Beiträge von Tiberia Lucia

    Wie dumm nur, dass weder Helvetius noch sein Steinmetz ahnen konnten, dass Lucia nicht beige-orangenen Marmor, sondern eine dunkle Version des gelben Kalksteins meinte. Ihre Freundin hatte, was den Stein anging, wohl ein wenig geflunkert um sich selbst reicher darzustellen, als sie tatsächlich war. Doch mit Fortunas Hilfe würde Lucia auch der von den beiden Männern ausgewählte Marmor gefallen – oder halt nicht.
    Lucia nickte auf Helvetius Worte zu den Marmorlieferungen und winkte bezüglich des Aufwandes ab. Das Einzige was sie dazu interessierte war: „Wie lange würde es denn dann dauern, bis der Altar fertig ist?“ Sie wusste nämlich nicht, wie lange sie die momentane Lage zwischen sich und ihrem Bruder noch aushalten konnte.


    Den Altar so gut es ging beschreiben, nun gut… Lucia nickte auf den Vorschlag mit dem Modell, musste aber erst noch einen Moment nachdenken, ehe sie anfing: „Also… Natürlich muss Minerva abgebildet sein.“ Das war für Lucia so selbstverständlich, dass sie vergaß dass ihre Gäste sich vermutlich fragen würden warum. „Tiberinus sowieso.“ Sie legte ihre Stirn in Falten und zählte noch drei weitere Gottheiten auf, von denen sie glaubte, dass sie Lepidus wichtig waren, oder die schon auf dem alten Altar abgebildet waren. Anschließend versuchte sie das Bild in ihrem Kopf von dem Altar den sie sah möglichst genau wiederzugeben. Leider sprang sie dabei von einem Detail zum nächsten. Ungefähr so:
    Die Intarsien auf der Seite sollten eben sein, die vorne aber bitte erhaben. Ebenso die Darstellung von Minerva, die nur von Tiberinus in ihrer Schönheit gleichkommen durfte. War es denn möglich den Sockel so und so zu formen? Ach, genau das wäre doch auch für die Intarsien auf der Seite interessant, dann würde sich das ganze wiederholen und ein besseres Gesamtbild abgeben. Hatte sie schon gesagt, dass Minerva vielleicht in der Mitte der Musen abgebildet werden könnte? Und das Muster vorne, das könnte doch mit Tiberinus in Verbindung stehen. Wellenformen für den Fluss oder so ähnlich. Vielleicht sollten die Musen lieber doch wegbleiben, das würde dann doch Zuviel werden, oder?
    „Das müsste es gewesen sein.“, beendete Lucia dann ihre lange und sicherlich verwirrende Beschreibung des Altars, wie sie ihn gerne hätte und lächelte die Männer freundlich an. „Was haltet ihr davon? Ist das alles machbar?“

    Ein altes Sprichwort sagt: Sei vorsichtig, was du dir wünschst - es könnte in Erfüllung gehen! Silanus würde seine scherzhaften Worte vielleicht noch bereuen, denn sie brachten Lucia auf Ideen. Nicht nur, dass sie hier vielleicht die Kupplerin spielen könnte, nein, sie würde auch noch zwei Menschen glücklich machen. Diese beiden Menschen wären ihr dann auch sicher auf lange Zeit ziemlich dankbar. Die Frau, weil sie eine so gute Partie gemacht hatte und Silanus, weil er nun zum einen nicht mehr allein sein musste und zum anderen vom Kaiser nicht mehr gescholten werden würde. Aber das war nur so ein Gedanke, der irgendwo in Lucias Hinterkopf herumspukte. Das wichtigste war: Sie könnte Kupplerin spielen! Etwas das wohl jede Frau gerne mal ausprobierte. Es machte ja allein schon Spaß sich auszumalen, wer zu wem passen würde. Das Paar auch noch ausprobieren zu können und es am Ende glücklich vereint zu sehen, das wäre einfach nur wundervoll!


    Nachdem sie ihrem Gegenüber mit mitfühlender Mimik und einem kleinen frechen Lächeln bei der Rüge des Kaisers zugehört hatte, merkte sie also bei dem Teil mit der Freundin neugierig auf. Sofort kamen ihr mindestens drei Namen in den Sinn, von denen sie aber einen gleich wieder verwarf. Die letzten beiden jedoch… Lucia grinste breit, stellte ihr Weinglas ab und stützte ihren Kopf keck auf ihr Hand: „Was müsste diese Freundin denn für Eigenschaften haben? Also rein hypothetisch gesprochen, natürlich.“ Wenn er nicht auf einen bestimmten Rang oder ein gewisses Vermögen aus war, dann könnte sich Lucia sogar noch ein paar andere Kandidatinnen vorstellen. Sicher wollte er vor allem eine junge, möglichst hübsche Frau, die ihm bald Kinder gebären würde.

