Beiträge von Thaiis

    Viel zu viel und viel zu komplex war das, was Menecrates jetzt sagte. Aber das erste Wort war "Ja." Also hatte Taira richtig beobachtet. Und nun? Hatte er sie aufgefordert etwas zu machen oder sollte sie ihm vom Leibe bleiben? Oh Aeskleipedios, was sollte Taira jetzt tun? Sie entschied sich dafür alles auf eine Karte zu setzen und das, was sie Aeskleipedios gelobt hatte zu tun – zu helfen!


    Taira stellte sich hinter Menecrates. Da waren seine Wirbel, hier die Muskeln links und rechts davon ... vier schnelle Griffe, links, rechts, links, rechts. Dort war Menecrates Schulterblatt. Den Daumen der Rechten und den Zeigefinger der Linken angesetzt. Eine große, bogenförmige Bewegung, Daumen weg, Zeigefinger herunter, Daumen wieder hin .. Taira spürte, wie das Fleisch unter ihrem Finger quitschend nachgab. Puh ... das war gut gegangen. Noch ein schneller Griff entlang seiner Rippen unter dem Arm hindurch. Jetzt kam der gefährlichere Teil. Taira stellte sich vor Menecrates, hob seinen rechten Unterarm etwas an und ließ ihn auf ihrem, ebenfalls angewinkelten, rechten Unterarm zum Liegen kommen. Sie umfasste Menecrates Oberarm mit der Linken und fuhr mit dem Daumen über seinen Armmuskel. Ein Schritt nach Links spannte seine Schulter. "Bitte vergib, Herr!" Bei diesen Worten schloss sie die Augen in Erwartung der Strafe, die gleich kommen würde und schlug mit der Aussenseite ihrer zur Faust geballten Linken vorsichtig gegen Menecrates Schulter, entspannte sofort seinen Arm und führte dabei quasi nebenbei noch eine Bewegung über seinem hinteren Oberarm aus. Dann liess Menecrates seinen Arm vorsichtig herabgleiten. Tairas Atem ging flach und schnell wie auch ihr Herz schlug in Erwartung der Strafe, die sie jetzt mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen erwartete.

    Weder Menecrates noch Victor schien das Essen wirklich zu schmecken. Obwohl Taira sich daran völlig unschuldig fühlte, war ihr klar, dass, wenn das Konsequenzen haben würde, sie diejenige war, die das auzubaden hätte. Insbesondere der Fisch schien nicht Menecrates Zustimmung zu finden.


    Irgendwann schob er dann die Reste seines Essens von sich und schaute sich die anderen, noch auf dem Tisch stehenden Speisen an. Sein Augenmerk richtete er dabei insbesondere auf die Teller mit dem Gebäck und dem Obst. Ob er jetzt wieder Süßes haben wollte?


    Taira nahm ein Tellerchen und ging zum Tisch. Hmmm ... Süßes, ohne Scharfes ... hmmm ... In die Mitte des Tellers legte sie ein Stück Propolis. Nicht jedermanns Geschmack, aber gesund. Darum herum einige Plätzchen in Form einer Blume arrangiert. Bei eingen der Plätzchen hatte Taira keine Ahnung, woraus sie im Einzelnen gemacht waren, aber Morrigan wusste sicher, warum sie sie aufgetan hatte.


    Taira ging neben Menecrates auf die Knie und reichte ihm den Teller.

    Taira öffnete die Küchentür um Agrippa eintreten zu lassen. Morrigan schien irgendwo unterwegs zu sein und der Raum lag verlassen.


    "Nimm Platz!" forderte sie Agrippa auf. "Möchtest Du etwas essen oder trinken?"


    Während sie noch auf eine Antwort wartete, füllte sie einen dreifüßigen Topf mit Wasser und stellte ihn in das Herdfeuer. Dann griff sie eines der an der Decke hängenden Stoffsäckchen, öffnete es und roch daran. Taira runzelte die Stirn und hängte das Säckchen, nachdem sie es verschlossen hatte, wieder an seinen Platz. Sie griff sich das Säckchen daneben und nach der gleichen Prozedur hellte sich ihr Gesicht auf. Sie griff hinein und warf eine kleine Hand voll Blätter daraus in den Topf.


