"Ha!", machte Avianus lachend und schenkte Scipio ebenso wie sich selbst Wein nach. "Und ich unterhalte mich eher selten mit Politikern. Ich muss zugeben, von der Politik halte ich mich teilweise sogar bewusst fern. Nicht etwa, weil mir die Leute allesamt unsympathisch wären, aber ich kann damit einfach nichts anfangen. Ich bevorzuge es zu wissen wer Freund und wer Feind ist. Als Soldat hat man es da etwas leichter." Zum Glück war eine politische Karriere bei ihm gar nie eine wirkiche Möglichkeit gewesen. Seine ganze Familie bestand aus Soldaten. Er hatte nie einen Gedanken an etwas anderes verschwendet.
"Aber ich schweife ab ... wie es um Rom steht? So wie immer, würd ich meinen. Nun, wir sind einem Hehler auf der Spur, ach, was rede ich ... einer? Da stecken bestimmt noch mehr dahinter. Und Diebe selbstverständlich. Am besten machst du nur Geschäfte mit Leuten, die du kennst ... müsste ich dir eigentlich raten. Aber wenn wir ehrlich sind, die Lage ist jetzt nicht schlimmer als vor ein paar Monaten. Am besten machen alle so weiter wie gehabt. Dann haben auch wir Urbaner leichteres Spiel. Wenn sich das Volk weiterhin ahnungslos gibt, fühlt sich auch dieses Diebespack sicher und rechnet nicht damit, dass wir ihnen längst auf den Versen sind." Avianus lächelte siegessicher. Sie würden aufräumen, da brauchte sich bestimmt keiner Sorgen zu machen. Am liebsten würde er sich natürlich persönlich darum kümmern, als nur vom Officium aus zu kommandieren, aber die Zeiten waren nunmal vorbei. "Wieso fragst du? Ist dir etwas aufgefallen?"
Beiträge von Aulus Iunius Avianus
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"Ich habe die Untersuchung des Tatorts geleitet und keine umfassenderen Ermittlungen", bekräftigte er ein weiteres Mal. Jedenfalls glaubte er sich daran zu erinnern, dass er diese Tatsache bereits erwähnt hatte. Er konnte sich aber auch irren. Der Prozess verschwamm in seinem Kopf schon jetzt zu einem einzigen unscharfen Wischwasch, in erster Linie deshalb, weil er am liebsten längst wieder ganz wo anders wäre. Die anfängliche Neugier und Anspannung waren längst verflogen. Selbst aufs Genervtsein hatte er keine Lust mehr. Zurück blieb die nüchterne Erkenntnis, dass er das hier schlicht und ergreifend hinter sich bringen musste, ganz egal, was noch kam.
"Aber ich gehe davon aus, du kannst uns dazu mehr sagen, Advocatus?" -
Ahjo, falls übrigens irgendwer eine kleine Neben-ID sucht, hätte ich kein Problem, wenn jemand die werte Fusca haben wollen würde. Oder einfach sonst nichts mit seiner Zeit anzufangen weiß.
Die iunische Domus kann nie genug Bewohner haben. -
Vorbei war der erste dies natalis und wie sich herausgestellt hatte, auch gar nicht so spektakulär gewesen. Ein kleines Opfer, einige einfache Geschenke, denn was sollte man einem Einjährigen auch groß schenken, und, wie gewohnt bei fast allen Festen, ein Essen, bei dem der Sohnemann ohnehin auf halber Strecke eingenickt war. Dafür war er jetzt wieder umso wacher. Ein wahrer Segen also, dass der Bengel seit einiger Zeit sein eigenes Zimmer hatte. Da konnte man notfalls eine Sklavin oder sogar das neue Kindermädchen ins Cubiculum schicken und hatte seine Ruhe. Ob Sibel das gefallen hätte, ließ Avianus getrost außen vor. Die war nicht da und er konnte sich schließlich nicht um alles selbst kümmern. Eine kleine Idee war ihm zwischenzeitlich aber gekommen, nun da er Fusca zu seinem Besitz zählte, und er hatte sich fest vorgenommen, das neue Kindermädchen für einen kleinen Besuch bei seiner Frau zum Landgut hinunter zu schicken. Sonst hieß es noch, wenn Sibel irgendwann nach Rom zurückkehrte, sie habe die gesamte Kindheit ihres Sohnes verpasst, und er wäre daran schuld, da er sie überhaupt erst aufs Land geschickt hatte. Gut, auch so verpasste sie fast alles, damit musste er leben, aber zumindest nicht ganz alles.