    Sie würde sich nicht aufregen! Sie würde sich nicht die gute Stimmung verderben lassen! Nein! Und ganz sicher nicht von Avianus! Ihr Lächeln war wie festgeklebt, aber sie lächelte grimmig weiter. Sie würde Avianus nicht die Genugtuung geben ihm zu zeigen wie sehr sie diese nachgeäffte Stimme aufregte. Sie hatte Mühe die Arme ausgebreitet zu lassen, denn sie mochte es noch immer nicht im Geringsten durchsucht zu werden. Da kam ihr ein ihr fremder Mann ihr eindeutig viel zu nahe! Ihr Lächeln schwand auch zusehends während der Prozedur. Als ihr auffielt, dass sie von Avianus dabei auch noch gemustert wurde, wurde es Lucia zu bunt. Sie stierte grimmig zurück und hoffte, dass es Avianus unter ihrem Blick irgendwann so richtig unwohl werden würde. Oder dass die Durchsuchung bald vorbei war, damit sie reingehen und hinter der nächsten Ecke ihrem Ärger Luft machen konnte.

    Wenn sich Lucia nicht komplett irrte, musste sie hier einen ihrer Onkel vor sich haben. Da sie sich aber nicht ganz sicher war, verließ sie sich einfach mal auf das Gefühl, dass ihr der Mann bekannt vorkam und würde später nocheinmal im Familienstammbaum nachschlagen. Auf Theophanes Worte setzte sie sich also lächelnd und deutet der Sklavin an ihr und ihrem Onkel einzuschenken.


    Die junge Frau hatte es grade geschafft den Wust an Täfelchen und Zetteln zu einem Stapel zu ordnen und beeilte sich nun die Gläser mit Wein und Wasser zu füllen. Diese stellte sie dann auch vor die beiden Herrschaften, während die Pastetchen in der Mitte des Tisches ihren Platz bekamen. Sie selbst zog sich anschließend ein paar Schritte zurück, bereit erneut einzuschenken wenn die Gläser leer würden.


    Lucia begann währenddessen ein wenig aus dem Nähkästchen zu plaudern: „Die Gerüchteküche ist in letzter Zeit ordentlich am Brodeln! Anscheinend währt der Frieden inzwischen wieder lange genug, dass so manchen wieder langweilig wird.“ Sie hätte zwar gerne vorher gefragt, wo Theophanes grade herkam und ob er beabsichtigte länger zu bleiben, aber das würde sich sicher noch im späteren Verlauf des Gespräches klären. „Unsere Nachbarin von schräggegenüber zum Beispiel: Ihr Mann ist beim Palast beschäftigt und jedes Mal wenn er das Haus verlässt, kommt eine vermummte große Gestalt nur wenige Minuten später über den Dienstboteneingang in die Villa.“ Lucia hob beide Hände, wie um zu sagen ‚das kommt nicht von mir‘. „Die Gute ist nun schwanger und voller Stolz ob dieser Tatsache. Die Frage ist jetzt nur: Darf der Herr des Hauses auch stolz sein?“ Sie grinste, wie man es halt Tat, wenn man in der schmutzigen Wäsche anderer wühlte und wartete gespannt, wie Theophanes ob ihrer kleinen Geschichte reagieren würde.

    Verwundert horchte Lucia auf. „Soll das etwa heißen, dass du keine schöne Frau zuhause hast, mit der du deine Zeit verbringen kannst? Das kann ich kaum glauben!“ Sie war ehrlich verblüfft. „Woran liegt das denn? Den Vätern muss doch deine gute Position gefallen, die Mütter würden sich doch sicher über einen so charismatischen Schwiegersohn freuen und, dass die Töchter davonlaufen, wenn sie dich sehen, glaub ich auch nicht!“ Sie war zwar gebührend beeindruckt von all den anderen Aktivitäten, die Silanus da aufgezählt hatte, doch das war in ihren Augen viel wichtiger. Da ging es ihr wohl wie den meisten Frauen, das Thema Heirat war omnipräsent.