    Nachdem auch dieses wieder dort hing, wo es hingehörte, ging sie hinüber zu Agrippa, setzte sich neben ihn und sagte: "So, und jetzt zeig' mal Deinen Hals!"

    Taira vertraute Aeskleipedios und war fest der Meinung, dass sie keiner Hilfe bedürfte und auch der zu erwartende blaue Fleck schneller wieder weg sein würde, als er sich bilden könne. Wie er ihre Haare griff war so anders, als sie es bisher als Sklavin erlebt hatte. Keine Gewalt, kein Reissen. Nun, wenn er unbedingt wollte, warum sollten sie nicht in die Küche gehen. Dann wäre er ja auch da, wo sie ihn hinhaben wollte.


    "Wenn Du es wünschst, gehen wir in die Küche. Aber für Dich werde ich einen Oreganosud machen. Ja?" Ohne eine Antwort abzuwarten, die ja ablehnend hätte sein können, ging Taira los.

    Nachdem Taira Menecrates angekleidet hatte ging sie, vielleicht zum letzten Mal, wer wusste das schon, in die Küche. Morrigan, die hier bleiben und sich um das Haus kümmern würde, und Taira umarmten sich und schauten sich traurig an. "Viel Glück, Taira! Und komm wieder, ja?" "Das wissen nur die Götter. Danke für alles!" Taira standen die Tränen in den Augen. Schnell wand sie sich um und lief ohne sich umzusehen hinaus.


    Als sie aus dem Vestibulum heraustrat, standen dort sechs Sklaven. Drei Männer und drei Frauen, wie Taira in gutes, haltbares Leinen gekleidet. Diese sechs sollten gemeinsam mit Taira Menecrates auf dem Feldzug begleiten. Taira graute es davor. Nicht nur, dass sie mit Schrecken an den scheinbar ewigen Fußmarsch von Marsallia nach Mogontiacum dachte, nein, fast noch schlimmer war, dass sie, Taira, den anderen Sklaven vorstehen sollte. Natürlich machte sie diese Aufgabe nicht wenig stolz, aber ob sie ihr auch gewachsen war?


    "Wo ist Troß?" fragte sie einen der Legionäre, die den Eingang des Vestibulums flankierten. Der Legionär nahm Haltung an und erwiederte "Auf dem Campus Drusii!" Taira war verwirrt. Der Soldat hatte ihr seine Ehrerbietung gezeigt. Ihr! Innerlich wuchs sie um mindestens einen Spann. Dann sagte sie: "Danke!" und zu den anderen Sklaven: "Na dann, kommt!"


    Sie gingen über die Hauptstraße des Castellums zu dem Tor, das Taira seit sie von Menecrates gekauft worden war, nicht mehr durchquert hatte. Sie wies den Wachen das Schreiben vor, welches Menecrates ihr gegeben hatte und die sieben wurden ohne weiteres durchgelassen. Weiter ging es zum Forum und dann nach Süden, auf die Stadtmauer zu. Auch am dortigen Tor sorgte Menecrates Schreiben dafür, dass sie ohne behelligt zu werden passieren konnten


    Jensets der äußeren Häuser, kurz vor der Stadt lag das Campus Drusi. Dort wimmelte es von Soldaten. Dort wollten sie ja aber gar nicht hin. Etwas abseits war ihr Ziel nicht zu übersehen. Etwa 250 ochsenbespannte Wagen, so schätze Taira, standen, aufgereiht wie auf einem Mosaikfussboden, bereit loszumarschieren. Taira schätzte, das sicher 1000 Männer – Treiber, Wagenknechte, Handwerker – nötig waren, um diese gewaltige Menge an Menschen, Tieren und Waren vorwärts zu bringen. 1000 Männer. Und das war nur ein kleiner Teil der Legion. Es war gewaltig, welche Maschinerie sich hier formierte um sich in Bewegung zu setzen und Tod und Verderben zu bringen. Welche Verschwendung!


