Ja, es tat doch wohl, mir einmal derartig das Herz zu erleichtern und obendrein endlich einen – mit den eigenen Lippen geformten – Entschluss zu fassen. Beinahe hätte ich meinen eigenen Worten entlastet hinterher geseufzt, doch schon im nächsten Moment sollte sich gefühlsmäßig der Boden einen Spalt auftun. Es war genau der Moment, in welchem Faustus sehr deutliche Worte bezüglich Herzensangelegenheiten sprach, die konträr zu Dienst und Familienehre standen. Und da war er wieder, der leichte Schock beim Verspüren eines innerlichen Drucks, der sich plötzlich löste und eine Welle der Erschütterung durch mich hindurch trieb. Unwillkürlich hatte sich meine Hand noch fester um den Becher gekrampft. Richtig, ja, ich war nicht auf der Welt um irgendwelchen Neigungen nach zu gehen, die ich meinte zu verspüren, doch der Trotz der sich augenblicklich ob dieser energischen Ansprache einstellen wollte sagte mir, dass tief empfundene Neigungen doch sehr wohl eine Rolle spielten, wenn man denn auch wirklich gut sein wollte in dem was man zu tun gedachte. Wie oft hatte ich diese Diskussion mit Vater? Tausend Mal. Und es war immer wieder Mutter, die mich danach auffing und mir mit samtenen Worten nach dem Munde redete. Immerhin war ich ihr heiß geliebtes Nesthäkchen und obendrein noch eines mit einem gebrochen Flügel. Ich mühte mich, meine Miene ausdruckslos zu halten und atmete ein paar Mal – hoffentlich unauffällig – kräftig durch. Mit langen Blicken verfolgte ich, wie Muckel sich nun widerstandslos aufmachte, um ein wenig Obst aufzutreiben und schnaufte ein nichtssagendes “Hm...“ hervor.
Doch Faustus hatte noch lange nicht geendet und er erzählte, welchen Weg er sich in seiner eigenen Jugend für sich ausgedacht hatte. Natürlich tat er dies, um mir zu berichten wie witzlos und nichtig jugendliche Zukunftsträumereien waren. Ich lauschte stumm und noch immer aufgewühlt seinen Worten. Besonders als er Bellerphon erwähnte, der am Ende seiner Laufbahn vom geflügelten Pferd herunter stürzte und für den Rest seines Lebens ein verteufelt armer Krüppel war, dem nichts mehr als Einsamkeit blieb. In meiner Kindheit habe ich diese Geschichte ungern gehört, denn immerhin verdankte ich einem ähnlichen Vorkommnis mein eigenes Knieleiden, welches mich an der Erfüllung meines eigentlichen Traumes hinderte. Und dass er nun erzählte, dass er sein wahres Können in der Verteidigung Roms und bei der Militaria Equestris gefunden hatte, machte es irgendwie auch nicht wirklich besser für mich. Genau das war in arglosen Kindertagen auch mein Traum gewesen. Ich sah mich auf feurigen Rössern mit einem hoch erhobenen Gladius in der Hand. Ich spielte mit meinen Freunden Triumphzüge durch, die untermalt waren durch imitiertes Tröten und Geschepper mit allerlei Küchenuntensilien und natürlich hatte ich Massa beneidet. Mehr als das! Nein, diese Ansprache traf mich wirklich schlimm. Überhaupt mochte ich es gar nicht, zurecht gewiesen zu werden, denn ich hatte immer mein Möglichstes getan! Ich war ein strebsamer, fleißiger Schüler, der stets an den Lippen der Lehrer hing und ich schlug meine eigenen Schlachten in Athen unter den Fittichen von Xantokles, dem senilen Meister der Rhetorik. Gut, Rhetorik war auch nicht immer meine Stärke, aber immerhin war ich immer bemüht gewesen auf diesem Gebiet ebenfalls wacker zu sein und das auch immer unter der Fahne der Decimer.
Und nun sollte ich das Seufzen und Denken lassen. Ich brachte es zu einem Nicken und einem konsternierten Gesichtsausdruck, mit dem ich Faustus nun entgegen schaute.
