Beiträge von Titus Matinius Pacatus

    Wieder mal war Pacatus unterwegs, um jemand auszufragen. Diesmal trieb es ihn in das Viertel hinter der Basilika. Zum Haus der Duccier.


    Er fand schnell die Porta, die kaum zu übersehen war. Schon die Porta machte jedem Besucher klar, dass die Duccier keinen Mangel an Knete zu haben schienen. Er klopfte.

    Pacatus hatte sich schon oft gefragt, wie ein Mensch dazu kommt, einen anderen zu erschlagen. In Roma hatte er oft genug erlebt, dass manchmal nichtige Anlässe dazu ausreichten; manchmal ging es nur um einen Sesterz oder ein blödsinniges und lächerliches Beleidigtsein. Warum nicht mal einen gebildeten Mann danach fragen?


    "Du bist ein gelehrter Mann, Xanthos. Was glaubst Du, bringt einen Menschen dazu, einen Anderen zu töten? Lassen wir mal die Soldaten beiseite. Ist es das Gefühl, Macht über das Leben eines Anderen zu haben? Oder ist es die Vergeltung für das Üble, was ein Anderer einem angetan hat? Oder ist es Neid? Neid auf die Reichtümer eines anderen, auf den Erfolg eines Anderen? Woher kommt die Kraft, die einen Menschen dazu bringt, das Letztmögliche mit dem Leben eines Anderen zu tun?"


    Die Ortsangabe des gelehrten Mannes verwirrte ihn eher. Die Schifferleute hingen meist in den Kneipen im Vicus Navaliorum herum. Und das war im Osten am Rhenus. Er beschloss, da nicht weiter nachzufragen. Vielleicht hatten Philosophen ein anderes Koordinatensystem im Kopf.

    Ganz schön komische Geschichte. Normalerweise ließen ja Strauchdiebe keine einzige Münze zurück, wenn sie sich schon die Mühe gemacht hatten, jemanden zu erschlagen. Weiß der Geier, vielleicht hatten sie etwas Wichtigeres mitgenommen. Andererseits konnte man ja auch aus jedem beliebigen Grund umgenietet werden.


    "Ja, Meister Xanthos, das ist Alles etwas seltsam, wie Du sagst. Aber in Roma kannst Du erstochen werden, bloß weil irgendwem Deine Nase nicht gefällt. Oder, weil Du Ovid rezitierst. Ehrlich, ich hätte nicht gedacht, dass in Mogontiacum so etwas auch vorkommt, aber scheint's doch".


    Pacatus überlegte, ob ihm etwas zu der fehlenden Tunica einfallen würde, aber er hatte dazu keine Idee. "Was mich etwas wundert: Du sagtest, das wäre im Norden des Vicus gewesen. Also ich hab dort noch keine einzige Spelunke gefunden. Da wohnen doch nur reiche Leute, zum Beispiel die Duccier. Ich geh manchmal auch ganz gerne in Spelunken, verzieh mich aber, wenn die Luft zu dick wird".

    Pacatus war etwas erstaunt. Wenn ihm jemand in Roma eine solche Geschichte erzählt hätte, wäre ihm das ganz normal vorgekommen. Aber hier in Mogontiacum? Er hatte bisher geglaubt, er sei in ein friedliches Landstädtchen gekommen. Aber, da schau her, die hatten hier ja auch ihre ganz anständigen Verbrechen.


    Er zuckte mit den Schultern: "Wie Du siehst, trifft es mal die Lehrer, mal die Schüler. Aber, sag, ist das hier in Mogontiacum passiert? Ich kann es fast nicht glauben. Ich dachte bisher, dass es hier ruhig und friedlich zugeht. Da muss ich mich in Zukunft wohl etwas vorsehen, wenn ich im Dunkeln nach Hause gehe, meinst Du nicht auch?"

    Undank ist der Welt Lohn, dachte sich Pacatus, dann fiel ihm aber ein, dass er niemals auf die Idee gekommen wäre, seinen Lehrer zu besuchen. Nein, das wäre ihm bestimmt nicht eingefallen.