    Taira ging mit ihren Begleitern auf die Wagen zu. Auf den ersten Wagen die sie genauer sehen konnten, waren anscheinend Teile von Kriegsmaschinen verstaut. Taira erinnerte sich an die Besuche bei ihrem ältesten Bruder, der als Soldat eine Gruppe genau solcher Maschinen befehligte. Er sagte sie würden auskeilen wie wild gewordene Esel und daher auch Wildesel heissen. Den ersten Wagenlenker sprach Taira an. "Kannst Du sagen, wo Wagen des Legaten stehen?" Der Mann brummte irgendetwas, anscheinend unwillig, und deutete nach weiter hinten. "Dort irgendwo." Taira bedankte sich und die sieben machten sich auf die Suche. Irgendwann hatten sie die Wagen dann gefunden. Zwei Wagen, abgedeckt mit derbem Wachstuch, hatten Menecrates persönlichen Besitz geladen. Taira verließ sich darauf, dass die Legionäre und Morrigan gute Arbeit geleistet hatten und alles, was Menecrates mit sich führen wollte, auch dabei war. Die Wagen wurden von jeweils einem Lenker und zwei Treibern geführt, ausserdem waren zehn Soldaten damit beauftragt, Menecrates Besitz zu beschützen. Da sich Taira auch dazu zählte, hoffte sie, die Soldaten würden auch ihr etwas mehr Sicherheit auf dem Feldzug verschaffen.


    Taira schaute ihre Begleiter an, denen es genau so unwohl war ihr. Sie waren gestern von Taira und Morrigan in die Unterkünfte bestellt worden und hatten Erfahren, dass sie Tairas Anordnungen zu folgen hatten als wären dies Menecrates eigene Wünsche. Taira wollte dies auch konsequent durchsetzen. Nur wusste sie nicht, ob es ihr gelingen würde.


    In der Ferne, am Sammelpunkt der Legion, konnte man sehen, wie sich die Soldaten zu Abteilungen formierten. Taira erwartete, dass der Troß und damit auch sie am Ende der Legion marschieren würden. Jetzt hiess es also warten. Warten auf eine ungewisse Zukunft.

    Ein Strahlen ging über Tairas Gesicht. "Du sprichst Griechisch? Das ist so schön. Danke, dass Du mir geholfen hast." Sie wurde wieder sachlich. "Hamilkar sollte mein Lehrer sein, weil ich so gut wie kein Latein spreche. Es schien mir aber gleich so, dass er lieber etwas anderes wollte. " Taira griff sich an den Hals und bewegte ihre Hand dort ein paar mal hin und her. Sie schien mit dem Ergebnis zufrieden zu sein, schaute Agrippa an und fragte: "Was ist denn mit meinem Hals? Ich sehe es ja nicht. Schmerzen habe ich jedenfalls keine. Aber um den Stich in Deinem Hals sollte ich mich nochmal kümmern. Hast Du ihn schon einmal abgewischt? Ist es dort oft wäßrig? Schmerzt es? Vielleicht sollten wir doch in die Küche gehen? Oder lieber in Euer cubiculum?"

    Hmmm ... Zeit zu zeigen, dass die Reiter nicht nur goldgewirkte Trensen sondern auch eiserne Waffen hatte.


    "Datteln. Hmm." Morrigan erweckte den Anschein nachzudenken. "In größeren Mengen für einen Feldzug wäre das etwas für die Führung der Legion. Hier ginge es ja um die Versorgung tausender Männer, nicht um die Führung eines bescheidenen Haushaltes wie dem des Legaten. Ich sollte meinen Herren fragen, ob die Legion an Zulieferung Interesse hat, oder?" Morrigan schaute Mathayus fragend an.


