Beiträge von Cnaeus Decimus Casca

    Was sie davon hatte? Meine Augenbrauen hoben sich an und einen Moment lang wusste ich nicht, ob ich empört sein sollte. Was nahm sich dieses Mädchen nur heraus? Ich blickte zum Händler hin, doch dieser schien keine Anstalten zu machen, irgendetwas unternehmen zu wollen. Außerdem konnte von 'mehr Profit' kein Rede sein, denn alles in meinen Geschäften mulitplizierte sich mit Null, egal welche Informationen ich hier über die Verkaufsstrategie erbeuten konnte. Doch es reichte, dass allein ich über dieses Wissen verfügte. Einen Moment lang legte sich ein unwürdiges Schweigen über die Szenerie, in der ich mich mehr und mehr unwohl fühlte.


    Muckel tippte mich an die Schulter, doch wieder strich ich mit der Rechten diesen Fingerzeig davon. Wollte sich dieses Mädchen etwa selbst verkaufen? Ich benötigte keine Sklavin und in meinem Geiste war ich auch heute keineswegs davon ausgegangen, mir eine zu beschaffen. Wieder lauschte ich ihren Worten. Dieses 'Verkaufsgespräch' lief keineswegs wie erwartet, oder entfernt auch nur wie gewohnt. Dabei konnte man auf jedem Markt die Händler sehen, wie sie ihre menschlichen Waren feil boten und sich sogar noch überschlugen mit ihren Angeboten. Peitschenschwingend und voller Selbstvertrauen. Doch dieser Händler schien aus einem viel leichteren Holz geschnitzt. Vielleicht war er ja noch nicht lange im Geschäft? Ich wunderte mich noch, ehe mich die Worte über die Öffnungszeiten erreichten.


    Ein wenig irritiert blickte ich drein. Ach ja! Meine Frage. Sollten die Öffnungszeiten Schuld daran sein, dass niemand meine Tonstrina aufsuchte? “Hmmm,“, gab ich von mir, denn ich konnte mich nicht mehr so recht auf diese Fragestellung konzentrieren. Erwartung schlug mir seitens des Sklavenhändlers entgegen.


    “Nur dreihundert Sesterzen!“, brachte er heraus und deutete auf seine Ware in diesem engen Behältnis.


    Muckel wirkte irgendwie unruhig und seine Lippen regen sich stumm. Seine Augen jedoch rollten noch immer, doch er wagte es anscheinend nicht mehr, noch irgend etwas zu sagen.


    “Ich brauche eigentlich keine Sklavin!“, stellte ich noch einmal klar, auch wenn mir noch immer nicht die Tragweite des jetzigen Geschehens bewusst war. “Dreihundert Sesterzen?“


    “Du wirst es nicht bereuen! Sie kennt sich im Haushalt aus und... wird dir sicherlich auch sonst recht dienlich sein!“, meinte der Händler unter einem scheelen Augenzwinkern.


    “Auch sonst?“, fragte ich mich leise, ehe ich wieder zur Sklavin hinunter sah.


    Ich brauchte kein 'auch sonst'. Ich war ein glücklicher Mensch. Und überhaupt brauchte ich eigentlich nichts. Bis auf sofortige Ideen natürlich, die einem überschwänglichen Augenblick geschuldet waren. “Gut, dreihundert,“, gab ich dann zu meiner eigenen Überraschung von mir.


    Muckel schloss einen Moment die Augen, seufzte tief und legte seinen Kopf in den Nacken. Es machte den Anschein, als würde er Zwiesprache mit irgendeinem Gott halten, während der Händler mir die Hand entgegen streckte. Etwas unsicher schlug ich ein und lächelte abwesend dazu. Hatte ich wirklich gerade ohne zu handeln eine Sklavin erworben? Ich war mir selbst nicht sicher. Das kam alles so überraschend.

    Gefangen von meiner Idee, aus der Tonstrina Hispania ein glänzendes Vorzeigestück zu machen war ich sogar bereit, den Vorschlägen einer Sklavin zu lauschen. Wie verwegen! Doch ich war derart in Taumel versetzt, dass mir dieser Umstand gar nicht bewusst wurde. Nun, Muckel war diesbezüglich schon weiter als ich, doch das kam mir gar nicht erst in den Sinn. Im Gegenteil. Ich war derartig in planerischen Launen, dass mir sogar das Geschwätz des Händler als störend an mein Ohr drang. Die Tatsache, dass die Sklavin sich befleißigt sah, dem Tunichtgut auch noch zu antworten, störte mein Vorhaben noch mehr. Ich schaute zu dem Händler hin, als die junge Frau meinte er könne nicht wissen, ob sie gesund sei, da er sie gar nicht recht beschaut habe.


