Beiträge von Tiberia Lucia

    Arsinoe tat ihr bestes den unvorhersehbaren Kopfbewegungen ihrer Herrin zu folgen, doch Sekunda verlor irgendwann die Geduld. Zwischen dem erschrockenen Zucken Lucias, ob des so unverblümten Bläffens von Verus, und dem unsicheren Kopfschütteln bei seinen weiteren Worten übernahm Sekunda die Haarnadeln. Sie schaffte es in geübten Bewegungen und mit ein wenig mehr Gewalt, als Arsinoe es sich getraut hatte, die geflochtenen Schlingen noch vor dem Ende von Verus Ausführungen aufzustecken.


    Lucia wusste indes nicht, was sie nun sagen oder tun sollte. Offensichtlich wollte Verus nicht an das Geld seiner Verwandten und auch nichts geschenkt bekommen, aber was wollte er dann von ihr? Er konnte sich doch unmöglich bei ihr ausweinen wollen! Erstens tat das ein Mann nicht und zweitens hatte er doch seine Frau! „Ich dachte, du hättest Arbeit…“, war das erste was Lucia zu alledem einfiel, doch sobald sie es sagte, kam es ihr auch schon wieder falsch vor. „Ich bestehe aber darauf, dass du bevor ihr auf der Straße landet zumindest Unterkunft und Verpflegung von uns annehmt!“, kam dann als nächstes über ihre Lippen. Das würde hoffentlich auch Lepidus so sehen… Lucia hatte wirklich nicht den Hauch einer Ahnung, wie sie mit dieser Situation umgehen sollte.

    Sekundas Arme lagen schützend um Lucias Schultern und hielten die junge Frau wohl genauso sehr wie sich die alte Sklavin festhielt. Für ihr Alter waren die Arme noch ungewöhnlich stark, dachte sich Lucia überrascht. Dann merkte sie dass sie wieder bewusst was gedacht hatte und wurde sich nach und nach ihres gesamten Körpers wieder bewusst. Doch noch bevor sie an eine Art Bestandsaufnahme überhaupt denken konnte, wirbelte Flaminina in ihr Wahrnehmungsfeld und wickelte etwas weiches, blaues um den Hals. Sekunda zog indes Lucias Hand von ihrer Kehle und wischte rasch das Blut mit dem einen Ende des blauen Stoffes ab, doch Lucia hatte es gesehen. „Ich blute…“, flüsterte sie, fast wie eine Antwort auf Flamininas Frage und wollte sich abermals an den Hals greifen. Doch da war ja nun das Tuch im Weg. So langsam fingen auch ihre Ellenbogen und ihre Knie an zu brennen, sie hatte sich diese beim Sturz wohl aufgeschrammt.


    Der Händler kam indes händeringend und beinahe so bleich wie Lucia hinter seinem Stand hervor und lobte die Soldaten in den Himmel: „Den Göttern sei Dank, seid ihr noch rechtzeitig aufgetaucht! Diese Männer waren plötzlich da, sie schlugen die Wache nieder… Ein Glück ein Glück! Gepriesen seien die Männer der Cohortes Urbanae!“

    Das ganze konnte man einfach nur als emotionale Achterbahnfahrt bezeichnen. Lucia war eigentlich immer noch aufgebracht wegen der Verlobungsgeschichte, gleichzeitig entsetzt über ihr Versäumnis und dann unendlich erleichtert, dass Lepidus ihr so leicht verzieh. Sie bemerkte wohl, dass sich ihr Bruder nicht so ganz wohl in der Umarmung fühlen musste, drückte ihn aber trotzdem nochmal, ehe sie von ihm abließ. „Danke!“ Sie lächelte ihn verlegen an und nickte kurz bestätigend, dass sie sich nun setzen wollte. Doch sie ließ sich auf dem Weg um Lepidus Schreibtisch herum Zeit, strich dabei gedankenverloren mit den Fingern über die Tischplatte und wandte sich dann mit gerunzelter Stirn wieder Lepidus zu. „Du weißt also noch gar nicht, dass sich Iulius Dives mit Sergia Fausta verlobt hat?“ Sie schaffte es jeden Vorwurf aus ihrer Stimme herauszuhalten und klang nunmehr neugierig und ungläubig zugleich. Noch tat sie Lepidus nicht den Gefallen sich zu setzen, doch wenigstens schritt sie nicht mehr auf und ab und wirkte auch nicht mehr allzu aufgewühlt. Sie hatte auch inzwischen das Gefühl Lepidus eine zumindest kurze Erklärung zu schulden. „Ich hab bei meinem Thermenbesuch mit Flaminina unter anderem eben diese Sergia getroffen. Sie hat vor ihren Freundinnen mit ihrem Verlobten geprahlt und mich damit kalt erwischt.“ Das war wirklich eine mehr als knappe Zusammenfassung der Ereignisse, aber soweit nicht falsch.