    "Wein. Guter Wein ist hier so knapp, dass selbst hier in Mogontiacum ja seit einigen Jahren Weinstöcke angebaut werden. Leider mit einem Ergebnis, dass es eher Essig ist, der bereits fertig an den Stöcken wächst. Der Wein, den Du trinkst, kam aus Antiochia. Anderer in der Cella ist aus Cydonia, woher auch unsere Oliven kommen. Von dem was Du sagst und wenn Du von der Insel Melita kommst, sollten Seetransporte ja aber etwas Gewöhnliches für Dich sein. Und ich glaube, den Einwohnern von Creta wird es gleich sein, wo ihre Ware hin geht. Das käme für Dich natürlich auch für eine eventuelle Lieferung von Datteln in Frage, da ja beides, Wein und Datteln aus Cyrene in Gortyn wohlfeil zu bekommen sein sollten." Morrigan hätte nie gedacht, dass ihr, die aus der Steppe Persiens stammte, einmal all dieser unnütze Ballast geographischen Wissens nützen würde. Pferde waren sowieso viel interessanter. Aber egal .. jetzt konnte sie damit vielleicht Eindruck schinden und damit daraus Nutzen ziehen.


    "Was die Stoffe und Gewürze angeht, die Du auf Lager hast – dürfte ich diese mir ansehen?"

    Puh! Taira hatte Glück gehabt und alles verstanden, was Menecrates ihr gesagt hatte. Ob er ihr zu liebe so einfach sprach? Wenn er seine Worte an Victor richtete, rauschten Taira nur die Ohren und sie verstand so gut wie gar nichts.


    Zuerst also Oliven und Obst. Oliven war einfach, da gab es nur eine Sorte. Taira konnte sich noch gut daran erinnern, wie mühseelig es war, den Kern aus jeder einzelnen herauszupuhlen. Und Obst. Nur welches? Als nächstes wollte Menecrates Fisch. Gut. Taira hatte keine Vorstellung davon, um was für Fische es sich handelte. Sicher nicht die, die sie aus ihrer Heimat kannte. Doch vor Mogontiacum lag ein großer Fluß. Den hatte Taira gesehen, als sie die Stadt erreichten. Sicher waren die Fische von dort und damit aus dem Süßwasser. Nun hatten Süßwasserfische im Allgemeinen einen schwächeren Eigengeschmack als die aus dem Meer. Das erklärte,warum sie so stark mit Pfeffer und Salz eingerieben wurden als Morrigan Taira in der Küche für ihren Dienst fertig machte. Und am Schluß waren die Fische mit Honig bestrichen worden. Also scharf und süß, keine Säure. So wählte Taira Birnenstückchen, süße Tafeltrauben, ein paar Feigen- und Aprikosenteile. Das Ganze mit den Oliven nett auf einem Tellerchen angerichtet und mit einem Lächeln Menecrates gereicht. Dem schien das, was Taira ihm reichte, zuzusagen. So zog sich Taira einen Schritt zurück und wand sich dann an Victor: "Welche Wünsche hast Du, Herr?"

    Taira verbeugte sich kurz, stellte die Schale weg und legte das Tuch daneben. Dann wand sie sich dem Tisch zu, um die Becher aufzufüllen. Nach einem kurzen Blick über den Tisch ging sie wieder zur Tür. Sie öffnete diese und nickte dem Sklaven vor der Tür zu. Kurz darauf erschienen die Sklavinnen, die beim Hereinbringen der Speisen geholfen hatten. Sie brachten neue Schüsseln mit Obst und Süßem und räumten die Reste des vorangegangenen Essens ab. Nachdem sie das Triclinum wieder verlassen hatten, schloß Taira die Tür und stellte sich neben diese, bereit, neue Wünsche zu erfüllen.

    Taira musste wieder Lächeln. Sie stütze sich auf Agrippas Hände und drückte sich hoch. Jetzt stand sie vor ihm und war größer als er, musste auf ihn herunterschauen. Sie blickte ihn an und schüttelte langsam den Kopf. "Nein, alles gut. Wenn Schmerz, ich machen weg."