    Die Frage nach ihr selbst, brachte Lucia dazu mit einem verschämten Lächeln abzuwinken. „Nichts besonderes, fürchte ich. Ich übe mich im Lyraspiel und lese sehr viel. Aber meistens versuche ich etwas mit meinen Freundinnen zu unternehmen. Wir besuchen uns gegenseitig, gehen einkaufen oder in die Therme. Auch das Theater ist vor uns nicht sicher. Aber im Grunde warten wir nur darauf, dass wieder jemand heiratet, damit wir unsere neuerworbenen Kleider und Kostbarkeiten der Welt präsentieren können, um damit die anderen neidisch zu machen.“ Ups, das war ein bisschen mehr, als Lucia eigentlich hatte erzählen wollen. Der Wein musste ihr schon ein wenig zu Kopf gestiegen sein. Sie kicherte verlegen und zuckte mit den Schultern.

    Mit hoch rotem Kopf gab Lucia ihrer Leibsklavin dann ein feierliches Versprechen in Zukunft vorsichtig zu sein und ‚es‘ entweder komplett sein zu lassen oder die vielen Dinge zu beachten, die Sekunda ihr eben erklärt hatte. Mindestens eine der zahlreichen Methoden zur Vorsorge sollte sie doch in jeder Situation anwenden können. Aber manche davon… nie! Dessen war sich Lucia grade mehr als sicher, nie würde sie sowas machen! Warum sollte man das überhaupt wollen und… Woher wusste diese doch eher unauffällige Frau das alles? Lucia hatte sich noch nie zuvor Gedanken um so etwas gemacht, aber hatte Sekunda etwa einen Geliebten? Oder am Ende gar mehrere?! So genau wollte sie das aber lieber gar nicht wissen… Allein sich vorzustellen die liebe, alte Sekunda könnte… mit einem Mann… in diesem Haus… nein! Das wusste sie vielleicht von früher, aber doch sicher jetzt nicht mehr! Aber auch früher…


    „Eine Sache noch, mein Kind.“, riss Sekunda ihre Herrin aus den immer peinlicher werdenden Gedanken. Dankbar und ein wenig ängstlich merkte Lucia auf. „Bevor du heute früh endlich schlafen gegangen bist, hast du mir eine seltsame Frage gestellt… Wieso?“ Angestrengt versuchte Lucia sich zu erinnern, welche Frage das gewesen sein mochte, doch alles was ihr auffiel war, dass ihre Kopfschmerzen fast verschwunden waren. Ein erleichtertes Lächeln huschte über ihr Gesicht, ehe sie sich wieder auf die ominöse Frage besann und verneinend den Kopf schüttelte: „Ich kann mich nicht so wirklich erinnern…“ Sekunda seufzte und erklärte: „Du fragtest mich, ob irgendwelche unserer männlichen Sklaven Männer bevorzugen würde.“ „Das hab ich gefragt?“, platzte Lucia verblüfft heraus. „Nun, nicht ganz in diesen Worten, aber sinngemäß.“, bestätigte Sekunda leicht pikiert. Kurz war Lucia verwirrt, dann erinnerte sie sich wieder: Das Gespräch mit Sergia! Hatte sie das nicht nur geträumt?! Unglaublich! „Oh weh…“, entschlüpfte es Lucia. „Was ist es?“, inzwischen klang Sekunda mehr entnervt als alles andere. „Nun, ich war doch auf dieser Hochzeit… jah… und ich bin irgendwann spät mit der Braut ins Gespräch gekommen.“ Dass sie die Frau eigentlich nicht leiden konnte, musste sie nicht extra erwähnen, Sekunda hatte es oft genug gehört. „Irgendwie haben wir einen Pakt für eine kleine Intrige geschlossen und dafür bräuchten wir einen eben solchen Sklaven.“ In einer späteren Zeit hätte Sekunda unbedingt Poker spielen sollen, denn ihre Mine gab wirklich nicht den kleinsten Hauch ihrer Gefühle preis. Und Lucia suchte eingehend danach. „Und? Haben wir nun einen?“, hakte sie nach, bereit eventuell ausbrechende Emotionen entgegenzunehmen. Doch Sekunda schien tatsächlich kurz zu überlegen und schüttelte dann den Kopf. „Es gibt zwar einen Sklaven, der beiden Geschlechtern nicht abgeneigt ist, doch können wir auf diesen nicht verzichten. Egal was ihr da ausgemacht habt, es wird wohl darauf hinauslaufen, dass der Sklave unsere Villa verlässt, aber das wird kaum möglich sein.“ Gerne hätte Lucia weiter gebohrt, welcher Sklave das denn wäre, aber ihr Kopf ließ grade nur einem Gedanken Platz. Zwar hatten die Schmerzen aufgehört, doch das Nachdenken war eindeutig anstrengender als sonst. „Ich bräuchte aber dringend jemanden.“, sprach Lucia ihre Gedanken aus und führte eine Hand zum Mund. Sekunda, die ahnte, dass Lucia grade gerne an ihren Fingernägel knabbern wollte, zog ihr die Hand wieder weg und fragte: „Willst du dich denn überhaupt an einen nicht nüchtern geschlossenen Pakt halten? Du könntest ihn einfach vergessen haben.“ Lucia hörte deutlich die Sorge ihrer Sklavin, doch sie schüttelte entscheiden den Kopf. Dafür war die Geschichte viel zu interessant und Lucias Alltag sonst zu eintönig und fremdbestimmt.