    Der Händler zuckte zurück und machte ein überraschtes Gesicht. Dann meinte ich, dass seine Miene sich ein wenig verdunkelte, als würden grobe Gewitterwolken aufziehen. Als die Sklavin meinte, dass sie natürlich gesund wäre, richtete ich mein Augenmerk wieder auf sie. Kaum angekommen schwenkte mein Blick ob ihrer Worte auch schon wieder zurück. Er war unaufmerksam? Als sie meinte, ich besäße eine Tonstrina, nickte ich ein wenig perplex. Die Sklavin schien wirklich geschäftstüchtig zu sein, da sie für den guten Mann sogleich einen Termin vereinbaren wollte. Ich schwieg dazu besser und blickte zu Muckel, der noch immer zurecht gewiesen da stand und mir aus bittenden Augen heraus etwas mitteilen wollte. Wahrscheinlich das, dass ich auf dem Absatz kehrt machen sollte, doch danach stand mit noch nicht der Sinn. Vielleicht ritten mich die Furien, oder andere Wesen, ich vermochte es nicht zu sagen, denn die Frage wurde mir seitens der Sklavin gestellt, ob ich ein Geschäftsmann auf der Suche nach Ideen sei.


    “Sicher,“, entkam es mir und schaute auf das Mädchen zurück. Im Augenblick dürstete es mich nach guten Ideen und wie immer, wenn der Sturm aufbrauste war es mir selbst nicht bewusst, wie sehr ich mich in etwas hinein ritt, was später schlecht zu überschauen war. Muckel wusste das. Vielleicht, doch im Augenblick interessierte mich das weniger. Die Worte um den Zustand des Verkaufsstandes des Händlers rasten an mir vorbei, genauso wie seine Bitte, gekauft wie gesehen, den Einschlag zu geben. Sie machte ihn kirre? So kirre, dass er sich die Haare raufte? Ich war inzwischen kirre genug und hob meine Hände.


    “Einhalt!“, gebot ich, noch immer unter den Lasten des Gehörten. “Ich benötige nicht unbedingt einer Sklavin!“ Meine Worte waren mir ernst. “Ich benötige...Inspiration!“ Das Gesagte kam nicht so fest über meine Lippen, wie es gerne gewollt hätte und Muckel war mir schon wieder recht nah zu Leibe gerückt.


    “Denk nach!“, flüsterte er mir zu. “Keine Sklavin!“


    Wieder schon ich meinen Leibsklaven von mir. Dann wendete ich mich wieder an das Mädchen im Käfig. “Woran könnte es liegen, dass ein Mann es unterlässt, eine gute Tonstrina aufzusuchen?“, frage ich sie dann selbstbewusst und richtete mich ein wenig dabei auf, während ich einer Antwort harrte.

    Noch immer lag mein Augenmerk lauernd auf dem gefangenen Geschöpf, doch dann nickte ich. Ja, sie sollte wiederholen.


    “Casca!“, sagte Muckel nun eindringlicher. Er war mir sehr nah gerückt und hauchte die Mahnung geradezu in mein Ohr.


    Ich allerdings wischte sie mit einer Handbewegung beiseite, als wolle ich eine lästige Fliege verscheuchen. Die Schöne hob ihr Haupt ein wenig und das schimmernde Blau ihrer Augen zeigte ihre Belustigung. Nun gut, Belustigung war nicht gerade das, was ich provozieren wollte, doch darum ging es mir auch gar nicht. Die sollte diesen Satz noch einmal sagen. Lange allerdings brauchte ich nicht zu warten.


    “Gepflegte Menschen machen die besseren Geschäfte!“, wiederholte ich ihre Aussage und ließ mir jedes Wort auf der Zunge zergehen. Das war wirklich gut und ein Spruch, den man durchaus über einem Ladenlokal anbringen konnte. Doch gleich darauf versuchte sie, meine etwaigen Zweifel zu zerstreuen. Hatte sie etwa geglaubt, ich würde mich als ungepflegt und... “Neeeeein....“, wies ich ihre besorgten Worte, mich beleidigt zu haben mit einer ausladenden Handbewegung von mir und wagte einen Blick zu dem Händler, der nun aufmerksam geworden schien. Er blickte zu dem Käfig hinüber und legte die Tabula, die er in der Hand gehalten hatte fort.


    “Casca, bitte!“, flehte Muckel nun eindringlicher. “Lass' uns gehen!“


    Neuerlich beachtete ich meinen Sklaven nicht nur nicht, sondern ich schob ihn auch mit einer bestimmenden Handbewegung von mir. Warum mir dieser Ausspruch so wichtig war?