    Morrigan setzte sich ebenfalls und wartete, bis Mathayus Becher gefüllt war. Sie selbst ließ sich nur einen kleinen Schluck Wein und sehr viel Wasser einschenken.


    "Nun, mein Herr, der Legat, ist ein Mensch, der ein angenehmes Leben sehr zu schätzen weiß. Nur ist es leider so, dass hier Germania ist und nicht Rom. Und während alle Straßen nach Rom führen, führen nur sehr wenige nach Mogontiacum."


    Morrigan griff sich eine Olive aus einer der bereitgestellten Schalen, und betrachtete sie, während sie sie zwischen Daumen und Zeigefinger drehte. "Wenn man bedenkt, welchen Weg diese Olive zurückgelegt hat, während sie in Rom quasi vor der Haustüre wachsen." Morrigan steckte die Olive in den Mund, zerbiss sie und schluckte sie hinunter. "Diese Olive hatte aber immerhin hierhergefunden. Mit vielen anderen Dingen steht es nicht so gut. Selbst vernünftiges Geschirr ist nur schwer zu bekommen. Arretium ist weit und das Machwerk aus Tabernae so gut wie nicht zu gebrauchen. Aber das ist sicher nicht das Schlimmste! Es mangelt an angemessenen Stoffen und Möbeln aus entsprechenden Hölzern, an Dingen, die das Leben einfach angenehm machen. Ich denke dabei an Räucherwerk, Duftessenzen und Kosmetika. Und auch die Küche hier in Germania bietet zwar genug, aber wenig, was den Geschmack des Legaten auch nur im Entferntesten genügen kann. Ich denke hier an Gewürze wie einfach nur Pfeffer oder aber Ingwer, auch Nelken, Curcuma oder Kardamom."


    Während Morrigan sprach und dabei betont gleichgültig zu sein schien, beobachtete sie ihr Gegenüber um sich keine seiner Reaktionen entgehen zu lassen. Sie griff sich ihren Becher, nippte daran, stellte ihn wieder auf den Tisch und sprach weiter.


    "Der Legat ist, wie Du Dir sicher denken kannst, ein vielbeschäftigter Mann. Er hat wichtigeres zu tun, als sich um solche Details zu kümmern. Und insbesondere auch wichtigeres, als selbst jemanden zum Beispiel nach Ma'rib oder nach Maghada zu senden. Und da ist die Frage, ob ihr dem Legaten durch Eure sicher hervoragenden Beziehungen in alle Teile der Welt nicht behilflich sein könntet."


    In ihren Gedanken sah Morrigan die Reiter, deren prächtiges Zaumzeug ihrer Pferde in der Sonne glitzerte und deren Satteldecken schwer und kostbar an ihren Flanken herunterhingen. Sie schaute Mathayus abwartend an.

    Taira stützte ihre Hände auf den Boden, setzte sich weiter auf und brachte ein etwas missglücktes Lächeln zustande. Es klang schön, wie Agrippa sie ansprach, selbst wenn Taira wiedereinmal fast nichts verstand. Mädchen? War sie für Agrippa ein Kind, um das er sich kümmern musste? Nun, Taira könnte wahrscheinlich durchaus seine Tochter sein, das war richtig.


    Jetzt reichte Agrippa Taira auch noch die Hände. Sie fasste danach und spürte, wie hart sie waren. Er war Soldat. Taira hakte sich in Agrippas Fingern ein und zog sich hoch, um auf Knien in die Senkrechte zu kommen. Ihre Säfte schienen wieder richtig zu fließen, sie spürte kaum noch Schwindel, nur einen kleinen Kopfschmerz, der aber sicher bald vergehen würde. Was wollte Agrippa? Tairas Hals? Taira verstand nicht. Agrippa war doch verwundet, nicht sie! Da Tairas Aufmerksamkeit jetzt auf ihren Hals gelenkt war, merkte sie das Pochen darin. Sie griff an die Stelle, an der Hamilkar sie festgehalten hatte. Es war wärmer als es sein sollte. Sicher war es dann auch rot. Jetzt lächelte Taira. Dankbar für die Beachtung, die Agrippa ihr entgegenbrachte, sagte sie: "Hals gut. Nicht schlimm."