    Eines würde sie wohl nie werden: der Komplimente überdrüssig. Auch wenn es ‚nur‘ ihr Verwandter Verus war, der diese machte. Lucia reagierte darauf wie eigentlich immer. Sie blühte auf, wie ein Pflanze die gegossen wird, nur um dann mit einem verlegenen Lächeln abzuwinken. Ach, es war schön eine hübsche, junge Frau zu sein!
    Die Sklavin nickte und eilte davon, um das gewünscht ein der Küche anzufordern.
    Das auf den Getränkewunsch folgende, klang jedoch leider nicht besonders gut. Insgeheim hatte Lucia auf ein wenig eitle Plauderei gehofft, doch das war mit den drei Worten wohl ausgeschlossen! Sie gab einen mitleidigen, kurzen Laut von sich und versuchte zu Verus hinüber zu blicken. Diese minimale Drehung des Kopfes verursachte Sekunda und Arsinoe erhebliche Schwierigkeiten. Die jüngere der beiden war grade dabei nach Sekundas Anweisung eine geflochtene Strähne festzustecken und trippelte geistesgegenwärtig die Bewegung mit, um die Stelle nicht zu verlieren. „Wenn es in meiner Macht liegt, werde ich alles daran setzen dir zu helfen!“, versicherte Lucia mit ernster Stimme und wartete auf die nun wohl folgende Aufklärung.

    Flaminina klang wie eine Löwin, die ihre Jungen verteidigte, doch Lucia bekam das alles nur am Rande mit. Ihre gesamte Konzentration war auf das Messer an ihrem Hals gerichtet und jede noch so kleine Bewegung des Mannes nahm sie überdeutlich und seltsam verlangsamt wahr. War das ein gemeiner Trick der Götter, um jemandem die letzten Sekunden des eigenen Lebens zu verlängern? Eine weitere Stimme, eine männliche, mischte sich mit ein, doch das war zu weit aus Lucias Wahrnehmung, als dass sie den Sinn der Worte verstehen konnte. Kurz löste sich das Messer und Lucia glaubte schon an ein Wunder, doch nur wenig später war es wieder an Ort und Stelle und im nächsten Moment wurde Lucia abermals herumgewirbelt. Der Stoß kam so unvermittelt und Lucia war so gefangen in ihrer Angst, dass sie ohne alle Eleganz der Länge nach auf den Boden fiel.


    Sekunda schien indes nur auf den Moment gewartet zu haben, dass der Mann ihre Herrin freiließ. In dem Augenblick, wo Lucia fiel, warf sie sich auch schon zwischen Lucia und die zum Glück fliehenden Räuber. Es war nicht nur die Pflicht eines Sklaven ihre Herren zu schützen, nein Sekunda sah gerade nur das kleine Baby, welches sie von ihrem ersten Tag an begleitet und umsorgt hatte.


    Der Aufschlag auf den Boden riss Lucia aus ihrer Erstarrung und sie rappelte sich so schnell sie konnte wieder auf alle Viere auf. Sie wollte weg, doch ihre Beine lachten sie nur aus. So endete sie sitzend mit einer zitternden Hand an der Kehleund von einer mindestens ebenso sehr zitternden alten Frau umarmt.

    Das kam eindeutig nicht so gut bei Decimus an. Lucia hielt innerlich den Atem an, auf ein Donnerwetter gefasst. Je mehr sie selbst darüber nachdachte, umso schlechter kam sie sich auch vor. Warum hatte sie Lepidus nie gefragt, warum Verus und seine Frauen Trans tiberim wohnten? Sie hatte einfach angenommen, dass Verus jedwede Hilfe abgelehnt hatte und den aktuellen Zustand gegeben und gewollt war. Den Göttern sei Dank, wollte Aquila das Thema wohl nur insofern vertiefen, dass er fragte wo sie denn wohnten. Erleichtert dass er es dabei beließ und auch dass sie die Antwort wusste, begann Lucia einfach zu reden und erklärte den Weg, den sie schon ein paar Mal in ihrer Sänfte gereist war: „…und dann ist es die Insula XXI, die mit der Garküche ‚Die Feine‘ im Erdgeschoss. Ich hab sie schon ein paar Mal besucht.“ Die letzten Worte hatte sie einfach hinterherschieben müssen, sie konnte nicht anders.


    Aquila begann ein wenig zu erzählen und Lucia wurde bei dem Wort Piraten aufmerksam. Sie wusste nicht genau, ob sie das spannend oder unheimlich finden sollte, vielleicht ein wenig von beidem. Sie fragte trotzdem lieber nach: „Aber die sind doch schon lange nicht mehr hier gewesen, oder?“