    “Gutes Kind!“, sprach ich die Sklavin an, auch wenn sie höchstens
    drei oder vier Jahre jünger war als ich. “Einem Geschäftsmann darf einfach nichts entgehen und ich war gerade auf der Suche nach einer passenden....“


    Weiter kam ich nicht, denn der Sklavenhändler war hinzu getreten. “Auf der Suche nach einer passenden Sklavin? Ich habe da ein paar gute im Angebot.“ Er deutete auf das Mädchen im Käfig. “Die da zum Beispiel... jung, gesund, kann kochen, putzen, waschen....“


    “Ja, ja!“, wiegelte ich mit einer eindeutigen Handbewegung ab und schaute wieder auf die Sklavin. “Ich besitze eine Tonstrina und nun bin ich auf der Suche nach einem passenden.... Motto, wenn man es so will,“, zischte ich der Sklavin zu.


    “Mein Herr wünscht keine Sklavin zu kaufen!“, erklärte Muckel plötzlich bestimmt und ich schaute wieder auf.


    “MUCKEL!“, herrschte ich ihn an. “Was ich wünsche, bestimme immer noch ich!“ Ich schaute von einem zum anderen und wendete mich wieder an die Sklavin. “Ich suche Ideen, wenn man so will...“

    [..]


    “Das hätte auch wirklich noch bis morgen Zeit gehabt!“, brachte Muckel hervor, der mich ein wenig stütze. “Und ich glaube nicht, dass das die richtigen Umstände sind, um ein Konzept auszuarbeiten! Und du hast den Laden ja noch nicht einmal gesehen!“


    Mein Gang hatte in strammer Voreiligkeit begonnen, doch bald hatte mein Knie mich wieder bezwungen und vermeldete überdeutlich, dass ich meine Schritte mit Bedacht setzen musste. So verzögerte sich alles doch ein wenig und ich hatte beschlossen eine Abkürzung über den Mercatus Urbis zu nehmen, wo wohl demnächst eine Sklavenauktion stattfinden sollte.


    “Nein Muckel, das ist irrelevant!“, erklärte ich forsch unter den eigenen gedanklichen Höhenflügen gefangen und hielt mich dann an einem der Sklavengatter fest, um eine winzige Rast zu machen. Mit der Hand wischte ich mir über die rechte Gesichtshälfte und schöpfte nach Luft. “Schau her... Ich meine, es kann doch nicht sein, bei tausenden von Menschen in einer Stadt, dass sie sich abgesprochen hätten um meine Tonstrina zu meiden! Das muss doch Gründe haben und ich werde es nicht auf die Götter schieben!“


    Muckel rollte mit den Augen.


    “Jedes Produkt braucht eine passende Vermarktung...“, sinnierte ich weiter und überlegte kurz. “Tonstrina Hispania... trotz Rasur ganz ungeschoren.... oder... Tonstrina Hispania...zarte Rasur für harte Männer...“ Mit der Hand fuhr ich untermalend durch die Luft, als könne ich diese Worte bereits in güldenen Lettern über dem Geschäft sehen, welches ich in der Tat noch nie mit den eigenen Augen erblickt hatte. Dabei sah ich nicht, dass sich Muckels Kinn etwas vor schob. “Wie wäre es mit...mit neuen Locken frohlocken ... oder... gestutztes Haar alles klar...“ Ich wedelte ein wenig mit der Hand herum, doch es half meinen Überlegungen nicht auf die Sprünge. Doch dann hörte ich eine Stimme, die sich plötzlich für mich deutlich von den anderen absetzte.


    “Gepflegte Menschen machen die besseren Geschäfte!“ So! Oder so ähnlich! Ich fuhr herum und suchte nach dem Ursprungsort dieser Worte. Und da sah ich ihn auch schon. Es war eine 'sie' und sie saß in einem der kleinen, gedrungenen Sklavenkäfige. In meine Augen stahl sich ein Funkeln und ich gab meinem Sklaven einen Wink.


    “Muckel komm! Das ist es!“ stellte ich in den Raum und humpelte auf die Sklavin zu, vor der der Händler gerade in die Hocke ging. Ich unterdessen straffte meine Haltung noch beim Gehen ein wenig, mit voller Aufmerksamkeit auf dem Geschehen vor meinen Augen. “Kochen, putzen, waschen, eine Ziege melken... etwas Krankenpflege. Ha. Ein bisschen nähen...“ Ich merkte, dass in mir spontan etwas Feuer gefangen hatte. “Und? Was passiert jetzt?“


    “Casca!“, gab Muckel verzweifelt von sich, doch es war zu spät. Ich war neben den Käfig getreten und setzte meinen Blick hinein. Ein hübsches Mädchen war es. Nicht groß, nicht dick, mit einem harmonischen, hübschen Gesicht, das jedoch einen recht fragenden Ausdruck trug.


