Beiträge von Aulus Iunius Avianus

    Nach all den Jahren gemeinsam mit ihr hatte Avianus durchaus ein Stück weit gelernt, wie Sibel tickte, oder glaubte es zumindest.
    "Dass sie eben ist, wie sie ist, …" Er lachte leise. "… das musst du mir nicht sagen. Ich kenne sie schon länger als alle anderen hier in Rom." - Womöglich sogar länger als alle anderen überhaupt. "Es ist nur hin und wieder …" Er wog leicht den Kopf auf der Suche nach dem richtigen Wort, musste es schlussendlich aber einfach so sagen wie es war: "Anstrengend." Er war nicht ihr Dominus und im Grunde war er es nie gewesen. Auf dem Papier vielleicht, aber in Wirklichkeit nicht. Er hatte niemals Leistung gewollt, sondern dass sie glücklich und gesund war.
    Er lächelte leicht. "Gut … ich meine, jetzt hat sie ja alle Zeit der Welt, damit abzuschließen. Und auch ich hoffe, dass sie es schafft. Als wir geheiratet haben ... damals als ich noch Centurio war, ist es noch etwas schwieriger gewesen, aber durch die Erhebung und Beförderung habe ich etwas mehr Zeit und wesentlich mehr Ressourcen zur Verfügnung, um ihr und Lucius das bestmögliche Leben zu bieten." Wirklich daran glauben, dass Sibels Art zu denken sich ändern würde, konnte er nicht mehr, die Möglichkeit bestand aber mehr als je zuvor. Jetzt lag es an Sibel, sie zu nutzen.
    Avianus leerte seinen Weinbecher. Es war durchaus angenehm, mit der Lupa über derartige Themen zu sprechen. Seneca war weit weg und mit Sibel darüber zu sprechen hatte er stets als belastend empfunden, da sie sich immer wie ein Klotz an seinem Bein zu fühlen schien, wenn sie ihm in irgendeiner Art und Weise Sorgen bereitete.

    Avianus nickte leicht. Die Ideen des Tiro waren nicht ausschließlich blöd. Die erste aber schon ein wenig, fand er.
    "Ihr werdet vorerst eine Kontrolle in der Bibliopola durchführen. Wenn mehrmals hintereinander Urbaner im selben Geschäft einschneien, fällt das auf, vollkommen egal, um welche Gesichter es sich handelt. Ich möchte verhindern, den Hehler und seine Kollegen in Alarmbereitschaft zu versetzen, bevor wir zumindest ein paar neue Anhaltspunkte gefunden haben, denn dann finden wir im Anschluss gar nichts und niemanden mehr." Denn ganz genau, das Pack war nicht blöd. Wenn der Laden dreimal so oft kontrolliert wurde, wie alle anderen Läden in der Stadt, würde das mit Sicherheit ein paar Leute skeptisch oder nervös machen. Und das wollte man selbstverständlich nicht. Nachdenklich kratzte der Tribun sich den Hals. "Eingehendere Kontrollen über einen längeren Zeitraum hinweg … notfalls vielleicht, wenn ihr nichts findet. Wobei wir ja in der Vergangenheit bereits kontrolliert haben. Wenn es irgendwie geht, würde ich aber bevorzugen, wenn ihr beim ersten Versuch etwas aufschnappt. Wie gesagt, es soll keine gewöhnliche Kontrolle werden. Es soll lediglich aussehen wie eine. Lasst ihn den Lagerraum aufsperren, lenkt den Händler ab, schaut in ein paar Schränke, die er euch sonst nicht öffnen würde, versucht einen Blick in seine Bücher zu werfen." Und da könnte dann die zweite, gar nicht mal so blöde Idee des Tiro ins Spiel kommen. "Wir kennen seine Geschäftspartner nicht. Oder zumindest nur die, von denen er uns wissen lassen will. Kriminelle Geschäfte werden selten durch die Vordertür erledigt, oft durch Mittelsmänner und die hängen sich auch kein Schild um. Wenn ihr in den Büchern oder anderen Schriftstücken irgendwelche Namen aufschnappt, wäre es natürlich nur von Vorteil, sie für später zu notieren. Falls ihr keine Namen finden könnt, bleibt uns nichts anderes übrig, als jeden zu beschatten, der bei Apronius ein und aus geht und so vielleicht seine Kontakte ausfindig zu machen." Und das wiederum würde massig Zeit und Ressourcen in Anspruch nehmen und noch gewaltigere Berge an Arbeit verursachen ... Rund um die Uhr Leute in der Nähe des Ladens stehen lassen, regelmäßig die Beobachter wechseln, Verdächtige verfolgen ... Avianus seufzte bereits bei dem Gedanken. Besser sie wühlten bei der Kontrolle tief genug.

