Beiträge von Lucius Petronius Crispus

    Auch Lucius war heute wieder mit von der Partie. Während die einzelnen Schritte der Therapie ihn weniger interessiert hatten - er war ja in erster Linie hier um zu lernen, wie man Menschen vernichtete, nicht wie man sie heilte - schien es heute interessant zu werden.


    Enttäuscht erfuhr er dann aber, dass sie zwar über Sektionen sprechen würden, aber diese nicht an Menschen durchführten. Umso mehr begannen seine Augen zu leuchten, als das Skelett unter der Decke auftauchte. So stürzte er auch begeistert vor, während viele Studenten eher etwas unsicher von ihren Plätzen aufstanden und sich um das Pult positionierten.


    Der Subpräfekt suchte sich den Platz gleich zur Linken des Philologen aus und bekam so als erster die Schädeldecke in die Hand. Interessiert befühlte er sie, strich die seltsame "Naht" auf ihr entlang und fragte sich, ob die Schädeldecke bei allen Menschen gleich aussah. Er hätte es ja schon herausfinden können - er hatte genügend Menschen in seinem Leben getötet, um zumindest eine kleine Kontrollgruppe skalpieren zu können...

    Nach den Götterstatuen war irgendwann der Hierophant von Alexandria an der Reihe, dem die Mysten folgten, die Bakchoi - Zweige - in den Händen hielten. Lucius betrachtete die jungen Männer und Frauen argwöhnisch - er fand es suspekt, dass dieses Grüppchen heute in Dinge eingeführt wurde, über die sie bei Todesstrafe kein Wort verlieren durften. Im Grunde konnten sie in ihrem Tempel alles mögliche erleben - wer wusste schon, ob sie sich einfach betranken, irgendwelche albernen Tänze tanzten und dabei ein paar Reliquien verehrten, oder irgendwelche dubiosen Bünde schlossen?
    Aber irgendwie machte ihn diese Sache auch ein bisschen neugierig...
    "Da kann jeder mitmachen?"
    fragte Lucius den Centurio, als die jungen Mysten gerade an ihnen vorbeigingen.
    "Na, theoretisch jeder, der ordentlich Griechisch spricht."
    Nicht, dass der Subpräfekt ernsthaft überlegte, diesen Unsinn mitzumachen - diese Spinner würden heute die Nacht durchmachen müssen und morgen den ganzen Tag über keinen Bissen Nahrung zu sich nehmen! So lohnenswert konnte das Geheimnis nicht sein...
    "Und praktisch?"
    Der Centurio grinste.
    "Musst du die richtigen Leute kennen, den Hierophanten zum Beispiel!"
    Er deutete auf den Hohepriester, der schon ein Stück weiter gegangen war, durch seine auffällige Kleidung aber noch immer erkennbar war.
    "Und die heiligen Gegenstände haben sie jetzt vor ein paar Tagen in die Stadt geschafft und jetzt gehen sie wieder zurück, um sie dort anzuschauen?"
    Der Centurio nickte. Dann sah er wieder zu der Prozession, wo nun ein bekränzter Jugendlicher mit einer Fackel in der Hand herumtänzelte.
    "Und was ist das für'n Vogel?"
    Wieder sah der Centurio ein bisschen irritiert aus.
    "Das ist der Iacchus, ein Darsteller für Dionysos. Das göttliche Kind."
    Der Optio mischte sich ein.
    "Nene, das is' der Herold des göttlichen Kindes."
    "In Achaia vielleicht!"
    Der junge Petronier sah zwischen den beiden Offizieren hin und her - offensichtlich wussten nicht einmal diejenigen, die sich für dieses Brimborium interessierten, worum es eigentlich ging. Das war es auch, was dieses ganze Mysterien-Zeugs so absurd war - auf der einen Seite musste jede Bewegung genau befolgt werden, auf der anderen Seite wusste scheinbar keiner so genau, was es bedeutete!

    Lucius blickte hinauf zur Sonne, die unbeirrt herunterstrahlte, dann zum Schatten einer der Lanzen - irgendwo hatte er einmal gehört, dass die Länge des Schattens Rückschlüsse auf die Uhrzeit erlaubte. Blöderweise hatte er sich aber nicht informiert, insofern konnte er nicht sagen, wie lange sie jetzt schon in der Hitze standen.


    Dann endlich hörten sie Geräusche - der Klang von Trommeln und Trompeten.
    "Na endlich!"
    bemerkte der Subpraefectus und setzte sich auf. Dann stülpte er sich den Helm mit dem wallenden Federbusch über und band das Lederband unter dem Kinn zusammen. Als er wieder aufblickte, war die Musik schon deutlich erkennbar und kurz darauf konnte man durch das Tor den Kopf der Prozession sehen. Vorneweg gingen Priester mit Weihrauch-Pfannen und Fahnenträger.
    "Mann, die könnten aber 'n bisschen zügiger prozessieren!"
    kommentierte er, als er feststellte, wie langsam sich die Menschenmasse näherte. Der Centurio sah nur schweigend zu ihm hinauf, dann wieder zu seinen Männern. Anstatt seinen Vorgesetzten zu kommentieren, machte er wohl lieber seine Arbeit:
    "Milites in aciem venite! State!"
    Für den junge Petronier erschien es sinnlos, einem fremden Gott Respekt zu erweisen, der dazu noch den eigenen römischen Göttern unterlegen war - wenn man nicht wusste, dass weder der eine, noch die anderen wirklich existierten. Aber das war wohl wieder einer dieser Respekterweise vor der lokalen Kultur, die der Praefectus sich so sehr wünschte.