Avianus trat ins Kinderzimmer. Ein kleines Bettchen, ein bequemer Sessel, ein hübscher Teppich, eine Truhe für die Spielsachen und eine für den ganzen anderen Kram, der ihn nichts anging – hauptsächlich Windeln und zwergenhafte Tuniken, waren bisher die einzigen Einrichtungsgegenstände. Fusca wünschte sich noch eine Liege, wozu auch immer. Zum Schlafen vermutlich, ohne dass es jemand bemerkte.
Lucius quietschte bereits und machte Anstalten, aus seinem Bett zu klettern, da hob ihn sein Vater bereits heraus.
"Ksch! Ich hab eine Überraschung für dich, ja? Aber dann musst du auch brav sein." Sein Sohn gurgelte noch immer leise vor sich hin und kaute auf seinen Lippen herum. Das stellte seinen Vater zufrieden. Avianus setzte ihn auf dem Sessel ab und ging ein wenig in die Knie. "Eine Freundin hat mir verraten, dass du vielleicht etwas möchtest, dass dich an deine Mutter erinnert. Aber dir einfach ein Kleidungsstück von ihr zu geben oder so … nein, hm? Nein. Deshalb dachte ich … also, ich weiß was viel Besseres." Lucius beobachtete abwartend, wie sein Vater ein kleines Schmuckstück hervorzog. Es war der kleine Anhänger, den Avianus jahrelang getragen hatte, der ihn immer wieder zu seiner Liebsten zurückgeführt hatte, vom ersten Tag an, und von dem er sich auch jetzt nur schweren Herzens löste. "Das hier hab ich von deiner Mama bekommen, vor einer halben Ewigkeit, damit wir uns treffen konnten, ohne dass es jemand bemerkte. Da war Soldat bei der Garde … lange Geschichte. Naja … du kannst es haben. Wenn du gut darauf aufpasst. Denn weißt du, solange du das hier hast, wirst du sie immer irgendwann wieder treffen. Ehrenwort. Ich hab's selbst erlebt."
"Mama ...?"
"Ganz genau." Avianus legte seinem kleinen Sohn das Amulett um den Hals, band die Lederschnur eng genug, sodass er Junge es nicht einfach abstreifen konnte, doch so locker, dass es ihn nicht stören würde und betrachtete noch einmal den Anhänger. Ein Lorbeerkranz war darauf zu sehen und in seiner Mitte ein A, für Aureus. Lucius tat es ihm gleich. Das glänzende Amulett zog seine Aufmerksamkeit förmlich an sich.
"Gefällt's dir? Will ich doch hoffen. Aber es wird Zeit fürs Bett. Also, komm schon." Avianus hob den Zwerg vom Sessel und setzte ihn wieder in sein Bettchen. Und zum Schluss, bevor er ging steckte er den Anhänger noch unter die Kindertunika. Musste ja nicht gleich jedem ins Auge springen, was sein Sohn da für ein eigenartiges Kettchen trug. -
Abwartend trommelte der Schreiber mit seinem Stilus auf der Tischkante herum. Seltsamer Bursche. Der meinte es wirklich ernst. Erstmal abwarten, was der Junge anschleppen würde, wenn er zurückkam, beschloss der Cornicularius, und sobald der Quintilius zurück war, schnappte er sich die Tabula aus der Hand des Rekruten und beäugte sie, als hätte er noch nie im Leben eine Tabula gesehen. "Ja ... wie? Hä? Ääääh ..." Wie er das Teil auch drehte und wendete, da stand der Befehl drauf. Schwarz auf Wei - ... Rille auf Wachs? Na, Klar und deutlich, jedenfalls. War ihm da wirklich etwas durch die Lappen gegangen? Aber der Tribunus hatte doch gar nicht mehr mit dem Optio korrespondiert seit der Geschichte mit dem Hehler. "Warte mal, ja?"
Der Cornicularius erhob sich von seinem Pult und klopfte mit dem Befehl in der Hand an der Tür seines Vorgesetzten. "Herein?", hörte man von der anderen Seite Tür, woraufhin der Cornicularius seinen Kopf durch den Spalt steckte. Gemurmel drang aus dem Officium, bis der Schreiber seinen Schädel wieder ins Vorzimmer zog und die Tür schloss. Ratlos kratzte er sich den Schopf.
