Beiträge von Marcus Decimus Aquila

    Aquila war beileibe nicht feige. Im Gegenteil könnte man ihm eher vorwerfen, dass er es zu wenig war – was nicht in Mut resultierte, sondern in Leichtsinnigkeit und Gedankenlosigkeit. Als Serapio aber in diesem Augenblick auf ihn zukam, wäre er am liebsten abgehauen. Und an dem Gefühl änderte sich nichts, als sein Onkel – oder Vetter? – bei ihm angekommen war und ihn ansprach. „Ich...“, warf er versuchsweise ein, irgendwo zwischendrin, aber Serapio war ganz offenbar nicht in der Stimmung, sich unterbrechen zu lassen, geschweige denn zuzuhören. Trotzdem versuchte er es ein weiteres Mal: „Aber... Hey, Moment mal“, rief er ihm noch hinterher, als sein Onkel dann ging, ohne auf ihn zu achten – ein wenig zu laut, wie ihm gleich darauf bewusst wurde, als ein paar Köpfe sich in seine Richtung drehten. Da hatte er gerade selbst noch gehofft, dass es ruhig blieb, und jetzt sorgte er für Aufmerksamkeit... lautlos fluchend zwang er ein Lächeln auf sein Gesicht und nickte denen zu, die ihn kurz ansahen, grüßte freundlich und wandte sich dann ab. Er wusste nicht, was er von Serapios Worten halten sollte. Er wusste auch nicht, was er von ihm erwartete. Oder erwartet hatte oder hätte. Und genauso wenig wusste er, was er von der ganzen Sache halten sollte, was gelaufen war, im Bürgerkrieg, mit seiner Familie – er hatte es bisher tunlichst vermieden, sich überhaupt Gedanken darüber zu machen, weil er keine Lust darauf hatte sich das Hirn zu zermartern oder Gewissensbisse zu haben, schon allein weil es ja sowieso nichts brachte. Aber er hätte lügen müssen, hätte er behaupten wollen, dass ihn die Worte nicht irgendwo, irgendwie getroffen hätten... und mit einem Mal bekam die Veranstaltung, die Amtseinsetzung und sogar sein Wahlergebnis einen schalen Beigeschmack.

    Aquila kratzte sich kurz am Kinn, als der Consular seine Gedanken zu einer möglichen Auflösung der Academia militaris aussprach. „Ehrlich gesagt nicht“, gab er dann offen auf die Rückfrage hin zu. „Bei der Schola hat der Duccius auch mit meiner Tante gesprochen, was die inhaltliche Reform angeht. Ich denke er wird da auch auf deine Expertise angewiesen sein, was die Academia militaris betrifft. Wenn die Ausbildung aber mehr in der Praxis erfolgt, haben dann nicht Zivilisten ein Problem damit, wenn sie die Prüfungen ablegen wollen?“ fragte er nach. „Andererseits, ist es nicht sogar so dass in den Provinzen die Prüfungen jetzt schon teilweise bei den Legionen abzulegen sind und die Prüflinge sich selbst vorbereiten müssen?“

    Er wusste es nicht. Wäre ja auch zu schön gewesen, jetzt eine klare und schnelle, idealerweise positive Antwort zu bekommen. Oder wenigstens ein klares Jein... aber doch keine so gesalzene Nachfrage. Aquila zögerte einen Moment lang, unsicher, was er darauf antworten sollte. „Serapios Gesundheitszustand ist ziemlich schlecht. Seit er aus dem Carcer entlassen wurde“, vom Kaiser persönlich, immerhin, aber Aquila hatte das Gefühl, dass ihm das eher negativ ausgelegt werden würde, wenn er das erwähnte in der Hoffnung, dass es den Vinicier überzeugte... also ließ er es bleiben, „war er noch nicht in der Lage, mit jemandem zu reden.“ Was keine Antwort war auf die Frage, aber Aquila hatte einfach keine Antwort darauf. Er war sich nicht sicher, wie Serapios Stand in der Familie war. Er war sich ja nicht mal sicher, was er selbst von dem Ganzen halten sollte, und ihm wäre es am liebsten gewesen, einfach so tun zu können als wäre nie etwas gewesen. Aber das war nichts, was er laut sagen könnte... Und so hatte er zunehmend das Gefühl, dass er gerade über spiegelglattes Eis schlitterte. „Ich weiß nicht, was meine Großtante dir geschrieben hat, aber... wir... also, meine Familie in Rom, wir gehen im Moment davon aus, dass er überzeugt war, das Richtige zu tun. Auch wenn wir alle wissen, dass es falsch war“, beeilte er sich hinzuzufügen. „Und Livianus... hier in Rom ist er das Oberhaupt der Familie.“ Welchen Stand sollte er da schon haben? Die Frage nach ihm begriff Aquila nicht so ganz.