    Es war wirklich erstaunlich was es alles für Hausmittel gegen die verschiedensten grässlichen Nachwirkungen einer ausgelassenen Feier gab! Zuerst wurde Lucia von Sekunda gezwungen noch einen weiteren Becher des ekligen Getränks zu leeren. Dann wurde sie von ihren Sklavinnen aus dem Kleid von gestern Abend gepellt. Sie hatte doch tatsächlich darin geschlafen! Lucia runzelte über sich selbst die Stirn. Am Ende hatte sie das schöne Stück ruiniert, das wäre verdammt schade! „Tu dein Bestes, um es zu retten!“, wies sie die für die Pflege ihrer Kleidung zuständige Sklavin halblaut an. „Ich werde mein Möglichstes tun!“, versicherte die Frau, es lag jedoch deutlicher Zweifel in ihrer Stimme.


    Zum Glück sah Sekunda ein, dass es im Moment die reine Folter gewesen wäre, ihrer Herrin die Haare zu kämmen. Doch Lucia wurde das Gefühl nicht los, dass ihre Leibsklavin versuchte sie zu bestrafen. Zu Lucias Kopfschmerzen und der latenten Übelkeit gesellten sich alsbald noch kalte Schauer und Gänsehaut, als sie von ihrer Sklavin mit ziemlich kaltem Wasser von oben bis unten abgeschrubbt wurde. Auf ihre erschrockene Nachfrage, warum sie denn nicht einfach ein Bad nehmen konnte, kanzelte Sekunda ihre Herrin mit einem „Wir müssen erst deinen Körper wieder in Schwung bringen!“ ab. Als sie endlich fertig waren, kam die Wäscherin plötzlich wieder ins Zimmer und flüsterte Sekunda etwas zu. Lucia wurde grade in angenehm warme Tücher gehüllt und fühlte sich tatsächlich langsam etwas besser. Das nächste Mittelchen war sogar recht angenehm, wurden ihr doch die Schläfen mit einer angenehm duftenden Substanz eingerieben. Sie schloss genießend die Augen und bekam dadurch den halb entsetzen, halb vorwurfsvollen Blick ihrer Leibsklavin nicht mit.


    Wenig später stand Sekunda mit einem weiteren Becher vor ihrer Herrin und blickte sie so lange stumm an, dass Lucia richtig mulmig zu Mute wurde. Sie bemerkte auch, wie sich der Raum nach und nach leerte, bis nur noch sie und Sekunda da waren. „Was…?“, begann Lucia, wurde aber von ihrer Sklavin unterbrochen. Sie stellte den Becher ab und setzte sich ihrer Herrin gegenüber. „Ich bin mir sicher, dass jede Einzelne von ihnen unverbrüchlich zu dir steht und dich nie verraten würde, aber manche Dinge bespricht man doch lieber unter vier Augen.“, begann Sekunda eine ungewöhnlich lange Rede. „Mir hätte schon länger klar sein sollen, dass es in Rom nur eine Frage der Zeit ist, auch wenn dein Bruder es nie erfahren darf!“ Lucia runzelte verwirrt und zugleich besorgt die Stirn und wiederholte sich: „Was…?“ Darauf schüttelte Sekunda entscheiden den Kopf und hob eine Hand. „Versuche nicht mich für dumm zu verkaufen. Du hast Glück, es ist nicht deine Zeit im Monat, es ist also unwahrscheinlich dass sich sichtbare Konsequenzen ergeben. Aber nur vier Tage früher und wir müssten ernsthaftere Maßnahmen ergreifen als diese hier.“ Lucia schluckte. „Der Trank, den ich dir gebe, wird deine Blutung verfrüht herbeihohlen. Dadurch können wir uns sicher sein, dass kein Leben sich in dir festsetzen wird.“ Ein kurzer Blick zu dem Becher und ein stummes Nicken bestärkten Sekunda darin weiter zu reden. „Lass dies nie in den ersten zwei Wochen nach deiner Blutung geschehen und lass ja keinen Wind davon bekommen! Du darfst deinen Namen und den deiner Familie nicht beflecken!“ Hier regte sich Lucias Widerstandsgeist: „Ich würde nie…!“ „Ich weiß, aber ein Kind ist schneller gezeugt, als du glaubst!“, unterbrach Sekunda ihre Herrin wieder. „Jetzt trink, ich muss dir noch ein wenig mehr erklären.“ Die nächste Stunde wurde eine der peinlich berührtesten aber auch eine der aufschlussreichsten in Lucias bisherigem Leben.