"Da hat sich wohl jemand einen Scherz erlaubt." Sowas war ihm auch noch nie untergekommen. Mit einem Schulterzucken überreichte der Schreiber dem unerwünschten Gast die Tabula wieder. "Es wurde nicht nach dir geschickt, Tiro Quintilius. Laut Tribunus sollst du ... äh ... wegtreten." Ursprünglich hätte er ja gar nicht mal antreten sollen. "Vielleicht weiß dein Optio ja, was es damit auf sich hat." -
~ Hier befindet sich das Cubiculum des Lucius Iunius Lucullus, Sohn des Aulus Iunius Avianus und der Iunia Sibel ~
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Der Schreiber guckte zunächst schief, als sich der Tiro vorstellte. Normalerweise wusste er ja über die Befehle Bescheid, die der Tribun austeilte, von einem vorgeladenen Tiro war aber heute nirgends die Rede gewesen. Glaubte er jedenfalls. Konnte auch sein, dass er sich irrte, wovon er aber nicht ausging. Wenn einmal der seltene Fall eintrat, dass ein einfacher Tiro sich beim Tribun zu melden hatte, bekam er das für gewöhnlich mit und vergaß es vor allem nicht gleich wieder. "Einen Augenblick, Tiro", sagte er knapp und durchsuchte mit gerunzelter Stirn die Schriftstücke auf seinem Pult, kam aber im Anschluss exakt zu dem Ergebnis, welches er bereits befürchtet hatte. Höchst eigenartig. Für gewöhnlich tanzen Tirones ja nicht einfach aus Spaß im Arbeitszimmer eines Stabsoffiziers an.
"Der Tribunus hat nicht nach dir schicken lassen, Tiro. Von wem hast du den Befehl erhalten?" Vermutlich handelte es sich um ein simples Missverständnis. -
Ob der Germanicus Zeit hatte? Gute Frage. Avianus hatte keinen Schimmer. Höflicher wäre es wohl gewesen, hätte er zuvor noch einen knappen Brief geschickt. Aber wenn man ohnehin schon unterwegs war, konnte man auch gleich mal an der Tür hier klopfen. Hinter ihm stand wie gewohnt ungeduldig Dicon herum, der in einer Tasche die Tabulae mit den Leistungen gewisser Milites herumtrug, von denen heute aber nur einer interessant wäre. Besser wäre es natürlich, wenn der Germanicer etwas Zeit erübrigen könnte. Immerhin war jener es, der ihn um etwas gebeten hatte, nicht anders herum.
Avianus ging auf die Tür zu und winkte den Sklaven heran, der vortrat und klopfte. Na jedenfalls würde es interessant werden, soviel stand fest, nicht wegen seines ersten Besuchs in der Casa Germanica, sondern auch aufgrund der mehr oder weniger guten Nachrichten, die er im Gepäck hatte. -
Avianus rieb sich nachdenklich das Kinn. Für die Bestrafung solcher Vergehen - was ja durchaus angebracht war - war ja eindeutig der Centurio oder der Optio selbst verantwortlich. Darum brauchte er sich vorerst nicht zu scheren. Ohnehin schien der Fall leicht geklärt, denn auch alles andere ergab sich nicht zuletzt durch den kaum vorhandenen Einspruch des Soldaten fast von selbst.
"Gut, Miles. Die exakten Details spielen schlussendlich eigentlich keine große Rolle. Ich sehe eine deutliche Verwarnung als angemessen an." - Ganz egal, ob nun alle Vorwürfte gegen den Miles der Wahrheit entsprachen oder nur fast alle.
"Du weißt hoffentlich, dass mehrmalige Verwarnungen unter anderem eine unehrenhafte Enlassung zur Folge haben können. Wenn du nicht willst, dass es soweit kommt, und davon gehe ich aus, erwarte ich absolut korrektes Verhalten, Germanicus. Die Cohortes Urbanae haben einen Ruf und jedes Mitglied hat ihm gerecht zu werden. Du schreibst mir den Einsatzbericht, und anschließend, sollte ich mit deiner Arbeit zufrieden sein und auch dein restliches Verhalten stimmen, können wir uns irgendwelchen möglichen Sonderaufgaben für dich widmen."