    “Sag' das noch einmal!“, sagte ich dann und schenkte ihr ein freundliches, aber forderndes Lächeln. “Das mit den gepflegten Menschen und den Geschäften! Das war gut!“ Ich stützte mich mit einer Hand an das Gitter und neigte mich ein wenig vor.

    “Was ist denn nun?“, fragte mich mein Sklave, als ich wohl den nächsten tiefsten Seufzer in die Freiheit entlassen hatte.


    Meine Blicke hefteten sich noch immer auf die Unterlagen, welche den Schreibtisch ungestüm und zentimeterhoch bedeckten, während ich den Federkiel rhythmisch auf die polierte Tischplatte klopfte, wo er garstige Flecke hinterließ. Ich selbst kauerte auf einem Stuhl, wohl eher noch einem Hocker und beugte mich tief über das, mit dem ich mich eigentlich eher hätte befassen müssen. Ich war zwar erst seit einem Tag wieder da, aber das durfte nicht wahr sein, denn die Belege konnten nicht stimmen. Ich brütete dumpf vor mich hin, machte mir zusätzlich hingeworfene Notizen auf einer Tabula und rechnete mir das Hirn mürbe, bis die Zahlen vor meinen Augen verschwammen. Die Frage meines Sklaven nahm ich nur am Rande wahr, doch sie spornte mich zu einem neuerlichen abgrundtiefen Ächzen an. Dann hob ich den Kopf.


    “Muckel! Die arbeiten nicht!“, erkläre ich empört und stierte wieder tiefsinnig in die Bilanz.


    Muckel kam ein wenig näher und schaute über meine Schulter. “Häh?“, wollte er dann wissen.


    Ich hob mein Haupt und wendete es so, dass ich meinen Leibsklaven ins Blickfeld bekam. Ich schürzte meine Lippen und hob meine Augenbrauen an, was mir wohl einen besonders intelligenten Eindruck verlieh. “Die in der Tonstrina....sie sind faul?,“ hob ich wage an und deutete mit der federkielbewährten Rechten auf eine Zahl irgendwo auf dem Pergament. Seit Monaten keine schwarzen Zahlen und würde ich es weiterhin zulassen, würden sie mir das Haar vom Haupte fressen. Aber selbst das wäre zugegebener Maßen ein Fortschritt, denn mit Haar schienen sie sich nicht zu beschäftigen, wie die Zahlen zeigten, dabei spross Barthaar in Rom täglich und das reichlich! Mein Barbier machte Minus, genau wie mein Sägewerk in Mantua, doch mit dem würde ich mich später befassen!


    Die wenige Zeit, die ich wieder in Rom war hatte ich mich mit meinen Bilanzen beschäftigt, denn immerhin hatte ich mir am Bett meiner kranken Mutter in Piräus vorgenommen ebenfalls ein gutes Mitglied der Gesellschaft zu werden. Das hatte sie gewünscht und das würde sie sicherlich bekommen, auch wenn ich noch keine Ahnung hatte wie genau es vonstatten gehen sollte. Aber meine Betriebe schienen ein guter Anfang zu sein. Die Zeit und mein Alter waren reif, wie es schien. In meinem nächsten Brief sollte auch nicht stehen, dass ich der schnöden, traurigen Realität nachgegeben hätte und dass ihr jüngster Sohn nicht mehr war als der mitessender Haken an ihren Nest. Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück und blickte entschlossen über meine Schulter hinweg zu Muckel.


    “Wir werden dort hingehen!“, erklärte ich.


    “Zur Tonstrina Hispania?“, hakte er lesend und mit einem zugekniffenen Auge nach.


    Ich nickte bedeutungsschwanger und zeigte neuerlich auf das Pergament.


    “Gleich morgen!“, ließ ich verlauten, ehe ich es mir an diesem späten Vormittag noch einmal überlegte.


    “Morgen?“ Muckel schaute etwas fragend drein. Es war ein Ausdruck, der mich stutzen ließ und mich neuerlich ein wenig befeuerte.


    “Ach! Was rede ich!“, entkam es mir forsch. “Gleich jetzt!“ Ich erhob mich von meinem Sitzplatz und machte mich auf.

