegs, sodass sie leicht durcheinander kommen konnten - die Lotsen taten dagegen nichts anderes, als Schiffe hier herumzusteuern. Abgesehen davon musste er die Lotsen ja nicht aus eigener Tasche bezahlen...
    "Soll Charybdis sie verschlingen!"
    fluchte der Kapitän und ging zum Proreta, der am Bug neben dem Lotsen stand. Der Subpräfekt blieb zurück. Sie hatten ihm in den letzten Tagen immer wieder davon erzählt, dass Skylla und Charybdis, die beiden Märchen aus der Odyssee, hier im Fretum lebten - oder gelebt hatten, je nach Version. Lucius glaubte jedenfalls nicht daran: Eine Frau mit sechs Hundeköpfen als Unterleib, dazu noch mit Fangarmen - wie wahrscheinlich war so etwas? Und ein Monstrum, das das Meer einsaugte, sodass ganze Schiffe in seinem Maul landeten? Das war wieder klassischer Seemannsgarn, von dem er in den letzten Jahren mehr als genug gehört hatte - es war wirklich Zeit, dass er weg kam von diesem verdammten Meer, das ständig schaukelte...

    Während Lucius so lief, überholte er einen jungen Athleten, der bisher recht gemütlich gelaufen war. Als dieser jedoch bemerkte, dass er überholt worden war, zog er das Tempo an und schloss rasch zu dem vorn liegenden Petronier auf, kam immer näher und lag schließlich gleichauf mit ihm. Lucius sah nur aus den Augenwinkeln, wie sich der Lockenkopf Stück für Stück an ihm vorbeizog - sein Ehrgeiz war geweckt! Er mochte heute keinen Ringkampf-Wettbewerb machen können, aber es würde sicherlich ebenso befriedigend sein, den Griechen auf der Rennbahn zu verpressen. Also setzte auch er zum Spurt an, beschleunigte und setzte sich genau vor seinen neuen Kontrahenten, sodass dieser sein Überholmanöver abbrechen musste. Doch auch der Grieche erhöhte seine Anstrengungen, sodass auch der Subpräfekt Gas geben musste, um seine Position zu behalten. Doch es gelang ihm - als die Stadion-Rennbahn endete, überschritt er als erster die Zielgerade und riss begeistert die Arme in die Höhe.


    Trotzdem musste er sich erstmal einen Moment hinsetzen, um zu Atem zu kommen - der Grieche hatte ihn wirklich ordentlich gefordert! Obwohl dieser verloren hatte, setzte er sich neben ihn in die Wiese neben der Rennbahn. Wie der Kerl so breitbeinig dasaß, bemerkte der Petronier erst jetzt, dass er beschnitten war. Noch nie hatte Lucius bewusst wahrgenommen, dass bei jemandem zwischen den Beinen die Eichel bloß lag - es sah irgendwie ziemlich seltsam aus.
    "Ist irgendwas?"
    fragte ihn der Grieche, der offensichtlich bemerkt hatte, dass sein Gegner ihn - bzw. seinen Intimbereich - anstarrte. Einen Moment fühlte Lucius sich peinlich berührt - er wusste, dass es bei den Griechen auch Männer mit Männern trieben, was er aber ziemlich abstoßend fand. Am Ende dachte der Bursche noch, er wäre auch hintenrum - also rückte er direkt mit der Wahrheit raus:
    "Was ist mit deinem Schwanz?"
    "Ich bin ein Sohn Abrahams. Hast du ein Problem damit?"
    antwortete der Grieche.
    "Abraham?"
    fragte Lucius zurück.
    "Ja, Abraham, der Stammvater des Volkes der Juden!"
    Plötzlich erinnnerte sich Lucius, dass er das tatsächlich schon einmal gehört hatte - die Juden schnitten ihren Söhnen ein Stück Vorhaut weg. Hatte er wohl bei der Medizin-Vorlesung gehört oder so... auf jeden Fall hatte er sich nicht sonderlich dafür interessiert. Die Juden waren noch größere Spinner als alle anderen Völker, wie man hörte - dass sie ihre Kinder verstümmelten, hatte ihn da nicht sonderlich gewundert und er hatte nicht weiter darüber nachgedacht.
    Was ihn allerdings schon erstaunte, war, dass er ausgerechnet hier auf Cyprus einen Juden im Gymnasion traf, wo er doch vor wenigen Tagen noch in Iudaea gewesen war... ein seltsamer Zufall!
    "Was macht ein Jude im Gymnasion?"
    frage der Petronier deshalb etwas verwirrt. In Alexandria hatte es eine große jüdische Gemeinde gegeben, aber er hatte im Gymnasion nie einen Juden getroffen. In Caesarea war er zwar nicht gewesen, aber irgendwie hatte er angenommen, dass die Juden lieber unter ihresgleichen blieben... - aber eigentlich war das keine empirisch gestützte Annahme gewesen. Er glaubte sich nur zu erinnern, dass irgendein Offizier ihm mal gesagt hatte, dass die Juden alle Fremden hassen oder so...
    "Sport natürlich!"
    gab der Jude jedoch zurück und zuckte mit den Schultern. Er machte nicht den Eindruck, dass er den Petronier hasste.
    "Gibt's dann kein eigenes Gymnasion für Juden hier in der Stadt?"
    "Nö, obwohl es eigentlich eine gute Idee wäre. Bei den vielen Juden, die wir hier in Salamis sind..."
    "Tatsächlich?"
    Die Juden hatten den Subpräfekten nie besonders interessiert - entsprechend wusste er auch fast nichts über sie.
    "Ja, seit dem Jüdischen Krieg sind viele von uns hierher gekommen. Die alte Synagoge platzt auch schon aus allen Nähten - ich denke, da wird erstmal Geld reingesteckt werden müssen, bevor wir ein Gymnasion bauen. Außerdem finden viele Altvordere bei uns die Gymnastik sowieso unjüdisch und blockieren sowas."
    Auch über den Jüdischen Krieg wusste der Petronier wenig - nur, dass die Flavier ihn gewonnen hatten vor etwa vierzig Jahren. Der Kerl vor ihm hatte den Krieg jedenfalls nicht miterlebt.
    Aber wahrscheinlich die Alten, von denen der junge Mann sprach - Lucius fühlte sich direkt an seinen Alten erinnert, der auch alles Mögliche abgelehnt hatte, weil es angeblich unrömisch war - zum Beispiel Mathematik... Irgendwie fühlte Lucius sich dem Juden nahe, obwohl er ja einem ganz anderen Volk angehörte.
    "Und warum schneidet ihr euch die Vorhaut ab?"
    kehrte er jedoch wieder zum Anfangsthema zurück. Er wollte sich nicht zu sehr fraternisieren und die Sache mit der freiliegenden Eichel hatte doch seine wissenschaftliche Neugier erweckt.
    "Das ist das Zeichen unseres Bundes mit dem Herrn. Die Gebote unseres Gottes schreiben das vor. Jeder männliche Jude muss beschnitten sein als Zeichen, dass er zum auserwählten Volk gehört."
    Was für eine absurde Theorie - das klang fast so absurd wie die Sache mit den Eunuchen, die sich gleich die ganzen Eier abschnitten!
    "Ihr seid das auserwählte Volk? Auserwählt dazu, sich schön von Rom beherrschen zu lassen vielleicht!"
    antwortete er spöttisch - er hatte ja keinen Grund, dem Kerl schön zu tun. Morgen oder übermorgen würden sie sowieso hier ablegen und dann sah er ihn nie wieder!
    Der Jude ließ sich allerdings nicht aus der Ruhe bringen, sondern sprang auf und ballte spielerisch die Fäuste.
    "Na, das wollen wir doch mal sehen. Wie wäre es mit einem Faustkampf als Revanche?"
    Lust hatte Lucius schon, dem Kerl die Fresse zu polieren - aber es war irrational, dafür eine weitergehende Schädigung seines Arms zu riskieren. Der Arzt hatte ihn gewarnt, dass er diese Verletzung nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte!
    "Ne, bin verletzt."
    Er hob seinen Arm, wo die Narben vom Biss des Löwen noch gut zu erkennen waren. Der Jude staunte.
    "Hat dich ein Hund gebissen?"
    "Ne, ein Löwe. Jagdunfall."
    Mit diesen Worten ließ Lucius den Typen stehen - er hatte plötzlich das Interesse verloren und wollte noch ein bisschen weiter trainieren. Vielleicht Weitsprung - da musste er zwar auch die Gewichte halten, aber das war ja keine Wahnsinnsbelastung. Außerdem war der Sandkasten auf der anderen Seite des Gymnasions gerade frei...