Damit war dieses kleine Theater hoffentlich geklärt und er könnte sich wieder wichtigeren Aufgaben zuwenden, wie etwa mit dem anderen Germanicus, Aculeo, die kleine Unterhaltung zu führen, die sich dieser gewünscht hatte. Was ja eigentlich auch nicht gerade höchste Priorität hatte, aber zumindest eine angenehme Abwechslung darstellen würde. Den interessierten die Vorfälle in der Castra sicherlich ebenso, zumal er bestimmt nichts dagegen hätte, wenn sein etwas falsches Bild von seinem Verwandten korrigiert würde. Vollkommen unbrauchbar schien der Miles auf den ersten Blick nicht, nur eben etwas eigenartig, und das war Germanicus Aculeo offenbar entgangen. Fragte sich nur, ob man diese Eigenarten irgendwie zurechtbiegen konnte.
"Achja, richtig. Optio Rubrius, es stehen Versetzungen in den Norden an. Stelle mir eine Liste an Männern zusammen, die du für den Dienst in Germania empfehlen und erübrigen kannst. Das wäre dann alles. Wenn es keine weiteren Fragen gibt, könnt ihr wegtreten." -
Zitat
Original von Marcus Octavius Maro
Auch ich hätt gern einmal Kurs Wahlrecht I, bitte.
Danke
Nachgeliefert. -
Scipio zögerte kurz, bevor er auf die Sache mit dem Patronat zu sprechen kam, und Avianus konnte den Decimus verdammt gut verstehen. Er hatte ja selbst noch nicht einmal einen. Irgendwelche Verwandten oder Freunde der Familie hatten ihn stets durchgeboxt, während er mit allen anderen Dingen beschäftigt gewesen war, nur eben nicht mit seiner Karriere. Fürchterlich. Und seit seiner Beförderung zum Centurio haderte er mit der Entscheidung, auf wen er mit der Bitte zugehen sollte, ihn als Klienten anzunehmen. Axilla hatte damals ja gemeint, derjenige solle dann die ganze Geschichte erfahren, von ihm und seiner Frau selbstverständlich. Avianus spielte ein wenig mit seinem Becher, ließ nachdenklich den Wein darin herumschwappen und sah wieder auf.
"Es ist ohnehin besser, sich mit solchen Entscheidungen Zeit zu lassen, nicht wahr?" In einem gewissen Rahmen jedenfalls, dachte er sich und hätte fast bitter gelacht. "Jedenfalls besser, als es zu überstürzen. Der Senator Decimus Livianus hat sicherlich weitreichende Kontakte. Das macht bestimmt vieles einfacher. Also, bei der Wahl, meine ich. Auf einen Patron verzichten würde ich an deiner Stelle selbstverständlich nicht. Sowas schafft schließlich neue Kontakte. Und von denen kann man nicht genug haben." Er leerte seinen Becher, griff nach dem Krug, zögerte allerdings, bevor er nachschenkte, als er bemerkte, wie sich draußen im Hortus die Sonne bereits ein ganzes Stück weiterbewegt hatte. Bei angenehmen Gesprächen und einem Becher guten Weines vergaß man viel zu schnell die Zeit. Passierte ihm immer wieder. "Sollte zuviel deiner Zeit in Anspruch nehmen, denn bestimmt hast du noch andere Termine und Aufgaben, brauchst du es nur zu sagen, Decimus", bemerkte er. -
Avianus zog bei den Ausführungen des Germanicus leicht erstaunt die Brauen in die Höhe. Der gestand ohne Umschweife, dass die meisten der Vorwürfe ihre Berechtigung hatten, nur ob sich der Miles wirklich dessen bewusst war, welche Bedeutung das hatte, da war sich Avianus nicht vollkommen sicher. Ein wenig über die Stränge schlagen sah doch etwas anders aus.
"Es ist keine Seltenheit, dass ein Miles, der sich seinen Vorgesetzten gegenüber respektlos zeigt oder ihm gar droht, anschließend dem Lazarett einen Besuch abstattet. Ich würde also meinen, bisher bist du recht glimpflich davongekommen. Reine Böswilligkeit deines Vorgesetzten kann ich hier also nicht erkennen." Eine ins Gesicht geschmissene Tabula war ja nichts im Vergleich zu dem, was anderen Milites zum Teil widerfuhr. Na wie auch immer. Der Iunius lehnte sich bequem zurück. "Optio. Ekläre mir genauer, inwiefern sich dein Soldat inkompetent gezeigt hat oder deinen Befehlen nicht folgte", wollte er nun auch dem Optio noch eine kleine Möglichkeit zur Stellungnahme geben. Eigentlich wollte er die Diskussion nicht unnötig in die Länge ziehen, doch inzwischen war er fast schon ein wenig neugierig, was da zwischen Optio und Miles vorgefallen war. -
Avianus blickte irritiert. Was hatte der Junge für einen Grund, derart eingeschnappt zu reagieren? Er sollte pampig sein. Nicht Agricola. Und jetzt erst recht, nach der missmutigen Antwort seines Neffen, die ihm kein Stück weiterhalf. Und zu allem Überfluss quengelte Lucius noch immer.
