Neun Saiten sind es. Die sich zwischen den geschwungenen Armen der Lyra spannen. Neun Saiten, in denen eine Welt liegt. Kostbare Intarsienarbeiten schmücken das Instrument. Orpheus ist dargestellt. Die Bestien der Wildnis bezähmend. Doch das samtighelle Holz trägt Kratzer. Abstoßungen und Kerben. Pockennarben auf der Lyra Antlitz. Spuren der Fährnisse, welche ihr junger Besitzer erleiden mußte. Mit seinem Patronus kam er nach Italia. Doch seit Schwarzbarts Verschwinden ist er seines Herren beraubt. Ist der junge Lyder gestrandet. An den Gestaden des Tibers, im Labyrinth der Ewigen Stadt. Fristet er kärglich sein Dasein.
Freiheit wird überschätzt. Unendlich überschätzt. Alle Freiheit der Welt gäbe der Haltlose für einen guten Herrn. Welcher ihn beschützt. Eine warme Kammer ihm schenkt. Ihm den Raum gibt, sich seiner Kunst zu wimen. Sie ist ein sublimes Gespinst. Sie flieht das Grobe. Und auch Lycidas ist ein zartes Geschöpf. Es ist kalt im Winter in Rom. Eisig hoch droben in der winzigen Insulastube, welche er sich mit einem polternden Arbeiter teilt. Ein Husten hat sich in des Lyders Brust eingenistet, und will nicht weichen.
Zögernd hat sich der Künstler auf dem Rande einer Kline niedergelassen. Die Beine an den Knöcheln überkreuzt. Die Lyra auf den Knien. Den Kopf halb geneigt. Fahlgoldene Strähnen umrahmen die blasse Stirn. Im Dämmerblau der Augen liegt ein Glanz von Fieberhitze.
Lycidas wartet auf seinen Auftritt. Ein Vermittler hat ihn hier her gebracht. Ein korpulenter Gesell. Immer zwinkernd. Saftig lachend. Bisweilen verschafft er Lycidas Engagements. Von deren Entlohung nur ein Bruchteil den Künstler erreicht. Fadenscheinig ist sein Chiton, und oft schon geflickt.
Wie das bunte Gewimmel farbenfroher Fische. Die sich munter zwischen Korallen tummeln. Sind die Vergnügungen der Römer um ihn herum für den stillen Lyder. Er hat seinen Hunger gestillt. Mäßig getrunken. Brot und Fleisch in seine Serviette eingeschlagen. Um sie später mitzunehmen.
Erst das Spiel der Worträtsel lässt ihn aus seinem Kokon herausreichen. Scheu. Doch Lycidas hofft auf eine Belohnung. Als die Herrschaften Callista und Cethegus ihre Orgien feierten. Gab es bei solcherlei Spielen stets Preise. Auch als sie längst hoch verschuldet waren. Und dieses Saturnalienfest dünkt Lycidas ebenso heillos verschwenderisch. Wie die verklungenen Festivitäten am Lacus Mareotis.
ZitatOriginal von Marcus Artorius Rufinus
"Was ich euch zeig, bin ich nich selbst,
ich zeig, der Proteus nahen sich Taus..nde mir,
je..em nur ganz g..nau das, wassa liebt."
Lycidas Hand geht zu dem Tisch neben der Kline. Dort steht ein silbernes Serviertablett. Er legt die Reste darauf beiseite. Fährt mit einem Zipfel seines Himation einmal darüber. Sieht sein Ebenbild in der blanken Fläche kaum verzerrt wiedergespiegelt. Eine aufsteigende Tonfolge von fragendem Klang spielt er auf der Lyra. Die Aufmerksamkeit so auf sich gezogen. Hebt er schüchtern jenen Spiegel. Zu dem heiteren Urheber des Rätsels blickend.