    Lange brauchte ich nicht zu harren, denn schon schwang die Tür auf. Und das nur, um zunächst das Gesicht und dann die dunkle Gestalt des Ephialtes preis zu geben. Als er mich nach meinem Begehr fragte, runzelte sich meine Stirn ein wenig, doch dann schien er mich zu erkennen. Ja, lange war es her und der Willkommensgruß war schon ein fast wie Balsam auf meinem zermürbten und etwas übernächtigten Inneren.


    “Oh,“, entfuhr es mir, auf die Bürden der Reise hingewiesen “Beschwerlich ist gar kein Ausdruck! Diese elenden langen Straßen sind Gift für mein Bein und diese...“ Doch ich besann mich sofort. Immerhin hatte ich nicht den ganzen Weg von Piräus nach Rom zurück gelegt, um einem Türsklaven mein Herz auszuschütten, wie ich mich gerade noch selbst ermahnte. “Nun denn!“, gab ich sogleich von mir, breitete ein wenig die Arme aus und sah zu, dass ein joviales Lächeln meine Lippen erreichte, während ich ein wenig zur Seite trat.


    Offenbar wollte sich Ephialtes sogleich helfend daran machen, sich mit um mein Gepäck zu bemühen und begrüßte Muckel, der gerade einige Münzstücke in die ausgestreckten Pranken meiner gemieteten Dienerschaft legte. “Oh nein... die beiden Herrn wollen gleich gehen, nicht wahr?“, beantwortete ich dann die Frage des Sklaven, untermalt von einer leicht scheuchenden Handbewegung in Richtung der Männer. Ein Grunzen kam von den beiden zur Antwort und mir deuchte, der Linke mit den schiefen Zähnen hätte mit diesen geknirscht. Der Rechte unterdessen spuckte, als sei diese Tat das Nebensächlichste von der Welt, sein halbzerkautes Kraut vor Muckels Füße, ehe er sich umwendete und sich anschickte von dannen zu stapfen.


    “Also....“, hob mein Sklave an, doch ich schüttelte den Kopf und setzte ihm meine Hand auf die Schulter.
    “Contenance, Nepomuk,...“ forderte ich dann. “... und gib mir meine Haussandalen heraus!“ Diese waren meinen geschundenen Füßen nun ein Bedürfnis. Muckel tat wie geheißen und fummelte an der Ladung des Maulesels herum. Als er das Gewünschte gefunden hatte, drückte er mir die Sandalen in die Hand, ehe ich mich zur Tür hin aufraffte. Vor dem Eingang blieb ich jedoch stehen. “Ist denn jemand von meiner Familie anwesend?“, wollte ich dann von Ephialtes wissen.

    Da war ich also wieder vor der Pforte und beschaute mir nachdenklich das imposante Türblatt, während ich halb kniete und versuchte mit einem trockenen Lappen mein Schuhwerk zu reinigen. Die Tür war nicht mehr dasselbe, doch dennoch war dies der Ort, an dem eine wild gewordene Masse raufender Vandalen nach dem Leben der Bewohner gelechtzt hatte. Fleeeeisch... Mir klang es immer noch in den Ohren. Wie lange war das her?


    “Casca?“
    Muckels Stimme riss mich aus den grüblerischen Gedanken.
    “Hm?“ Ich blickte zu meinem Sklaven auf.
    “Bist du fertig?“ Seine Hand deutete auf meinen Fuß.
    Ich grunzte meine Unzufriedenheit heraus und drückte ihm den Lappen in die Hand, ehe ich mich wieder mühsam zu meiner bescheidenen, wenn auch vollen Größe aufrichtete.
    “Nun sei nicht so, ich bin da nicht rein getreten!“


    Noch einmal schabte ich mit meinem Fuß über das Pflaster der Straße, um den Schuh von dem letzten Rest Dung zu befreien. Dann richtete sich mein Blick auf unseren Anhang. Es waren zwei bullig wirkende, wiederkäuende Männer, die schon seit der Stadtgrenze auf irgendwelchen Blättern herum bissen, die ich nicht einzuordnen vermochte. Der eine hatte ein zernarbtes Gesicht und hervorspringende Zähne, der andere verfügte nur noch über ein Auge und trug eine Binde darüber, was ihm das Aussehen eines windigen Piraten verlieh. Doch sie waren das Beste, was auf die Schnelle zu bekommen war und das musste reichen, um meinen Weg zu sichern und das Gepäck zu tragen. Das meiste davon war eh auf dem kleinen, stämmigen Maulesel verschnallt, den mein dunkelhäutiger Sklave Nepomuk am Strick hinter sich her gezerrt hatte.