    Avianus winkte ab und gab damit zu verstehen, dass keiner sich vorerst mehr zu Wort zu melden hatte. Was war das hier? Ein Kindergarten? Er hätte vielleicht doch darauf bestehen sollen, den Optio allein zu sprechen, wenn die anderen Soldaten genauso schnell ihr Maul aufrissen, wie ihr vorlauter Kollege.
    "Salvete. Gut, dass ihr hier seid", sagte er zuallererst und wartete noch mit skeptischem Blick darauf, dass die Soldaten korrekt grüßten. Zumindest waren alle anwesend, wenn auch mit leichter Verspätung. Aber gut, er hatte ohnehin etwas mehr Zeit eingeplant. Den Germanicus wollte er im Anschluss nämlich noch separat sprechen, und wie er sich so umsah und größtenteils bekannte Gesichter entdeckte, würde nicht nur einer der Milites länger bleiben müssen.
    "Hältst du es wirklich für eine gute Idee, deinem Vorgesetzten zu widersprechen, Miles?", wandte er sich für einen Augenblick an den Soldaten, der zuvor eine Bemerkung gemacht hatte. In einer knappen Geste hob er die Hand, damit der Bursche gar nicht erst auf die Idee kam, auf seine Frage zu antworten. "Es spielt keine Rolle, wer von euch beiden die Wahrheit sagt. Recht haben ist das eine, Recht bekommen eine ganz andere Sache. Dein Vogesetzter wird immer am längeren Hebel sitzen. Merk dir das für die Zukunft." Das war damit hoffentlich geklärt. Er selbst hatte lange gebraucht, diese eigentlich recht simple Lektion zu lernen, war aber nur einmal so weit gegangen, seinen Unmut laut zu äußern und eine Bestrafung zu riskieren, was damals recht … nun, unangenehme Folgen nach sich gezogen hatte. Blieb zu hoffen, dass dieser Soldat schneller lernte, bevor er eine aufs Maul bekam.
    "Du wirst mir nachher noch die Namen der Milites notieren, Optio", sagte er zum Rubrius, bevor er endlich mit der Besprechung beginnen wollte.
    "Gut ... weshalb ihr hier seid: Wir sind in Rom schon länger zusammenarbeitenden Dieben und Hehlern auf der Spur. Vor kurzem haben wir von einem ehemaligen Hehler, der mit einigen dieser Leute zusammengearbeitet hat, einen Tipp erhalten, und da euer Optio bereits Erfahrung mit derartigen Einsätzen hat, habe ich ihn damit betraut ein paar seiner Leute auszuwählen, also euch, und diesem Hinweis nachzugehen. Die Sache ist die: Wir wissen mit hoher Wahrscheinlichkeit über einen weiteren Hehler Bescheid. Ihr werdet im Zuge von Betriebskontrollen unter anderem ihn in Augenschein nehmen. Nur darf keiner außer euch davon erfahren, dass bei ihm der Grund der Kontrolle ein anderer ist. Habt ihr verstanden? Dieses Gesinde hat mit Sicherheit mehr Ohren als uns lieb ist."
    Er schob eine Tabula über den Tisch, eine Liste von Betrieben und Geschäften innerhalb der Stadt, darunter die Bibliopola des Apronius Catullus im Argiletum.
    "Apronius Catullus. Wir haben sein Geschäft, wie jedes andere in der Stadt auch, bereits in der Vergangenheit kontrolliert, aber nie etwas Ungewöhnliches gefunden. Ihr werdet ihn erneut glauben lassen, es handle sich um eine normale Kontrolle. Aber dieses Mal will ich keine leeren Hände sehen. Ich will Beweise, dass er Diebesgut verkauft. Ungewöhnliche Einträge in den Büchern, Fehler in den Lagerlisten, Dinge, die gar nicht dort sein sollten … irgendetwas. Ist das soweit klar?" Wie die Männer an Rechnungen oder Lagerlisten kamen, war eine ganz andere Sache. Mussten sie sich eben etwas einfallen lassen.
    "Habt ihr dazu noch Fragen?" - Ansonsten würde er fortfahren.