    Den interessierte das anscheinend gar nicht! Lucia war furios! Ihr Bruder gähnte! Er gähnte! Lepidus wollte sie auf einen der Plätze vor dem Schreibtisch komplimentieren, doch Lucia war grade viel zu… ja was eigentlich? Dass sie durch den Wind war, das war eindeutig und Hummeln im Hintern hatte sie auch noch – sie schritt statt sich hinzusetzen auf und ab. Außerdem wollte ihr keine passende Erwiderung einfallen. Ihre Ideen schwankten von: „Aber er ist doch dein Freund!“ über „Du willst mir tatsächlich weismachen, dass du nichts von der Verlobung weißt?“ zu einem viel zu plumpen „Was!?“. Die Worte blockierten sich gegenseitig und sie brachte bis auf ein paar aufgebrachte Geräusche nichts heraus. Doch dieser sah sich das Ganze nicht lange an, mit einer schlichten Frage nahm er Lucia stattdessen allen Wind aus den Segeln. Sie blieb mitten in der Bewegung stehen und sah ihn mit großen Augen an.
    „ Ich hab dir noch nicht gratuliert?“, fragte sie ungläubig und widerholte dann leiser und eindeutig entsetzt: „Ich hab dir noch nicht gratuliert.“
    Sie hob erschrocken die Hand vor den Mund und alle Spannung wich aus ihrem Körper. „Oh, Lepidus, das tut mir so leid! Ich hätte die erste sein sollen…“ Mit entschuldigender Geste trat sie abermals auf ihren Bruder zu. „Ich war einfach viel zu sicher, dass alles glattlaufen wird. Ich hab das ganze viel zu oft in meinem Kopf durchgespielt und dann irgendwann wohl geglaubt dass ich schon…“, sie brach diese fruchtlose Rechtfertigung ab und wiederholte das einzige, was diesen Fehltritt zumindest ein wenig wieder graderücken konnte: „Es tut mir so leid! Entschuldige!“ Und dann tat sie das einzige was ihr noch einfiel: Sie umarmte ihren Bruder und drückte ihn fest. „Herzlichen Glückwunsch! Ich gratuliere dir von Herzen und bin sehr stolz dich meinen Bruder nennen zu dürfen!“

    Verus wurde hereingeführt, doch Lucia konnte das Ganze nur aus den Augenwinkeln wahrnehmen. Diese polierten Bronzespiegel taugten einfach nicht auf die Entfernung. Und die guten Silberspiegel von denen sie mal gehört hatte, waren eher flache Schalen in die man ein wenig Wasser goss. Man musste sich umständlich darüber beugen, dafür sollte die Reflexion aber auch brillant sein. Kurz wollten Lucias Gedanken zu einem eventuellen Kauf abschweifen, doch Verus drei Worte rissen sie erfolgreich in die Wirklichkeit zurück.
    „Aber, nein. Du störst doch nicht! Tut mir leid, dass ich dich so empfange. Ich hatte noch mit niemandem gerechnet, wollte dich aber auch nicht warten lassen.“ Sie lächelte gewinnend, so gut man das eben konnte, wenn man seitlich zu demjenigen saß, mit dem man sprach. „Du musst wissen, wenn sekunda und Arsinoe jetzt aufhören, fällt die gesamte Frisur innerhalb von Sekunden wieder in sich zusammen. Doch es dauert nur noch wenige Minuten. Magst du dich derweil setzen?“ Lucia gestikulierte vage auf ihre andere Seite, wo noch ein Hocker vor einem kleinen, aber reich verzierten Tischchen stand. „Darf ich dir was zu trinken anbieten?“ Die Sklavin, welche Lepidus hereingeführt hatte, trat eilfertig wieder nach vorne, bereit zu holen, was auch immer der Herr wünschen möge. „Wenn es dir nichts ausmacht, dass ich mich dir dabei nicht vollständig zudrehe, können wir auch gerne jetzt schon plaudern.“, bot sie zu guter Letzt noch an und sandte ihrem Verwandten ein freundliches Lächeln. Sie hätte zu gerne direkt gefragt, was denn los sei, doch das gehörte sich nicht und da sie Verus in der letzten Zeit zumindest ein bisschen kennengelernt hatte, glaubte sie dass er ohnehin damit beginnen würde, was ihm auf der Seele lag.

    Ja, sie hatte sich ein paar lobende Worte gewünscht, doch was Vala ablieferte war fast zu viel des Guten. Das oder Lucia hatte schon viel zu lange kein Lob mehr gehört. Sie wurde mehr als verlegen und konnte den Blickkontakt nicht länger wahren. Da war sie fast dankbar, dass sich Lepidus wieder ins Gespräch einschaltete und er machte mit der Lobeshymne doch tatsächlich weiter! Wie kam es nur, dass Lepidus sie nur vor anderen anpries? Oder kam ihr das nur so vor? Lucia genoss es und auch wieder nicht, auch weil seine Worte nur bedeuten konnten, dass es noch immer keinen konkreten Kandidaten gab. Wenn das noch lange dauerte, würde Lucia eine alte Jungfer werden! Die Männer schafften es das ganze wieder in ein diplomatischeres Gespräch zu vertiefen, das gab Lucia zumindest wieder die Zeit die sie brauchte um ihre Verlegenheit zu überwinden.


    Außerdem hatte sie auch noch woanders Schadensbegrenzung zu betreiben. Direkt auf Decimus Worte hatte sie nur stumm und mit erschrockener Mine den Kopfschütteln können. So hatte sie das sicher nicht gemeint, aber sie war einfach nicht dazu gekommen ihm eine tatsächliche Erklärung abzuliefern. Mit einem leisen „Decimus!“ versuchte sie seine Aufmerksamkeit zu bekommen und lächelte ihn noch immer leicht verlegen an. Am liebsten hätte sie das Missverständnis richtig gestellt, aber dann hätte sie sich rechtfertigen müssen und das ging ihr ein wenig gegen den Strich. Sie hoffte, dass freundliche Aufmerksamkeit und ein wenig Honig um den nicht vorhandenen Bart streichen eine gute Alternative war. „Da du ja offensichtlich nicht weben kannst, wo liegen denn deine Talente noch - außer dass du tüchtig deine Arbeit verrichtest, heldenhaft Kleidungsstücke rettest und grandiose Führungen bietest?“ Ihr Lächeln wandelte sich während sie sprach in ein schelmisches Grinsen.