    Der Tag wurde besser und besser! Lucia grinste über beide Backen und blinzelte sogar Cato verschwörerisch zu. Doch dann entschloss sich Avianus ein Spielverderber zu sein und gewisse… nun ja, nennen wir sie mal ‚Verhaltensrichtlinien‘ anzusprechen. Lucia hob die Augenbrauen und verschränkte wieder die Arme. Nein, sie würde sich von ihm jetzt sicher nicht herunterziehen lassen! „Nun… vielleicht solltest du dich dann ja geehrt fühlen, dass ich überhaupt mit dir spreche.“, schlug sie schnippisch vor und kam sich dabei dennoch immernoch überlegen vor. „Aber bitte, wenn du nicht magst… Mir soll es recht sein. Ich möchte nun aber doch gerne hinein um meinen Gewinn abzuholen!" Ließen die beiden sie jetzt am Ende einfach durch oder würden sie sie noch durchsuchen? Lucia rechnete lieber mit Letzterem und da wollte sie grade lieber nicht von Avianus! „Cato, wenn du so freundlich wärst?“, wandte sie sich also an seinen Kollegen und breitete die Arme aus.

    Ach, Verkäufer, pff! Für Manlius gehörten alle Freunde seiner Frau zur Familie, so! „Ich sehe, ich habe es mit einem weisen Mann zu tun!“, kommentierte Manlius und klopfte dem Jungen väterlich auf die Schulter. „Aber ich sehe auch, meine Frau hat euch schon von ein paar unserer Stoffe vorgeschwärmt? Dann überlasse ich wohl lieber ihr das Feld und sehe nur zu, dass ihr sofort mit Wein versorgt werdet… und vielleicht ein paar Knabbereien?“


    „Für mich nur den verdünnten Wein“, sprach Lucia, die grad ebenfalls eher die Stoffe im Sinn hatte. Ob sie es wagen sollte sich so ein spezielles Gewand schneidern lassen sollte? Schaden könnte es höchstens, wenn Lepidus etwas davon erführe, aber wann hatte der schon mal in ihre Garderobe gesehen? Sie würde es tun! Ein leichter Adrenalinrausch huschte durch ihre Adern, ob dieser doch etwas kühnen Entscheidung und so sah sie Manlia mit geröteten Wangen erwartungsvoll an.


    „Du kennst mich Schatz“, lachte Manlia – natürlich wollte sie auch etwas zu knabbern und ihr Mann lachte wissend.
    Manlia freute sich das Interesse der beiden jungen Frauen geweckt zu haben und klatschte begeistert in die Hände. „Folgt mir, folgt mir! Diese Stoffe haben wir etwas weiter hinten deponiert. So finden sie wirklich nur interessierte Kunden, die sich nicht gleich daran stoßen, dass es nur ein Hauch von einem Stöffchen ist.“ Sie führte die anderen ein paar Schritte weiter, an Wolle, Leinen und allerlei Mischgeweben vorbei zu den angepriesenen Stoffen. Sie hob einen davon an, steckte ihre Hand darunter und man konnte tatsächlich ziemlich deutlich die Form ihrer Finger dahinter erkennen. „Fühlt mal selbst, wie weich er ist!“

    Stesichoros wurde zur Seite gestoßen und stolperte zwei, drei Schritte. Verwundert schüttelte er den Kopf, nicht über das Benehmen des Mannes, sondern vielmehr über die Kraft, die er dem Adeligen unter all der Weichheit seiner Kilos nie zugetraut hätte. Da er nur ungern weitere Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte, schlich sich Stesichoros rückwärts aus dem Hortus hinaus und begab sich zurück auf seinen Posten. Die Sklavin, welche für die Erfrischungen zuständig war, würde ihm schon erzählen wie das hier weitergegangen war!