    Die Fahrt ging voran. Nachdem die Getreideflotte die Levante hinaufgesegelt war, erreichten sie endlich Cyprus. In Salamis, dem großen Hafen an der Ostküste der Insel, gingen sie vor Anker. Für den Subpräfekten war dies eine Erlösung - dies war seine bisher längste Seereise und es ging ihm inzwischen gründlich auf die Nerven, tagein tagaus auf einem Schiff festzusitzen, das sowieso von einem Kapitän geführt wurde, sodass er im Grunde überflüssig war. So hatte er die letzten Wochen noch einmal komplett Euklids Elemente durchgelesen, hatte einige Beweise erneut nachvollzogen und sich sogar beim Landgang in Tyrus mal ein historisches Buch - von einem gewissen Sallustius Crispus - gekauft, das er im Schatten des Kommandantenzelts las. Vor allem fehlte ihm aber die Bewegung, denn auf einem Schiff konnte man kaum Sport treiben.


    Deshalb beschloss der Petronier den Landgang in Salamis zu nutzen, um das örtliche Gymnasion zu besuchen. In Alexandria war er nicht so gerne dorthin gegangen, weil es ihm irgendwie unangenehm war, vor fremden Männern nackt herumzurennen - er mochte den Schutz, den Kleidung und vor allem eine Rüstung verlieh, weshalb er manchmal sogar grundlos seinen Brustpanzer trug. Aber die Griechen machten nunmal lieber nackt Sport, was auch irgendwie rational war - dann schwitzte man seine Tunica nicht voll, sie konnte nicht kaputt gehen etc. - , sodass auch der Subpräfekt sich der Kleiderordnung beugen musste und nackt auf die Rennbahn ging. Er musste inzwischen zugeben, dass nicht nur die Philosophie eine anerkennenswerte Leistung der Griechen war, sondern auch ihr Faible für Sport. Regelmäßiges Training hielt fit für den Einsatz und bei Wettbewerben konnte man seine Kraft unter Beweis stellen. Das war eigentlich auch der wichtigste Grund für Lucius gewesen, doch das Gymnasion aufzusuchen - irgendein Großmaul fand sich da immer, das man beim Ringkampf vermöbeln konnte!


    Heute wollte er aber erstmal laufen - Ringen konnte er (zumindest theoretisch) auch auf dem Deck. Außerdem musste er seinen linken Arm seit dem Löwenbiss immer noch schonen. Also benutzte er lieber erstmal seine Beine...

    Die Audienz beim Statthalter dauerte nicht lange. Musonius Cato war glücklicherweise kein Schwätzer und fertigte den jungen Petronier zügig ab - die Cohors I Flavia miliaria sagittaria wurde abkommandiert, der Getreideflotte bei ihrem "Boxenstop" zu helfen. Da der dortige Tribun die Organisation übernahm, blieb Lucius etwas Zeit, die Stadt zu erkunden. Neben der wichtigsten Kuriosität - die Allgegenwart von Juden! - stellte der junge Petronier fest, dass die Stadt recht ordentlich hellenistisch war. Es gab sogar einen ähnlichen Leuchtturm wie in Alexandria - wenn auch nicht entfernt so hoch wie dort! Überhaupt war der Hafen sehr eindrucksvoll - das Hafenbecken war schön rechteckig und von eindrucksvollen Mauern gesichert. Vermutlich hätte die ganze Getreideflotte darin vor einem Piratenangriff Zuflucht gefunden! Jetzt war die Anlage nützlich, weil die meisten Schiffe gleichzeitig anlegen konnten, sodass die breiten Wege hinter der Hafenmauer von Seeleuten und Soldaten bevölkert waren, die neuen Proviant an Bord brachten oder Getreide zum Wenden löschten.