    Dann kamen die Priester endlich durch das Tor. Hinter den Fahnen und Weihrauchträgern kamen Priester, die die sogenannten Tafeln des Dionysos trugen, dann folgten die Musiker. Auch dieser Punkt war natürlich irgendwie unlogisch - wozu trug man die Tafeln vorneweg, wenn die Gläubigen alle hinterher gingen? Oder waren die Priester zuerst durch die ganze Menschenmenge durchgegangen, sodass alle am Anfang Gelegenheit hatten, sie zu sehen? Wobei die meisten der Gläubigen - neben der griechischen Elite war j a eine ganze Menge ägyptischer Pöbel dabei - sowieso nicht lesen konnte. Für sie waren wohl auch die ägyptischen Elemente, beispielsweise die Götterstatuen von Serapis, Demeter und Persephone oder die rasselntragenden Tänzerinnen in ihren durchsichtigen Gewändern. Das war zumindest ein Part, der auch Lucius gefiel...

    Der Subpraefectus schwitzte wie ein Schwein, als er so auf seinem Pferd mitten auf freiem Feld in der prallen Sonne stand - wobei es genau genommen kein ganz freies Feld war, denn er und die regelmäßig aufgestellten Posten standen an der schnurgeraden Straße zwischen Eleusis und Alexandria. Dort war seit Tagen ein religiöses Fest im Gange, das Lucius fast noch weniger verstand als das komische Duckmäusertum der Ägypter vor ihren Göttern. Man nannte es Eleusinische Mysterien, obwohl Eleusis eigentlich in Achaia lag und diese Mysterien auch theoretisch nur dort gefeiert werden konnten - wohl weil der gefeierte Dionysos irgendwie besonders gern an diesem Ort war. Irgendein Pharao hatte sich aber wohl gedacht, dass die Feier ganz nett wäre und in der Nähe von Alexandria ein eigenes Eleusis gegründet und seine eigenen Mysterien gleich dazu.
    Alles in allem klang das also nach einer ziemlich irrationalen Sache:
    1. Es war die Kopie eines Festes, das eigentlich an einen bestimmten Ort gebunden war.
    2. Man hatte die Riten verändert und ägyptische Elemente eingebaut, ja sogar den Fokus von den eigentlich gefeierten Göttern auf Serapis verschoben - nach allem, was Lucius wusste, mochten die Götter so etwas gar nicht!
    3. Es hatte viel mit einer Einweihung von Jünglingen zu tun, denen irgendwelche Gegenstände gezeigt wurden, darüber aber mit niemandem reden durften - der eigentliche Kern der Sache war also nur einem Kreis von Auserwählten zugänglich.


    Trotzdem war diese Veranstaltung irgendwie ein Erfolg, denn Tausende pilgerten jedes Jahr nach Alexandria, um bei den Riten dabei zu sein oder sich gar einweihen zu lassen. Das Fest dauerte neun Tage und weil die Pilger nicht ruhig in ihren Gasthäusern - die Wirte und Hoteliers der Stadt verdienten sich dabei eine goldene Nase - blieben, sondern zu den Riten gingen und das große Freizeitprogramm an diesen Tagen nutzten, musste jemand für Ordnung sorgen: die Classis! Das war auch der Grund, warum der Praefectus, der natürlich auch selbst teilnahm, ihn dazu abgestellt hatte, die Prozession zu überwachen, die immer am 19. Hathyr stattfand. Wenn er es richtig mitbekommen hatte - natürlich war der junge Petronier nicht zu den Riten gegangen - sollten damit irgendwelche heiligen Gegenstände zurück in das Heiligtum von Eleusis gebracht werden. Dort lagerten sie dann den Rest des Jahres, um am ersten Tag der Teletai für ein paar Tage einen Ausflug nach Alexandria zu machen - zum Sarapeion, wenn er sich nicht täuschte. Dort war in diesen Tagen zumindest der größte Auflauf gewesen...


    Und diese Menschenmassen wollten heute alle nach Eleusis, wo für die nächsten Tage ein richtiger Vergnügungspark eingerichtet worden war - Theater, Wettkämpfe, Wein in Strömen und so weiter. Und das ganze als Prozession - normales Marschieren wäre ja auch zu einfach gewesen, außerdem mussten ja die heiligen Gegenstände, die neu eingeweihten Mysten und so weiter mit!
    Damit das alles in geordneten Bahnen verlief, musste die Classis den Zug überwachen. Nach einigem Überlegen hatte Lucius vorgeschlagen, an mehreren Stationen kleine Trupps von Marine-Infanteristen und Seeleuten aufzustellen, die in brenzligen Situationen eingreifen konnten. Und so standen jetzt im Abstand von je einer Meile zahlreiche Häufchen Soldaten in der prallen Sonne und warteten, dass der Zug endlich losging. Als Verantwortlicher teilte Lucius dieses Schicksal, allerdings hoch zu Ross, um zwischen den Stationen auf- und abreiten zu können - außerdem bekam er, wenn er sein Pferd etwas antrieb, zumindest ein klein wenig Wind ins Gesicht, was bei der stehenden Hitze sehr angenehm war.