    "Selbstverständlich!", stimmte Avianus zu, "Ich sehe in dieser Veranstaltung auch die Möglichkeit, dem Volk durch begabte Athleten einmal mehr zu zeigen, wozu die Cohortes Urbanae in der Lage sind. Wir sind eine angesehene Einheit, keine Frage. Eine der angesehensten des Reiches. Allerdings bin ich auch ab und an schon Leuten begegnet, die dachten, der Dienst in der Stadt würde uns faul machen." Und gegen einen derartigen Schwachsinn musste er natürlich ankämpfen. Den konnte er nicht einfach so stehen lassen. Tägliches Exerzieren war in der sommerlichen Hitze Roms ebenso anstrengend wie in der Kälte des Nordens, und Wachdienst und gelegentliche Geplänkel stellten an der Grenze sicherlich eher den Alltag der Legionäre dar als regelmäßige, große Schlachten gegen wilde Barbaren. Träge Urbaner. So ein Blödsinn.
    "Na, wenn das so ist … Die Organisation der Spiele muss ja schon ein Vermögen verschlingen." Hm. Ein Preis musste natürlich her. Sonst gab es ja keinen Ansporn. Einerseits witterte eine kleine Chance für sich und seine Betriebe, zum anderen war ihm der junge Decimus auch sympathisch, sodass er gewillt war, auch hier eventuell unter die Arme zu greifen. "Vielleicht kann ich dir ja auch mit dem Preis helfen. Meine Geschäfte laufen recht gut. Je nachdem, um welchen Betrag es geht, kann ich sicherlich etwas beisteuern." Nachdenklich verzog er einen Moment lang den Mund. "Was die Trophäe angeht … ich habe in meinen Betrieben einige fähige Bildhauer, falls dir das weiterhelfen würde." Wobei eine Marmorstatue womöglich ein ganzes Stück zu groß wäre. Für etwas wesentlich kleineres müsste sich der Decimus dann doch an jemand anderen wenden. Es sei denn, Scipio wollte aus den Spielen tatsächlich ein prachtvolles Spektakel machen. Bei 20 Teilnehmern sah es aber nicht zwingend danach aus. Aber der Decimer sollte selbst entscheiden.

    "Du kannst gar keinen Hunger haben, nanulus", meinte Avianus zu seinem Sohn, "Aesara meinte, du hast eben erst gegessen. Und wir wollen ja nicht, dass du fett wirst, nicht wahr?" Er beugte sich in dem Sessel nach vorne, um seinen Sohn etwas eindringlicher anzuschauen. "Fette Burschen geben nämlich schlechte Soldaten ab, weißt du?" Lucius erwiderte den Blick seines Vaters mit seinen unglücklichen Kulleraugen und ohne die leiseste Ahnung, was sein Tata da eigentlich schwafelte. Avianus lächelte. War ja auch zu witzig, wie der Zwerg guckte. Lucius quiekte und spielte weiter mit dem Pferd herum. Während er so abwechselnd mit dem geschnitzten Holzstück herumfuchtelte und daran lutschte, fiel sein Blick wieder auf die Wand, an der er zuvor noch den Schemen wahrgenommen hatte, der aber ganz plötzlich weg war. Lucius machte einen erstaunten Laut und sah wieder zum Vater, der noch immer keine Anstalten machte, dem seltsamen Phänomen auf den Grund zu gehen, obwohl er doch vorher schon darauf aufmerksam gemacht hatte. Lucius quiekte erneut und deutete mit dem Pferd fuchtelnd auf die Stelle, wo er vor kurzem noch ganz bestimmt den Schatten gesehen hatte.
    "Nein, nanulus. Nein."
    Lucius verzog das Gesicht. Ein leises Schluchzen hallte durch die Exedra, und kurz darauf ein Seufzen. "Ich mein das doch gar nicht so … aber das ist doch kein Grund zum Heulen, Lucius", packte er seinen besten väterlichen, gutmütigen Ton aus, "Wir können nachher noch raus in den Hortus. Würde dir das gefallen?"
    Kaum dass Lucius anschließend wieder in Lächeln auf den Lippen hatte, kam auch schon der werte Neffe um die Ecke. Hatte der sich doch tatsächlich mal aus den Büchern raus statt immer nur weiter rein gewühlt.
    "Caius …!"
    "Gauuuh", machte Lucius.
    "Wie schön dich zu sehen."
    Der kleinste Iunius der drei beobachtete seinen Vetter skeptisch. Allzu oft bekam er den Burschen ja nicht zu Gesicht, und folglich wusste er mit dem Kerl auch nicht allzu viel anzufangen.
    "Das ist dein Cousin Agricola."
    "Aggiih …" Lucius brach ab und blickte verwirrt. "Ahgi …" Viel zu kompliziert der Name. Ahgi. Viel besser.
    "Ja. So ungefähr", kommentierte Avianus, "Also deine Eimer … die hab ich nicht gesehen." Wieso auch. In der Culina hatte er nichts verloren, wie Aesara bestimmt sagen würde. War wohl auch besser so. Mehr als irgendeinen zusammengepanschten Eintopf zusammenzurühren wäre bei ihm auch nicht drin.
    Lucius, der inzwischen kapiert hatte, dass sein Vater nicht um die seltsamen Erscheinungen in der Domus kümmern würde, begab sich selbstständig auf Reisen, griff sich seinen treuen Gefährten, das Holzpferd, und krabbelte tapfer um die nächste Ecke.
    "Was machen denn deine Studien?", fragte der Patruus seinen Neffen eher beiläufig und hatte den Sohn dummerweise einen Moment zu lange aus den Augen gelassen.
    "Lucius! Verflucht."
    Mit noch größeren Augen als sie es von Haus aus schon waren, betrachtete der Junge seinen Fund. Eigenartig. Der Schatten weg, aber stinkige Holztöpfe da. Lucius steckte eine Hand in den miefigen Kübel. Leer auch noch. Naja, fast. Neugierig guckte Lucius auf die schmierige Pampe, die an seinen Fingern klebte, ehe er plötzlich von hinten geschnappt wurde, und seinem Vater gegenüber stand, oder besser, hing.
    "Dada", machte Lucius und streckte Avianus die verschmierte Kinderhand entgegen. Er hatte doch gewusst, dass da was nicht stimmte. Aber ihm glaubte ja wieder mal kein Schwein.
    "Caius … deine Eimer." Wieso die ausgerechnet hier bei der Exedra herumstanden und weshalb sein Neffe das nicht selbst gemerkt hatte, fragte Avianus vorerst gar nicht.