"Lucius …", sagte er schärfer, als er es beabsichtigt hatte, und folglich wurde das Gejammer seines Sohnes nicht weniger. Schöne Scheiße, in die er sich hier reingeritten hatte. Avianus atmete kurz durch und musterte wieder seinen Neffen.
"Das war keine Antwort, Caius", gab er zurück und bedachte den Jungen mit strengem Blick. Dessen, dass er weder Agricolas Vater noch ein Ersatz war, war er sich durchaus bewusst, doch als Patruus, ältester Mann im Haus, Eques, Tribunus und vor allem derjenige, der mehr oder weniger für Agricolas Lebensunterhalt aufkam, erwartete er sich ein gewisses Maß an Respekt von seinem Neffen. Den vom einen Ende der Exedra zu ihm herüber gebrummten, überflüssigen Kommentar hätte der Neffe sich eindeutig sparen können. Zumal es hier um viel mehr ging als reine persönliche Empfindlichkeiten. Hier ging es um seine Familie, so ziemlich das einzige, was Avianus seit jeher absolut heilig war. Gleichzeitig könnte Agricola aber genauso gut recht haben. Wenn er den Geschichten seines Onkels gelauscht hatte, trieb er sich tatsächlich schon weit länger hier herum als es Avianus lieb war. Dass Agricola daran eigentlich keine Schuld trug, war wieder ein anderes Thema. Es war ja nicht so als würde der Garten allein ihm und seinem Sohn gehören, und vielleicht war es dumm gewesen, ausgerechnet hier darüber zu sprechen. Doch wer rechnete schon damit, dass ausgerechnet Agricola sich in zu exakt diesem einen, ungünstigen Zeitpunkt ans Tageslicht wagte.
"Komm wieder zurück ...", meinte Avianus zerknirscht zu seinem Neffen, der den Eindruck machte, als wollte er sich am liebsten gleich wieder verziehen. Mit einer kleinen Geste deutete er vor sich in die Exedra. Lucius schniefte und schmierte sich Rotz und Tränen in die Hände. Seine freien Hände. Irgendwas fehlte doch … natürlich! Das Pferd! Avianus streckte den Hals, um es vielleicht in der Richtung zu erspähen, wo sein Sohn zuvor die Eimer entdeckt hatte. Keine Chance. Das war ja ums Eck rum.
"… und bring deinem Cousin sein Spielzeug mit, falls du es irgendwo siehst. Er muss es vorhin fallen gelassen haben." Er lehnte sich wieder zurück auf seinen Sessel, rückte Lucius zurecht und blickte seinen Neffen eindringlich an. "Und wenn du mir eine anständige Antwort gegeben hast, kannst du wieder deiner Arbeit nachgehen. Oder bleiben. Ganz wie du möchtest." Denn grundsätzlich war der Junge ja willkommen, sogar sehr. -
Ein kleines bisschen irritiert war Avianus schon, als der Germanicus ihm über den Schreibtisch hinweg zubellte, fasste sich allerdings zügig wieder. Er war ja nicht schwerhörig. Komischer Vogel, der Bursche.
"Sehr schön", antwortete Avianus nüchtern und wartete ab, bis die anderen Männer das Officium verlassen hatten. "Also gut, Germanicus ..." Er zog den letzten Bericht des Optios über den Zustand der Mannschaften zu Rate, den er bereits vorbereitet hatte. "Von deinem Optio habe ich so einiges über dich gehört ..." Er griff nach der Tabula, löste das Band, das die Wachstafeln zusammenhielt und las vor: "Respektlosigkeit ... gegen einen Vorgesetzen gerichtete Drohungen ... beachtet Befehle nicht ... Inkompetenz ... ignorant den geltenden Gesetzen gegenüber ..." Avianus unterbrach seine Aufzählungen, ließ die Tabula sinken und musterte den Miles eindringlich.
