Beiträge von Titus Matinius Pacatus

    Pacatus versuchte, sich zu erinnern, was so bei Toxotius alles glaufen war. Natürlich hatte der alte Fuchs sich nicht in alle Karten schauen lassen. Aber wenn er es geschafft hatte, bei Gericht durchzukommen, dann erzählte er schon mal bei einem Becher Wein ein paar Einzelheiten, mit denen er prunken konnte .


    "Er hat eigentlich alles gemacht, was so anfiel und wo er irgendwelche Tricks auf Lager hatte. Das täglich Brot waren Streitereien unter Händlern oder Fälle, wo Kunden über's Ohr gehauen worden waren. Sein liebstes Steckenpferd waren Vormundschaftsklagen. Strafrecht? Ganz wenig, wegen der miesen Beweislage. Aber er witterte da ein großes Geschäft, weil die meisten Geschädigten keine Ahnung hatten, was sie tun sollten. Ich hab beim Alltagsgeschäft viele Schriftstücke nach Stichwort verfasst. Bei Vormundschaftsklagen hat er aber seine Texte gewöhnlich selber geschnitzt, wie bei allen delikaten Fällen. Testamente? Selten. Auch da hat er keinen rangelassen".

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    Der Aedil: "Wo kommst du her? Was hast du bisher so getrieben und bei wem? Warum sollte ich dich nehmen?"


    Wie ein edler Römer sah dieser Aedil nicht aus. Eher so ein Handwerkertyp, der seine Arbeit macht und und wenig auf sein Äußeres gibt. In Roma liefen solche Typen haufenweise rum und die Römer schätzten sie nicht allzusehr, denn meist kamen sie aus irgendwelchen entlegenen Provinzen. Pacatus nahm auf dem angebotenen Klappstuhl Platz. "Danke, Aedil. Ich komme aus Roma. Ich habe dort einen Handel mit Gewürzen betrieben. Das Geschäft bringt es mit sich, dass man viel Korrespondenz mit Händlern in fernen Gegenden hat, wo man nicht wegen jeder kleinen Preisabsprache hinfahren kann. Ich will damit sagen, dass ich Schreiben gewohnt bin. Mein Laden lag leider nicht in der besten Gegend von Roma, was heißt, dass er keine Goldgrube war. Ich habe deswegen zusätzlich für einen Anwalt gearbeitet. Schriftsätze an Gerichte, an Behörden und Mandanten. So, was eben anfällt. Die offizielle Schreibe hab ich also drauf. Und, ab und an, ein paar Informationen über Kunden oder Prozessgegner besorgt".

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    Ein Scriba: "Das ist...Matinius. Er würde gern als Aedil arbeiten... äh, als Scriba des Aedil, glaube ich."


    Der Scriba, der sein unterbrochenes Mittagessen unbedingt fortsetzen wollte, schleifte Pacatus in das Officium des Aedilen und stellte ihn dort einfach ab. Dass er ihn dabei gleich zum Aedil befördern wollte, war aber bloß seinem Gestottere zu verdanken, das vermutlich vom schneidenden Hungergefühl verursacht wurde. Pacatus nahm es innerlich lächelnd hin. So schnell ging es ja nun auch wieder nicht. Obwohl ... Na ja, Pacatus dachte an seine zusammengeschrumpfte Reisekasse.


    "Salve Aedil. Titus Matinius Pacatus ist mein Name. Wie der Scriba schon sagte, wollte ich um eine Stelle als Schreiber nachsuchen".

    Schon der Magister Vici hatte auf dem Markt so ähnliche Fragen gestellt. Pacatus sah zwar ein, dass man sich davor schützen wollte, irgendeine faule Lusche einzustellen, aber er hatte dazu nur wenig Handfestes zu bieten. Außer natürlich seine Fähigkeiten, aber die kannte nur er selbst.


    "Ich komme aus Roma und kenne hier noch niemanden. Ist also nichts mit einem Fürsprech. In Roma habe ich Handel mit Gewürzen betrieben. Weil das Fernhandel ist, gibt es da viel Korrespondenz, die ich selbst gemacht habe. Außerdem habe ich zeitweise bei der Korrespondenz bei einem Advokaten ausgeholfen. Ich weiß also, wie man offizielle Schriftstücke verfasst".


    Allzuviel war das ja nicht, was er da in die Waagschale geworfen hatte. Er wusste, dass das nicht weit tragen würde. Deshalb fügte er hinzu: "Wenn Du Wert darauf legst, dann kannst Du ja meine Fähigkeiten einer Probe unterwerfen".