    Der junge Petronier lächelte amüsiert, als der Ägypter dem System hier so tapfer die Stirn bot - er war wie ein Gladiator, der trotzig in den Kampf zog und am Ende doch sterben würde, ihn aber zumindest dabei unterhielt.
    "Du solltest besser darauf achten, was du im Verhör sagst."
    Er sah zu den angenickten Bütteln.
    "Gibt es Zeugen für seine Aussagen?"
    Die beiden Männer sahen sich an - scheinbar wollte keiner so wirklich gern vor diesem Gericht aussagen. Dann schubste der eine den anderen aber, sodass der bulligere von beiden vorwärts stolperte und schließlich zögernd vor den Richterstuhl trat, hinter dem die große Gerichtssäule der Pharaonen aufgerichtet war.
    "Wie ist dein Name?"
    fragte Lucius gelangweilt, dem Brimborium der Zeugenbefragung folgend.
    "Pyradonis, Herr."
    "Dann sprich, Pyradonis: Hat Amenhotep im Verhör ausgesagt, diesen Achilleus getötet zu haben?"
    "Ja, Herr."
    "Wie hat er den Verdacht auf sich gezogen?"
    "Amenhotep ist ein bekannter Krimineller hier in der Gegend. Er hat plötzlich mit Geld um sich geworfen, da sind wir misstrauisch geworden."
    "Und ihr habt das Medaillon von diesem Achilleus bei ihm gefunden?"
    "Ja, Herr. Er hat es getragen, als wir ihn festgenommen haben."
    Der Richter drehte seinen Kopf zu dem Angeklagten, der finster dreinblickend an der Seite stand.
    "Kannst du uns erklären, wie das Medaillon um deinen Hals gekommen ist? Oder woher dein plötzlicher Reichtum stammte?"
    "Das Medaillon haben diese Hundesöhne mir untergejubelt."
    Der Soldat, der Amenhotep bewachte, gab ihm eine Ohrfeige - schmutzige Worte waren im Gericht verboten! Aber Lucius gebot der Züchtigung mit erhobener Hand Einhalt - normalerweise liebte er es zwar zuzuschauen, wie jemand so richtig vermöbelt wurde. Aber in diesem Fall würde ja sowieso nicht mehr als ein paar Ohrfeigen herauskommen...
    "Und das Geld?"
    Der Ägypter sah fast ein bisschen dankbar aus, nicht mehr weiter geschlagen zu werden - schade, mit ein bisschen Verachtung im Blick hätte Lucius es prickelnder empfunden, ihn zum Tode zu verurteilen... Dazu war er schlecht vorbereitet:
    "Das Geld... das Geld habe ich am Abend zuvor bei einem Glücksspiel gewonnen."
    "Ein Glücksspiel, soso... - und mit wem hast du dieses Spiel gespielt?"
    "Ein Fremder!"
    kam es wie von der Ballista geschossen. Dann dauerte es aber einen Moment und einige hilfesuchende Blicke, bis er noch nachschob
    "Aus Ptolemais!"
    Das war wohl die nächste große Stadt, die ihm eingefallen war - wie unkreativ! Wenn der Bursche sich eine plausible Geschichte ausgedacht hätte, hätte Lucius vielleicht sogar so etwas wie Anerkennung für ihn empfunden und es wäre ihm nicht ganz so leicht über die Lippen gekommen. Aber so hätte er ihn ja sogar verurteilt, wenn er ihm nicht sowieso völlig egal gewesen wäre - die Wahrscheinlichkeit, dass seine lächerliche Geschichte ausgedacht war, lag wohl unter 50%, die Darstellung dieses Athenion lag da deutlich höher - damit war die Rechnung klar!


    Er beugte sich ein wenig nach vorn und stützte sich auf die Lehnen des Richterstuhls, den Angeklagten eisig fixierend.
    "Weißt du, Amenhotep, deine Geschichte klingt so absurd, dass es meine Ohren beleidigt."
    Der Ägypter ließ den Kopf hängen - was für ein Jammerlappen!
    Lucius lehnte sich wieder unter den Schatten des Sonnensegels zurück und erklärte wie schon die letzten Male:
    "Die Beweisaufnahme ist hiermit abgeschlossen.
    Im Namen des Imperator Caesar Augustus, des Königs von Ägypten und Herrn der Welt ergeht folgendes Urteil: Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass Amenhotep den Achilleus-"

    Er sah noch einmal auf seine Tabula.
    "-Leonitantos heimtückisch ermordet hat. Das Gericht erkennt darin den Tatbestand des Mordes nach Paragraph-"
    Wieder musste er auf die Tabula schauen, wo praktischerweise schon das Urteil vorgeschrieben war.
    "-74, Codex Iuridicialis. Das Gericht unter dem Vorsitz des Iudex Prior Lucius Petronius Crispus in Vertretung des Eparchos Quintus Minidius Geminus verurteilt den Angeklagten zum Tode."
    Athenion und seine Bagage lächelten zufrieden, Amenhotep blickte gar nicht mehr auf - die Wachen packten ihn stattdessen grob und zerrten ihn weg. Ein wenig traurig sah der junge Petronier ihm nach - zu gern hätte er gesehen, wie dem armen Tropf von Krokodilen zerrissen wurde oder in Flammen aufging - wie er gehört hatte, waren das gängige Strafen hier in Aegyptus. Das Aufspießen auf einem Pfahl war dagegen irgendwie aus der Mode gekommen - schade eigentlich!