    “Geh' sie entlohnen!“, forderte ich dann leise flüsternd von Muckel. “Ich will nicht, dass wir aussehen, als gehörten wir jüngst zu einer Rotte Meuchelmörder!


    Muckel nickte und machte sich auf den Weg, um unserer Begleitung ein paar Münzstücke in die Hand zu drücken. Ich selbst begab mich zur Pforte, nestelte noch einmal meinen Umhang zurecht und klopfte lautstark an die Tür. Dann richtete ich mir noch einmal mein Haar, indem ich mir mit der Hand von der Schläfe an über den Kopf fuhr. Doch es war wahrscheinlich eh nichts mehr auszubessern, da die lange Reise ein weiteres Mal ihren staubigen Tribut gefordert hatte.

    Ein Lebenszeichen von mir! Gesundheitlich ein wenig sehr daneben seit ner Weile. Ich möchte mich bei meinen Postpartnern entschuldigen, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe. Ich hatte kein Internet.... Ich denke, ich werde noch eine Woche brauchen. Das gilt auch für meine anderen IDs.

    “Schau dir das an!“, sagte ich noch, während ich mich noch umsah. Vielleicht war hier inzwischen alles wieder aufgeräumt, doch die Fülle von einst vermisste ich doch, nach dem Attentat von dem Mob. Man hatte sich zwar Mühe gegeben, die Bibliothek wieder herzustellen, doch irgendwie....


    “Wirkt ein wenig kahl,“ bestätigte mir Muckel und er entließ ein kaum hörbares Seufzen.


    Wie auch immer es sein mochte. Eine Bibliothek blieb eine Bibliothek und ein vortrefflicher Ort des Lernens. Und genau Letzteres wollte ich. Ich hatte Muckel vorgeschickt, um mich beim jüngsten Kursus anzumelden. Um den Rest musste ich mich wohl oder übel selber kümmern. Ich fuhr herum und schaute meinem Sklaven entgegen. “Ans Werk!“ entkam es mir sodann, selbst wenn ich selbst nicht genau wusste, nach was ich eigentlich suchte. “Such...einfach was zusammen.“ Eine Strategie würde ich im Folgenden entwickeln. Muckel trat an eines der Regale und begann zu kramen, während ich meine Hände in die Hüften stützte, als würde dies irgendetwas helfen.

    Getreideprobleme? Ich nickte wie nebensächlich und hob erst einen Moment später meine Augenbraue. Richtig. Getreideprobleme. Manchmal musste ich mich selbst schon fragen, wo bei allen Göttern ich in den letzten Wochen gewesen war. Nicht bei mir. So fiel stand fest. Doch wie auch immer es war. Ich ruckte mit aller Kraft an der Kiste und kam nicht umhin, einen angestrengten Laut entweichen zu lassen. Vorsichtshalber trat Muckel einen Schritt zurück, als hätte er Angst ich könne die Kiste mit meiner vereinten Kraft mit Dexter ihm meine Sammlung auf den Fuß schieben. “Ich sammele schon eine Weile,“ erklärte ich meinem Gegenüber das Gewicht des Objekts. Schließlich richtete ich mich keuchend auf und stützte meine Hände in die Hüften, nur um mich dann ein wenig zu recken.


    “Ja, ich mag Pferde sehr gerne!“, gab ich zu. Auch wenn eines davon vor einigen Jahren mein Schicksal besiegelt hatte. Ein Strahlen huschte über mein Gesicht, als ich mir vorstellte, tatsächlich nach Ostia zu reisen und mir diese Zucht anzusehen. Doch so lange, um sofort mein Einverständnis zu erklären, kannte ich Dexter nun auch wieder nicht. Ich schaute ihn an. “Also... ich,“ begann ich und wog dann nachdenklich meinen Kopf hin und her. “Im Frühjahr habe ich noch nichts vor.“ Ich grinste breit und wedelte dann mit der Hand in die Richtung meines Sklaven. “Bring' uns doch was zum Trinken.“ Schließlich deutete ich zum Tisch hinüber, auf dem sich noch diverse Schriftrollen türmten. “Wenn du magst... dann lass uns doch einen Moment setzen.“ Setzen klang gut. Ein Umzug war anstrengend.