    Caesarea Maritima war eine eindrucksvolle Stadt - zumindest für alle, die noch nie in Rom oder Alexandria gewesen waren. Manche behaupteten, die Provinzhauptstadt von Iudaea wäre eine der größten des ganzen Imperiums - sicherlich war sie eine der glanzvollsten, wie sogar Lucius zugeben musste. Als die Flotte in der ausladenden Hafenanlage vor Anker ging, erwarteten sie bereits zahlreiche Schaulustige. Einige von ihnen waren offensichtlich Juden - der Petronier hatte schon in Alexandria herausgefunden, dass sie eine bestimmte Haartracht bevorzugten und natürlich eine eigene Tracht, die sich in Details von den anderen Orientalen unterschied. Aber eigentlich hatte er für sie kein besonderes Auge, denn nach dem Anlegen mussten erstmal Formalitäten geklärt werden. Allem voran musste das Getreide gewendet und die Vorräte der Schiffe aufgefüllt aufgefüllt werden, dazu waren noch andere Formalitäten zu erledigen. Dafür hatte der Subpräfekt mit dem Procurator der Provinz direkt zu verhandeln - es ging bei der Getreideflotte immerhin um eine verdammt wichtige Sache!


    Also stellte Lucius sich direkt am Hafen eine kleine Eskorte zusammen - Flottensoldaten waren ja sogar mehr als sonst mit dabei! - und machte sich durch die schnurgeraden, parallelen Straßen - er hatte sich im hellenistischen Aegyptus schon so daran gewöhnt, dass ihm das nicht einmal mehr auffiel! - auf dem Weg zum Statthalterpalast.
    "Die Juden sind schon ein komisches Völkchen."
    stellte er fest, als sie eine Gruppe von Juden passierten, die sich eine "Davidslocke" stehen ließen.
    "Und ein rebellisches! In Alexandria ist ein Aufstand in Delta ja weniger eine Frage des 'ob', sondern des 'wann'!"
    gab der Centurio mürrisch zurück und sah feindselig auf das Grüppchen.
    "Dazu halten sie es scheinbar für einen Vorzug, dass sie nur Iuppiter verehren. Und glauben auch noch, dass sie und nicht die Römer sein auserwähltes Volk sind!"
    Der Petronier zuckte mit den Schultern - für ihn war es so irrational an einen Gott zu glauben wie an viele. Obwohl er gehört hatte, dass viele Philosophen eher von einem als von vielen Göttern ausgingen... vielleicht war es also zumindest relativ rationaler...

    Nachdem die Getreideflotte in Alexandria aufgebrochen war und ein wenig Distanz zu den Untiefen der Küste gewonnen hatte, hatten die mächtigen Frachter ihre Segel gesetzt und sich den Westwind im südlichen Mare Nostrum zunutze gemacht und waren in die Levante gesegelt. Damit begann für den Subpräfekten - hoffentlich zum letzten Mal - die langweilige und unangenehme Zeit der Schiffsfahrerei. Auf hoher See war der Seegang immer etwas härter, sodass es auch wieder nicht lange dauerte, bis auch wieder die vertraute Übelkeit zurück war, die er trotz jahrelangen Flottendienstes nicht abgelegt hatte - immer, wenn das Deck ein wenig stärker zu schwanken begann, drehte sich sein Magen um und er musste sich in seiner Kajüte verstecken. Das ärgerte ihn zum einen wegen des unangenehmen Gefühls - wer kotzte schon gerne? - vor allem aber, weil er scheinbar der einzige war, dem es so ging. Am Anfang seiner Dienstzeit in Alexandria hatten die anderen noch versucht, ihn zu trösten - angeblich ging diese Seekrankheit irgendwann vorbei. Bei Lucius war das allerdings bis heute nicht passiert, sodass er bei seiner großen Überfahrt wieder immer ein bisschen blass um die Nasenspitze war.


    Immerhin trat auch hier Gewöhnung ein - "Was schmerzt, spürt man nicht ununterbrochen im Fleisch; vielmehr ist der größte Schmerz nur von kurzer Dauer" hatte Epikur dazu wohl gesagt. Komisch, dass er sich manchmal noch immer an den genauen Wortlaut dieser Lehrsätze erinnerte - er hatte es gehasst, sie auswendig zu lernen und angenommen, dass er sie sofort vergessen würde. Aber gerade, wenn er Leerlauf hatte, dachte er spontan immer wieder an sie. Vor allem natürlich die, die sich auf seine Wissenschaftsphilosophie bezogen: "Wenn du irgendeine Wahrnehmung einfach verwirfst und nicht unterscheidest zwischen der Vermutung, die noch auf Bestätigung wartet, und dem, was bereits als Wahrnehmung und Empfindung und als ein umfassender, von einer Vorstellung geprägter Zugriff des Verstandes gegenwärtig ist, dann wirst du durch deine unbegründete Meinung auch die übrigen Wahrnehmungen durcheinander bringen und so jeden Beurteilungsmaßstab verlieren. Wenn du aber aufgrund von Mutmaßungen sogar das, was noch auf Bestätigung wartet, und was nicht, insgesamt für gewiss erklärst, wirst du dich unweigerlich einer Täuschung aussetzen; denn du wirst jeden Zweifel bei jedem Urteil über richtig und nicht richtig zwangsläufig gelten lassen."


    Eine dieser seltsamen Wahrnehmungen war der Umstand, dass die Winde im Winter fast immer aus dem Westen kamen - warum das wohl so war?