    "Natürlich, so etwas tun Schüler gemeinhin nicht. Vielleicht liegt das daran, dass Schüler, mal vorsichtig ausgedrückt, meist keine gute Meinung von ihren Lehrern haben. Und es stimmt auch, ich hätte meinen Lehrer wohl kaum besucht. Allerdings hat mir das Schicksal die Mühe eines solchen Besuchs erspart. Mein Lehrer wurde in einer Kneipe erschlagen, weil er im Suff nicht aufhörte, Gedichte von Ovid zu rezitieren, was seinen Saufkumpanen offenbar auf die Nerven gegangen war. Descende caelo, sollen sie dabei gerufen haben, ohne zu wissen, dass sie dabei Horaz rezitierten".

    Pacatus versteckte ein Grinsen. Die Stadtkasse plündern war ihm zu mühsam. Man hatte ja gleich die halbe Armee, ein paar Ermittler und dann vielleicht noch Apollos Zorn am Hals. Da beschäftigte er sich lieber mit Prügeln, Knüppel, Stöcken und sonstigem Krempel, der einem zwischen die Füße kommen konnte.


    "Danke, Duumvir, ich bin dann mal beim Aufräumen. Vale".

    Erstaunlich, sagte sich Pacatus, dass in einer solch kleinen Taberna das Wissen der Menschheit gelehrt wurde. Er hätte das nicht für möglich gehalten. Er holte mit kreisenden Bewegungen seines Löffels die letzten Reste des Eintopfs aus der Schüssel und meinte: "Ich kann es kaum glauben, dass in dieser einfachen Taberna sozusagen die künftige Elite der Provinz heranwächst. Respekt! Es erfüllt Dich doch sicher mit Stolz, wenn mal einer Deiner Schützlinge später dann in höhere Ämter hineinwächst. Kommen die dann gelegentlich mal bei Dir vorbei und bedanken sich bei ihrem Grammaticus?"


    Der Grammaticus hatte dann noch ein Lob auf die Neugier ausgesprochen. Pacatus war deshalb geschmeichelt, obwohl er es schon öfter verflucht hatte, dass er überall seine Nase reinstecken musste. Aber gut, vielleicht hatte es ja auch seine Vorteile.

    Hatte er 'Prügel' gesagt? Ach ja, so war es. Eigentlich ein schlechter Vergleich, denn die Hindernisse, die Pacatus vor sich sah, waren ja sozusagen ungegenständlich, denn sie bestanden darin, dass etwas fehlte. Zaster. Er lächelte.


    "Da hab ich vielleicht das falsche Wort gebraucht, Duumvir. Ich meinte mit den Prügeln, die mir im Weg liegen, einfach Hindernisse. Natürlich kann ich als Quaestor oder Aedil mehr Geld verdienen als jetzt, aber um Quaestor oder Aedil zu werden, braucht man eben genau das: Geld. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Aber ich sagte ja, dass ich versuche, dieses Hindernis wegzuräumen. Vielleicht mach ich erst noch einen Laden auf oder so etwas".

    Da stand also ein richtiger Grammatikus vor ihm. So einen hatte er nicht gehabt, als er noch jung war. Es blitzte ihm durch den Kopf: Kultur als Ware auf dem Markt. Er lächelte.


    "Ja, warum nicht? Warum sollte man Griechisch, Grammatik, Geometrie und Rechnen nicht auch auf dem Markt anbieten? Schließlich ist das eine äußerst wertvolle Ware. Ich hoffe, dass man Dir dafür auch gute Preise bezahlt. Ich selber komme aus einem etwas heruntergekommenen Haushalt und hab nur einen ständig besoffenen Hauslehrer gehabt, der es aber doch noch geschafft hat, mir wenigstens Schreiben und Rechnen beizubringen. Alles andere musste ich später dazulernen. Hast Du viele Schüler?".


    Bei der Frage nach den Kindern wurde Pacatus klar, dass er hier nicht am richtigen Platz war. Seine Schultern schnurrten etwas zusammen. "Na ja, was soll ich sagen, ich bin aus verschiedenen Gründen noch gar nicht zum Kindermachen gekommen. Deshalb kann ich Dir, so leid es mir tut, kein einziges Kind auf Deine Schule schicken. Verzeih, dass ich trotzdem Deine Zeit in Anspruch nehme. Es ist meine verdammte Neugier, weißt Du?"

