Der Tag war gekommen - die Priester des Dionysos, die kurioserweise auch hierfür zuständig zu waren (Lucius hatte das nicht nachgeprüft, sondern es einfach hingenommen), hatten endlich erklärt, dass die Götter dem Auslaufen der Getreideflotte nach Rom zustimmten. Auch wenn die Schifffahrts-Saison mit dem Navigium Isidis schon vor mehr als zwei Monaten eingeläutet worden war, hatten Frühlingsstürme es unklug erscheinen lassen, die Ozeanriesen mit dem Getreide für Rom in See stechen zu lassen. Und zuletzt hatten die Priester ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht - immer wieder hatte irgendeine Gottheit angeblich Einwände gehabt. Der junge Petronier hätte sich darum zwar nicht gekümmert - aber die Entscheidung, wann die Flotte auslief, fällte immer noch der Praefectus Aegypti und Geminus war war nunmal ein abergläubischer Dummkopf.
Nur weil die Priester zustimmten, hieß das aber nicht, dass sie einfach ablegen konnten. Wie üblich vor größeren Seereisen mussten dagegen wortreiche Opfer dargebracht werden. Als operativem Kommandeur des Unterfangens oblag es somit wieder einmal dem Petronier, ein öffentliches Opfer zu vollziehen. Lustigerweise fand sein hoffentlich letzter Kultakt bei der Flotte genau an derselben Stelle statt, an der sein erster stattgefunden hatte - am Bug der Aeternitas, dem Flaggschiff.
"Oh Neptun Poseidon, Herr der Meere, Gebieter über die Fluten. Höre unsere Gebete und achte auf unsere Bitten!"
leierte der Subpräfekt wie inzwischen gewohnt die Anrede des Meeresgottes herunter. Er hatte in den letzten Jahren mehr Vieh zu Ehren der Götter abgeschlachtet als Menschen - genaugenommen waren es nur sehr wenige Menschen gewesen - und sich inzwischen damit abgefunden. Immerhin war ihm irgendwann klar geworden, dass der Umstand, irgendwo Opferherr zu sein, bedeutete, dass man der Ranghöchste Anwesende war, sodass er es schließlich akzeptiert hatte. Außerdem war ihm klar geworden, dass es den simpleren Gemütern wichtig war, dass man den Segen der Götter holte, sodass sie leichter und eifriger gehorchten, wenn man ein bisschen Frömmigkeit simulierte.
Für die Getreideflotte war dies in besonders umfangreicher Weise nötig - was schon daran zu erkennen war, dass sich sämtliche Kapitäne und eine große Menschenmenge auf dem Kai versammelt hatte. Zwar benutzten sie wie immer den Altar auf dem Schiff, aber dieses diente heute eher als Bühne als als abgeschlossener Raum. Und natürlich wurden auch die Gebete umständlicher, die der Petronier eingesagt bekam:
"Du beherrscht die Meere und lenkst die Wellen. Du führst die Schiffe wohlbehalten durch dein Reich in die Häfen und bewahrst uns vor Schiffbruch und Sturm. Dein Reich ist die Lebensader Romas, über deine Fluten führen wir jenes Getreide, das Demeter Ceres hier in Aegyptus reifen lässt, in die Stadt, die dein Bruder Iuppiter Optimus Maximus erkoren hat, über die Erde zu herrschen, wie du die Meere beherrscht. Jahr um Jahr gewährst du uns die Durchfahrt und nährst damit das Volk der Quiriten und Jahr um Jahr danken wir dir durch gerechte Gaben."
Ein endloses Geschwafel, durch das sich Lucius da kämpfen musste - aber dann kamen sie langsam zum interessanteren Teil des Opfers:
"Wir bitten dich um deinen Segen für unsere Überfahrt. Leite unsere Schiffe schadlos über deine Fluten, verschone uns vor Unwetter, schlechten Winden-"
Lucius stockte - "schlechte Winde" war wirklich eine dämliche Formulierung, denn sie hörte sich an, als wäre Neptun auch der Schutzherr gegen Blähungen!
"und Flaute. Lass keines unserer Schiffe Schiffbruch erleiden, kentern oder verweht werden und führe uns wohlbehalten auf unserer Passage.
Dafür bieten wir dir gerechte Gaben: Nimm diesen Wein als unsere Gabe und gewähre uns eine sichere Überfahrt über das Meer!"
Mit beiden Händen ergriff der Subpräfekt die gereichte Weinkanne und goss den roten Rebensaft dann theatralisch über die Reling. Inzwischen achtete er darauf, dass es möglichst billiger Wein war - edle Tropfen einfach ins Meer zu gießen, brachte er nicht übers Herz, auch wenn er das ägyptische Bier für sich entdeckt hatte.
"Nimm diesen Teil unserer Fracht als unsere Gabe und gewähre uns eine sichere Überfahrt über das Meer!"
Auch einige Getreidekörner wurden ins Wasser geworfen, wo sie sich sofort verteilten. Die Dinger waren so klein, dass vielleicht wirklich der ein oder andere Fisch sich eines nehmen konnte.
"Wir weihen dir diesen Widder als makellose Gabe. Nimm sie an und die Schiffe, die wir mit ihm umkreisen."
Der Subpräfekt goss auch etwas Wein auf den Schafbock, der vor ihm beim Altar stand. Dann folgte der absurdeste Teil dieses Rituals: Die Aeternitas würde einmal um sämtliche Getreideschiffe rudern, während an Bord pfannenweise Weihrauch verbrannt und psychedelische Hornmusik gespielt wurde.
Immerhin gab das dem Subpräfekten aber nochmals die Möglichkeit, alle Schiffe zumindest visuell zu kontrollieren. Also blieb er an seinem Posten vor dem Altar stehen, von wo aus er auch gut auf beide Seiten blicken konnte. Allerdings stellte sich bald heraus, dass die Toga, die er halb über den Kopf gezogen hatte, bei jeder Kopfbewegung herunterzufallen drohte. Vor einem Jahr hätte er das Mistding wahrscheinlich einfach heruntergezogen - jetzt wusste er aber, dass er sich damit bei seiner Mannschaft unbeliebt machte. Und wenn die ihn verpetzten...
Also versuchte er, möglichst ohne heftige Bewegungen möglichst viel zu sehen, wobei er sich ein bisschen wie ein Pfau fühlte, der vorsichtig und eitel zugleich seinen geschmückten Kopf hin- und herwendete.