    Rauschen umgab Taira. War sie wieder am Meer? Es war so dunkel. War das der Styx? Von weit weit her kamen Stimmen, die sie nicht verstand. Chairon? Sie versuchte die Augen zu öffnen. Formlos waberndes Licht umgab sie, nahm Kontouren an. Mit dem Licht kam auch ihr Körper wieder in ihren Sinn. Sie lag, jedoch seltsam verkrümmt. Sie lag auf etwas, was nicht der Boden war. Die Lichtflecken verdichteten sich, wurden schärfer. Sie lag auf einem Menschen. Taira versuchte, an ihm heraufzuschauen um sein Gesicht in ihr Blickfeld zu bekommen. Als ihr dieses gelungen war, erkannte sie Hamilkar. Und damit war auch alle Erinnerung wieder da. Sofort schloß sie die Augen wieder und atmete tief durch. 'Kämpfe!' dachte sie und öffnete die Augen wieder. Sie versuchte die Ellenbogen aufzustützen und sich hochzudrücken. Das brachte ihr die nächste Überraschung – sie sah Agrippa. Halluzinierte sie, das war doch gerade noch Hamilkar! Taira kniff die Augen zusammen und schüttelte ihren Kopf – soweit das ging – um wieder Leben in sich zu bringen. Ihre wieder einsetzende Orientierung sagte ihr, das sie auf Hamilkar lag, der hinter ihr war, und Agrippa vor ihr stand. Also waren zwei hier. Sie war nicht mehr allein! Sie schaute Agrippa an und versuchte zu lächeln. "Agrippa.", flüsterte Taira. "Hals gut?"

    Taira war inzwischen mit einer Schale Wasser und einem Tuch zu Menecrates gegangen. Sie legte sich das Tuch über den linken Unterarm um die rechte Hand frei zu bekommen und hielt die Schale dann unter Menecrates rechte Hand. Nun begann sie, Wasser daraus über Menecrates Finger zu streichen. Nachdem diese von den Spuren des Essens gereinigt waren, nahm sie das Tuch und tupfte seine Finger trocken. Die gleiche Prozedur wiederholte sie an Menecrates linker Hand.


    Dann ging Taira zurück, wechselte Wasser und Tuch und trat damit vor Victor. Sie schaute ihn fragend an und sagte: "Ebenfalls, Herr?"

    Taira biss die Zähne aufeinander, als Hamilkar zum Gegenangriff ausholte. Zum Glück schien er wirklch kaum Erfahrung mit Frauen zu haben. Sie sahen eben nicht nur anders aus, sie fühlten und empfanden auch anders. Und was Hamilkar vermutlich ziemliche Schmeizen bereitete, war für Taira wenn auch unangenehm so doch durchaus auszuhalten. Tairas Mutter hatte einmal gesagt, wenn Frauen so empfindlich wären wie Männer, gäbe es schon längst keine Kinder mehr. An anderen Stellen hätte Hamilkar Taira viel schlimmer treffen können.


    Was Taira viel mehr Sorgen machte, war Hamilkars ungeschickter, eisenhart klammernder Griff in ihrem Nacken. Ein Schwächling war er jedenfalls nicht. Hamilkars Daumen presste auf die Knochen in Tairas Hals. Und natürlich, wenn auch sicher zufallig, genau dort, wo es gefährlich war. Taira wusste, was jetzt passieren würde. Die Säfte ihres Körpers würden nicht mehr in den Kopf fließen können, sich stauen und Morpheus herbeirufen. Sie hatte das schon einmal erlebt. Und vielleicht war das ja gut so. Taira versuchte, ihren Hals so weit es ging zu entkrampfen, um ihr Ziel schneller zu erreichen.