Doch auch die – in meinen Augen – nächste Rüge folgte schon auf dem Fuße. Es ging um Muckel, den ich zugegebenermaßen fast so sanft behandelte wie meine Figurensammlung. Faustus meinte nun, dass Sklaven niemals die Freunde ihres Besitzers seien können und dass alles durcheinander geraten würde, wenn man die Zügel schleifen ließ. Neuerlich erfasste mich eine Welle des Widerwillens gegen diese Worte. Muckel war vieles! Mein Gedächtnis, mein mahnendes Gewissen, meine rechte Hand, meine linke Hand, mein verlässlicher Begleiter, meine Stütze beim Laufen, mein Laufbursche, mein Wecker, mein Barbier, mein Mundschenk und in letzter Zeit war er sogar mein einziger Gesprächspartner. Ja, das alles mochte er sein, aber eines war er gewiss nicht: Mein Freund! Nein, so hatte ich ihn noch nie betrachtet! Etwas angebittert kräuselten sich meine Lippen. Das allerdings war nicht unbedingt Faustus Worten geschuldet. Es stimmte ja, Muckel hatte wirklich keinen Respekt, doch so weit ich mich erinnern konnte, war das immer schon so gewesen. Ich besaß ihn nun seit so vielen Jahren, seit meiner Kindheit, und vieles hatte sich einfach schleichend und ohne großartige Zur-Kenntnisnahme meinerseits entwickelt. Gut, vielleicht war ich auch zu Nelia zu weich. Von Anfang an, doch sie hatte sich einfach so leise in mein Herz geschlichen wie ein verzagtes, hilfloses Katzenjunges. Dabei war sie keines! Bei Leibe nicht! Und da waren wir wieder bei meinen Herzensangelegenheiten.
“Hm...,“, stieß ich wieder hervor. “Ich...ahm..ja...“ Mit noch immer verspannten Fingern hob ich meinen Becher und trank einen guten Schluck. Geräuschvoll setzte ich das Trinkgefäß dann wieder auf der Tischplatte ab und wischte mir mit dem Handrücken über den Mund. Meine Blicke richteten sich – an Faustus weit vorbei - in die rot-violette Pracht des Lavendelbusches zu unserer Rechten. Was bei der großen Mutter sollte ich jetzt nur erwidern? So ging es mir immer bei solchen Gesprächen und mit Grauen erinnerte ich mich noch an das Gespräch mit Seiana, bei welchem sie mir die Betriebe überantwortet hatte. Ich war vollkommen betrunken gewesen und mit Wein besudelt. Eine wahrhaft peinliche Vorstellung war das gewesen. “Ja...ich...,“ sagte ich dann leise vor mich hin, ehe ich mich von der Pracht der Blüten los riss. All meiner aufgewühlten Gefühle zum Trotz wisperte mir eine innere Stimme zu, dass ja im Grunde alles richtig war, was Faustus gesagt hatte. Hatte ich mich nicht zuvor noch in den Raum geworfen, ich sei nicht mehr als ein nutzloser Schwärmer? Warum sollte es mich nun wundern, wenn die Antwort in Form eines aufrüttelnden Fußtrittes kam? Aber so ganz konnte ich es auch nicht auf sich beruhen lassen.
“Ich weiß, dass ich manchmal zu weich bin, mit mir und mit Muckel. Auch mit Nelia“, brachte ich wacker heraus. “Aber ich werde mich bemühen das zu ändern! Und wie gesagt, ich wollte auch immer zu den Legionen,“ griff das irgendwie schon von Faustus scheinbar abgehakte Thema noch einmal auf. “Das wäre mein Lebenstraum gewesen. Zum Wohle Roms und der Familia. Aber das... Schicksal wollte es nun einmal anders mit mir haben, doch leider hat es mir nicht verraten, an was es dabei genau gedacht hat.“ Zugegeben. Ich klang zunächst noch ein wenig bitter, doch das sollte sich legen, während ich weiter sprach. “...Also was bleibt sind nun einmal die Eingebungen... nein, viel eher die Tendenzen des Herzens um wenigstens zu erspüren, in welche Richtung es nun gehen soll. Wie soll ein Mensch denn auf einem Gebiet zu Ehren gelangen, wenn er genau weiß, dass ihm seine Aufgaben nicht das klitze kleinste Bisschen entgegen kommen? Ein solcher Mensch kann nur scheitern, wenn er die Kraft für sein tagtägliches Tun aus nichts weiter als bloßem Pflichtgefühl ziehen muss. Es wäre, als ob man Wasser aus einem mehr und mehr versiegenden Brunnen schöpft. Was bleibt wäre dann trockener Boden, der nur noch wenig zur Ehre gereicht, da auf ihm rein gar nichts mehr wachsen will.“ Ich ertappte mich dabei, wie ich beim Sprechen auf die Tischplatte starrte. Dabei gewahrte ich die Panflöte die noch ein wenig unter der Schrift, die Faustus mitgebracht hatte hervor lugte. “Hast du aufgehört an die kleinen Fantasien und Lockungen des Herzen zu glauben, die einem Menschen immer wieder neue Möglichkeiten aufzeigen und ihn weiter und weiter treiben? Ich meine... es muss doch... auch Leidenschaften geben.“