    Er hatte nach ihr geschickt. Lucia war grade aus der Therme wiedergekommen und hatte nach einer Ausrede gesucht mit ihrem Bruder zu reden… ja reden. Da schickte er nach ihr und der Sklave hatte Mühe mit Lucias ausgreifenden Schritten mitzuhalten. Sie war nicht gerade auf hundertachtzig, doch viel fehlte nicht mehr. Dabei war Lucia weniger wütend als geschockt. Mit viel zu viel Schwung stieß sie die Tür auf und begann mit dem ersten Schritt in Lepidus Officium schon zu reden: „Sag mir, dass du es nicht gewusst hast! Wehe, wenn du es gewusst hast und es mir nicht erzählt hast! Ich hab es grade durch Zufall in der Therme erfahren! Ich kann eigentlich nicht glauben, dass du es noch nicht weißt!“ Sie schritt zügig und wild gestikulierend um den Schreibtisch herum, um direkt vor Lepidus zum Stehen zu kommen. Ihr war im Moment ein wenig die Fähigkeit abhandengekommen in den Minen anderer zu lesen, so dass sie ihrem Bruder suchend ins Gesicht starrte. „Wusstest du es?“, ihre Augen verengten sich. Nach kurzem Zögern, entscheid sie sich Lepidus doch noch den einen oder anderen Hinweis zu geben: „Das mit deinem Freund Iulius und dieser Sergia?!“ sie deutete aufgebracht hinter sich, so dass man fast erwarten könnte, dass dort eben diese Person stand. Noch immer war sich Lucia nicht ganz sicher, warum sie diese Information so ärgerte, es war doch was ganz normales, jeden Tag verlobten sich Menschen, hin und wieder auch jemand den sie kannte…

    Tusca und Paula schienen jedes noch so kleine bisschen zu finden, über das man lästern konnte. Und wenn es nichts gab, dann erfanden sie offensichtlich gerne etwas. Lucia nahm sich stumm vor, kein einziges Wort von dem zu glauben, was die beiden von sich gaben. Selbst wenn in irgendwas ein Körnchen Wahrheit verborgen sein mochte, so wollte Lucia doch nicht diejenige sein, die Gerüchte weiter verbreitete, es sei denn natürlich sie gereichten ihr zum Vorteil. Sie wollte eben auf Sergias Frage antworten, als alles hopla hop ging.


    Eine vollkommen neue Frau tauchte auf und Lucia grüßte lächelnd zurück. Die Neue schien Sergia zu kennen, doch Lucia war sich sicher noch keinen Namen von ihr mitbekommen zu haben. Aber ‚junge Dame‘ als Anrede? Lucia wandte kurz den Kopf ab, um ihr Grinsen zu verbergen. Für wie jung hielt sie Sergia? War das als Kompliment oder als Stichelei gedacht? Die namentlich noch unbekannte Duccia sah selbst nicht allzu viel älter aus, fand Lucia. Das Vorstellen übernahm Sergia dann, zumindest im Ansatz, aber sie mussten ja wirklich sehr gute Freundinnen sein, wenn sich die eine erkundigen musste, ob sie Sergia wirklich kannte. Wieder mühte sich Lucia sich ein spöttisches Grinsen zu verkneifen. Leider wurden sie abermals unterbrochen, das wurde hier ja grade richtig interessant!


    Flavia wurde von Quintillia angesprochen und kurz darauf kam auch Flaminina hinzu. Liebend gerne hätte Lucia dem Gespräch der anderen gelauscht, doch schrillten bei ihr ob Flamininas Körpersprache alle Alarmglocken. Dann konnten sich Tusca natürlich auch nicht zurückhalten und Lucia sah ihre einzige Chance darin, Flaminina indirekt festzuhalten. „Flaminina! Schön dass du dich zu uns gesellst!“, sprach Lucia also möglichst gut gelaunt und hakte sich freundschaftlich bei der Decima unter. „Ich habe den anderen gerade von dir erzählt. Flavia hat sich gewundert wem ich meine Arsinoe ausgeliehen hatte.“ Sie legte noch zusätzlich die andere Hand auf Flamininas Unterarm und versuchte sie mit sanftem aber stetigem Druck von dem abzubringen, was auch immer sie gerade vorhatte und sie zum Wasser zu führen.