"Wie du dir sicherlich vorstellen kannst, sind das schwerwiegende Anschuldigungen. Allerdings hat mir auch dein Verwandter, Germanicus Aculeo, einen Brief zugeschickt und bittet mich darum, dir zusätzliche Aufgaben anzuvertrauen, da du ein, ich zitiere ... ruhiger, aufmerksamer und interessierter Bursche seist." Avianus bedeutete schon jetzt dem Optio, den er ja schon sehr lange kannte, zu schweigen. Er wollte erst hören, was der Miles zu sagen hatte. Die Meinung des Rubriers hatte er ja schriftlich vor sich liegen.
"Kannst du mir das erklären, Miles?" -
Brauchst du einen Zweitjob?
Geht wieder. -
Avianus schüttelte leicht den Kopf. "Vorteilhaft wäre es, so unauffällig wie möglich zu agieren. Das könnt ihr ruppig oder sanft machen, wichtig ist nur: Wenn diese Leute mitkriegen, dass wir hinter ihnen her sind und eine heiße Spur haben, verkriechen die sich sicher verdammt schnell in ihren Löchern. Solltet ihr das Gefühl haben, ihr bekommt nichts raus, ohne ein wenig tiefer zu graben und zu riskieren, dass sie Verdacht schöpfen, dann tut es. Aber dann müsst ihr auch Ergebnisse liefern. Haben wir uns verstanden? Wenn ihr aus dem Laden rauskommt und ihr habt ein Riesentheater veranstaltet, aber bringt keine neuen Anhaltspunkte mit, können wir unsere Ermittlungen wieder auf Eis legen. Dasselbe gilt für Festnahmen: Nur dann, wenn es sich nicht vermeiden lässt, oder aber, ihr auffliegt." Eventuell könnte man den Händler, falls er den Urbanern auf die Schliche kam, auch irgendwie bestechen. Blieb nur die Frage, ob man dem Mann auch vertrauen konnte ... "Sollte das passieren, zieht Apronius Catullus auf unsere Seite, falls ihr das Gefühl habt, ihm ist zu trauen. Sollte das Gegenteil der Fall sein, werdet ihr den kompletten Laden räumen. Am wichtigsten ist, dass er nicht herumerzählt, dass wir im großen Stil ermitteln."
Er selbst kannte den Händler ja nicht wirklich und wusste nicht, wie die Leute dort reagieren und sich verhalten würden. Aus der Ferne und im Voraus ließ sich eine konkrete Strategie nur schwer erarbeiten. Deshalb hoffte er auch, dass sein Optio geeignete Männer ausgewählt hatte, die das nötige Feingefühl besaßen und mit einem solchen Einsatz umgehen konnten.
"Ich werde mich in erster Linie auf euer Können und das des Optios verlassen." Ein prüfender Blick streifte die Milites. Nur zu gerne würde er den Einsatz selbst leiten, aber das war als Tribunus schlicht und ergreifend nicht mehr drin.
"Gut ... Optio Rubrius wird mit euch das Geschäft betreten." Er wandte sich an den Optio. "Du wirst dir den Händler vornehmen. Nimm dir einen Soldaten zu Hilfe, wenn du es für nötig hältst. Der Rest von euch wird sich am besten aufteilen. So hat man den einzelnen weniger im Blick und ihr könnt den Laden besser unter die Lupe nehmen ... ich gehe nicht davon aus, dass der Händler allein im Laden sein wird. Seid also vorsichtig." - Was mehrere Bedeutungen haben konnte. Einerseits sollten sie sich nicht beim herumspionieren erwischen lassen und zum anderen, sollte in dem Laden jemand einen Verdacht haben, was die Cohortes dort suchten, sich nicht von irgendeinem Schläger überraschen lassen.
Der Rest würde sich dann hoffentlich von selbst ergeben. Und wenn irgendetwas nicht so lief, wie erwartet, würden die Männer ohnehin umdenken müssen.
"Ach, und du da ..." Avianus deutete in einer knappen Geste auf einen der Milites. Das Gesicht kannte er doch, wenn er auch nur einen Teil der Grundausbildung des Burschen geleitet hatte. Der Optio hatte leider nicht nur gutes über den Miles berichtet. "Germanicus Peticus, richtig? Du wirst mir den Bericht zu dem Einsatz liefern, und kein Detail auslassen."