    Ah, da tat sich etwas. Ein langhaariger Typ erschien endlich aus den Tiefen des Gebäudes und Pacatus sah, dass er ihn beim Essen gestört hatte.


    "Ave. Entschuldige, dass ich Deine Ohren beleidigt habe, aber ich bin mir hier etwas verloren vorgekommen. Mein Name ist Titus Matinius Pacatus. Ich suche Arbeit. Ich könnte gut eine Schreiberstelle ausfüllen, meine ich. Ist bei Euch da etwas frei?"

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    "Sage ich dir, wenn ich es gefunden habe...",


    Pacatus war unzufrieden. Da gab es eine unbeantwortete Frage. Eben, weil der Knurrhahn nicht das gefunden hatte, wonach er suchte. Auch die Durchsuchung von Struthas erbrachte kein entsprechendes Ergebnis. Pacatus überlegte, ob er da nicht doch noch mal nachfragen sollte. Aber er sagte sich, dass dumme Fragen bei Militärs manchmal erratische Gefühlsregungen hervorrufen können und ließ es fallen. Er hatte wichtigeres zu tun.


    "Vale, Soldat. Lass dir dein Abendessen schmecken! Komm, Struthas, wir müssen uns ein Quartier suchen". Und trollte sich.

    Irgendwo im Haus musste es diesen Schreiber geben, bei dem man sich anmelden musste. Nach einigem Herumfragen hatte Pacatus die Tür gefunden, die zu diesem Officium führte. Die Tür stand halb offen. Pacatus klopfte und steckte seinen Kopf in das Officium.


    "Salve, Scriba. Man hat mir gesagt, dass jeder sich bei dir erst anmelden muss. Ich suche Arbeit. Darf ich reinkommen?"

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    "Naja, du kannst es ja mal probieren. Melde dich in der Curia, das Gebäude dort drüben. Dort sitzen die Duumviri um diese Uhrzeit öfter zu Gericht, vielleicht erwischt du sie danach."


    Da hatte sein Vorhaben schon mal einen Henkel bekommen, an dem man die Sache anpacken konnte. Sicher, das würde Pacatus dann mal probieren.


    "Ich danke dir vielmals, Petronius Crispus. Bin schon unterwegs. Valete".


    Und marschierte in Richtung Curia.

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    "Bist du denn qualifiziert? Hast du Ahnung von Recht und solchen Sachen?" fragte er allerdings weiterhin misstrauisch


    Pacatus hatte nicht erwartet, dass man ihm gleich hier, mitten auf dem Forum die Frage nach seiner Qualifikation stellen würde. Darauf war er nicht vorbereitet, weil er sich dazu bisher überhaupt keinen Kopf gemacht hatte. Er brauchte einfach eine Stelle mit einem regelmäßigen Einkommen. So stotterte er ein bißchen herum:


    "Ähm, ja ich habe einen Gewürzladen in Roma gehabt, da kann ich natürlich lesen und schreiben, weil ... ich habe ja Fernhandel betrieben, da muss man viel schreiben ... und im Handel muss man ja auch rechnen können. Ahnung von Recht? Ja, natürlich kenne ich mich im Handelsrecht aus. Na, ja, das wichtigste eben".


    Er fand, dass das nicht besonders überzeugend geklungen hatte. Wenn er Zeit gehabt hätte, sich darauf vorzubereiten, dann hätte er es sicher etwas wohlklingender formuliert.

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    Original von Lucius Petronius Crispus


    Nun, es ging ja gut voran, eine Herberge war ja schon gefunden. Und welch ein Glücksfall, dass er auch gleich auf einen Offiziellen hier am Ort gestoßen war.


    "Hab vielen Dank für deine Auskunft, Petronius Crispus. Gestatte mir gütigst noch eine weitere Frage, weil du ja der Magister Vici bist. Ich will mich hier auf Dauer niederlassen und suche Arbeit. Weißt du, ob es in der Verwaltung der Stadt freie Stellen gibt? Zum Beispiel als Schreiber?"


    Pacatus schöpfte Hoffnung, dass er hier eine gute Quelle anzapfen könnte.

    Nach der langwierigen Kontrolle am Stadttor ging Pacatus zum Forum. Jetzt brauchte er erstmal eine gute Herberge, danach ein Bad in der Therme und dann etwas gescheites zu Essen. Das Weitere konnte man danach angehen. Neben der Basilica sah er zwar ein Gebäude, das nach einer Herberge aussah, aber er wollte sicher gehen und wandte sich an eine Gruppe, die dabei war, zur Basilica zu gehen. Einer in der Gruppe trug eine Toga. An ihn wandte sich Pacatus:


    "Salve, verzeih, dass ich euer Gespräch störe. Ich bin fremd hier und habe eine lange Reise hinter mir. Kannst du mir eine gute Herberge hier am Ort empfehlen? Mein Name ist übrigens Matinius Pacatus".