    Schon eine ausgesucht. Und Aquila kannte sie angeblich sogar schon. Der Duccius kam allerdings nicht mehr dazu ihm zu verraten, wer die Eine denn nun sein sollte, weil genau in dem Moment Livianus das Triclinium betrat. Aquila hielt sich zurück, während die beiden Älteren sich begrüßten, und kam dann nicht umhin wieder einmal zu grinsen, als die Sprache auf die Wahl kam. Und sein Tirocinium fori. Und sonstige gute Eigenschaften. Das ging aber auch runter wie Öl, musste er sich eingestehen, während er sich gleichzeitig ein wenig zügelte, damit es mehr ein geschmeicheltes, etwas stolzes Lächeln war als ein übermütig-breites Grinsen. „Ach, auf den Straßen Roms gab es im letzten Jahr weit mehr als nur eine Diskussion mit irgendwelchen Händlern, wo ich in der Praxis erlebt hab wie man auf so was reagieren kann... im Senat hatte ich nur keine Urbaner hinter mir, die im Zweifel mit nem Schlagstock zu meinen Gunsten hätten eingreifen können“, grinste er zurück. Was zwar wie ein Scherz daher kam, aber im Kern das aufgriff, wozu ein Tirocinium ja da war: in der Praxis zu erfahren, was man davor in der Theorie gelernt und in einem gesicherten Rahmen ausgetestet hatte. Zwar an der Seite eines erfahrenen Mannes... aber eben doch: nicht mehr im Unterricht, sondern im echten Leben.

    „Du könntest dich aber selbst dazwischen schmeißen, wenn du schon kein Kissen mitnehmen willst“, grinste Aquila breit zurück, den eben gefassten Vorsatz sich ein wenig zu benehmen schon wieder vergessend. Die Vorlage hatte er sich aber nicht entgehen lassen können, und dass sie gerade selbst schon wegen des Kissens lachte, hatte ihn eher noch zusätzlich angestiftet. Auch die Wortwahl, er müsse sich mit ihr abfinden, reizte ihn eigentlich zu einem Konter... aber diesmal hielt er sich zurück. Am Ende beschloss sie noch, dass sie sich nicht mit ihm abfinden wollte, und das wollte er dann doch nicht riskieren. Wachhund hin oder her, eine eigene Scriba machte einfach was her. Dann aber... oh Götter. Sagte sie gerade er könne über sie verfügen? Machte sie das eigentlich mit Absicht, ihn so zu reizen, oder war ihr gar nicht klar was ihre Wortwahl bewirkte? Diesmal fiel Aquila nicht so schnell ein angemessener Konter ein, das hieß: ihm wären eigentlich eine Menge Dinge eingefallen, aber da zeigte sich wieder seine Jugend – so abgebrüht und rotzfrech war er dann doch (noch) nicht. Stattdessen war er für den Moment sogar ein winziges bisschen verunsichert, weil er nicht wusste ob er darauf nun wirklich eingehen oder es eher überspielen sollte. „Werd ich tun. Also, dir Bescheid geben, wenn abends was ist. Und wenn ich dich sonst so brauche.“ Er räusperte sich. „Dann, eh... treffen wir uns wieder, wenn die Wahl rum ist, würd ich sagen. Ach ja, das heißt: könntest du ein bisschen Wahlwerbung organisieren, für mich und meinen Onkel? Und wie kann ich dich erreichen, oder schlägst du regelmäßig hier auf?“

    Nachdem er schon den Auspizien beigewohnt hatte, hatte Aquila seinen Onkel begleitet in die Casa Decima, wo dieser eine große Salutatio zu seinem Amtsantritt hielt. Er war sich durchaus bewusst darüber, was für eine Chance das auch für ihn darstellte – ohne dass er mehr dafür tun musste als einfach an der Seite seines Onkels zu sein, konnte er sich einer ganzen Reihe von Leuten präsentieren, die er sonst vermutlich nicht so schnell (wieder) getroffen hätte, und die sich sonst vermutlich erst recht nicht mehr so schnell an ihn erinnern würden, oder sein Gesicht mit seinem Namen in Verbindung bringen. Natürlich stand sein Onkel im Vordergrund, trotzdem gedachte Aquila, jeden Moment hier zu nutzen, und er war ziemlich optimistisch, dass es schon reichte einfach stets in der Nähe des Consuls zu sein.