Wenn es keine weiteren Fragen gab, wäre er soweit fertig. "Ist noch etwas unklar? Ansonsten könnt ihr wegtreten. Mit Ausnahme des Optios und Germanicus Peticus." -
Avianus lächelte breit. Die Parade war wohl in den Köpfen der Leute hängen geblieben. Ausgezeichnet. Mehr hätte er sich gar nicht wünschen können. "Ich danke dir. Die Parade auf dem Marsfeld war quasi die erste Aufgabe, die ich als Tribunus übernehmen musste. Entsprechend angespannt war ich auch. Aber dem Volk hat es anscheinen gefallen. Dennoch, du glaubst gar nicht, welche Märchen sich die Leute einfallen lassen, wenn ihnen langweilig ist." Und auf vergangenen Erfolgen würde er sich bestimmt nicht ausruhen.
An die Bedürftigen hatte Avianus eigentlich gar nicht gedacht. Natürlich war es unschön, unter welchen Umständen manche Leute ihr Leben fristen mussten, doch wenn er sich über solche Dinge auch noch den Kopf zerbrechen würde, hätte er erst recht keine ruhige Minute mehr. Außerdem halfen die Spiele sicherlich auch manchen Menschen …
"Oh … ich würde nicht so weit gehen, über die Sinnhaftigkeit solcher Veranstaltungen zu urteilen. Die einfachen Leute haben es oft schwer genug. Spiele sorgen für ein wenig Kurzweil und Ablenkung vom harten Alltag. Na wie auch immer … mein Angebot steht. Ganz bestimmt braucht der Sieger nicht leer auszugehen, und das ist vorerst das wichtigste. Abgesehen davon, ich bin vielleicht kein großer Geschäftsmann, ...", lachte er ein wenig über sich selbst, "... aber wenn für eine solche Veranstaltung eventuell meine Betriebe herangezogen werden oder zumindest mein Name im Zusammenhang mit ihr erwähnt wird, schadet das bestimmt nicht. Informiere mich einfach rechtzeitig, falls du in irgendeiner Art und Weise darauf zurückgreifen möchtest."
Soweit wäre das Thema damit ja eigentlich durch. Es sei denn, er hatte irgendetwas vergessen, aber dann würde der Decimus ihn sicherlich darauf hinweisen. "Du machst also unter Senator Purgitius dein Tirocinium fori? Einen Patronus hast du bereits? Wenn nicht wird dir all das sicherlich dabei helfen, und selbstverständlich bei deiner späteren Karriere", plauderte der Iunius ein wenig. Er nickte anerkennend. Mit Sicherheit würde er Scipios Weg noch weiter verfolgen. Der Junge machte einen vielversprechenden Eindruck, sodass er ihn gerne unterstützte, wobei von einem Enkel des Decimus Meridius sicherlich nicht weniger große Leistungen erwartet wurden, als Scipio sie erbrachte. -
Titus Mamercus? Nie gehört. Entsprechend verwundert schaute der Tribunus bei der Meldung des Germanicers drein.
"Nein, Miles. Der Name ist mir nicht bekannt", antwortete er knapp. Hatte der Soldat etwa irgendwo zusätzliche Informationen aufgeschnappt und sie bis jetzt zurückgehalten? Oder warum kam das erst jetzt?
"Gibt es irgendeinen Grund zur Annahme, dass er ein Hehler ist? Oder anderweitig mit dem Diebespack zusammenarbeitet?", bohrte er selbstverständlich weiter nach und wandte sich dabei auch an den Optio. "Wovon redet dein Soldat?" Pennus war ja eigentlich dafür zuständig, ihn regelmäßig über die gegenwärtige Lage zu informieren. Wenn diese Leute so verdächtig waren, hätte er doch längst einen Bericht erhalten müssen, eine Erwähnung in irgendeinem Protokoll, irgendetwas, erst recht, wo der Rubrius doch wusste, dass Diebe und Hehler den Cohortes seit geraumer Zeit Ärger bereiteten. Und zu dem Optio und alten Kollegen hatte er eigentlich einen guten Draht, sodass Avianus nicht recht daran glaubte, dass er ihm absichtlich etwas verschwiegen hatte. -
Dass wir außer Sermo keinen verlässlichen Töpfer haben, weiß ich.
