“Guck mal!“, kam es von Muckel, meinem Sklaven. Er hatte es sich mir gegenüber am Tisch auf einem Stuhl bequem gemacht und die Füße auf die Stelle Tischplatte gelegt, die noch nicht mit Schriftrollen bedeckt war. Ich missbilligte das zutiefst, doch ich hatte keine Lust auf eine Diskussion. Träge hob ich meinen Kopf, den ich bisher müde mit einem Arm abgestützt hatte und kam seiner Aufforderung nach. Muckel hatte sich einen Stilus zwischen Oberlippe und Nase geklemmt und rollte gefährlich mit den Augen, während er zusätzlich noch eine Grimasse zog.
“Interessant!“, nahm ich seinen Ablenkungsversuch zur Kenntnis und senkte meinen Blick wieder auf den Papyrus vor mir.
“Nun sei doch nicht so ernst!“, maulte mein Sklave und der Griffel fiel mit einem hölzernen Geräusch auf die polierte Tischplatte. “Lass uns in die Stadt gehen...“
Ich schnaufte und hatte überhaupt keine Lust in die Stadt zu gehen. Dort war ich in der letzten Zeit schon zu oft gewesen. Mein Knie schmerzte bereits vom vielen Laufen und ich hatte mich im Grunde satt gesehen an den Insulae, den Märkten, den Straßen, den Gebäuden und vor allem am Forum! Neben den Erkundungen hatte ich Thermen gesehen, war durch deren Wasser gewatet und hatte mich entspannt. Zumindest hatte ich es ehrlich versucht! Ich war an einem Abend in einem Lupanar gewesen, was sich im Nachhinein als böser Fehler herausgestellt hatte. Das leichte Mädchen, welches man mir versprochen hatte war alles andere als leicht, hatte Haare auf den Zähnen, eine schiefe Perücke auf dem Kopf und wie sich herausstellte, hatte sie auch verdammt lange Finger gehabt. Bis heute wagte ich es nicht einmal Muckel einzugestehen, dass mein Geldbeutel mitsamt der weinschweren Stimmung an jenem Abend verschwunden war. Weinschwer! Das war es. Ich langte nach meinem Becher und setzte ihn mir an die Lippen.
“Du könntest aufhören, dich zu betrinken und deine Momoiren schreiben zu wollen!“, mahnte mich Muckel. “Mir ist langweilig!“
Ich wischte mir mit dem Handrücken über den Mund und tunkte meine Schreibfeder wieder in die Tinte. Die Schrift verschwamm schon leicht vor meinen Augen, doch das machte gar nichts! Eigentlich neige ich nicht zu Melancholie, doch es gab so erschreckend wenig zu tun. Zumindest nichts außer an das zu denken, was ich gerne getan hätte. Damals! Ich hatte zum Militär gewollt und mich beschlich das Gefühl, dass dies so ziemlich jeder außer mir konnte. Oder jeder, der zwei gesunde Beine hatte. Und wie immer in solchen Momenten blieb mir nichts mehr zu tun, als ein Schreibtischtäter zu sein oder zu werden, meinen Bruder Massa zu beneiden und mich für einen Tag oder zwei in Selbstmitleid zu versenken. Und das bis zum Hals. Das Militär war dieser Tage beschäftigt. Die anderen, soweit ich das abschätzen konnte auch. Und was tat ich? Ich war neunzehn und so langsam wäre zumindest die Idee für irgendeine Laufbahn mehr als herzlich willkommen. Solche Ideen fand man nicht auf den Straßen der Stadt! Und auch nicht in der Therme. Und wenn doch, so hatte ich in den letzten Tagen etwas fürchterlich falsch gemacht.
“Ich habe keine Lust auf die Stadt! Ich schreibe keine Memoiren, sondern halte lediglich meine Erlebnisse fest und außerdem schreibe ich Mutter und Massa.... Und betrinken tue ich mich auch nicht!“ Letzteres setzte ich nach, während ich mir noch einmal aus dem mittelgroßen Krug nachschenkte.