    „Salve, Theophanes“, grüßte Lucia mit einem angetanen Lächeln. Irgendwie kam ihr der Name ihres Gegenübers bekannt vor. Lag das nur daran, dass sie sich bemühte die verwandtschaftlichen Verhältnisse der Familie Tiberia im Kopf zu behalten oder kannte sie den Mann irgendwoher? Die sanfte Stimme und der füllige Körper ihres Gegenübers machten ihn ihr in jedem Fall gleich sympathisch. „Ich bin Tiberia Lucia, Tochter des Decius Tiberius Metellus und Schwester von Lucius Tiberius Lepidus.“ Nachdenklich musterte sie ihren Gegenüber. Dann besann sie sich auf ihre Manieren und beeilte sich zu sagen: „Willkommen in der Casa Tiberia! Darf ich dir eine Erfrischung anbieten?“ Sie wies über die Schulter, wo die Sklavin gerade den Tisch einigermaßen freigeräumt hatte.

    Ohje, der arme Verus wurde hier ja ganz schön abgekanzelt. Normalerweise wäre Lucia für ihren Verwandten wohl sofort in die Presche gesprungen, doch hier verhielt sich das ein wenig anders. Zum einen hatten Verus Worte für die er hier zurechtgerückt wurde ja sie, Lucia selbst, kritisiert. Das mochte Lucia überhaupt nicht, vorallem nicht vor einem so wichtigem Gast. Womit sie schon beim zum anderen wäre… immerhin war es Silanus der abkanzelte und Lucia konnte sich nicht wirklich dazu bringen etwas gegen ihn zu sagen. So war wohl das Beste was sie tun konnte Verus dabei nicht zu beobachten und sich nur still und heimlich ein klitzekleinesbisschen darüber zu freuen.


    Silanus wandte sich wieder ihr zu, als ob nichts gewesen wäre und Lucia beschloss es ihm gleichzutun. Er schaffte es doch tatsächlich ihre neckenden Worte mit dieser unglaublichen Bemerkung zu kontern. Lucia würde es wohl nie zugeben, aber sie glaubte ihm für ein zwei Herzschläge. Dann zwinkerte er und lachte und sie schüttelte - leicht beschämt über ihre Naivität - amüsiert schmunzelnd den Kopf.
    „Soll das etwa heißen, dass man mit Ende zwanzig als Mann schon keinen Drang mehr danach verspürt mit Freunden die Nacht zu verbringen?“ Die geschickt eingeflochtene bewusst jung gewählte Alterseinschätzung mal beiseite genommen, war Lucia tatsächlich verwundert. Erlebte sie mit ihren 19 Jahren doch gerade eine genau gegenteilige Welt. Sie beneidete die Männer glühend darum, dass sie einfach mal so in die Taberna gehen konnten, während sie und ihre Freundinnen gesellschaftliche Ereignisse wie Hochzeiten abwarten, oder sich schlicht bei einem der ihren daheim treffen mussten. Sollten Männer tatsächlich schon zehn, na gut, vielleicht 15, Jahre später dazu keinen Drang mehr verspüren? Lucia glaubte zumindest grade, dass ihr ganzes Leben so weiter gehen könnte wie bisher.
    „Wie verbringt denn ein römischer Durchschnittsbürger … also du…“, Lucia konnte ein Kichern ob dieser Ironie nicht unterdrucken. „seine Abende, wenn er nicht irgendwohin eingeladen wurde?“

    Eigentlich hielt sich Lucia für eine sehr zielstrebige Person… naja, zumindest wenn es ums einkaufen ging. Sie wusste schließlich genau was sie wollte, sie schien nur irgendwie zu vergessen das alles in einer guten Reihenfolge zu sagen. Sie rechnete es Varus deshalb hoch an, dass er sie nicht direkt danach fragte, sondern vielmehr indirekt auf die noch offenen Wahlmöglichkeiten hinwies. Sie hatte von Männern schon um einiges unsensiblere Sachen erlebt. Da machte es ihr auch nichts, dass Varus ihren Bruder beim Namen nannte, es fiel ihr tatsächlich kaum auf.
    „Ja, natürlich soll es eine Einzelanfertigung sein!“, begann sie mehr verblüfft als aufgebracht. Dachte Varus wirklich, dass eine Tiberia sich mit etwas alltäglichem abgeben würde? „Der Altar soll unseren alten ersetzen, der ohnehin nicht mehr so ansehnlich ist, wie ich finde. Er sollte auch ein wenig größer sein als der alte, aber nicht all zu viel, sonst nimmt er im Raum zu viel Platz ein und das sieht dann nichts mehr aus.“ Das würden ein paar kräftige Sklaven schon noch stemmen können, da war sich Lucia sicher. „Für das Material… ich hab bei einer Freundin so ein beige-orangenes Marmor gesehen. Das fände ich wundervoll! Gerade wenn ich mir noch als Kontrast zu den sanften Farben des Marmors das korallrot der Intarsien vorstelle.“ Oh ja, Lucia war sich sicher, dass sie eine hervorragende Kundin sein musste. Immerhin sollte jeder Altarbauer sofort wissen, welchen Marmor sie hier meinte und wo und wie sie sich die Verzierung vorstellte. „Leider hat mein Bruder in nächster Zeit keine längeren Reisen geplant, der Altar müsste also möglichst fertig geliefert und aufgebaut werden.“