Bisher hab ich es immer so gehandhabt, dass ich, wenn ich mal was erwischt habe, gleich regelrechte Hamsterkäufe getätigt. Blöderweise hab ich in den letzten 2-3 Wochen nichts mehr erwischt und jetzt ist das Lager leer. Ein zweiter Töpfer würde daher sicher nicht schaden.Was das Edelholz angeht: Lieben Dank an Casca. Bist gleich einen ganzen Batzen losgeworden.
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Lucius stierte mit offenem Mund auf die Hände, die der Blondschopf ihm so gründlich wie nur möglich abwischte, und damit die gesammelten Beweise vernichtete. Eben noch ein Sonnenschein, gab Lucius nun leise Schluchzer von sich und seine Augen füllten sich mit Tränen. Blöder Ahgi. Der war ihm jetzt schon unsympathisch. Bestimmt steckte der mit den Gespenstern und schmierigen Eimern unter einer Decke. Und sein Tata musste auch blöd sein. Der nahm ihn einfach wieder auf den Arm, würdigte die Kübel keines Blickes mehr und trug ihn zurück in die Exedra, während seinem Sohn beim Anblick der befleckten Tunika das Wasser übers Gesicht lief.
"Danke", meinte Avianus wiederum knapp zu seinem Neffen, da ihm gerade etwas ganz anderes in den Sinn gekommen war. Die Studien waren soeben genauso nebensächlich geworden, wie die schmutzige Tunika, und die Eimer waren nur noch ein klitzekleiner Teil des Ganzen, das drauf und dran war, sich in seinen Gedanken zusammenzufügen. Avianus griff sich mit der freien Hand etwas verkrampft an die Nasenwurzel, während er sich abwandte und zu der Sitzgruppe zurückkehrte. Dass sein Neffe nicht erst den Hortus betreten haben könnte, kurz bevor er sich zu ihnen gesellt hatte, wurde ihm erst jetzt bewusst. Normalerweise rechnete er gar nicht damit, dass Agricola bei der Hitze durch den Garten schlich. Sonst saß er ja auch den lieben langen Tag in der Bibliotheca. Aber wieso standen dann die Eimer ausgerechnet hier bei der Exedra? Standard war das sicherlich nicht, dass die stinkenden Dinger im Säulengang liegen gelassen wurden.
"Einen Augenblick, bevor du wieder gehst, Caius … sag, wie lange treibst du dich schon hier herum?", fragte er ganz direkt, nachdem er sich wieder gesetzt hatte. Avianus hielt sich zurück, nervös auf seiner Lippe zu kauen oder mit den Fingern herumzuspielen, und hockte stattdessen recht steif und mit seinem weinenden Sohn auf dem Schoß in dem Sessel. Wenn Agricola etwas gehört hatte, würden sich für seinen Neffen Iturius Getas Gerüchte schlussendlich doch noch bewahrheiten. Die Iunii, ein Pack von unbedeutenden Bauern, ohne Anstand und Bewusstsein für Traditionen. Was sein Neffe dann wohl von ihm halten würde. Seine Erzählungen hatten rein gar nichts mit den Geschichten eines Iunius von Stand, erfahrenen Militärs und Tribuns gemein, der er eigentlich sein sollte. Und wenn die ganze Wahrheit die Domus verließe, kaum auszudenken, welche Folgen das für ihn hätte und für seinen Sohn erst recht. Welcher einflussreiche Mann würde den Sohn einer ehemaligen, entlaufenen Sklavin, einer Lupa, zu seinem Klienten machen und für ihn eine Erhebung in den Ritterstand bewirken? Andererseits war Agricola genauso ein Iunius wie Lucius oder er selbst. Niemals würde er es wagen, seiner Familie dermaßen zu schaden, zumal die Verfehlungen seines Onkels sicherlich auch auf ihn abfärben würden, oder? Gleichzeitig war Agricola nicht mehr als ein Kind ... naiv, unüberlegt, aufmüpfig. Wie sicher ein derartiges Geheimnis im Kopf eines Halbstarken tatsächlich war, mochten wohl nur die Götter wissen. Vielleicht sollte er froh sein, dass sich Agricola seine Freunde ledglich in Schriftrollen suchte.
Schluss damit. Er musste die Gedankenspiele lassen. Erst sollte sein Neffe antworten.
Lucius hatte untedessen das veränderte Klima im Raum bemerkt und während ihm noch immer still die Tränen übers Gesicht liefen, blickte er mit seinen großen, feuchten Augen zum Patruelis hinüber, mindestens so erwartungsvoll, wie sein Vater verkrampft guckte.