“Hm, hm.“ Muckel nickte und seine Augen weiteten sich ein wenig. “Erlebnisse! Ihr Götter! Du verschanzt dich hier in deinen vier Wänden, zwischen Papyrus und Weinkelchen, nur um ab und an mal die Nase aus der Tür zu strecken und nach gammeligen Pferdefigürchen auf dem Markt zu wittern!“
Diese Zusammenfassung meines jüngsten Betätigungsfeldes war so nicht ganz korrekt und wenn ich ehrlich war, traf sie mich zutiefst. Ich hatte schon eine Menge getan! Die weise Minerva würde es wissen, dass ich bei Weitem mehr getan hatte! Ich hatte nachgedacht und das ziemlich stark!
“Du vergisst dich! So redest du nicht mit mir! DU weißt genau, dass es gar nicht einfach ist, sich in einer Stadt zurecht zu finden, die so anders ist als Piraeus und wenn DU dich würdest entscheiden müssen, was du mit deiner Zukunft anfangen möchtest, dann wäre es... ja... gar nicht so leicht!“
“Ich hatte schon Vorstellungen, nur dann kam alles anders und ich habe dich gekriegt! Ja, und vielleicht fragst du mal die Leute, die hier im Haus wohnen! Das sind deine Verwandten! Schon vergessen? Die leben, atmen und man kann sie ansprechen!“
“Ach was!?“, schnappte ich.
Muckel hätte sich diesen Seitenhieb ruhig sparen können. Doch ich wollte nicht, dass mir jemand etwas einflüstert, oder dergleichen. Das hatte ich bei Mutter genug gehabt. Ein Mann musste sich eben mitunter absetzen von dem Willen und Wünschen anderer, um... um sich selbst klar zu werden in welche Richtung... das Leben... und überhaupt.
“Du könntest ein weltabgekehrter Philosoph werden und in irgendeine Tonne ziehen, gleich links hinter dem Markt. Wie Diogenes. Und ab und an bringt dir dann jemand einen Schluck Wein vorbei, damit du für ihn irgendwas orakelst oder die Korrespondenz erledigst!“
Ich erhob mich abrupt von meinem Stuhl. Das war nun wirklich genug! Was bildete er...“Was bildest du dir eigentlich ein, du Sklave du?“ Ich ertappte meine Hand, wie sie in der Luft herum gestikulierte. Mein Stimme klang grollend und recht laut. “Mach, dass du raus kommst!“ Ich deutete gen Zimmertür.
Muckel brummte etwas vor sich hin und erhob sich. “Mit Vergnügen!“
Ich merkte, dass mir vor Wut die Lippen bebten. Ein anderer hätte ihn wahrscheinlich verprügelt für seine Impertinenz, doch dazu konnte ich mich seit unseren Kindertagen nicht mehr durchringen.
[color=darkred]“Und bleib draußen!“, warf ich ihm noch herrisch hinterher, ehe ich mich wieder auf den Stuhl sacken ließ.
Endlich Ruhe! Ich ließ meine Augen gen Papyrus rollen und ließ sie hastig über den begonnenen Brief tasten.
Mein lieber Bruder!
Ich hoffe, du bist wohl auf und unversehrt. Mir geht es hervorragend und es besteht kein Grund zur Sorge. Mit meinen Überlegungen für meine Zukunft bin ich schon ein großes Stück weiter und es wird mir eine Freude sein....
Na. Tatsächlich wusste ich gar nichts mit mir anzufangen und das schon seit geraumer Zeit. Doch sollte ich schreiben: „... In Bezug auf meine Zukunft weiß ich nur, dass sie voraussichtlich stattfinden wird und ich beginne bald, mit den Wänden zu reden?“ Das wäre ein gänzlich falscher Ansatz.