    Lucius begab sich ans Heck und hinter das Kommandantenzelt der Trireme, um noch einmal einen Blick auf Alexandria zu haben. Die Stadt war wirklich riesig und trotzdem so schön geometrisch geordnet - auch wenn man es an der Skyline vom Meer aus nicht so gut sehen konnte. Immerhin erkannte er das Museion, wo er so viel gelernt hatte. Auch wenn die Griechen dekadent und faul waren - vielleicht nicht ganz so schlimm wie die Ägypter, aber immerhin - hatten sie doch im Bereich der Wissenschaften einiges erreicht und auch er hatte von ihnen neues lernen können. Wenn er an die Vorlesungen zurückdachte, kam ihm sofort der sezierte Affe in Erinnerung - er hatte immer vorgehabt, sich auch einmal so ein Vieh zu kaufen und dann selbst Experimente über die Funktion der Nerven zu machen. Aber er war nicht dazu gekommen - in Rom würde so ein Affe sicher teurer werden... Selbst die Philosophie war streckenweise interessant gewesen - Epikur hatte ihm gezeigt, dass er mit seinen Überlegungen nicht allein war, dass es irrational war von Göttern und Tugenden auszugehen, dass man am Ende nur sich und dem eigenen Nutzen verpflichtet war. Auch wenn man dafür ggf. andere brauchte...
    Diese Lektion hatte er aber vor allem bei der Classis gelernt: Furcht war die eine Möglichkeit, Leute zu manipulieren. Aber wer mächtiger war als man selbst - beispielsweise der Praefectus Aegypti, der ihn bis zuletzt nie hatte leiden können - oder zumindest die Möglichkeit hatte, einem zu entkommen - beispielsweise Ulpius, der sich achtern zu seinen Kameraden gesetzt hatte - dem musste man positive Anreize geben, sich einschleimen oder zumindest klar machen, dass man die gleichen Ziele verfolgte. Bei dem Minidier hatte er das leider zu spät erkannt - er hielt ihn bis heute für den Götterfrevler, der er tatsächlich war, den er aber nie akzeptieren konnte. Es wäre wohl klüger gewesen, damals seine wahren Ansichten etwas besser verborgen zu haben - überhaupt schien es rational, dem anderen nie zu zeigen, was man wirklich dachte!
    Außer natürlich, wenn der andere einem sowieso auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Die armen Schlucker in der Folterkammer hatten das lernen dürfen. Ohne mit der Wimper zu zucken hatte der Petronier so lange Qualen angeordnet und zugefügt, bis sie alles gestanden hatten, was er wollte. Manchmal hatte er sie auch zum Spaß weitergefoltert - es war einfach ein unbeschreibliches Gefühl, Herr über Leben und Tod zu sein und das Gegenüber dies spüren zu lassen. Wie damals bei Caius im Grunde... - nur dass sich als Offizier ständig Gelegenheiten ergaben, diese Lust zu befriedigen. Und wie Epikur scho sagte: Man sollte der Lust nachgehen und den Schmerz vermeiden. Das war nicht krank oder frevlerisch, sondern einfach rational!


    Mit diesen Gedanken wandte sich der Petronier von der Stadt ab und ging wieder ein wenig achtern, um sich im Schatten des Kommandantenzelts niederzulassen - die Sonne brannte und er hatte nicht vor, einen Sonnenbrand zu bekommen wie damals, als er nach Alexandria gereist war...

    Die Umkreisungsaktion dauerte eine ganze Weile. Dafür ging es danach recht schnell: Lucius hatte darauf bestanden, dem Widder selbst die Gurgel durchzuschneiden, was er mit größter Begeisterung getan hatte - irgendetwas wollte er immerhin auch von diesem sinnlosen Ritual haben! Das Zerlegen hatte er dagegen wieder den Victimarii überlassen, die das ganze dann direkt in der Kombüse der Aeternitas gebraten hatten. Das fertige Fleisch war dann an alle Kapitäne ausgeteilt worden, die es - quasi stellvertretend für die gesamten Mannschaften - gegessen hatten. Lucius hatte das Filetstück bekommen und kräftig mit Garum gewürzt - es hatte nämlich etwas gehammelt!


    Dann aber waren sie endlich in See gestochen. Und wenige Stunden später sahen sie nur noch von Ferne das Blinken des Leuchtturms von Pharos, wo riesige Spiegel das Sonnenlicht einfingen und in alle Himmelsrichtungen lenkten...

    Der Tag war gekommen - die Priester des Dionysos, die kurioserweise auch hierfür zuständig zu waren (Lucius hatte das nicht nachgeprüft, sondern es einfach hingenommen), hatten endlich erklärt, dass die Götter dem Auslaufen der Getreideflotte nach Rom zustimmten. Auch wenn die Schifffahrts-Saison mit dem Navigium Isidis schon vor mehr als zwei Monaten eingeläutet worden war, hatten Frühlingsstürme es unklug erscheinen lassen, die Ozeanriesen mit dem Getreide für Rom in See stechen zu lassen. Und zuletzt hatten die Priester ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht - immer wieder hatte irgendeine Gottheit angeblich Einwände gehabt. Der junge Petronier hätte sich darum zwar nicht gekümmert - aber die Entscheidung, wann die Flotte auslief, fällte immer noch der Praefectus Aegypti und Geminus war war nunmal ein abergläubischer Dummkopf.


    Nur weil die Priester zustimmten, hieß das aber nicht, dass sie einfach ablegen konnten. Wie üblich vor größeren Seereisen mussten dagegen wortreiche Opfer dargebracht werden. Als operativem Kommandeur des Unterfangens oblag es somit wieder einmal dem Petronier, ein öffentliches Opfer zu vollziehen. Lustigerweise fand sein hoffentlich letzter Kultakt bei der Flotte genau an derselben Stelle statt, an der sein erster stattgefunden hatte - am Bug der Aeternitas, dem Flaggschiff.


    "Oh Neptun Poseidon, Herr der Meere, Gebieter über die Fluten. Höre unsere Gebete und achte auf unsere Bitten!"
    leierte der Subpräfekt wie inzwischen gewohnt die Anrede des Meeresgottes herunter. Er hatte in den letzten Jahren mehr Vieh zu Ehren der Götter abgeschlachtet als Menschen - genaugenommen waren es nur sehr wenige Menschen gewesen - und sich inzwischen damit abgefunden. Immerhin war ihm irgendwann klar geworden, dass der Umstand, irgendwo Opferherr zu sein, bedeutete, dass man der Ranghöchste Anwesende war, sodass er es schließlich akzeptiert hatte. Außerdem war ihm klar geworden, dass es den simpleren Gemütern wichtig war, dass man den Segen der Götter holte, sodass sie leichter und eifriger gehorchten, wenn man ein bisschen Frömmigkeit simulierte.