    Heute war der Tag, an dem sich Arsinoe zum ersten Mal an Lucias Haaren versuchen dürfen würde. Die junge Tiberia hatte mit Amüsement beobachtet, wie in den letzten Wochen all ihre Sklavinnen mit zunehmend komplizierten Frisuren herumliefen. Zwar hatte sie Sekunda den Auftrag gegeben Arsinoe in diese doch recht anspruchsvolle Kunst einzuweihen, doch sie hatte nicht mit dieser Wirkung gerechnet. Es hatte etwas von mehr Schönheit umgeben zu sein, doch eine Sache war Lucia sauer aufgestoßen, das musste sie noch klarstellen:


    Also empfing sie Arsinoe mit ernster Miene und musterte die junge Frau streng. „Arsinoe, als ich dir den Auftrag gab, den Umgang mit Haaren zu lernen hab ich garantiert nicht so etwas gemeint! Sklavinnen, mit zunehmend kompliziert geflochtenen und hochgesteckten Haaren!?“ Sie schüttelte Missbilligend den Kopf und die junge Sklavin schrumpfte sichtlich in sich zusammen. „Wehe dir, sollte jemals eine Sklavin einen schöneren Kopfputz haben als ich!“ Lucia rang mit sich, konnte sich das Kichern jedoch nicht weiter verkneifen. Daran musste sie dringend noch üben, sie kicherte viel zu schnell! Arsinoe blickte unsicher auf, ob sie nun erleichtert sein sollte, oder das Schlimmste noch kommen würde.
    Lucia winkte sie gnädig zu sich und klärte sie mit freundlicher Stimme auf: „Ich sehe es gerne, dass du übst und im Grunde gefällt mir auch dass die Sklavinnen nun hübscher aussehen, aber behalte immer die Stellung derjenigen im Kopf an deren Kopf du grade zu Werke bist! Du darfst an deinen Kolleginnen üben so viel du magst, doch ich möchte bei keiner Sklavin meine Nadeln oder sonstigen Zierrat sehen!“ „Ja, Domina, entschuldige, Domina, wird nicht wieder vorkommen, Do…“, murmelte Arsinoe. „Sprich klar und deutlich mit mir! Ich kann es nicht ausstehen, wenn man nuschelt!“ „Ja, Domina!“ Diesmal waren die Worte lauter. „Gut, dann darfst du Sekunda ab heute zur Hand gehen.“ Ohne auf eine Reaktion zu warten, drehte sich Lucia auf ihrem Hocker um und ließ die beiden Sklavinnen mal machen. Heute hatte sie nichts Großartiges vor, also würde es auch eine einfachere Frisur tun, das wusste Sekunda und Lucia vertraute ihr blind.


    Es ziepte häufiger als sonst und aufgrund von Lucias Ausrufen sah sich Sekunda mehrmals genötigt Arsinoe auf die Finger zu schlagen, doch im Grunde kamen sie gut voran. Da klopfte es auf einmal zaghaft an der Tür und ein Sklave steckte den Kopf herein: „Dominus Tiberius Verus wünscht mit dir zu sprechen Domina.“ Lucia blickte überrascht auf. „Jetzt? Mit mir?“ Der Sklave nickte. Lucia blickte sich kurz selbst im polierten Bronzespiegel an, sie war noch nicht geschminkt, aber ihre Kleidung war ordentlich und die Frisur kurz vor der Vollendung. „Ach, was soll‘s, immerhin ist er Familie. Bring ihn her!“ Mit einem nicken verschwand der Sklave wieder und führte Verus zu Lucias Zimmer.

    Lucia kam sich inzwischen so vor, als ob sie eine der Stoffpuppen wäre, mit der sie als Kind immer gespielt hatte. Diese hatte sie auch herumgewirbelt, wie sie wollte und die Puppen hatten keinerlei Widerstand geleistet. Allerdings hatten die Puppen im Gegensatz zu Lucia jetzt dabei auch keine Mine verzogen und als einmal beim allzu wilden Spiel der Arm abriss hatte die Puppe auch nicht geblutet…
    Der schmerzhafte Zug an ihren Haaren ließ nach, als der Mann offensichtlich nach dem Beutel griff, doch Lucia war zu schreckensstarr, als dass sie die Gunst der Sekunde hätte nutzen können. Im nächsten Moment wurde sie auch schon herumgewirbelt und sie wollte sich wieder in die betäubte Leere in ihrem Kopf flüchten… nur dass dieses spitze Ding plötzlich an ihrem Hals anstatt ihrer Hüfte war, das konnte sie unmöglich ignorieren! Sie reckte den Kopf soweit es ging, versuchte von dem Dolch wegzukommen, der sich mit einem Brennen in ihre Haut drückte. Das Brüllen direkt neben ihrem Ohr ließ sie zusammenzucken. Dicht gefolgt von einem ersticktem, wimmernden Quieken, als plötzlich der Druck an ihrem Hals noch verstärkt wurde. Mit eiskalten Fingern griff sie zitternd nach dem Arm des Mannes und versuchte ihn mit all ihrer wenigen Kraft von sich wegzudrücken.
    Sekunda indes hielt weiter stur den Beutel am langen Arm ausgestreckt. „Nehmt das Geld und verschwindet!“ Man konnte nicht wirklich ausmachen, ob die Worte der Alten nun ein Betteln, oder ein Befehl waren.