    "Der nächste Fall: Amenhotep gegen die Erben des Achilleus Leonitantos."
    rief der Scriba den nächsten Fall auf und Lucius wischte sich den Schweiß von der Stirn. Auf die letzten Stationen der "Fahrt auf dem Land" hatte der Statthalter die Freude am Zu-Gericht-Sitzen verloren und seinen Subpraefectus vom Kuhzähler zum Richter befördert - immerhin hatte der ja mit allerlei Tricks den Cursus Iuris bestanden. Und Lucius musste feststellen, dass diese Sache gar nicht so schlecht war - zumindest bei dieser Art von Gerichtsverfahren: Da das römische Recht nämlich traditionell vorsah, dass eigentlich nur der Statthalter Todesurteile verhängen durfte, hatte man für diesen Anlass gleich eine ganze Reihe an Verfahren vorbereitet, die schon perfekt vorbereitet waren, sodass es eigentlich ziemlich schnell ging - Anklage, Verteidigung, Anklage, Verteidigung, Urteil! Abgesehen davon waren viele Angeklagte kleine Fische, die wenn überhaupt nur einen mäßig engagierten Pflichtverteidiger hatten - da ging es noch schneller.
    Da der römische Richter sich dazu kaum für seine Entscheidungen rechtfertigen musste, blieb dem jungen Petronier auch das Herumärgern mit juristischen Geschwafel weitgehend erspart. Wie hier:
    Der Ankläger war ein junger Grieche, der offensichtlich eher der Nachfahre eines makedonischen Söldners als eines Strategen war - und auch sicherlich niemals einen Cursus Iuris besucht hatte:
    "Ich bin Athenion, Sohn des Achilleus, und klage Amenhotep hier an, weil er meinen Vater umgebracht hat. Er hat ihn hinterrücks ermordet, weil er ein verdammter Bandit ist und meinem Vater sein sauer verdientes Geld rauben wollte, das schwöre ich bei Behdeti!"
    Lucius seufzte - am Vortag hatte ein Priester ihm ausführlich erklärt, dass der Horus von Buto, auch genannt Bedethi, der Gaugott war und dazu noch irgendeine Osiris-Geschichte. So genau hatte er aber nicht zugehört, denn gleichzeitig hatten ein paar hübsche Tänzerinnen ihre Kunst gezeigt.
    "Hast du dafür Beweise?"
    "Die Wachen haben bei ihm einen Medaillon meines Vaters gefunden, außerdem hatte er plötzlich eine ganze Menge Geld!"
    Er sah zu Amenhotep, der noch von den Schlägen gezeichnet war, die die örtlichen Wachen ihm beim Verhör zugefügt hatten. Er hatte auch gar keinen Advocatus mitgebracht...
    "Gestehst du dein Verbrechen?"
    fragte der petronische Richter ihn jetzt - von den vorherigen Verfahren wusste er, dass jetzt üblicherweise das Geständnis stand. Genau genommen hatten quasi alle schon im Vorfeld gestanden und dieses lag Lucius auch bereits vor - das ganze war also nur eine Formalität.
    "Nein."
    Der Subpräfekt sah überrascht auf - die erste Überraschung an diesem Tag! Er sah prüfend in seine Unterlagen.
    "Du hast aber vor einer Woche deine Tat gestanden. Ist das nicht richtig?"
    Der Ägypter funkelte ihn feindselig an.
    "Ich kann mich nicht erinnert. Die dort-"
    Er nickte in Richtung der Büttel, die die Zuschauer zurückhielten - zeigen konnte er ja nicht, da er gefesselt war.
    "-haben mich so vermöbelt, dass ich bewusstlos geworden bin. Keine Ahnung, was ich da alles gesagt habe."

    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/8/85/Allee_des_sphinx_louxor_2004.JPG/320px-Allee_des_sphinx_louxor_2004.JPG

    Als die Horus-Barke das kleine Hafenbecken passierte und endlich am Landungssteg anlegte, kratzte Lucius sich anerkennend am Kopf - die Pylone kamen ihm nach den in den letzten Tagen eher bescheidenen Tempelanlagen wirklich ziemlich eindrucksvoll vor, das musste er zugeben.


    Zuerst verließ wie immer der Präfekt die Barke und nahm die unterwürfigen Gefolgschaftsschwüre der Priesterschaft entgegen. Dann wurden wie üblich Salben getauscht und es ging weiter. Sie durchschritten eine Allee von Sphingen, jede genau identisch mit der vorherigen, dann durchschritten sie das gewaltige Tor - um dahinter einen weiteren Pylon zu erblicken.
    "Sehr kreativ!"
    kommentierte der Subpräfekt an Armin gewandt, der sich nach der Begrüßungszeremonie wieder an seine Seite geschmuggelt hatte. Der Sklave grinste.
    Als nächstes waren mittig einige monumentale Säulen zu durchschreiten, dann waren sie am Pylon angekommen und durchschritten wieder das Tor - um im nächsten Hof zu stehen. Hier hatten die Erbauer dieses Tempels das Thema vom letzten Hof aufgegriffen und eine Säulenreihe komplett durch den Hof gezogen. Dahinter wartete wieder das gleiche Pylonenpaar wie am Anfang des Hofes und dahinter - o Wunder! - wieder ein Pylon (aber immerhin auch zwei gigantische Obelisken). Jetzt musste auch der Petronier grinsen.
    "Abwechslung is' nicht das Ding der Ägypter!"
    "Da braucht ihr Römer gerade was zu sagen!"
    erwiderte Armin und grinste ebenfalls. Lucius verzog das Gesicht - wenn man es recht bedachte, sahen die römischen Tempel tatsächlich auch alle gleich aus. Aber sie waren irgendwie...filigraner oder so!


    Zwei Obelisken- und Pylonenpaare später standen sie schließlich im eigentlichen Tempel. Den restlichen Weg legte der Minidier allein zurück - das sogenannte Allerheiligste war für Normalsterbliche tabu. Die mussten warten, bis einmal im Jahr die goldene Amun-Statue durch die Gegend getragen und über den Nil geschippert wurde. Auch wenn er zugeben musste, dass in Rom auch sehr gern Götterstatuen durch die Straßen getragen wurden, schien das hier in Ägypten Volkssport zu sein. Und immerhin hielten die Römer keine Stiere als Haustiere und behaupteten, es wären reinkarnierte Götter!



    Bild:
    Autor: Thomas Nenninger
    Quelle: Wikimedia commons

    Die Fahrt auf dem Land dauerte nun schon eine ganze Weile und Lucius hatte inzwischen mehr Rinder gesehen, als wohl jeder andere Soldat der Classis - zumindest kam es ihm nach den Zählungen so vor. Beim Abschätzen von Primzahlen war er inzwischen bei der Zahl MMMMMCMIII angelangt und fragte sich langsam, ob es eigentlich unendlich viele Primzahlen gab (Euklid behauptete das zumindest).