    Im Süden konnte es gelegentlich ein kleines Wunderchen bewirken, wenn man einen Soldaten mit 'Centurio' anredete, aber hier waren die Kerle anders gestrickt. Wenn's eben nicht anders geht, dann muss es halt sein, dachte sich Pacatus; anderes Land, andere Folklore und drehte sich zur Mauer.


    "Beim Hades, was suchst du eigentlich?" fragte er den Soldaten. Eventuell könnte man dem alten Knurrhahn ja behilflich sein.

    Noviomagus, Borbetomagus, Bauconia Nova, vorbei an einigen kleinen Vici und durch die Canabae von Mogontiacum. Das Stadttor war erreicht. Das Vorwärtskommen auf den Kiesstraßen in dieser Gegend war viel bequemer als auf den alten, mit Steinplatten gepflasterten Straßen in Italia. Rechter Hand hatte sie in den letzten Tagen seit Argentorate stets der in viele Rinnen verästelte Rhenus begleitet, dessen Auwälder nur an wenigen Stellen gelichtet waren.


    Pacatus ging auf das Tor zu. "Salve, Centurio. Ich bitte um Einlass. Ich will mich in Mogontiacum niederlassen".

    Auf den Märkten von Argentorate, die recht belebt waren, erzählte man Pacatus viel von reichen Städten am Rhenus. Ja, Mogontiacum sei schon reicher und größer als Argentorate, aber es sei nichts gegen die Colonia Claudia Ara Agrippinensium. Er solle nur immer dem Rhenus folgen. Agrippina läge hinter einem bewaldeten Gebirge, das man leicht im Tal des Rhenus durchqueren könne.


    Als Pacatus Argentorate nach Norden hin verließ, waren in der Nacht Regenschauer durch das Land gezogen und es war kühler geworden. Die Sommerhitze von vor wenigen Tagen war endgültig vorbei. Schönstes Herbstwetter, versicherten ihm die Bewohner dieser Gegend, aber Pacatus fröstelte es, obwohl die Sonne schien. Nein, sagte er sich, nicht noch ein Gebirge, die Alpes reichten ihm. Da half es auch nichts, dass man ihm gesagt hatte, dieses Gebirge sei leicht zu durchqueren. Für ihn war der frische Nordwestwind schon wie der Hauch des nahenden Winters und in ihm kam der Wunsch auf, bald ein wärmendes Dach über dem Kopf zu haben. "Allenfalls bis Mogontiacum", murmelte er, als sie die ersten paar Meilen auf der Straße hinter sich gebracht hatten.

    Endlich war es wieder warm. Pacatus dachte mit Schauern auf dem Rücken an den lausigen Weg über die Alpes. Sie hatten sich dort auf Wegen, die manchmal morastig, manchmal glatt vom nächtlichen Frost, aber immer steinig waren, unendlich lange vorwärts gequält. Oft wurden sie von Schneeschauern aufgehalten oder mussten dem durchziehenden Heer auf noch schlimmere Saumpfade ausweichen oder auch tagelang in der Kälte warten, bis sie wieder die Straße benutzen konnten.


    Jetzt befanden sie sich in der weiten Ebene des Rhenus, wo sie sommerliche Wärme mit flirrender Luft empfing. In der Ferne konnte man durch den Dunst gerade noch die Bergketten erkennen, die diese Ebene zu begrenzen schienen. Ganz im Gegensatz zu den Erzählungen in Roma über das triste Germanien war dies hier ein einladender Ort und, wie der Blick auf die Gutshöfe rechts und links der Straße nahelegte, auch ein blühender Garten. Ungläubig nahm Pacatus dieses Bild in sich auf und fragte sich aber dann doch, ob seine Sinne vielleicht durch das in den Alpes Erlebte anspruchloser geworden waren.


    Vor ihnen lag eine Stadt, die man hier Argentorate nannte. Pacatus beschloss, dort die Reise für einige Tage zu unterbrechen, um sich auszuruhen und Erkundigungen über das Land einzuholen.

    Ganz in der Nähe des Steins fand sich eine windgeschützte Stelle unter einem überhängenden Felsen. Hier hatten schon andere gelagert, das sah man an den Spuren und den Resten von Lagerfeuern. Der gegebene Platz für eine Übernachtung, zumal Pacatus und Struthas an diesem Tag schon eine ansehnliche Strecke zurückgelegt hatten.