    So langsam bekam Lucia von all den Komplimenten und netten Worten seitens Dives einen leichten Kopf und ein Kribbeln im Bauch. Der Mann verstand es fantastisch mit Worten umzugehen! Oder er hatte nicht die geringste Ahnung davon, was seine Formulierungen anrichten konnten. Aber die zweite Möglichkeit kam Lucia überhaupt nicht in den Sinn. Als geübter Redner hatte er einfach zu wissen, wie seine Worte beim Publikum wirkten, weshalb Lucia auch fast jedes auf die Goldwaage legte. Was wollte er beispielsweise damit sagen, dass er nochmal explizit darauf einging, dass auch sie hier unten auf der Erde war? Diese fünf Wörtchen beschäftigten Lucia genügend, um ihr die Möglichkeit einer guten überlegten Antwort zu rauben. Doch Lucia vertraute darauf, dass sie auch während des Sprechens die Sätze vorformulieren konnte: „Ich bin sicher, wir alle würden jede Nacht voller Bewunderung zu dir Aufsehen. Aber zum Glück bleibst du uns ja noch erhalten!“ Sie lächelte Dives vielsagend an, wobei sie jedoch selbst nicht genau wusste worauf sie hinauswollte.


    Dass es während des Usurpators kaum Spiele gab, das hatte Lucia nicht bedacht. Jetzt wo ihr Dives davon erzählte, kam sie sich ob ihrer Frage ein wenig töricht vor. Das hätte sie aber auch ahnen können, wenn sie ein wenig überlegte hätte! Doch es schien Dives nichts auszumachen Lucia das offensichtliche nochmal darzulegen und er endete ja sogar mit einem kleinen Scherz. Das wurde von Lucia prompt mit einem kurzen kichern belohnt. „Dann wollen wir hoffen, dass zumindest das nächste Rennen nicht mehr allzu lange auf sich warten lässt!“ Sie hatte an diesem Abend wirklich Lust bekommen auch die eine oder andere Wette auf eben dieses nächste Rennen abzuschließen, vor allem jetzt da sie nicht mehr groß überlegen musste auf wen sie wetten sollte.


    Die nächste Frage traf Lucia unerwartet. Dennoch wurde sie mit einem breiten Lächeln aufgenommen. „Ich würde mich freuen und dein Angebot gerne annehmen.“ Gleichzeitig fragte sie sich, ob dieses Angebot von Dives selbst ausging, oder ob ihr Bruder ihn in seinem Brief darum gebeten hatte. Sie traute es Lepidus durchaus zu auf diese Weise für sie zu Sorgen, andererseits hoffte sie eher, dass es Dives eigener Wunsch war sie zu begleiten. So oder so das Ergebnis war das gleiche und die Räume der Factio leerten sich ohnehin zusehends.

    Der Sklave, der bis jetzt seine Arbeit als Leibwächter eigentlich ganz gut gemacht hatte, bekam etwas gegen die Schläfe und ging vor Lucias Augen mit einem dumpfen Geräusch zu Boden, wo er regungslos liegenblieb. Ein erstickter Laut kam über ihre Lippen, das konnte doch nicht alles wirklich grade passieren, oder?
    Doch Hectamus machte Lucia eindeutig klar, dass dies kein Traum sein konnte. Ihr Kopf wurde nach hinten gezogen und für einen Moment glaubte sie die Besinnung zu verlieren, aber das spitze Ding an ihrer Hüfte verhinderte die Flucht in eine Ohnmacht gekonnt.
    Diese Anweisung des Mannes war auch für Sekunda klar zu verstehen und sie griff ohne die Anweisung ihrer Herrin abzuwarten in ihren Ausschnitt, um den Geldbeutel hervorzuholen. Das war auch ganz gut so, denn Lucia war die Stimme endgültig verloren gegangen, als der Kerl zum zweiten Mal an ihren Haaren zog und sie anschließend so angrinste. Lediglich ihre Hände griffen von selbst nach oben und versuchten das Reißen an den Haaren durch festes Pressen auf die eigene Kopfhaut zu mildern.
    Mit versteinerter Miene riss Sekunda die dünne Schnur um ihren Nacken einfach durch und reichte den Beutel in Richtung von Hectamus. „Hier hast du das Geld, lass meine Herrin gehen!“, sprach sie mit einem Beben in der Stimme, wurde im nächsten Moment aber von Flamininas wütendem Ausruf übertönt. Entsetzt zuckte Lucia zusammen, das war das Ende! Panik und Ohnmacht kämpften miteinander, so dass sie wie erstarrt auf das wartete was nun kommen mochte.

    Lucia musste wohl lernen genauer Hinzuhören, denn erst als ihr Bruder den Triumphator erwähnte konnte sie selbst etwas mit dem Namen von Aquilas Großvater etwas anfangen. „Nein, das haben sie nicht erwähnt“, bestätigte sie Lepidus nach kurzem Nachdenken. „Sie haben eigentlich nie besonders viel von ihrer Verwandtschaft gesprochen, außer eben dass sie die in Rom lebenden besuchen wollten.“ Lucia zuckte mit den Schultern. Wirklich seltsam, dass sie dies noch nicht getan hatten! Aber vielleicht war es ihnen ja peinlich wie sie lebten und wollten erst ein eigenen Auskommen haben, damit sie nicht wie Bettler erschienen. Wer wusste schon, ob sie früher zu den Villa Tiberia gekommen wären, wenn Lepidus sie nicht durch einen Zufall getroffen und eingeladen hätte.
    Die Frage nach ihrer Verwandtschaft mit Verus war für Lucia inzwischen ein Klacks zu beantworten. Immerhin hatte sie diese Frage nicht zum ersten Mal überdacht. „Es ist eine eher weitläufige Verwandtschaft von Verus mit uns, das muss ich zugeben: Unsere Urgroßväter waren Brüder.“ So gesehen wäre eine Heirat innerhalb der Familia schon seit zwei Generationen theoretisch wieder möglich. Lustig. Allein den Gedanken daran fand Lucia schon seltsam, dabei hatten sie ja nicht mal mehr zu einem sechszehntel das gleiche Blut. Die Frage ob sie in der Villa lebten, ließ Lucia lieber mal an Lepidus weitergehen, sie war sich im Moment nichteinmal sicher, ob sie das angeboten hatten und das war ihr wiederum etwas peinlich.