    Für die Getreideflotte war dies in besonders umfangreicher Weise nötig - was schon daran zu erkennen war, dass sich sämtliche Kapitäne und eine große Menschenmenge auf dem Kai versammelt hatte. Zwar benutzten sie wie immer den Altar auf dem Schiff, aber dieses diente heute eher als Bühne als als abgeschlossener Raum. Und natürlich wurden auch die Gebete umständlicher, die der Petronier eingesagt bekam:
    "Du beherrscht die Meere und lenkst die Wellen. Du führst die Schiffe wohlbehalten durch dein Reich in die Häfen und bewahrst uns vor Schiffbruch und Sturm. Dein Reich ist die Lebensader Romas, über deine Fluten führen wir jenes Getreide, das Demeter Ceres hier in Aegyptus reifen lässt, in die Stadt, die dein Bruder Iuppiter Optimus Maximus erkoren hat, über die Erde zu herrschen, wie du die Meere beherrscht. Jahr um Jahr gewährst du uns die Durchfahrt und nährst damit das Volk der Quiriten und Jahr um Jahr danken wir dir durch gerechte Gaben."
    Ein endloses Geschwafel, durch das sich Lucius da kämpfen musste - aber dann kamen sie langsam zum interessanteren Teil des Opfers:
    "Wir bitten dich um deinen Segen für unsere Überfahrt. Leite unsere Schiffe schadlos über deine Fluten, verschone uns vor Unwetter, schlechten Winden-"
    Lucius stockte - "schlechte Winde" war wirklich eine dämliche Formulierung, denn sie hörte sich an, als wäre Neptun auch der Schutzherr gegen Blähungen!
    "und Flaute. Lass keines unserer Schiffe Schiffbruch erleiden, kentern oder verweht werden und führe uns wohlbehalten auf unserer Passage.
    Dafür bieten wir dir gerechte Gaben: Nimm diesen Wein als unsere Gabe und gewähre uns eine sichere Überfahrt über das Meer!"

    Mit beiden Händen ergriff der Subpräfekt die gereichte Weinkanne und goss den roten Rebensaft dann theatralisch über die Reling. Inzwischen achtete er darauf, dass es möglichst billiger Wein war - edle Tropfen einfach ins Meer zu gießen, brachte er nicht übers Herz, auch wenn er das ägyptische Bier für sich entdeckt hatte.
    "Nimm diesen Teil unserer Fracht als unsere Gabe und gewähre uns eine sichere Überfahrt über das Meer!"
    Auch einige Getreidekörner wurden ins Wasser geworfen, wo sie sich sofort verteilten. Die Dinger waren so klein, dass vielleicht wirklich der ein oder andere Fisch sich eines nehmen konnte.
    "Wir weihen dir diesen Widder als makellose Gabe. Nimm sie an und die Schiffe, die wir mit ihm umkreisen."
    Der Subpräfekt goss auch etwas Wein auf den Schafbock, der vor ihm beim Altar stand. Dann folgte der absurdeste Teil dieses Rituals: Die Aeternitas würde einmal um sämtliche Getreideschiffe rudern, während an Bord pfannenweise Weihrauch verbrannt und psychedelische Hornmusik gespielt wurde.
    Immerhin gab das dem Subpräfekten aber nochmals die Möglichkeit, alle Schiffe zumindest visuell zu kontrollieren. Also blieb er an seinem Posten vor dem Altar stehen, von wo aus er auch gut auf beide Seiten blicken konnte. Allerdings stellte sich bald heraus, dass die Toga, die er halb über den Kopf gezogen hatte, bei jeder Kopfbewegung herunterzufallen drohte. Vor einem Jahr hätte er das Mistding wahrscheinlich einfach heruntergezogen - jetzt wusste er aber, dass er sich damit bei seiner Mannschaft unbeliebt machte. Und wenn die ihn verpetzten...


    Also versuchte er, möglichst ohne heftige Bewegungen möglichst viel zu sehen, wobei er sich ein bisschen wie ein Pfau fühlte, der vorsichtig und eitel zugleich seinen geschmückten Kopf hin- und herwendete.

    Das Fieber war wirklich keine angenehme Sache gewesen - auch wenn Lucius darauf bestanden hatte, Nahrungsmittel mit kühler und trockener Qualität vorgesetzt zu bekommen, hatte es sich einige Zeit gezogen. Zwischendurch hatte er sogar ein kleines bisschen halluziniert, wobei er geträumt hatte, mit Demokrit über Atome zu diskutieren. Irgendwann war das Fieber aber abgeklungen und die Wunde an seinem Arm verheilt. Was ihm blieb, waren trotzdem hässliche, tiefe Narben, die deutlich das Gebiss des Löwen zeigten. Außerdem tat es ein weh, wenn er seine linke Faust ballte und die ganze Hand fühlte sich irgendwie etwas schwächlich an. Glücklicherweise war er allerdings Rechtshänder, sodass dies seine administrativen Aufgaben kaum beeinflussen würde.


    Ab heute würde er denen auch wieder in seinem Officium nachgehen können - er hatte ja viel zu tun und selbst wenn Ulpius und Armin ihn auch in seinem Krankenzimmer mehrfach mit Arbeit versorgt hatten, war es doch ein gutes Gefühl, den Krankentrakt zu verlassen. Immerhin war es doch sehr wahrscheinlich, dass hier das Miasma nur so gedeihte!