    Am nächsten Tag mussten sie allerdings feststellen, dass sie von der gestrigen Aussicht auf das weite Tal genarrt worden waren. Der Weg senkte sich nämlich zunächst, um dann wieder bergan zu steigen. Aber oben angekommen, blickten sie auf einen kleinen See und in der Nähe des Sees auf die Gebäude einer Mansio. 'Beim Hades', sagte sich Pacatus, 'wären wir gestern nur ein bißchen weiter gegangen, dann hätten wir ein Dach über dem Kopf haben können'.


    Es waren zwar nur wenige Reisende bei der Mansio anzutreffen, aber dafür herrschte ein geschäftiges Kommen und Gehen von Kavallerietrupps, die auch die fast ganze Mansio in Beschlag genommen hatten. Sie gehörten wohl zu den Vorauseinheiten de Heeres, von dessen Kommen man schon in der Ebene des Padus gemunkelt hatte. Immerhin gelang es Pacatus, eine kleine Mahlzeit zu ergattern, die sie in Ruhe einnahmen. Denn Abeona war ihnen offenbar, abgesehen von dem kleinen morgendlichen Scherz mit dem letzten Berg, wohlgesonnen. Ab jetzt ging es abwärts und die Schritte wurden leichter.

    Es war lausig kalt. Pacatus und Struthas waren die letzten Tage fast nur bergauf gegangen. Immer hatte man geglaubt, die Passhöhe erreicht zu haben, aber immer wieder türmten sich vor ihnen neue Berge, auf die der Weg hinauf führte. Pacatus fürchtete schon, dass dieser verfluchte Weg sich am Ende noch direkt über einen dieser gewaltigen Gipfel schlängeln würde.


    Aber jetzt sahen sie, dass sich vor ihnen ein breites Tal absenkte. Sie waren an der höchsten Stelle ihrer Reise angekommen. Mit einem Male wurde Pacatus bewusst, dass er im Begriff war, in ein unbekanntes Land vorzustoßen. Als er von Roma weg ging, waren ihm solche Gedanken nicht gekommen, aber jetzt war er dabei, Italia zu verlassen und die unbekannten Länder nördlich der Alpes zu betreten.


    Er beschloss, ein Opfer zu bringen, bevor er diesen Schritt tat. Er suchte sich etwas abseits des Weges einen großen Stein, der als Altar dienen konnte und zündete darauf Weihrauch an. Mangels einer Toga bedeckte er sein Haupt mit dem Mantel.


    "Oh Abeona, Schutzgöttin derer, die von zuhause weggehen. Schutzgöttin der Reisenden, die ihr Heimatland verlassen. Wir stehen hier demütig vor Dir, schau auf uns mit Wohlwollen. Hör unser Gebet und und verkünde es auch den anderen Göttern. Wie dieser Weihrauch, so möge unser Gebet zu Dir hinaufsteigen."


    Er schob den noch schwelenden Weihrauch etwas zur Seite. In die Mitte legte er zwei Handvoll Datteln. Struthas fügte noch eine Handvoll Zwetschgen dazu, die er vor zwei Tagen in einem Bauernhof 'erstanden' hatte. Dann schüttete Pacatus den Wein, den er noch hatte, über den Stein.


    "Oh Abeona, Herrin über das Wohl der Reisenden, Du lässt kein Leid über die kommen, die unterwegs sind, Du hältst Übel von ihnen fern, Du führst ihre Schritte an allen Gefahren vorbei und hast ein wachsames Auge auf Deine Schutzbefohlenen. Dein Wohlwollen gibt uns Kraft für unsere Reise".


    "Darum bringen wir Dir dieses Opfer und legen es Dir ehrerbietig zu Füßen, wie wir es immer mit Freuden tun. Oh Abeona, wir bitten dich um Deinen Schutz auf unserem Weg. Halte diejenigen von uns fern, die uns Übles wollen. Gewähre uns diese Gunst und unser Dank wird immer groß sein".

    Als Pacatus aus dem Lager zurückkam, grummelte Struthas immer noch rum. Er wollte schnell weg. Pacatus befahl ihm, endlich das Maul aufzumachen und zu sagen, was Sache sei. Er hätte Gesichter gesehen, sagte Struthas.


    Pacatus fuhr ihn an: "Gesichter? Du fängst an, Gesichter zu sehen?" Struthas wollte erst nicht rausrücken, dann murmalte er etwas von Gesichtern, die er aus Roma kenne. "Das ist was anderes", meinte Pacatus leise, "pack die Maultiere, die Reise geht weiter".