    Auch wenn es eher im Scherz gesprochen zu sein schien, so sog Lucia die äußerst schmeichelhaften Worte dennoch auf wie ein Schwamm. Sie liebte Komplimente einfach und belohnte Dives mit einem fröhlichen Auflachen, direkt gefolgt von einem verlegenen Griff ihrer Hand an die eigene leicht gerötete Wange und einem kurzem Senken des Blicks, als ob ihr diese Worte fast unangenehm wären. Lucia selbst hätte nicht genau sagen können, inwieweit ihre Reaktion gespielt war. Zwar hatte sie die verlegene Geste mal einstudiert, doch gehörte sie nicht zu den Frauen die auf Kommando erröten konnten. Dazu kam, dass sie sich ja tatsächlich freute und geschmeichelt fühlte, so sehr sogar dass sie kurz um eine Antwort ringen musste: „Möge Victoria unseren Aurigae den Sieg schenken!“ Nicht wirklich perfekt, aber alles was sie grade zustande brachte.


    Gerne hätte Lucia ein ebenso geistreiches Kompliment auf seine Gegenfrage zurückgegeben, doch fiel ihr einfach keine passende Gottheit oder Heldengeschichte ein. Wahrscheinlich würde sie in ein paar Minuten dutzende Ideen haben, doch jetzt war alles was ihr dazu einfiel die Metamorphosen Ovids: „Du strahlst, als ob dich die Götter gleich in ein Sternbild verwandeln wollten.“ Diese Verwandlung war zum Glück meist eine zur Belohnung gewesen, die meisten Metamorphosen waren ja eher als Strafe oder eine etwas seltsame Erlösung gedacht.


    „Ich muss sagen, ich freue mich nun umso mehr auf das nächste Rennen!“, gestand Lucia fröhlich. „Aber wie regelmäßig trifft sich die Factio eigentlich?“ Darüber hatte sie sich bis eben überhaupt keine Gedanken gemacht.

    In Verlegenheit bringen? Mit einem aus dem Ritterstand? Dazu brauchte Lucia wohl nichts zu sagen, ihr mokant selbstgefälliger Blick drückte alles nötige aus. Zumindest baute sie da darauf, weil sie immer noch nicht wirklich die Lust verspürte mit Vorfahren zu prahlen und ihr ansonsten zu dem Thema nicht mehr wirklich etwas einfiel. Sie wollte jedoch nicht zu lange spöttisch schauen und holte nach wenigen Herzschlägen wieder ihr neutrales Lächeln hervor.


    Der nächste Kommentar von Sergia zauberte für einen Moment ehrliche Verwirrung auf Lucias Gesicht. Wieso sollte sie sich im Stammbaum der Sergier auskennen? Das war alles doch nur logisch geschlussfolgert, ansonsten würde Sergia ja wohl Annaea heißen! Da fiel ihr siedentheiß ein, dass es ja auch hätte umgekehrt sein können: Ein Sergius hätte eine Annaea zur Frau nehmen können. Naja, lieber für jemanden gehalten werden, der sich mit den verschiedensten Stammbäumen auskennt, als so einen Denkfehler zugeben, also einfach weiter im Text und das Beste daraus machen. Mit einem „Ach…“ und einer leicht wegwerfenden Handbewegung tat sie das Wörtchen ‚beeindruckend‘ ab. „Ich bin grundsätzlich ein Anhänger davon aus den Fehlern anderer zu lernen. Und beim studieren der älteren Geschichte kommt man nicht umhin auch ein wenig von aktuelleren Dingen aufzuschnappen.“


    „Verlass dich darauf!“, bestätigte Lucia noch einmal selbstbewusst Sergias offensichtlich skeptischen Worte. Gedanklich sandte sie ein warnendes Lass mich bloß nicht hängen! an ihren Bruder. Sie hatte grundsätzlich größtes Vertrauen in ihn, aber nur Fortuna allein entschied, wie sie an ihrem Schicksalsrad drehte.