    "Wie laufen die Einpack-Arbeiten in meinem Haus?"
    fragte der Petronier, als Armin endlich seine Sachen fertig gepackt hatte.
    "Das geht gut voran, Domine. Der Taubendreck ist ziemlich weg und die Möbel sind verkauft."
    "Gut, gut! Hast du auch meinen Beutel sichergestellt?"
    Der Beutel war eine Trophäensammlung des Petroniers - die abgeschnittenen Finger seiner ersten erlegten Piraten. Inzwischen waren auch noch zwölf weitere Finger dazugekommen - irgendwelche Banditen, die sie in der Stadt und auf See aufgegriffen hatten. Keiner von ihnen war im Kampf gestorben - alle waren entweder von Lucius persönlich zu Tode gefoltert oder unauffällig um die Ecke gebracht worden. Einer war sogar ein Matrose der Classis gewesen, den der Subpräfekt im Namen des Statthalters zum Tode verurteilt hatte. Damit hatte er 15 Fingerknochen des kleinen Fingers in seinem Beutel unter seinem Bett - die Bilanz von sechs Jahren Classis Alexandrina. Das machte 2,5 Getötete pro Jahr oder 0,2 Tote pro Monat - eigentlich ganz schön wenig!
    "Natürlich. Die Packer haben ihn nicht gesehen."
    Natürlich wusste Armin von der Trophäensammlung - sie hatten quasi keine Geheimnisse voreinander und Armin war auch so loyal, dass er dieses etwas unnormale Verhalten nicht petzte. Besonders bei dem Hingerichteten war es gar nicht so einfach gewesen, das Fingerglied unbemerkt zu entfernen!
    "Was ist eigentlich aus dem Löwen geworden?"
    fragte der Petronier plötzlich. Während seines ganzen Gefiebers hatte er den verdammten Löwen zwar mehrmals verflucht, aber sich nie gefragt, ob man dem Mistvieh wenigstens die Haut abgezogen hatte.
    "Die Jäger haben ihn liegen lassen und dann später geholt. Irgendwas hatte ihn schon angefressen, aber die Mähne haben sie ihm abgezogen. Sie sagen, gegen Aufpreis kannst du sie haben."
    Unbewusst legte er den Zeigefinger seiner linken Hand an das Kinn, wobei im ganzen Arm wieder ein Schmerz aufzuckte - das Mistvieh hatte ihm wirklich Ärger gemacht! Allerdings hatte er es nicht erlegt, sondern war vielmehr fast von ihm erlegt worden - insofern hatte er sich eigentlich keine Trophäe verdient. Andererseits... vielleicht war das Löwenfell ja eine ganz gute Ermahnung an ihn, in Zukunft etwas bedächtiger vorzugehen!
    "Kauf das Ding. Vielleicht kann man einen Mantel damit besetzen."
    Am Ende hatte er ja doch über das Tier triumphiert - denn er war ein Mensch und hatte Helfer, die ihn beschützten, selbst wenn er versagte! Der Grund, warum das Imperium Romanum von diesen prinzipiell schwächlichen Menschen beherrscht wurde und nicht von kraftstrotzenden Monstren wie Löwen, Nilpferden oder Bären! Schärfer als alle Klauen und Zähne war eben doch der Verstand und zuverlässiger als Muskeln und Sehnen die Hilfe Gleichgesinnter! Ja, man musste schon ein bisschen darauf achten, sich Verbündete zu sichern - das hatte Lucius hier in Alexandria doch gelernt...