    [...]Rom hatte schon etwas Unheimliches an sich, wenn man es genau betrachtete. Man brauchte sich nur umzusehen, um hinter jeder Ecke und in jedem Winkel etwas zu vermuten. Gefahr zum Beispiel. Von Schatten einmal abgesehen war es vielleicht ein marodierender Verirrter oder ein anders gearteter Mensch, der Gegenstände bei sich trug, die eventuell mir gehörten. Doch einen Blick zurück ersparte ich mir, auch wenn ich noch ein gutes Stück des Weges aufmerksam lauschte ob man nicht von der Casa Decima her etwas hörte. Etwas wie einen berstenden Dachstuhl möglicherweise.Auch wenn mir das selbst schon im nächsten Augenblick ein wenig übertrieben erschien, wie ich mir das Geschehen dort vorstellte: Den Mob als riesige Flutwelle, die krachend und monströs einen jeden Stein unter sich begrub. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen:


    “Meine Kiste!“, entfuhr es mir und ich blieb einfach stehen, nur um mit meinem Blick Muckel zu suchen. Der allerdings war genau neben mir.


    “Ist zum Glück im Stall geblieben!“


    Ich knurrte unwillig, doch den Weg zurück anzutreten erschien selbst mir extrem töricht. Also eilte ich weiter mit den anderen durch diese Ödnis, zu der die Stadt geworden war. Kaum eine Menschenseele und nur von Ferne waren Rufe zu vernehmen. Wahrscheinlich waren die Leute, die hier sonst die Straßen und Gassen bevölkerten alle bei uns zu Hause eingefallen. Neuerlich befielen mich abscheuliche Bilder und schluckte gegen diese Unbill an. Gespenstisch. Einfach gespenstisch. Mein Knie schmerzte leicht unter den befeuerten Schritten das Obdach zu erreichen, welches sich anscheinend tatsächlich als Capitolinum Vetus heraus stellte. Als Aton, nein, der Senator stehen blieb stierte ich ein wenig perplex auf die Fundamente, in welchen – so sagte er – Räume integriert seien.


    “Räume...“, sagte ich nickend. Das klang nach einem Schluss des Weges über das holprige Kopfsteinpflaster, welches meinem Bein inzwischen doch Probleme bereitete und wieder folgte ich hinkend. Was mochte in den Räumen sein? Verstaubte Luft, ein paar bewegliche Möbel und Düsternis, wie sich heraus stellte. Ich lugte dem Senator über die Schulter, so dicht war ich inzwischen aufgerückt.


    “Ich hoffe auch, dass wir hier nicht lange bleiben müssen!“ Muckel schaute sich um, nachdem er einen Versuch unternommen hatte, mir unter den Arm zu greifen um mich zu stützen, doch ich wehrte ihn ab und nickte dem Senator dankbar zu, ehe ich an ihm vorbei selbstständig in den Raum hinein lahmte. Das gebot der Stolz. Dann allerdings streckte ich doch unter schmerzverzerrtem Gesicht die Hand aus. Allerdings nicht nach meinem Sklaven, sondern nach Mira. “Komm her!“, sagte ich und legte meinen Arm um ihre Schultern, in der Hoffnung so mein Bein entlasten zu können. “Verdammt!“, stieß ich dann leise aus. Das waren die Momente, in denen ich mich fühlte wie ein alter, gebrechlicher Mann, der nicht konnte wie er wollte und nicht wollte, was er könnte: Muckel ächzend um Hilfe bitten, obwohl das seit meiner Kindheit eigentlich seine Daseinsberechtigung darstellte. “Siehst du... hier kann uns gar nichts mehr passieren,“ raunte ich der holden Mira zu, ehe ich mich an Aton wandte. “Verzeih' meine Neugier, aber wo hast du ihn hin geschickt?" Ich deutete mit einem Kopfnicken auf den Sklaven. Es war mir nicht entgangen, dass er ihn mit einer mysterösen Botschaft versehen hatte, die an irgendeine Pforte getragen werden sollte.

    Irgendwie war mir beim Gedanken an einen eiligen Fußmarsch durch das in Wirrnis liegende Rom nicht wohl. Überhaupt war mir ganz und gar nicht wohl und ich merkte nicht, wie die Finger meiner Hand sich noch fester in den Arm der armen Sklavin gruben. Wohin auch immer es gehen sollte, denn sicheres Obdach war als Zielangabe doch arg abstrakt. Anscheinend ging es den Veteranen ähnlich, denn sie erschienen wenig erfreut über die Worte, die der Fremde - von dem ich annahm, dass es ebenfalls ein Sklave war – ihnen zu munkelte. Flüchtig musterte ich den Senator von der Seite und kam zu der Hoffnung, dass dieser schon wissen würde was er tat.


    “Wo gehen wir hin?“, zischte Muckel meinem Nacken entgegen. Er stand noch immer hinter mir.


    “Das wissen die Götter!“, gab ich zurück.