    „Ach? Schade.“, kommentierte Lucia das Fehlen einer persönlichen Geschichte. Doch wirklich enttäuscht war sie nicht. Sie hatte es immerhin geschafft das Gespräch wieder aufzunehmen und das sogar ohne große Schwierigkeiten. „Passiert es denn häufiger, dass einem Soldaten… abgehen?“, hakte sie amüsiert nach. Das klang ja grade so, als wollte Silanus das Klischee des ewig trinkenden und spielenden Soldaten bestätigen. Nur zu gerne hätte Lucia in dem Moment Mäuschen gespielt und mal ein paar Soldaten dabei beobachtet, was sie so in der Taberna machten. Gerade Dinge, die für jemanden absolut unmöglich waren, beflügelten die Phantasie gerne besonders. Sie sah regelrecht eine Gruppe Soldaten um einen Tisch sitzen, jeder einen Becher mit billigem Wein in der Hand und die Würfel in der Mitte. Seltsamerweise hatte einer der Männer, derjenige der grade die Würfel aufnahm, um sie neu rollen zu lassen, das Gesicht von Avianus. Das musste daran liegen, dass Lucia hier mit einem Verwandten des Prätorianers sprach.


    An der Spitze war es einsam, ging so nicht der Spruch? Er musste wohl stimmen, so mehr oder weniger. Lucia erwiderte Silanus Zwinkern mit einem übertrieben mitleidigen Blick und stimmte dann in sein Lachen ein. „In welche Taberna kann denn ein Procurator a libellis gehen und mit wem zecht er dann die Nächte durch?“, foppte sie ihn ein wenig. Immerhin war sein jetziger Posten in ihren Augen noch so ein klitzkleinesbisschen wichtiger als der alte in Germania.

    Erleichtert dass Atticus nur frech wurde und sonst nichts weiter zu dem Kuss sagte, ging Lucia sogar auf die Worte des Jungen ein: „Für mich zum Küssen oder dass er dich küsst?“ Die Frage mochte ein wenig naiv sein, aber Lucia war neugierig und wollte den Jungen auch nicht so einfach davonkommen lassen. Denn dass er nur ein Junge und kein Mann war, hatte ihr das ach so jungentypische wegwischen des Kusses gezeigt. Fehlte ja nur, dass er dabei noch das Gesicht verzog! Lucia stellte sich Atticus nur halb so groß vor wie jetzt und grinste amüsiert. Ja, so musste er noch vor ein paar Jahren gewesen sein, eindeutig ein frecher Lausebengel! Da fiel ihr was ein: Wo wohl seine Familie oder seine Freunde waren? Er war doch sicher nicht ganz allein hier zum Rennen gekommen! Suchend sah sie sich um.

    Stesichoros


    Der Ianitor hatte sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen, wo er eh schon in der Küche war, ein wenig mit Stratonice zu plaudern. Seine Neuigkeiten waren ja auch brandaktuell und jeder in der Küche spitzte neugierig die Ohren. Leider hatte er die Köchin trotzdem nicht davon überzeugen können ihm etwas von den frischgebackenen Pasteten abzugeben, die waren für die Herrschaften. Aber er hatte einen von den Keksen von gestern bekommen, das war auch nicht schlecht. Außerdem hatte er erfahren, dass die Domina Lucia wieder einmal im Garten war.
    Eine andere Sklavin hatte indes ein Tablett mit Wein, Wasser und Gläsern fertig gemacht und auch noch ein paar der Pasteten auf einem Teller dazugelegt. Immerhin hatte Stesichoros es auch nicht lassen können von der Leibesfülle des Herren zu lästern. Gemeinsam liefen sie nun zurück ins Atrium, wo der Besuch immernoch saß. Die Sklavin mit dem Tablett bog rasch ab, um vor den beiden anderen bei Lucia zu sein und sie von dem Gast zu unterrichten.
    „Dominus“, sprach Stesichoros wieder in seiner unterwürfigen Haltung. „Wenn du mir bitte in den Hortus folgen würdest, dort befindet sich unsere Domina.“