    Heute stand nun wieder ein sogenannter "Höhepunkt" auf dem Programm - der Besuch der Tempelanlage von Karnak. Nach all den "großartigen" und "eindrucksvollen" Tempeln der "Superlative", die ihm stolze Lokalprominente auf den vielen Empfängen angepriesen hatten, war dies angeblich wieder eine Steigerung: der größte Tempel Ägyptens. Tatsächlich konnte der Subpräfekt, der wie immer auf der Horusbarke den Einlauf in den Hafen überwachte, die beiden mächtigen Pylone am Ufer schon von weitem sehen. Am Westufer des Nils gelegen hatte die Anlage einen eigenen Hafen, an dem die früher wohl ziemlich mächtige Amun-Priesterschaft zusammen mit einer Unzahl an Schaulustigen wartete. Für Lucius war das ganze natürlich nur eine Wiederholung dessen, was er die letzten Tage allzu oft erlebt hatte. Egal ob der Strategos eines Gaus Ägypter, Römer oder Grieche war - immer stand auch eine Zahl fetter, glatzköpfiger Priester parat, die in dieser abergläubischen Provinz offensichtlich noch mächtiger waren als in Rom. Das war einerseits bedauerlich, andererseits wohl der Grund, warum dieses prinzipiell ziemlich ressourcenreiche Land sich so leicht hatte unterwerfen lassen.
    Zumindest ging der junge Petronier davon aus...

    Nach einiger Zeit hatte Lucius das Gefühl zu wissen, wo die Rückenmuskulatur der Ruderer ansetzte und wo sie hinführte - die Ruderer hatten ja praktischerweise wohldefinierte Muskeln. Damit wurde es aber wieder langweilig... todlangweilig.


    Bis der Ausguck plötzlich rief:
    "Corbita in Sicht! Steuerbord!"
    Der Subpräfekt sprang auf - endlich etwas zu tun! Natürlich war es nichts ungewöhnliches, wenn große Handelsschiffe in Alexandria einliefen, aber in dieser Gegend war das erstens selten, weil das Wasser nicht überall sehr tief war, und zweitens war ihm dermaßen langweilig, dass er eben notfalls eine Stichprobenprüfung machte.
    "Beidrehen! Wir werden diese Corbita überprüfen!"
    befahl er deshalb begeistert und arbeitete sich zwischen den Ruderern zum Bug vor, von wo er das Handelsschiff besser sehen konnte. Es hatte das Segel gerafft - es gab ja keinen Wind - und wartete offensichtlich darauf, dass sich die Wetterlage änderte. Insofern war es natürlich leicht einzufangen für ein schnelles Ruderboot, wie es die Liburnen waren...

    Lucius hatte keine Ahnung, wie lange dieses ominöse Reinigungsritual dauerte, das offensichtlich in jeder Sprache des Erdkreises abgehalten werden musste - auf jeden Fall war er wieder ziemlich verschwitzt, als der Priester ihnen endlich bedeutete, dass sie jetzt zum Tempel gehen durften. Da sah man wieder einmal, wie unlogisch dieses ganze kultische Gehabe war - ein vernünftiger Priester hätte die Reinigung im Wasserbecken erst nach diesem Weihrauch-Brimborium angesetzt, damit die Opfernden zumindest nicht verschwitzt waren, wenn sie den Göttern gegenübertraten!


    Aber der Statthalter hatte befohlen, dass sie diesen Quatsch durchführten - also musste er dem Befehl folgen. So trat er endlich an der Spitze seiner Männer durch die Pforte in das Heiligtum, in dem eine sehr berühmte Serapis-Statue stand (zumindest hatte der Centurio das behauptet). Für den jungen Petronier sah sie nicht besonders aus - natürlich war es keine schlechte Arbeit und das Gesicht sah schon sehr realistisch aus, soweit man das im Halbdunkel der Cella beurteilen konnte. Aber ob er für dieses Bildnis extra nach Alexandria gekommen wäre? Wohl eher nicht...


    Eine Zimbel begann zu scheppern, dann wurde es still und der Priester ergriff wieder das Wort:
    "O Serapis, Allgott, Aion, Herr der Ewigkeit, der Lebenden und der Toten!
    Du thronst über der Unterwelt. Du richtest die Seelen, du wiegst sie und bestimmst sie für Elysium oder Verdammnis.

    Der Subpräfekt hatte das Gefühl, diese Sequenz heute schon einmal gehört zu haben - hoffentlich würde es jetzt nicht noch einmal von vorn losgehen!
    "Deine Diener treten vor sich, um sich vom Fluch der Verstorbenen zu reinigen. Als Preis ihrer Sühne haben sie sich gereinigt von allem Unreinen und stehen nun vor dir, um dich mit gerechten Gaben gnädig zu stimmen.
    Nimm an ihre Gaben und befestige die Pforten der Unterwelt, aufdass diese Männer Ruhe finden von ihren unterirdischen Verfolgern!"

    Nachdem der Singsang des Gebets beendet war, trat der Priester zur Seite und bedeutete Lucius, an seine Seite zu treten. Ehrfurchtsvoll flüsternd, als würde die Statue jedes laute Geräusch mit einem Blitz vom Himmel bestrafen, erklärte er den weiteren Ablauf:
    "Jeder muss nun nach seinem Vermögen eine Gabe zu Füßen des Gottes ablegen, sich verneigen und sagen: 'Ich gebe diese geringe Gabe. Befreie mich von meinen Verfolgern!'. Einer nach dem anderen."
    Lucius schnaubte - er sollte sich vor einem behauenen Steinblock verneigen? Der Alte hatte ihm beigebracht, dass ein Römer sich nie verneigte - nicht einmal vor den Göttern! So etwas machten nur Sklaven...


    Zögernd trat er auf das Kultbild zu und zog eine Münze aus dem Beutel - ein Denar, das musste reichen! Wie immer, wenn er gezwungen wurde, irgendwelche religiösen Rituale zu vollziehen, leierte er sein Sprüchlein herunter:
    "Ich gebe diese geringe Gabe. Befreie mich von meinen Verfolgern."
    Dann drehte er sich einfach um und ging wieder zurück - sollten die anderen sich verneigen! Und wenn es Serapis nicht passte, sollte er ihm eben einen Blitz in den Kopf jagen oder so...