    Die junge Frau rieb sich immer noch die Handgelenke, als sie vor ihm zum Stehen kam, hatte allerdings mit dem Quengeln aufgehört und stierte stattdessen auf ihre bloßen Zehen hinab.
    "Entschuldige ihren Zustand, Iunius", säuselte Sosius, "Du musst wissen, wir haben sie erst gestern Abend bekommen und gleich für dich zur Seite geschafft."
    "Wirklich … toll, Sosius." Zwischen Avianus Brauen bildeten sich Falten. Wenn der Alte mal den Rand hielt, wäre ihnen sicher geholfen. "Nenn mir deinen Namen, ancilla."
    Die Sklavin hob ihren Blick. "Fusca, Dominus."
    "Und du bist wie alt? Woher kommst du?"
    "22. Ich bin in Italia geboren, Dominus. Ich lebe schon immer hier."
    "Wieso wurdest du verkauft? Wer war dein früherer Besitzer." Sie sprach ihre Sprache, war jung und zudem nicht hässlich. Und im Haushalt kannte sie sich angeblich ja auch aus. Wer zum Henker verscherbelte sie mit lediglich einer alten Tunika am Leib an den nächsten Sklavenhändler? Da war doch irgendwo der Wurm drin.
    In den Augen der Sklavin blitzte es auf, Furcht, Hass, Trauer … ein Durcheinander an Gefühlen. Er hatte vollkommen unbeabsichtigt irgendeinen wunden Punkt getroffen.
    "Er … ich … sie sind gestorben, Dominus. Die Kinder", stammelte Fusca, räusperte sich leise und riss sich zusammen. "Mein früherer Herr züchtet Sklaven. Er hat eine ganze Menge. Aber ich konnte bisher keine gebären." Nicht lebend jedenfalls. Sie presste die Lippen zusammen und schwieg wieder, was Avianus auch recht war, denn spätestens jetzt war ihm die Fragerei nach ihrer Vergangenheit unangenehm geworden. Selbst Sosius blickte von einer Ecke des Marktes zur nächsten, um sich nicht die traurige Geschichte seiner Ware anhören zu müssen.
    "Aber du kannst mit Kindern umgehen, ja?"
    "Natürlich, Dominus. Ich habe den anderen immer mit ihren Kindern …"
    Avianus schüttelte den Kopf. "Du musst nicht …"
    "Ich habe ihnen geholfen", beendete Fusca ihre Ausführungen dennoch.
    Keine Mitleidskäufe. Keine Mitleidskäufe. Das war es, was Avianus in Gedanken gerade vor sich hinbetete. Aber sie war doch gewissermaßen genau das, was er suchte. Dann war es ja kein Kauf aus Mitleid, oder? Avianus wog nachdenklich den Kopf hin und her, hinter ihm wippte und scharrte Dicon, Sosius wartete mit zappeligen, geldgierigen Fingern auf eine Antwort und Fusca blickte betreten in die Runde. Für Passanten musste die Gruppe sicherlich ein eigenartiges wie auch amüsantes Bild abgeben.
    "Ich nehm sie mit."