    Nach wenigen Augenblicken und während Hamilkar sie noch wütend anzischte, begann das Rauschen und Pochen in ihren Ohren. Und als die Dunkelheit kam, empfing Taira sie wie einen guten Freund, dem sie sich hingab und gewähren ließ.


    Als die Ohnmacht eintrat, weil die abgedrückte Arteria Vertebralis Tairas Hirn nicht mehr mit genug Blut versorgen konnte, fiel Taira in sich zusammen und rutschte vor Hamilkar von der Bank.

    Taira hatte es gewusst. Sie hatte es gewusst. Dieser Junge hatte ganz deutlich ein Problem mit seiner gelben Galle. Ganz klar ein schizophrener Leptosome. Gütige Isis, wo war Taira hier hingeraten? Konnte dieses Jüngelchen seine Hände nicht dort behalten, wo sie hingehörten? Äußerlich eiskalt kochte Taira innerlich. Nun, sie würde Mittel und Wege finden ...


    Emotionslos erwiederte sie: "Ich komme mit. Und ich werde für das nächste Mal Wachstafeln bereithalten." Taira wiederholte die Worte, wobei sie die Gesten umkehrte. "Ohr und Ohren, Nase, Auge und Augen, Mund, Kinn, Wangen, Hals, Schultern, Brust und Brüste." Dann fuhr sie fort: "Es fehlen aber noch einige, die ich ständig brauche. Insbesondere für kosmetische Dienste. Augenbrauen." Taira zog an Hamilkars Braue. "Nasenloch." Zum Glück war Taira einiges ekeliges gewohnt. Sie steckte einen Zeigefinger in Hamilkars linkes Nasenloch. "Kehlkopf." Taira presste den Daumen gegen Hamilkars Kehlkopf. "Barthaar." Taira tat als würde sie stutzen. "Oh, das kann ich nicht zeigen. Brustwarze." Sie rammte ihren Zeigefinger dorthin, wo Hamilkars Brustwarze zu vermuten war. Sollte er das auch versuchen, würde sie es ertragen können. Und Hamilkar saß so schön breitbeinig vor ihr. "Schamhaar." Mit einem schnellen Griff krallte sie zwischen Hamilkars Beine schaute Hamilkar starr in die Augen und fragte butterweich: "Und was heißt Rasiermesser und was heisst schärfen?"

    Taira nickte und verließ den Raum.


    Etwas später klopfte es und eine deutlich veränderte Taira, gefolgt von einigen Sklavinnen mit dem Essen, betrat das Triclinum. Sie stellte den Wein auf den Tisch, schaute, dass die Platten mit Obst, Hühnchen und Fisch, der Brotkorb, das Naschwerk und die Fingertücher auf dem richtigen Platz standen. Dann schickte sie die anderen Sklavinnen mit einem Kopfnicken aus dem Raum, schenkte nochmals Wein nach und stellte sich dann hinter Menecrates, bereit ihm bei jedem Wunsch zur Hand zu gehen.

    Wie üblich völlig aufgelöst kam Taira in die Küche. "Morrigan, eine Katastrophe! Jetzt wollen die beiden Essen. Und es ist nichts vorbereitet! Was essen die denn sonst so? Was soll ich tun?"


    Morrigan stemmte die Arme in die Seiten, grinste Taira und sagte: "Zu allererst ruhig bleiben! Als zweites läufst Du und holst Dir etwas gescheites anzuziehen. Schau nicht so, ich bin ja auch nicht von vorgestern! Das Essen ist in einer viertel- oder halben Stunde fertig, und das das so lange dauern kann ist selbst Menecrates klar. Er will ja keine aufgewärmte Suppe von gestern! Und jetzt spute Dich! Bring einen Kamm und was Du so brauchst mit und komm wieder her, ich helfe Dir!"