    Zitat

    Original von Lucius Petronius Crispus
    Ich bin dann mal weg... fahre für 2 Wochen nach Aremorica und dann aufs Drachenfest. Anfang August sollte ich wieder da sein.


    Anfang August - ich bin wieder da! Der Medizin-Kurs geht damit übrigens auch weiter ;)

    Das Mädel neben ihm interessierte sich scheinbar nicht für ihn - was ja irgendwie typisch war für hübsche Frauen: die waren sich natürlich zu fein, um sich für einen jungen Römer zu interessieren. Naja, immerhin gelang es ihm nach einigem Ärger zumindest wieder, sich etwas mehr auf die Vorlesung zu konzentrieren.


    Der Eid des Hippokrates klang natürlich eher nach Nonsens - wem sollte man so einen Eid schwören? Apoll, der Einbildung abergläubischer Spinner? Da hielt er es lieber mit Epikur, der ja gelehrt hatte, dass es keine absoluten Werte gab und damit wohl auch ein Eid wenig Bindungskraft hatte. Abgesehen davon, dass es ihm ziemlich unlogisch vorkam, sich mit diesen Inhalten zu identifizieren - letztlich waren das ja auch nur wieder Konventionen der Gesellschaft, die weder rational, noch gewinnbringend waren.


    Interessanter waren da schon die medizinischen Schulen, auch wenn es natürlich nie und nimmer reichte, sie mit diesen wenigen Informationen wirklich logisch zu erschließen. Die Dogmatiker klangen aber schon von vornherein ein bisschen... dogmatisch eben. Da klang die Schule von Alexandria schon besser - vor allem wegen der Anatomie, die den jungen Petronier ja schon eine ganze Weile beschäftigte...
    Die Empiriker klangen ebenfalls sehr vernünftig, denn was sollte man sich mit philosophischen Spekulationen aufhalten, wenn die Materie direkt vor einem lag? Versuch, Bestätigung, Erfahrung - das waren durchaus Prinzipien, nach denen der Subpräfekt sein Leben lebte und das für jede Wissenschaft intelligent klang. Da war das Geschwafel der Pneumatiker über Luft und Elemente schon abgehobener, selbst wenn Lucius Demokrits Lehre für durchaus plausibel hielt...

    An diesem Mittag erreichte die Horusbarke Koptos im 5. oberägyptischen Gau. Lucius hatte bereits erfahren, dass dieses eigentlich eher unbedeutende Nest erst in den letzten hundert Jahren zu größerer Bedeutung gelangt war - also etwa so lange wie seine Heimatstadt Mogontiacum, nur dass das hier in Aegyptus mit seinen Jahrtausende alten Metropolen natürlich lächerlich war. Das gute daran war, dass nach all den Lehmziegelstädten mit griechischem Ortskern diesmal eine einigermaßen römisch dominierte Stadt auf sie wartete.


    Tatsächlich standen, als das Boot des Statthalters am Hafen anlegte - in dem neben Handelsschiffen römische Liburnen der Classis lagen - nicht nur eine Abordnung Marineinfanteristen parat, sondern auch ein Strategos in römischer Toga. Umso absurder wurde aber das, was sie nun trotzdem abspielte:


    Der Praefectus Aegypti war nämlich auch hier, wo nur eine Handvoll Ägypter überhaupt unter den oberen Zehntausend des Gaus zu finden waren, strikt an das Protokoll gebunden. Als er also - in Vertretung des Pharao - an der Spitze des Horusgeleits - einer Gruppe von vier Standarten mit Tierfigürchen oben drauf - von der Barke kam, warfen sich alle Anwesenden in andächtiger Verehrung zu Boden (mit Ausnahme der römischen Bürger, die aber immerhin ihre Köpfe neigten). Minidius Geminus ging dann auf den Strategos zu, berührte ihn und richtete ihn wieder auf, um einige festgesetzte Grußworte zu sagen.
    Dann drehte er sich um und ließ sich von einem Diener ein Tablett mit goldenen Gefäßen reichen, die Salböle beinhalteten. Mit gespielter Dankbarkeit nahm der Strategos diese entgegen und drehte sich seinerseits um, um die Öle loszuwerden und dem Minidier Opfergaben zu übergeben - natürlich im Namen der ganzen Bevölkerung!


    Inzwischen hatte der junge Petronier diese Zeremonie schon ziemlich oft gesehen - um genau zu sein 18x - aber diesmal war es das erste Mal, dass zwei römische Bürger in Togen den Salbentausch vollzogen. Er verzog ein bisschen das Gesicht, um nicht über diese lächerliche Geste zu grinsen - das war bekanntlich verboten bei altehrwürdigen Zeremonien - und seufzte. Wieder einmal ein Beweis für den Aberglauben nicht nur dieser Provinzialen, sondern der ganzen Welt...

    Zitat

    Original von Plinia Chrysogona
    Obwohl ihr Vater Chrysogona vorgewarnt hatte, dass der angesehene Medicus Herophilus von Samothrake in seinen Vorlesungen noch bei den philosophischen Grundlagen war und erst noch zu den Grundlagen der Humoralpathologie kommen würde, hatte sich Chrysogona dazu entschlossen, die Vorlesung zu besuchen und den berühmten Mann kennenzulernen.


    Gaius Plinius Phoebus hatte den Kollegen von der zu erwartenden Teilnahme seiner Tochter unterrichtet und so ahte der Iatros womöglich, wer sich so leise durch die Tür des Vorlesungssaales schlich und so unauffällig wie möglich einen Platz im Auditorium suchte.