    Zitat

    Original von Helvetiana Morrigan
    Morrigan lächelte Avianus an und bedankte sich nochmals für sein Angebot. „Ich danke dir wirklich für dein Angebot. Wer weiß, vielleicht komme ich eines Tages darauf zurück.“
    Huch hatte sie was falsches gesagt? Sein Gesichtsausdruck zumindest hatte sich von einem Moment zum andere verändert. Ah daher wehte der Wind. „Nun sie hatte von Anfang an die Wahl. Natürlich ist es so, dass man als Lupa mehr verdient. Bis du hier eines Tages hergekommen bist, hat sie wie jede andere von uns die Kunden bedient. Doch nachdem du hier warst ...“ Morrigan musste lächeln, ja es war Sibel fast schon schwer gefallen sie damals zu fragen. „Also nachdem du hier warst, hat sie mich gebeten, dass sie keine anderen Kunden mehr bedient. Sie hat dann andere Aufgaben übernommen, die Gäste bedient, sie mit Essen und Wein versorgt. Du warst also ihr einziger Kunde. Nun wenn nun es denn so nennen mag.“ Morrigan nahm einen Schluck von dem Wein. „Ich habe sie damals auf der Straße aufgelesen. Und ihr hier ein Heim geboten. Ich hoffe, dass sie sich dadurch nicht genötigt gefühlt hat die Tätigkeit einer Lupa auszuüben...“ Morrigan wurde nachdenklich. Hatte sie Sibel vielleicht indirekt dazu genötigt sich zu verkaufen? „...das wollte ich wirklich nicht. Ich hätte sie auch nicht wieder auf die Straße gesetzt, wenn sie sich entschiede hätte einfach nur im Haushalt zu helfen. Eigentlich dachte ich, dass ich das klar gemacht hatte. Meinst du, dass sie es nur getan hat um … nun ja aus Angst?“


    Seit das mit Sibel begonnen hatte, hatte er sich mit keiner anderen vergnügt, und auch sie hatte einst nur noch ihm gehören wollen, doch gefühlt hundert Hürden hatten sich ihnen in den Weg gestellt. Als er sie damals im Lupanar besucht hatte, hatte er keine Zweifel gehegt, dass es wieder war wie früher und sie sich von jedem betatschen lassen musste, der danach lechzte, erst recht, nachdem Varus sie zu ihrem Besitz erklärt und ein kleines Vermögen für ihre Freiheit gefordert hatte. Jeden As hatte sie damals gespart, und von ihrem Liebsten nichts annehmen wollen. Dass sie dem Dasein als Hure dennoch aus dem Weg gegangen war, hörte er heute zum ersten Mal.
    "Davon hat sie gar nichts gesagt", antwortete er und wusste gar nicht recht, was er ansonsten dazu sagen sollte. Er war … überrascht. Und er fragte nach dem Warum. Wieso hatte Sibel nie davon erzählt? Hatte sie gedacht, er würde ihr Geld aufzwingen wollen, wenn er davon erfuhr, dass sie nicht mehr so viel verdiente? Alles in allem war es schon ein wenig seltsam.
    "Sibel fühlt sich ständig zu irgendetwas genötigt. Aber nicht unbedingt, weil jemand tatsächlich irgendetwas von ihr fordert … immer glaubt sie, allen etwas schuldig zu sein", kommentierte er und lachte bitter, "Daran hast du keine Schuld. Als ich sie dem Helvetier abgekauft habe, da hat sie gleich am nächsten Tag von früh bis spät meine Habitatio geschrubbt, anstatt sich zuerst ein wenig zu erholen, wie ich es eigentlich wollte. Ich habe die Zimmer gar nicht wiedererkannt, als ich vom Dienst zurückgekommen bin. Und gekocht war auch schon. Die Wäsche hat sie auch gewaschen. Selbst als sie längst schwanger war", erzählte er von der gemeinsamen Zeit in der Castra. Er schüttelte aus Verständnislosigkeit leicht den Kopf. Manche Eigenheiten würde Sibel sich vermutlich nie abgewöhnen. Wie eben, nichts von anderen annehmen zu können, ohne sich gleich zu fragen, was sie im Gegenzug zurückgeben könnte.

    Alles, was er brauchte? Avianus musterte den Sklaven von oben bis unten nickte langsam, obwohl sein Blick dabei alles andere als Zustimmung ausdrückte. Die Kleidung, die er am Leib trug, reichte ihm? Kein Mantel für kältere Tage, keine zusätzlichen Tunicae, nichts zu essen für den Weg bis zur Domus, keinen Schluck Wasser, um die sommerliche Hitze erträglicher zu machen ... alles hätte er haben können, doch er wollte nichts. Fusca, mit ihrer zuvor erst erworbenen Habe beladen, schaute noch viel verwunderter drein als ihr neuer Dominus.
    "Bist du blöd?", maulte sie, sog danach scharf die Luft ein und hielt den Atem an. Sie musste sich dringend zurücknehmen. Erst recht jetzt, da Fortuna ihr hold gewesen war, und sie zügig aus diesem Drecksloch von einem Sklavenhändlerstand herausgeholt hatte. Beim nächsten mal würde es vermutlich nicht zu schnell gehen, wenn sie sich bei ihrem neuen Herrn dumm anstellte. Dicon gab ihr als zusätzliche Warnung noch einen Stoß mit dem Ellenbogen. "Au!", zischte Fusca zurück.
    "Dicon", wandte Avianus sich an den Scriba, "Ich will, dass du Matho neue Kleider besorgst. Alles was er brauchen könnte. Ich werde mit den beiden zur Domus vorausgehen."
    Der räusperte sich erst leise und blickte skeptisch den neuen an. "Hältst du das wirklich für eine gute Idee, Dominus?"
    "Meinst du, die beiden stechen mich an der nächsten Ecke ab? Ich werde dunkle Seitengassen meiden, wenn du dich dann wohler fühlst."
    Dicon konnte sich nicht so recht zu einer zustimmenden Meldung hinreißen lassen, nickte aber widerwillig, während sein Herr sich bereits richtung Domus Iunia abwandte.