    Ihr Vorschlag zu Schwimmen wurde angenommen, doch er brachte leider nicht die von ihr erhoffte Pause. Im Gegenteil, nachdem sie Paula und Tusca nocheinmal begrüßt hatte, musste Lucia sich entscheiden wie sie ihr Verhältnis zu Flaminina anderen erklärte. Während sie noch ihre Gedanken sammelte, streuten ihre zwei neusten Bekannten schon die wildesten Gerüchte, auf die Flavia auch noch prompt reagierte. Das brachte Lucia damit doch tatsächlich zu einem amüsierten Auflachen, auch wenn es grundsätzlich äußerst großzügig von Flavia war, was sie anschließend tat. „Das ist sehr großherzig von dir“, begann Lucia an Flavia gewandt. Dann fiel ihr wieder ein, was Lepidus auf der Insel über Flaminina und Calena sagte und entschied sich auch die ursprüngliche Frage zu beantworten: „Die eine ist eine gute Freundin von mir, Decima Flaminina. Großnichte des Triumphators.“ [SimOFF: Decimus Meridius, ich vermute IR Geschichte? Und ich hoffe was Gutes :D] Die Gens Decima war ja in jüngster Vergangenheit nicht grade positiv aufgefallen, also hoffte Lucia mit der Erwähnung dieser Verwandtschaft den Start für ihre Freundin einfacher zu machen. Ihr Blick traf doch tatsächlich den Flamininas und Lucia machte mit einem freundlichen Lächeln eine einladende Geste sich ihnen jetzt oder später anzuschließen. Je nachdem wie lange sie noch von den arbeitswilligen Händen Arsinoes massiert werden wollte. Die junge Sklavin blickte nur kurz überrascht auf, als schon wieder Candace auftauchte und knetete dann etwas verbissener weiter. Sie würde auch noch irgendwann so gut werden wie die andere Sklavin!

    Seine Worte bezüglich der Rolle der Frauen die zu Roms Größe führte, brachten Vala einen kurzen irritierten Blick ein, ehe sich Lucia entschied es als ein übertriebenes Kompliment aufzufassen und mit einem unverbindlichen Lächeln zu quittieren. Sie befürchtete, dass alles anderes, insbesondere eine Zustimmung, als Hybris aufgefasst werden würde.
    Was das Flirten anbelangte… Zwar hatte sich Lucia vorgenommen diesem Frauenheld ein wenig schöne Augen zu machen, einfach wegen des aufregenden Kribbelns im Bauch, doch leider hatte sie kaum Erfahrung auf diesem Gebiet und musste sich auf Tipps von Manlia und ihren eigenen Instinkt verlassen. Sie bemerkte zufrieden, dass die Handbewegung ganz gut zu funktionieren schien. Auch hatte sie ihn mit ihrem frechen Vorstoß zumindest irritiert, was sie wiederum amüsierte. Doch nie hätte Lucia gedacht, dass die ungeplanten und von ihr selbst unbemerkten Signale den größten Effekt hatten. Sie merkte mit Genugtuung, wie Vala mit der Antwort zögerte, und das Flirten wurde endgültig zum Selbstzweck. In ihrer kühnsten Phantasie malte sich Lucia zusätzlich einen verbotenen Kuss aus, hatte aber auch schon allein bei dem Gedanken daran größte Bedenken ob ihres Rufes.
    Das Größte hatte er also im Blick. Das klang wahrhaft großartig, doch konnte sich Lucia keinen direkten Reim auf diese Worte machen. Und was viel schlimmer war, er befriedigte mit seiner diplomatischen Antwort ob der Partnerin nicht im Mindesten ihre Neugierde. Aber was hatte sie auch erwartet?
    „Das ist… unschön. Wirst du bei deinen wahrlich großen Plänen doch sicher auch bald das feingewobene Netz der Frauen benötigen.“, sprach Lucia mit einem bedauernden kleinen Lächeln. Kaum waren die Worte heraus, fand sie diese fast ein wenig zu harsch und versuchte sie rasch mit einem kleinen Scherz zu mildern: „Ich bin mir sicher Decimus ist dir eine große Hilfe, aber ich kann ihn mir nur schwer beim Weben vorstellen.“ Ihre lebhafte Phantasie zeigte ihr dennoch kurz den Tiro unbeholfen vor einem Webstuhl, was amüsiert glucksen ließ. Sie hob dabei grazil die Finger an die Lippen, wie um das kleine Lachen zu verstecken und eben auch wieder nicht. Diese Bewegung hatte sie von einer anderen Frau abgeschaut, nachdem Manlia ihr erklärte hatte, dass man die Aufmerksamkeit eines Mannes wunderbar mit den Händen lenken konnte.
    Die Frage nach ihrer eigenen Zukunft hatte sich Lucia in letzter Zeit selbst öfters gestellt und mir nichts, dir nichts schaffte es das Schmunzeln ihres Gegenübers ihr eine ehrliche Antwort zu entlocken: „Ich weiß es nicht.“ Sie warf einen kurzen, forschenden Blick hinüber zu ihrem Bruder und fügte mit einem verlegenen Lächeln und gesenktem Blick an: „Aber ich bin sicher er wird schon jemand Passendes für mich finden. Derweil helfe ich ihm so gut ich kann.“ Der nun folgende Augenaufschlag gepaart mit einem verlegenen Lächeln gehörte wieder zu den Dingen, die Lucia nicht plante. Sie hoffte vielmehr auf ein Lob oder ähnliches ob ihrer Geduld und legte viel von diesem Wunsch in ihren Blick.