    Kurz vor dem Aufbruch der Getreideflotte ließ der Subpräfekt seinen Scriba Ulpius herbeiholen. Wie immer kam der emsige junge Mann sofort zu ihm, eine Tabula gezückt.
    "Die Demeter ist nun fertig und liegt im Megas Limen vor Anker. An Pier III wird als nächstes die Pollux beladen."
    meldete Ulpius gleich nach dem Hereinkommen die neuesten Neuigkeiten - Lucius legte gegenüber seinem Scriba inzwischen nicht mehr so viel Wert auf Formalitäten wie das ordentliche Grüßen, Strammstehen und Warten auf Anrede. Immerhin war es irrational, wenn man sich mit so etwas aufhielt, obwohl man wusste, dass der andere einen in seiner Position akzeptierte.
    Also nickte der Petronier knapp und legte dann aber seinen Stylus beiseite.
    "Setz dich, Ulpius."
    befahl er und der Scriba, der grundsätzlich immer stand - dann konnte er schneller erforderliche Unterlagen aus dem Regal holen oder sich anderweitig auf den Weg machen - , setzte sich. Er sah allerdings ein bisschen irritiert aus - sein Vorgesetzter verhielt sich normalerweise immer recht berechenbar!
    "Ulpius, wie du weißt, werde ich bald eine neue Stelle antreten - bei den Cohortes Urbanae in Rom."
    Sie hatten bisher noch nicht darüber gesprochen - der Petronier plauderte ungern über private Dinge - aber natürlich wusste der Scriba davon.
    "Wir haben immer gut zusammengearbeitet und - ähm - ich will ungern auf dich verzichten."
    Lucius machte eine Pause - irrationalerweise machte ihn sein Anliegen ein bisschen nervös. Irgendwie hatte er doch Angst, dass Ulpius gar nicht versetzt werden wollte und ihn abwies - was zwar eine ziemlich unlogische Entscheidung war, da er auf Lucius' Protektion bauen konnte, aber durchaus möglich war. Das war es wohl, was ihn zögerlich machte...
    "Ich würde dich deshalb gern - ähm - mitnehmen nach Rom. Wärst du daran interessiert?"
    Er blickte fragend in Ulpius' Augen. Wenn der Scriba sich als so undankbar erweisen sollte, sein Angebot auszuschlagen, brauchte er gar nicht weiterreden - dann würde er dem Soldaten ein unangenehmes Abschiedsgeschenk hinterlassen...
    "Also das ehrt mich natürlich sehr..."
    begann der Scriba ein bisschen unsicher und rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. Wahrscheinlich wog er die Pros und Contras ab - Lucius war manchmal ein bisschen launisch und ließ seine schlechte Laune, wenn irgendetwas nicht funktionierte, auch gerne an seinen Untergebenen aus. Seit Ulpius allerdings den Respekt seines Vorgesetzten erworben hatte, kam das immer seltener vor - was ihn hoffentlich hoffen ließ, das Angebot anzunehmen! Es würde unendlich nervig sein, einen Sekretär neu anzulernen - der Petronier hatte immer wieder feststellen müssen, wie anstrengend es war, Untergebene nach den eigenen Wünschen zu formen!
    "Ich würde dich zu meinem Cornicularius machen. Du würdest sicherlich früher oder später einen Optionenrang bekommen."
    versuchte er deshalb, ein paar vernünftige Argumente zu seinen Gunsten anzubieten - praktischerweise solche, die ihn persönlich nichts kosteten.
    "Na, ich hab' eine Freundin in Alexandria... und Kameraden..."
    gab Ulpius unsicher zurück.
    Lucius' Augen blitzten auf - offensichtlich versuchte der Scriba zu handeln! Aber das war wahrscheinlich der Grund, warum er ihn so schätzte - der Kerl war nicht dumm und dachte vernünftig! Und das bedeutete, dass er wahrscheinlich auch wusste, dass er seinem Vorgesetzten einiges wert war... es war nur die Frage, wie viel! Der Petronier verschränkte die Arme vor der Brust:
    "Frauen gibt's in Rom zu Genüge. Und Bordelle. Aber hier in Alexandria wirst du ewig bei einer Hilfstruppe bleiben. Wenn du Pech hast, sucht sich mein Nachfolger einen neuen Scriba aus und du darfst wieder an Deck Dienst tun. Umso wahrscheinlicher, weil ich aus deiner Ablehnung schließen müsste, dass dir dein Posten nicht sonderlich gefällt, sodass ich wohl beim Nauarchus vorschlagen würde, dich wieder dem gewöhnlichen Dienst zuzuweisen..."
    Spontan hatte Crispus keine anderen Angebote, die er bereit war zu bieten. Natürlich konnte er ihm eine Prämie aus seiner Privatschatulle zahlen - aber lieber wollte er es zuerst mit einer kleinen Drohung versuchen...
    Diese zeigte auch tatsächlich Wirkung:
    "Na wenn das so ist, dann... würde ich mich natürlich freuen, mit dir zu kommen!"
    Lucius lächelte - es hatte geklappt. Sofort sprang er auf und reichte seinen alten und neuen Mitarbeiter die Hand.
    "Ausgezeichnet, Ulpius! Ich wusste, ich kann auf dich bauen! Dann setz dich vorerst auf die Liste der Milites, die nach Misenum verlegt werden sollen!"
    Er hatte ja vom Präfekten die Erlaubnis bekommen, selbst auszuwählen, wen er nach Italia mitnahm. Und von dort war es sicherlich schneller möglich, ihn nach Rom zu versetzen!
    "Wenn wir dann in Rom angekommen sind, werde ich das alles in die Wege leiten. Sollte kein Problem sein."
    Er war dann ja immerhin schon auf der zweiten Rangstufe der Ritterkarriere - da fehlte nicht mehr viel zu einem Kommando!

    Crispus biss die Zähne zusammen, als der Medicus mit einem weingetränkten Schwamm seine Wunde reinigte. Es zog und schmerzte überall, dazu kam die Hitze und ein pochendes Gefühl im ganzen Arm.
    "Du musst dich unbedingt schonen, Subpraefectus. Mit Sicherheit wirst du Fieber bekommen - ein Löwenbiss entzündet sich quasi immer."
    Der Petronier schnaubte - als ob hier im Valetudinarium ständig Löwenbisse behandelt werden würden. Dass offene Wunden sich regelmäßig entzündeten, hatte er auch in seiner Medizin-Vorlesung gelernt. Auf Fieber hatte er allerdings so gar keine Lust - da fühlte man sich schlapp und antriebslos, sodass man die gewonnene Zeit nicht einmal zum Lesen verwenden konnte.
    "Danach können wir nur hoffen, dass die Wunde ordentlich heilt. Aber du bist ja jung und kräftig - da wird dich so ein bisschen Fieber nicht umhauen."
    Wie tröstend - er fühlte sich wie ein kleines Kind beim Arzt...

    [FONT=freestyle script, amaze]M. Petronius Crispus - Domus Petronia - Mogontiacum - Germania Superior


    L patri suo s.d.
    Ich melde mich heute mal nicht, weil ich Geld brauche. Ich wurde versetzt. In Kürze werde ich ein Tribunat bei den Cohortes Urbanae bekleiden. Meine Zeit in Alexandria ist also beendet. Ich werde aber zuvor noch die Organizasation der Getreideflotte leitend übernehmen.


    Geld brauche ich auch keines mehr. Ich habe hier genug verdient, um mich wieder in Rom einmieten zu können. Meine Bäckerei in Ostia wirft seh auch gute Gewinne ab.


    Arminius geht es auch gut.

    http://gdurl.com/3RSu


    Vale
    L Petron. Crispus[/FONT]


    Sim-Off:

    Bezahlt

    Auf dem Schreibtisch türmten sich die Unterlagen zum Proviant der Getreideflotte. Darunter waren auch Listen, die ihm der damalige Nauarchus Decimus ganz am Beginn seiner Dienstzeit gegeben hatte. Inzwischen hatte er die Besatzungszahlen, Schiffstypen und Listen der Schiffe zwar ziemlich drauf, allerdings nahm er sie bei der Kontrolle seiner Aufstellungen doch gern zur Hand - nur zur Sicherheit.


    Das war auch heute der Fall - immerhin musste der Proviant für die Geleitschiffe der Flotte absolut stimmen. Es waren sechs Liburnen und die Aeternitas, die sich auf die Reise machen sollten, dazu noch ein Transportschiff für die 200 Mann, die an die Classis Misenensis versetzt werden sollten, und zwei Transportschiffe für den Proviant. Alles in allem waren also beachtliche Mengen aufzubringen.


    Der Subpräfekt sah auf die Tafel:


    Bootstypen der classis Augusta Alexandrina


    Regulär




    Dann auf seine Rechnung:


    Geleitschutz für die Getreideflotte
    Frühling DCCCLXVII A.U.C.