    Sowie sie die Domus erreicht hatten, wurde Fusca gleich ins Balneum geführt und Avianus begab sich mit seinem neuen Custos mit grünem Daumen - so hoffte er jedenfalls - ins Arbeitszimmer. Solange das Balneum besetzt war, würde er die Zeit nutzen, sein neuestes Schnäppchen etwas besser kennenzulernen.
    "Setz dich, Matho", sprach er und nahm gleich darauf selbst auf der anderen Seite des Tisches Platz, "Du hast früher nicht in einer Domus gelebt?" Dann würde er heute allerhand Luxus kennenlernen. Ein einfacher Feldsklave, der im Haus einer angesehenen Gens Roms landete - besser hätte er es kaum erwischen können. Geräumige Zimmer, bemalte Wände, ein eigenes Bad und gutes Essen ... Matho würde es an nichts fehlen, wenn er sich gut anstellte. Avianus sah Sklaven nicht als Dinge an, sonst hätte er wohl kaum selbst eine ehemalige Unfreie geheiratet, mit der er sich zuvor jahrelang getroffen hatte. Gut, bei Sibel war es noch einmal anders. Sie liebte er, und sorgte nicht allein deshalb für sie, weil sie keinen Ärger machte und ihm über alles dankbar war. Das war sie, ganz ohne Zweifel, aber Ärger hatte sie ihm jahrelang gemacht. Dennoch, es gab ja Leute, für die Sklaven nicht einmal Menschen waren. Traurig. Avianus hatte nicht vor, sich genauso zu verhalten. Dafür erwartete er allerdings auch, dass sein Personal zu schätzen wusste, was er ihnen bot.
    "Erzähl mir von dir", forderte er Matho auf, "Wie alt bist du? Wie war dein letzter Herr?" Unterdessen schenkte er sich etwas Wein ein. Ob der Sklave auch etwas wollte? "Hast du Durst?"

    Umso besser, dass gar niemand sich irgendetwas abschneiden musste. Die Lage hatte sich ganz ohne fehlende Gliedmaßen zum Guten gewandt, dachte Avianus sich breit grinsend. Klar hatte es kleinere und größere Opfer gegeben, die schienen aber längst unbedeutend im Vergleich zu dem, was er gewonnen hatte, zumindest wenn ihre Situation so blieb wie jetzt. Natürlich, keiner konnte das garantieren, doch Avianus würde alles versuchen, dass sie weiterhin ihr Glück genießen konnten.
    "Also … das wichtigste ist, dass deine Eltern dich sehr lieben. Wir … oder zumindest ich habe gar nicht damit gerechnet, dass bei all dem Theater am Ende trotzdem etwas so tolles herauskommen würde." Zufrieden sah er, wie Lucius' Miene sich wieder aufhellte. Allerdings wurde der Junge auch langsam unruhig auf seinem Schoß. Herumsitzen und Geschichten lauschen ... um den Zwerg auszulasten, reichten derartige Beschäftigungen längst nicht mehr aus. Avianus setzte den Wonneproppen vor seinen Füßen ab. Der hangelte sich mit seinem Pferdchen in der Hand am Sessel hoch, wo er wackelig stehen blieb.
    "Und bisher hat mir auch noch niemand Probleme gemacht. Wegen deiner Mama und mir, meine ich. Es weiß ja auch fast keiner davon. Nicht einmal alle hier im Haus. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen ..."
    "Dah", grinste der kleine und drehte sich schwankend zum Hortus, während eine Hand sich immer noch an den Sessel klammerte. Ob er überhaupt noch zuhörte war fraglich.
    "Aber genau deshalb darf eben auch keiner davon erfahren. Niemand, hörst du? Das gefährlicher als du es dir vorstellen kannst. Jetzt stehen dir nämlich alle Wege offen, aber wenn das rauskäme, das würde alles kaputtmachen", erzählte Avianus zurückgelehnt weiter vor sich hin, nicht einmal unbedingt nur an Lucius gewandt, sondern auch zu sich selbst. Denn der Knirps hatte gerade anderes im Sinn, als sich weiterhin das endlose Gefasel seines Tata anzuhören. Lucius ließ den Sessel los, tappte auf wackeligen Beinen zwei Schritte, landete wieder auf Händen und Knien, das kleine Holzpferd hüpfte über den Boden und blieb ein Stückchen von Lucius entfernt liegen.
    "Und deine Mama würde das sehr unglücklich machen, denn sie glaubt sowieso schon, dass sie mir nur im Weg steht, und wenn dann ihre Vergangenheit auch noch deine Zukunft verbauen würde. Deswegen ist es mir inzwischen eigentlich auch lieber, wenn sie im Haus bleibt … oder draußen auf dem Land. Weil … naja, sie damals als Sklavin sehr viele verschiedene Männer … bedienen musste. Und wenn einer von denen sie wiedererkennen würde … das wäre nicht gut. Früher habe ich sie noch auf Feste mitgenommen, weißt du? Aber damals wusste ich auch nicht, dass ich sie heiraten würde ..."
    Sein Sohn unterdessen krabbelte, hob das bemalte Spielzeugpferdchen, das nun ein paar Kratzer mehr besaß, auf und steckte es in den Mund. Sowie er dann den Blick hob, fand er sich nur wenige Schritte vom Hortus entfernt wieder, und gar nicht weit entfernt von einer seltsamen Gestalt, die sich an die Wand der Exedra drückte. Mit großen Augen blieb Lucius am Holzpferd lutschend sitzen, musterte erst den seltsamen Burschen und blickte dann zurück in die Exedra.
    "Ah wawa gagaba dada", brabbelte er über die Schulter zu seinem Vater.
    "Wie? Du hast schon wieder Hunger?", verstand der wiederum vollkommen falsch, was sein kleiner Sohn ihm eigentlich mitteilen wollte.