    Lucia liebte den Garten wirklich! Selbst in ihrer Zeit in Misenum hatte sie den Pflanzen nicht viel abgewinnen können, doch hier und jetzt empfand sie den Hortus als den schönsten Ort der Villa. Überall waren Blumen, verschiedene Sitzgelegenheiten luden ein zu verweilen und unter dem weisen Stoff eines Sonnendaches saß Lucia an einem kleinen Tisch mit vier Stühlen. Sie hatte Schreibutensilien auf dem Tisch verteilt und schien sich grade nicht entscheiden zu können wie sie den eben geschriebenen Brief abschließen sollte.


    Da kam eine Sklavin auf sie zu und unterrichtete sie von dem Besucher, oder war es vielmehr ein Heimkehrer? Rasch überprüfte Lucia durch abtasten ihr Aussehen, während die Sklavin versuchte auf dem Tisch Platz zu machen.

    Oh weh, da hatte sie jemanden wohl so wirklich getroffen, was? Hin und hergerissen zwischen leichtem Schuldbewusstsein und großer Schadensfreude beschloss Lucia doch lieber nur Letzteres auszuleben. Das war leichter gesagt als getan, aber sie bemühte sich nur Freude bei Avianus griesgrämigem Gesicht zu empfinden.
    Als Cato Proculus erwähnte machte Lucia eine wegwerfende Handbewegung, wen interessierte der schon? „Das ist aber schön!“, warf sie auf die Briefe der Schwester ein und dann wurde es interessant. Doch Avianus bremste seinen Kammeraden viel zu früh aus. Schade! „Irgendwie glaube ich nicht, dass ich da eine ernste Antwort bekommen würde.“, kommentierte sie schmunzelnd und drehte den Kopf wieder zu Avianus: „Oder?“
    Sekunda verlagerte indes im Hintergrund unwohl das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Nicht nur Avianus war alles andere als begeistert von diesem Gespräch. Doch störte Sekunda weniger der Inhalt, als dass es überhaupt stattfand. Eine Patricia hatte sich nicht mit Soldaten zu unterhalten! Was war nur in das Kind gefahren? Wären sie jetzt alleine, hätte sekunda ihre Herrin sicherlich gerügt, doch so musste sie es gezwungenermaßen auf später verschieben und weiter zusehen, wie das Ganze seinen Lauf nahm.

    „Ah, da bin ich aber erleichtert!“, trällerte Lucia und merkte nicht, dass sie dabei eindeutig ihre Freundin Manlia nachahmte. Sie schaffte es langsam wieder auf ihr eben noch so natürliches Hoch zurück zu klettern. Doch für den vollkommenen Aufstieg setzte Avianus sein Grinsen viel zu schnell wieder auf. Da schenkte Lucia doch viel lieber diesem Cato hier noch ein wenig Aufmerksamkeit. „Weißt du, Cato, ich überlege mir ernsthaft Avianus tatsächlich einen Brief zu schreiben. Ein wenig tut er mir ja schon leid, erst einen einzigen Brief bekommen zu haben! Oder ist das bei euch Prätorianern eher Standard so? Wie viel Post bekommst du denn?“ Die Nachfrage, ob sie nicht etwas zu tun hätte, ignorierte sie gekonnt. Der Gewinn würde sicherlich noch ein paar Minuten auf sie warten!

    Stesichoros


    Ein wenig verblüfft war Stesichoros schon. Immerhin war er hier Ianitor und damit war es weit jenseits seiner Aufgaben für die Herrschaften Getränke zu holen. Doch der Mann stellte sich als ein Tiberius vor und wenn das stimmte, wollte er einen neuen Dominus lieber nicht verärgern! „Ich werde alles veranlassen, Dominus!“, sprach er also unterwürfig und ließ den feinen Herren, genau wie er es ja gewollt hatte, einfach im Atrium stehen. Normalerweise hätte er ihn ja irgendwohin geleitet und dem Dominus oder der Domina Bescheid gegeben, dass Besuch da war, doch so… sollte sich dieser neue Tiberius doch alleine zurechtfinden! Genug Augen, die aufpassten dass er nichts stahl, gab es ja zum Glück hier überall.