    Taira lief los. Wenige Minuten später war sie mit ein paar Sachen und dem Kosmetikkoffer wieder in der Küche. Morrigan nickte und meinte: "Kein wirklich guter Platz für so etwas, aber wir werden das Beste daraus machen! Und jetzt raus aus dem Leinen und rein in die Seide!" Mitten im Betrieb der Küche streifte Taira also ihre Kleider ab und zog sich um. Sie hatte die Untertunika im hellsten Rot gewählt, dazu den Chiton im dunkelsten. Die Untertunika war länger als ihre leinene. Damit kam sich Taira deutlich "angezogener" und nicht so unschicklich vor. Ob Menecrates das auch so sah blieb abzuwarten. Morrigan half ihr, den Chiton auf den Schultern festzustecken. Das Kupfer der Fibeln glänzte im Schein des Herdfeuers wie lebendiges Gold. Fertig!


    "Morrigan, den hellen oder den dunklen Gürtel?" "Den hellen. Mit dem dunklen machen wir etwas besseres. Setz Dich!" Morrigan löste Tairas Haare, kämmte sie und begann, sie zu Strähnen für einen Zopf zu legen. Nach etwa zwei Flechtreihen nahm sie das Seidenband des dunklen Gürtels, halbierte es und legte es um zwei von Tairas Haarsträhnen. In den Rest des Zopfes flocht sie so das Band mit ein und band am Schluß den Zopf damit noch zusammen.


    Als Morrigan fertig war, warf Taira mit einer Drehung des Kopfes den Zopf nach vorn und schaute sich das Werk an. Voller Bewunderung sagte sie: "Danke! Das ... das hätte ich mir jetzt nie so einfallen lassen." Morrigan schmunzelte und stichelte:"Naja, aber für Victor ..." "Heh! Lass das!" Taira war ärgerlich. "Der bemerkt mich doch nichtmal. Aussdem gehöre ich Menecrates. Und das weiss sogar Victor. Was soll das also?"


    Morrigan schmunzelte immernoch. "Wie auch immer ... das Essen ist fertig. Nimm Du den Wein. Der Rest kommt nach!" Morrigan klatschte nach den Küchensklavinnen und wies sie an, Taira zu folgen und das Essen aufzutragen.

    Taira kam sofort herbei. Sie hatte zwar so gut wie nichts von dem verstanden, was die Beiden gesprochen hatten, erkannte aber durchaus, dass es um etwas sehr wichtiges und nun wohl auch förmliches ging.


    Und als Menecrates sich jetzt erhob, bot er keinen wirklich "förmlichen" Anblick. Sicher wollte er das geändert haben. So weit kannte Taira ihren Herren inzwischen. Taira griff also seinen Gürtel, schob ihn an die richtige Stelle und zog und zupfte den Stoff seiner Kleidung mit schnellen Griffen zurecht. Dann noch an den Schultern die Fibeln passend platziert ... noch mit einem Tüchlein die Stirn abgetupft ... jetzt sah Menecrates wieder wie ein Legat aus und nicht wie jemand, der gerade aufgestanden war.


    So geräuschlos wie möglich entfernte sich Taira rückwärts von ihm und ging an der Wand neben der Tür wieder in Warteposition.

    "Die bin ich und genau dies sind meine Aufgaben." antwortete Morrigan zunächst auf die Fragen des Händlers. Damit waren die Ausgangspositionen hergestellt. Zunächst nett und freundlich sein und ein kleines Geplänkel auf einem Nebenschauplatz. Quasi das Sichtbarwerden einer Gruppe leichter Reiter auf Erkundungsritt auf einem Hügel am Horizont ... "Es freut meinen Herren Menecrates und mich, Dich hier begrüßen zu können. Nimm doch bitte Platz!" Morrigan zeigte auf einen Tisch und zwei mit Kissen gepolsterte Stühle.""Darf ich Dir etwas Wein oder Obst anbieten?" Morrigan klatschte in die Hände und aus Richtung des Atriums erschienen zwei Sklavinnen, die Krüge mit Wein und Wasser sowie eine Obstschale brachten und auf dem Tisch bereitstellten. Dann stellten sie sich jede hinter einen Stuhl, bereit Mathayus und Morrigan beim Setzen behilflich zu sein und bei Bedarf zu bedienen.