    Ich werd ja fast noch rot bei all den Glückwünschen! :D Dankeschön nochmal an euch alle!
    Übrigens: Es besteht zweifellos eine eindeutige Korrelation zwischen vielen Geburtstagsfesten und einer längeren Lebenserwartung. :D :D :D
    Also auch ihr: Immer g'hörig feschta, wie man bei mir daheim gerne sagt. ;)

    "Ich hatte schon mehrmals mit Iulius Dives zu tun, und soweit ich ihn kenne, bin ich davon überzeugt, dass er versuchen wird seine Position als Aedil so gut wie möglich auszufüllen. Da kann ich nur zustimmen", pflichtete Avianus dem jungen Decimer bei und nickte leicht. "Flavius Scato bin ich ebenfalls schon begegnet. Was er macht, macht er nicht schlecht, allerdings ist er im Wahlkampf seltsamerweise eher zurückhaltend. Das könnte ihn einige Stimmen kosten. Wir werden ja sehen, in welche Richtung sich die Lage entwickelt", schloss er das Thema ab und trank erneut aus seinem Becher. Eigentlich empfand er Gespräche über Politik ohnehin stets als ausgesprochen anstrengend und unterhielt sich sehr viel lieber über andere Dinge, wie eben die geplante Sportveranstaltung.
    Scipio hatte bereits genaue Vorstellungen, was natürlich auch Avianus recht war. So konnte man sich besser auf alles vorbereiten. Wobei größere Vorbereitungen eigentlich gar nicht nötig waren, wie er gerade bemerkte. Ursprünglich hatte er schon damit gerechnet, dass mehr Urbaner bei den Spielen teilnehmen sollten, aber wenn nur derart wenige gewünscht waren, dann würde es eben so sein.
    "Drei oder vier Milites … das fällt für den Dienst ja kaum ins Gewicht. Da wird es bestimmt keine Probleme geben. Selbstverständlich werde ich geübte, talentierte Soldaten schicken, die den Cohortes Urbanae auch gerecht werden, keine Anfänger oder dergleichen", gab er kurz zu bedenken. Das bedeutete natürlich auch, dass das gemeine Volk schlechtere Chancen auf Preise hatte, aber auch daran hatte der Decimer bereits gedacht.
    "Wenn sie aber in den Einzelwertungen gar nicht bedacht werden, gehen andere Teilnehmer ja trotzdem nicht leer aus", stimmte er lächelnd zu, "Und die wird es hoffentlich geben. Immerhin gibt es ja auch Preise zu gewinnen, wie du gerade gesagt hast ... Geld? Oder etwas anderes?" Es wäre ja fast schade, wenn Scipio sich derart viel Arbeit mit der Organisation aufhalsen würde, und am Ende bestand beim Volk gar kein Interesse.