    Da schälte sich ein Mann aus dem Halbdunkel, dessen Halbglatze mit einem ausladenden Haarkranz umgeben war. Pacatus hatte ja noch nicht einmal laut gerufen. Dieser Mensch musste saumäßig gute Ohren haben, anders als der Architekt Lysander, dem man alles ins Ohr trompeten musste.


    "Salve, Meister Xanthos, ich bin Matinius Pacatus. Ich hoffe, dass ich Dich nicht ungebührlich störe. Aber als ich vor Deiner Taberna saß und meinen Eintopf löffelte, las ich neben der Eingangstür, dass hier in der Taberna eine Schule ist. Eine Schule auf dem Markt? Das hat mich neugierig gemacht. Sowas kenne ich nicht. Aber Germanien scheint doch einige Geheimnisse zu haben. Was ist das denn für eine Schule?"

    Pacatus hatte sich in der Basilika eine Schüssel des mittlerweile berühmten germanischen Eintopfs besorgt, wollte ihn aber nicht erst zur Curia hinüber tragen, weil er ihn noch richtig heiß essen wollte. Er schaute sich um, ob er irgendwo eine Sitzgelegenheit finden könnte und entdeckte zwei Hocker vor einer Taberna. Er setzte sich auf einen der Hocker und begann zu löffeln. Erst vertrieb er sich die Zeit damit, beim Löffeln die Leute in der Marktbasilika zu beobachten, dann aber fiel ihm der Schriftzug neben der Tür auf. 'Xanthosschule' stand da.


    Er runzelte die Stirn. Fragen kann man ja mal, dachte er sich, ging in hinein, konnte aber zunächst im Halbdunkel außer ein paar Hockern nichts weiter entdecken. So rief er einfach: "Ist hier jemand?"

    Pacatus hatte zwischendurch vergessen, dass der alte Lysander nicht mehr so gut hören konnte. Er stellte also seine Lautstärke noch etwas lauter, obwohl sich vorhin schon ein paar Leute erstaunt umgedreht hatten.


    "Nein, einen Kostenvoranschlag brauchst Du jetzt noch nicht zu machen. Ich geh einfach zum Aedil und sag ihm dann, dass er mindestens mit 360 Sesterzen zu rechnen hat. Später kannst Du das ja auf Punkt und Komma ausrechnen, alles klar?"


    Das mit den Bauschäden, die er vielleicht übersehen könnte, machte Pacatus natürlich auch Bauchschmerzen. Aber er hatte sich schon Gedanken darüber gemacht. "Weißt Du, ich hab mir gedacht, dass Bauschäden bei schlecht gepflegten Gebäuden wahrscheinlicher sind als bei anderen. Wenn ich also sehe, dass Farbe abgeblättert ist, dass Türen und Fensterläden schief hängen, dass Gras und Sträucher in Mauerritzen und auf Gesimsen wachsen, dass Feuchtigkeitsflecken im Verputz zu sehen sind oder dass verwitterte Mauersteine und Balken nicht ausgewechselt wurden, dann würde ich dem Aedil sagen: Da muss der Lysander mal genau hingucken".


    Er überlegte noch einen Augenblick: "Wir greifen uns also erst einmal die ganz verrotteten Hütten heraus. Dann die übrigen. Die Sache wird sowieso nicht von heute auf morgen über die Bühne gehen".

    Eigentlich wollte Pacatus seine Pläne nicht gleich jedem auf die Nase binden, der ihm grade über den Weg lief. Obwohl, er musste sich eingestehen, dass er genau genommen, keine fein ausgearbeiteten Pläne mit sich herumtrug. Na gut, dem Duumvir konnte man ja schon mal sagen, was man so im Sinn hatte.


    "Tja, Duumvir, ich will schon über kurz oder lang hier mal Magistratus werden. Momentan liegen mir aber noch einige große Prügel im Weg dahin, die noch wegzuräumen wären. Erstmal will ich ein bißchen in die Politik der Civitas hineinhorchen. Vielleicht bringt mir das ein paar hilfreiche Einsichten, um weiter zu kommen".