    Mit gesenktem Haupt, ein "Chaire!" murmelnd, nahm sie an der Seite eines jungen Mannes Platz, der den Ausführungen des Lehrmeisteres lauschte. Chrysogona bekam gerade noch mit, wie er Demokritos, Alkmaion, Platon und Aristoteles erwähnte. Dann kam die Überleitung zur Humoralpathologie. Die griechische Medica faltete sittsam die Hände im Schoss und hörte aufmerksam zu.


    Eine junge Frau schlich sich noch in die Vorlesung, nachdem sie schon begonnen hatte. Lucius hatte schon immer ein gewisses Problem mit Frauen gehabt - rasch sah er weg, als er feststellte, dass sie auch noch hübsch war. Aber das half nichts - kurz darauf saß sie nämlich neben ihm und wandte sich sofort dem Philologen zu. Der junge Petronier sah verstohlen zu ihn hinüber - sie war wirklich nicht hässlich, schlank und zierlich...


    Lucius versuchte sich wieder auf die Vorlesung zu konzentrieren: Genau, Hippokrates, Abkehr vom Aberglauben der Asklepeien - was für ein Glück, dass zumindest die Medizin sich von den Göttern abgewandt hatte!
    Bevor aber die vier Elemente genannt wurden, schielte er auch schon wieder zu Chrysogona hinüber - er konnte sich nicht konzentrieren, wenn sie da neben ihm saß!

    Sind eigentlich dieses Jahr wieder IRler auf dem Drachenfest zu finden? Wenn ja, wäre es natürlich fabelhaft sich wieder irgendwo irgendwann mal für ein Stündchen (oder mehr) zu treffen.


    Ich fahre hin, allerdings erst am Dienstag - ich weiß, das ist schwierig für manche, aber ich dachte, dass es evtl. wieder einen Versuch wert wäre...

    Nachdem alle gewaschen waren - bis auf das Becken, das nun ein wenig getrübt wirkte - trat die Truppe wieder Formation und marschierte ein Stückchen weiter. Dort ließ der Priester sie erst einmal stehen, um seine Helfershelfer zu holen, was dem Subpräfekt die Möglichkeit gab, sich mit ein paar spöttischen Kommentaren Luft zu machen:
    "So ein Schwachsinn, also wirklich. Ist das normal, dass man nach jeder Kreuzigung so einen Zirkus machen muss?"
    Der angesprochene Soldat zuckte mit den Schultern.
    "Wird schon seine Gründe haben."
    "Vielleicht hätten wir lieber keine Soldaten werden sollen, wenn wir Angst vor Totengeistern haben..."
    fügte der junge Petronier auf diese ausweichende Antwort an. Das war genau der Grund, warum diese Sklavenseelen es nie zum Offizier bringen würden - sie trauten sich einfach nicht, irgendwas infrage zu stellen! Wer nie selbst mitdachte - und wenn, dann falsch - der brauchte sich nicht wundern, dass niemand auf seine Meinung Wert legte!


    Bevor er aber weiter über Religion lästern konnte, erschien der Priester mit einer kleinen Prozession von Tempeldienern. Die jungen Männer trugen Schalen, von denen der Weihrauch nur so qualmte.
    "Beginnen wir mit dem zweiten Teil der Zeremonie. Ich bitte um Ruhe und Konzentration!"
    kündigte der Priester an und machte eine gestische Regie-Anweisung, auf die hin die Tempeldiener mit ihren Weihrauchschalen sich an den vier Ecken der Formation postierten. Lucius hustete, als eine Weihrauchschwade ihm genau ins Gesicht wehte.
    Der Priester öffnete die Hände, den Blick zu Boden, dann zum Himmel.
    "O Serapis, Allgott, Aion, Herr der Ewigkeit, der Lebenden und der Toten!
    Du thronst über der Unterwelt. Du richtest die Seelen, du wiegst sie und bestimmst sie für Elysium oder Verdammnis.
    Doch ebenso herrscht du über die Welt der Lebenden. Du lässt die Sonne scheinen über alle, die auf Erden wandeln. Jahr um Jahr schenkst Du den Feldern Fruchtbarkeit und lässt die Pflanzen sprießen, um allem Leben das Seine zu geben. Du errettest die Kranken vor dem Tode und gewährst ihnen Heilung.


    Sieh gütig auf diese Deine Diener. Gereinigt in deinem heiligen Wasser des Niles treten sie vor dich, um abzuwaschen die Blutschuld von ihren Händen.
    Du Richter der Lebenden und der Toten: Nimm an ihre Sühne und sprich sie frei von ihrer Verdammnis! Wie der Rauch dieser Kräuter verrauche dein Zorn über ihr schändliches Handeln!"

    Die Tempeldiener traten näher und begannen, im Kreis um die Soldaten herumzumarschieren. Immer wieder musste der Subpräfekt husten - der Rauch brannte in seiner Nase, dazu wurde ihm fast ein bisschen schlecht von dem komischen Geruch - hoffentlich war es bald vorbei!
    "Du Herr über die Seelen der Toten: Verschließe die Geister ihrer Opfer in deinem Reich und hindere sie, die Lebenden zu quälen. Vergilt ihnen ihren Anspruch mit ihrer Sühneleistung!"
    Wieder räusperte sich Lucius, als der Weihrauch an ihm vorbeigetragen wurde. Es wurde höchste Zeit, dass dieses komische Gebrabbel aufhörte - was hatte das bitte zu bedeuten? War Serapis jetzt der Herrscher der Toten oder auch der Lebenden? Wenn letzteres stimmte, dann war die Bitte des Priesters völlig unlogisch - dann würde Serapis die Totengeister ja eben auch ins Reich der Lebenden lassen können, womit die ganze Zeremonie schon aus rationalen Gründen erfolglos sein musste!
    Wie gut, dass Lucius nicht an Totengeister glaubte...