    Avianus sah sich etwas verwundert um. War sein letztes Gebot etwa zu hoch gewesen? Natürlich nicht. Die paar Sesterzen ... und dennoch hatte sonst keiner mehr geboten. Dann war wohl kein Interesse da. Wie auch immer, er hatte den Zuschlag bekommen und wartete darauf, dass der Sklave das Podest herunterstieg.
    "Matho?", sprach er den Namen, den der Sklavenhändler zu Beginn genannt hatte, in fragendem Ton noch einmal laut aus. Ein römischer Name. Vermutlich hatte der ehemalige Besitzer ihn dem Burschen verpasst. War ja keine Seltenheit.
    "Ich bin Aulus Avianus, von den Iunii", stellte er sich dem neuesten Zuwachs seines Hausstands vor und warf einen Blick über die Schulter. "Das hier sind Dicon, unser Scriba, und Fusca, die vom heutigen Tag an das Kindermädchen meiner Familie sein wird."
    Dicon kramte unterdessen das Geld aus dem Beutel und überreichte es dem breitschultrigen Brocken, der bereits fordernd die Hand danach ausstreckte.
    Avianus blickte etwas unschlüssig drein. Er machte das ja erst zum zweiten Mal. Das erste Mal war bei Fusca gewesen.
    "Gibt es irgendetwas, das du von den Märkten noch brauchst, bevor wir zur Domus gehen?" Kleider vermutlich. Aber die könnte Dicon auch alleine besorgen. Einfach die extra-großen. Würde schon passen.

    Blöde Frage. Wie sollte es Beweise geben, wenn es bislang nichts zu beweisen gab? Avianus schüttelte seufzend den Kopf. Der Prozess entwickelte sich zur Farce. "Advocatus ... Ohne Täter, dessen Tat es zu beweisen gilt, gibt es natürlich keine Beweise." Was natürlich nicht bedeutete, dass Beobachtungen oder sonstige Hinweise nicht zu Beweisen werden konnten. Aber das kam ganz auf die Advocati, oder - genauer genommen - vor allem den Flavius an. Im Grunde also ... "Nein, wir haben keinen Täter festgenommen ..." Sonst stünde man ja nicht hier. "... und folglich auch keine Beweise."
    Andererseits, aber darum ging es ja nicht, hegte Avianus dennoch den Verdacht, dass das Verbrechen kein einfacher Raub war. Immerhin: Welcher professionelle Kriminelle wartete in irgendeiner kaum genutzten Gasse in der Subura auf das große Geld, durchlöcherte sein Opfer förmlich ohne jegliche Vorwarnung und folglich auch, ohne überhaupt zu wissen, ob die Habe des Mannes einen Mord wert war und floh dann, weil ein mit Pisse besudelter Kerl wimmernd am Boden hockte? Ein Profi, der genau wusste, wo er zustechen musste, wartete ausgerechnet an einem Ort, wo vielleicht einmal im Jahr jemand vorbeikam, der die Mühe wert war, tötete sein Opfer gezielt und sprang davon. Und ausgerechnet in der Nacht, in der das Opfer diesen Brief erhalten hatte. Das war doch zuviel des Zufalls.
    Aber er wurde ja nicht gefragt, der unfähige Urbaner.

    Avianus hatte sich das Tamtam auf an Tranquillus Stand ein wenig mitangesehen. Eigentlich hatte er ja nur ein Kindermädchen gesucht (und gefunden), hatte aber während seines Heimwegs aus reiner Neugier an der Versteigerung halt gemacht. Hinter ihm wippten Dicon und Fusca von einem Fuß auf den anderen, der aus purer Langeweile und Ungeduld, die andere, weil ihre neuen Schuhe drückten.
    "Hätte ich gewusst, dass neue Schuhe so unbequem sind ..."
    "Du hattest noch nie neue Schuhe?", fragte Dicon ungläubig zurück. Fusca schüttelte den Kopf und wippte unglücklich weiter. Wofür sollte eine Sklavin, die nur zur Zucht verwendet werden sollte, aber nicht einmal dazu taugte, auch neue Schuhe brauchen.
    Avianus hingegen musterte den Sklaven auf dem Podest, der in seinen Augen mehr Tier zu sein schien als Mann. "Was haltet ihr von dem da?"
    "Wofür willst du so einen groben Klotz?"
    "Und ein wenig verbraucht ausschauen tut er auch, Dominus ..."
    Da hatten die beiden nicht gerade unrecht. Aber Agnodice konnte im Garten bestimmt Hilfe gebrauchen, einen eigenen Custos hatte er noch nicht, ihr Ianitor wurde langsam verdammt alt und generell fehlte in der Domus ein Ochse, der richtig anpacken konnte. Nachdenklich kaute der Iunius auf der Unterlippe. Sicher bekam man den ein wenig hingebogen, dazu noch eine Kampfausbildung, ... lesen und schreiben brauchte der Bursche tatsächlich nicht zu können. Und dann der Preis. Dafür bekam man doch normalerweise nicht mal einen halben Sklaven.
    "Hmm ... 650!"