    “Ich meine, er hat Capitolinum Vetus gesagt“, raunte Muckel nachdenklich weiter, woraufhin ich nur mit den Schultern zuckte und mich daran erinnerte, die Sklavin nun endlich los zu lassen. Sie würde schon nicht davon laufen. Oder? Prüfend blickte ich ihr noch einmal entgegen, nur um dann zu lächeln, ehe ich den anderen folgte so gut es ging.

    Es war doch recht sonderbar, wie beharrlich ausgesprochene Worte den eigenen Glauben stärken wollten. Und genau dieses Gefühl hüllte einen ein, wie eine warme Decke. Zumindest fühlte es sich bei mir so an. Noch hoffte ich, dass sie auch die scheue Sklavin erreichen würden, allen konsternierten Blicken der anderen zum Trotz. Ja! Bei allen Göttern! Sie sollten Kraft aus ihrem Herzen schöpfen! Sie sollte nicht nach einem Was dann? fragen oder nach einem Und wenn nicht..., während ich mich noch um aufbauende Worte bemühte. Unwillkürlich ballte ich eine Faust. Doch das alles war nur flüchtig, darüber hinaus diffus und wie sich schon einige Herzschläge später zeigen sollte, vollkommen widersinnig.


    HERHÖREN!“, gellte eine kommandierende Stimme, nachdem deren Besitzer zur Stalltüre hereingeplatzt war und ich zuckte unwillkürlich zusammen.


    Sofort blickte ich hinüber zu dem Veteranen, der soeben meine Ansprache ad absurdum führte, mit scheuchenden Handbewegungen meine Zuhörerschaft aufwühlte und meine soeben gewonnene Selbstsicherheit von ihren zittrigen Beinen fegte. Niemand würde also hier eindringen, ja? Ich schalt mich selbst ein Rindvieh und ich musste hastig nach Atem schnappen. Ich hatte es geahnt und viel mehr noch befürchtet und doch war ich nun ein wenig erschüttert. Dennoch war ich bemüht, mir bis auf die kräftigeren Atemzüge nichts anmerken zu lassen, denn es wäre nur eine weitere Niederlage in der Niederlage gewesen. Ich hob meine Hände zu einer Geste, die irgendwie beruhigend wirken sollte. Ob sie das auch vermochte? Keine Ahnung!


    “Nur keine Furcht! Wie gesagt, behaltet die....“ Mira. Wo war sie? ...Nerven!“ Oh! Da war sie ja! Mitten in der Menge der Sklaven, die durch die Tür geschleust wurden. “Mira!“, rief ich, ehe ich auch schon abgelenkt wurde: “Decimus, nicht wahr?“ Ich fuhr herum und erblickte Aton, den Senator, der sich mir genähert hatte. “Ich...äh...ja!“ Ein wenig verwirrt blinzelte ich ihm entgegen, ehe ich mich wieder fing und dem Drang widerstand der Sklavin hinterher zu schauen. “Decimus... Casca!“, ergänzte ich dann noch schnell, ehe meine Gedanken ein wenig zügellos dahin rasten und ich seinen Worten lauschte. Immer wieder zuckten meine Blicke ein wenig getrieben hinüber zur Tür.


    Furcht mochte ein weiser Ratgeber sein, der einem aberwitziger Weise dennoch keinen Raum für klare Gedanken ließ, Fortuna ein wechselhaftes Weib und Aton wirklich ein Senator. Wahrscheinlich würde man bald das 'oben' nach 'unten' definieren müssen und ein 'rechts, ganz weit weg von links' wurde zu einem Kreisschluss. Vor diesem Hintergrund war ich durchaus gewillt alles zu glauben. “Es wäre mir eine Ehre!“, entkam es mir deshalb, als die Rede auf das Revanchieren und das sichere Obdach kam. Besonders Letzteres war mir obendrein auch noch ein Bedürfnis, denn mir war wirklich nicht danach, von plündernden Aasgeiern gelyncht zu werden. Meine Haltung straffte sich neuerlich ein wenig, doch dann fiel mir noch etwas ein. “Verzeih'!“, brachte ich dem Senator entgegen, ehe ich ich Muckel beiseite drängelte, der schräg hinter mir stand und mich hastig zur Tür aufmachte, um die Sklavin Mira davon abzuhalten mit dem Rest der Menge hinaus getrieben zu werden. Gerade noch rechtzeitig. Ich wollte nicht, dass sie mit den anderen ging und meinem Auge entschwand. Ich packte sie fest am Oberarm und zu sie mit mir zu ziehen und wieder vor Aton zum Stehen zu kommen. “Wir werden gerne... mitkommen.“ Wohin auch immer. Diese Frage hatte ich mir noch gar nicht gestellt.