    Anstatt allerdings wie erhofft nun mit diesem Part fertig zu sein, begann der Priester plötzlich auf ägyptisch zu sprechen. Die Tempeldiener kreisten weiter wie Geier um das Aas und verströmten den Gestank dieser angeblich wohlriechenden Kräuter...

    Nach Memphis ging es endlich nach Oberägypten - was jedoch keineswegs bedeutete, dass sie damit die Hälfte ihrer Reise geschafft hatten. Tag für Tag legten sie in irgendeiner Provinzhauptstadt an, Tag für Tag gab es das gleiche Ritual: Begrüßung, Feier am Abend, Viehzählung und Gericht am nächsten Tag, dann Verabschiedung. Nach einiger Zeit hatte Lucius genügend ägyptische Tempel, dickliche Schreiber und makedonische Mischlinge mit zu viel Gold und zu viel Selbstbewusstsein für sein ganzes Leben gesehen, wie er glaubte. Trotzdem bestand der Präfekt natürlich darauf, dass sein Subpräfekt ihm überall hin folgte, immer alle Hände schüttelte und dabei nicht allzu abfällig auf die Provinzialen herunterschaute, die sich mit diesem Fest offensichtlich noch sehr viel mehr feierten als die Götter, denen es eigentlich gewidmet war.


    Anders konnte Lucius es sich nicht erklären, dass man sie in jeder Provinzstadt durch sämtliche Tempelanlagen scheuchte - zumal sie für ihn irgendwie alle gleich aussahen - und ihnen die abstrusesten Traditionen und Rituale (insbesondere hinsichtlich der Gestaltung von Götterstatuen) präsentierte. So viel Aberglaube - wenn man nicht einfach Schwachsinn sagen wollte - hatte der junge Petronier in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Selbst die Germanen - diese Baumumarmer - wirkten dagegen noch relativ rational!


    Zum Glück hatte er zwischendurch immer wieder etwas Zeit für römische Ordnung und Disziplin, denn der Weg zwischen den Hauptstädten musste ja auch zurückgelegt werden, wozu er als Offizier meist auf einer der Liburnen mitfuhr. Hier konnte er dann nach Herzenslust seine schlechte Laune an den Soldaten auslassen - gerade für diese zeremoniellen Aufgaben war es ja durchaus zu rechtfertigen, die Marineinfanteristen pausenlos antreten zu lassen und zu inspizieren! Und eines hatte er schnell herausgefunden - bei einem Appell ließ sich immer ein Haar in der Suppe finden!

    In eine Enkoimesis drohte Lucius auch zu verfallen, als der Dozent weiter vom Asklepios-Kult zu schwafeln begann. Dass alles war irrationaler Quatsch - das hatte er schon vorher gewusst: Traumdeutung als Heilungsmethode - was für ein Humbug!


    Danach wurde es allerdings etwas interessanter, denn Philosophie war ja definitiv ein Bereich, der den jungen Petronier interessierte - insbesondere die Naturphilosophie, von der er bei seiner Strafarbeit schon so viel gelesen hatte. Als Herophilos dann auch noch ausgerechnet Thales von Milet hervorhob, den er ja schon aus der Elementarschule als großen Mathematiker kannte, jubelte er innerlich - vielleicht war er doch nicht so falsch hier, wie er zuerst befürchtet hatte!
    Auch die Theorie von Thales klang nicht unbedingt irrational - ohne Wasser gab es kein Leben, das ließ sich nirgendwo besser erkennen als Aegyptus, wo es von Pes zu Pes toter wurde, je weiter man sich vom Nilus entfernte! Ob diese Theorie jedoch einleuchtender war als Epikurs - oder vielmehr Demokrits - Atomtheorie, ließ sich hier nicht feststellen. Wenn es überhaupt irgendwie empirisch zu prüfen war...
    Spontan klang es auf jeden Fall vernünftiger als Luft oder Feuer, die ja doch irgendwie... immateriell waren...

    Nachdem die Soldaten begannen, ihre Gesichter in das Becken zu tauchen, wurde Lucius plötzlich bewusst, dass das Wasser sicherlich ziemlich dreckig sein würde, wenn 311 ungewaschene Männerhälse sich gereinigt hatten - selbst bei dem Volumen, das er für das Becken schätzte...


    Also stürmte er schnell nach vorne und legte selbst den Umhang ab. Einer der Soldaten sah ihn fragend an.
    "Komplett waschen?"
    Lucius sah zu dem wartenden Priester.
    "Komplett waschen?"
    Der Priester runzelte die Stirn.
    "Das wäre natürlich besser, ist aber nicht zwingend erforderlich."
    Der Subpräfekt musste nicht lange nachdenken - selbst wenn nackte Menschen in Aegyptus ein gewohnter Anblick waren, schien es ihm doch irgendwie unpassend. Abgesehen davon sparten sie so Zeit und kamen möglichst schnell wieder zurück zum Stützpunkt, um vernünftiger Arbeit nachzugehen! Also befahl er den Soldaten:
    "Katzenwäsche reicht!"
    An die machte er sich jetzt auch. Wie morgens auch beugte er sich über die Schüssel - bzw. das Reinigungsbecken - und schaufelte sich ein bisschen Wasser ins Gesicht. Er musste feststellen, dass es bei der Hitze des Tages sogar recht angenehm war. Dann waren die Arme an der Reihe, dann war er fertig. Er zog den Umhang wieder an.
    "Was kommt jetzt?"
    fragte er den Priester.
    "Wenn alle fertig sind, werden wir die Götter anrufen und euch mit Weihrauch und Heilkräutern reinigen. Danach werden wir in dem Tempel eintreten, wo jeder von euch Serapis eine Opfergabe geben und ein Gebet zu sprechen hat."
    Lucius seufzte.
    "Dauert das lange?"
    Der Priester seufzte.
    "Es dauert, solange es eben dauert. Eine Reinigung ist keine Formalität, die man einfach so hinter sich bringt!"
    Lucius seufzte.