    Proviant musste natürlich nicht für die ganze Reise mitgenommen werden - spätestens alle zwei Tage gingen sie in einem größeren Hafen vor Anker, wo die Lagerräume wieder aufgefüllt wurden. Trotzdem war es eine ordentliche Zahl an Männern und Material, die da transportiert werden musste - immerhin ging es ja um die Lebensader Roms!


    Im Grunde hätten die 2022 Rationen auch auf ein einziges Transportschiff gepasst - aber der Petronier hatte inzwischen gelernt, dass es besser war, nicht jeden Raum komplett zu verplanen. Wenn etwa eines der Getreideschiffe Schiffbruch erlitt, würde ein Teil er Ladung in einem Marineschiff weitertransportiert werden können. So hatten es seine Amtsvorgänger gemacht und so war es rational...


    Nachdem er alles durchgerechnet hatte, nickte er zufrieden. Es war eine gute Idee von ihm gewesen, die 200 Mann für die Classis Misenensis auf die Liburnen zu verteilen und dafür nur eine Rumpfmannschaft an Milites einzupacken - im Zweifelsfall würden die Nautae auch kämpfen und auf dem Rückweg transportierten sie ja keine allzu vitalen Güter, sodass der Schutz da reduziert bleiben konnte... außerdem sparten sie sich so ein weiteres Navis actuaria!

    Für Lucius war das kleine Tribunenhaus, das er bei der Classis bewohnt hatte, eigentlich viel zu groß gewesen. Am Anfang war er stolz gewesen, endlich ein richtiges kleines Anwesen zu bewohnen - im Grunde war es ja größer als die Casa des Alten in Mogontiacum! Aber faktisch hatte er doch nur das Cubiculum und das Tablinium genutzt. Denn Gäste hatte er sowieso nie gehabt, sodass er die Zeit zum Abendessen möglichst reduziert und an seinem Schreibtisch gegessen hatte. Auch die Küche war weitgehend kalt geblieben - er hatte sich auch den Koch gespart, sondern lieber Armin losgeschickt, um in der Stadt etwas Warmes von einer Garküche zu holen, wie er es auch in Rom getan hatte.


    Diese Sparsamkeit hatte allerdings zur Folge, dass nun, als er das Haus wieder räumen musste, die Hälfte der Räumlichkeiten verstaubt war. Im Gästezimmer fand Armin sogar ein kleines Vogelnest - scheinbar waren sie durch ein Loch in den Fensterläden gekommen, sodass das Bettgerüst völlig vollgekackt war. Zum Glück hatte er sich ein paar Matrosen abstellen lassen können, die ihm beim Auszug halfen und von denen der Jüngste jetzt die Kacke abkratzen durfte.


    Der Subpräfekt beschäftigte sich währenddessen lieber mit der Entscheidung, was er mitnehmen sollte und was nicht - eine Entscheidung, die sich vor allem im Tablinium abspielte. Dort hatte er nämlich doch eine ganze Menge wissenschaftlicher Literatur versammelt, die er von Schreibläden um Umfeld der Großen Bibliothek gekauft hatte. Archimedes war dabei, die Naturphilosophen und vieles mehr - ganz zu schweigen natürlich von seinem allerersten Buch, Euklids Elementen, die er damals von Xanthippus gestohlen hatte. Diese Rolle lag allerdings unter seinem Bett - sie war sein Schatz, den er am besten immer in seiner Nähe wissen wollte. Für einen Großteil des Mobiliars lohnte es sich allerdings nicht, das Zeug auf ein Schiff zu verladen. Er entschied also, dass der Schreibtisch, der Scherenstuhl, der Waschtisch und das Bett hierblieben. Die Kleidertruhe nahm er mit - da konnte er einen Teil seiner Besitzungen verstauen, sodass sie praktischen Nutzen erfüllte.


    "Lassen wir das Bett dann für deinen Nachfolger stehen?"
    fragte Armin schließlich, als er die Kleidertruhe zuklappte.
    "Natürlich nicht! Du kannst die Möbel, die wir nicht mitnehmen, einem Gebrauchtwarenhändler auf den Xenai Agorai verkaufen. Da kriegen wir bestimmt noch ein paar Drachmen dafür."
    Verschenken? Wo waren sie denn? Zwar hatte Lucius durch seinen sparsamen Lebenswandel doch eine beachtliche Summe an Geld angesammelt - der Sold floss ja noch immer, dazu lief seine Bäckerei in Ostia nicht schlecht - aber reich fühlte er sich noch immer nicht.
    "Gut."
    Armin hatte sich inzwischen daran gewöhnt, dass sein Herr manchmal etwas eigen war - er fragte schon gar nicht mehr. Dafür dachte er jedoch an etwas anderes:
    "Willst du dem Alten übrigens schreiben, dass du versetzt wirst?"
    Der junge Petronier nahm gerade das Astrolabium aus dem Regal, das er vor ein paar Monaten gekauft hatte - eigentlich hatte er sich auch noch ein bisschen mit den Sternen befassen wollen... Aber irgendwie war ihm immer etwas dazwischen gekommen. Und jetzt war es zu spät - nie mehr würde er solche Möglichkeiten finden wie am Museion, wo es mehr Philologen gab als an jedem anderen Ort der Welt - vermutlich zumindest...
    "Domine?"
    wiederholte Armin und sah seinen Herrn fragend an.
    "Was? Achso, der Alte... ja, ich schreib' ihm was!"
    antwortete Lucius und sah sich suchend nach etwas Stoff um, in den er sein kostbares astronomisches Gerät einschlagen konnte...

    Die Subpräfekten salutierten und drehten sich um, um das Büro zu verlassen. Auf dem Weg ärgerte sich Lucius noch ein bisschen, allerdings kam ihm immerhin der Gedanke, dass er zumindest seinen Sekretär mit nach Italia nehmen konnte - von da aus würde er ihn vielleicht leichter zu seiner Einheit versetzt bekommen, sodass er sich nicht mühevoll einen neuen Helfer heranzüchten musste...