    Pacatus betrat das Officium des Duumvir. Er hatte sich noch gar nicht überlegt, wie er sein Sprüchlein aufsagen sollte, aber als er dann vor dem Duumvir stand, blieb ihm nichts anderes übrig als einfach loszulegen.


    "Salve Duumvir, ich bin gekommen, äh, weil ich meine Kandidatur als Magister Vici im Vicus Navaliorum anmelden möchte. Ich bin zwar noch nicht sehr lange in Mogontiacum ansässig, aber ich kenne die Stadt durch meine Arbeit mittlerweile fast so gut wie das Innere meiner meist kärglich gefüllten Geldtasche".


    Er breitete die Arme aus und fuhr fort: "Es ist auch nicht so, dass mich hier keiner kennen würde. Ich wohne ja im Vicus Navaliorum und hab mich da etwas umgetan. Bei Nachbarn und den wichtigsten Leuten im Vicus. Na ja, ich hab halt schon ein bißchen Reklame für mich gemacht, verstehst Du?"

    Pacatus blickte kurz auf seine Gebäudeliste. Er war sich nicht ganz sicher, ob er wirklich schon alle Gebäude drauf hatte, aber er rechnete trotzdem kurz hoch, was das kosten würde.


    "Nun, wenn ich Dich richtig verstanden habe, dann würde das die Civitas mindestens 360 Sesterzen kosten. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Quaestor rot anläuft, wenn er das hört. Gut und schön, kann ich dem Aedil ausrichten, dass die 30 Sesterzen für eine Begutachtung von Dir als Kostenvoranschlag betrachtet werden können?"


    Pacatus kratzte sich am Kopf. Er versuchte sich vorzustellen, wie die Sache ablaufen würde. Man machte einen Rundgang, Lysander guckte sich das Gebäude an, stellte fest, dass es keine Bauschäden hätte, bing, 30 Sesterzen. Oder so ähnlich.


    "Ich kann mir vorstellen, dass man nicht alle Gebäude begutachten muss, sondern nur die, bei denen Bauschäden offenkundig sind. Wir könnten ja eine Vorauswahl treffen. Das müsste ich dann machen. Aber da bräuchte ich von Dir auch brauchbare Hinweise, auf was ich achten muss. Versteht sich, dass Du dafür auch ein Honorar berechnen könntest. Meinst Du, dass man das machen kann?"

    Natürlich wollte der Alte Geld für seine Arbeit. Wie sollte das auch anders sein? Das hätte man sich an fünf Fingern abzählen können. Pacatus hatte darüber ja schon mit dem Aedil gesprochen.


    "Ja, ich bin froh, dass ich endlich einen Fachmann gefunden habe", schrie Pacatus dem Alten ins Ohr, "Aber mit Deiner Bemerkung, 'wenn die Civitas Dich engagieren möchte' sind wir genau an der Stelle angekommen, wo der Hund begraben liegt. Geldmäßig ist die Civitas nämlich ziemlich klamm und man braucht schon mindestens eine halbe Legion, um dem Quaestor ein einziges As abzuringen. Wieviel willst Du denn für die Arbeit haben?"

    Da hatte der alte Lysander wohl etwas in den falschen Hals gekriegt. Aber, wenn man einen Hörschaden hat, dann kann es schon mal passieren, dass man nur Bruchstücke mitbekommt und daraus gleich eine mittlere Katastrophe zusammenbastelt. Pacatus erhob also seine Stimme, um dem Alten seine Botschaft rüberzubringen.


    "Na, ob die Gebäude Bauschäden haben, das wollen wir ja erst mal feststellen. Weißt Du, der Aedil hat mich beauftragt, genau das zu tun. Ich werde mir also die Gebäude ansehen und dem Aedil berichten. Aber ich brauche einen Fachmann, der mir dabei hilft".

    Der Alte war ein bißchen zusammengezuckt. Pacatus lächelte und trug sein Anliegen erneut vor. "Ich bin Matinius Pacatus, Stadtschreiber. Der Aedil hat mich beauftragt, die städtischen Gebäude auf Bauschäden zu überprüfen. Weil ich recht wenig vom Baufach verstehe, suche ich einen Architekten, der mich dabei beraten kann. Deshalb wende ich mich an Dich".


    Sim-Off:

    War doch recht lebensnah. Lysander ist eben schwerhörig.