    Da sie sich im Grunde schon gratuliert hatten, hielt Aquila sich nun erst mal zurück und beobachtete die Gäste, die eintrudelten, neugierig und gespannt... was sich änderte, als sein Onkel Serapio auftauchte. Mit einem Mal wurde Aquila ein bisschen nervös. Er hatte Serapio in den letzten Wochen nicht wirklich zu Gesicht bekommen, und er war ganz froh darum gewesen, dass die einzige Möglichkeit gewesen wäre ihn an seinem Krankenbett zu stören, was eine willkommene Ausrede war genau das aus Rücksichtnahme natürlich nicht zu tun – er hätte gar nicht gewusst, wie er mit ihm hätte reden, was er hätte sagen sollen. Da war aus dem Weg gehen einfach angenehmer. Und sie hatten sich ja ohnehin schon lang nicht mehr gesehen, Aquila wusste gar nicht mehr genau, wie alt er gewesen war, als Serapio Hispania verlassen hatte... aber er war noch ziemlich klein gewesen, daran konnte er sich noch erinnern. Und dann war die Situation keine einfache – ganz allgemein nicht, aber auch speziell nicht. So viel hatte er freilich mitbekommen, dass es schwierig war mit seinem Onkel zur Zeit. Und was auch immer sich gerade abspielte zwischen Livianus und Serapio, Aquila schickte in diesem Augenblick ein Stoßgebet zu den Göttern, dass so ruhig blieb, wie es gerade schien.

    Selbstredend war auch Aquila anwesend bei den Auspizien, die sein Onkel einholte für sein Consulat. Er hielt schön brav im Hintergrund bei den Liktoren, Sklaven und Klienten, die von der Amtseinsetzung mitgekommen waren, und verfolgte die Zeremonie stumm. Ein flüchtiges Lächeln umspielte seine Lippen, als die Auspizien zufriedenstellend ausfielen, bevor der ganze Haufen um ihn herum dann – ihn eingeschlossen – seinem Onkel folgte in die Casa Decima, ein Weg, den Aquila gleich mal nutzte, um mit dem ein oder anderen Klienten ins Gespräch zu kommen.

    Immer noch euphorisch über sein Wahlergebnis und davon, sein Wunschamt bekommen zu haben – und das trotz allen Gegenwinds im Senat, der ihm da ins Gesicht gepfiffen war –, betrat Aquila nach seiner Amtseinsetzung das Officium der Tresviri capitales. Das würde nun also für das kommende Jahr sein Reich sein... naja, gemeinsam mit den beiden anderen Hanseln, die seine Amtskollegen sein würden. Aquila ging in das aktuell leere Büro hinein und ließ sich erst mal in einen der Stühle fallen, lümmelte sich hinein und genoss es einfach erst mal, hier zu sein. Als offiziell gewählter und eingesetzter Magistrat Roms. Sein erster Schritt im Cursus honorum, den er noch dazu mit einem Knall gemacht hatte. Der erste Schritt auf dem Weg, der ihn eines Tages zum Legaten machen sollte...
    „So“, machte er dann und sah grinsend zu Celeste, die nach ihm eingetreten war. „Da wären wir. Ich glaub erst mal... gewöhn ich mich ein bisschen an das Officium...“ Sein Grinsen wurde noch ein ganzes Stück breiter, bevor er sich etwas gerader hinsetzte. „Und dann sollt ich wohl erst mal die Berichte und Akten meiner Vorgänger durchschauen...“

    ...was besagter Decimus auch tat. Ein bisschen aufgeregt war er, und ziemlich pleite gerade noch dazu, weil der Laden, in den er die Sergia nun auszuführen gedachte, ziemlich exklusiv und damit auch ziemlich teuer war. Beim Wahlkampf hatte er aus dem Vollen seiner Familie schöpfen können, aber das hier war freilich nichts, was seine Verwandten ihm finanzieren würden – das hieß: nicht wissentlich. Ein bisschen getrickst hatte er halt, um da ein bisschen was abzuzweigen, aus dem was ihm allgemein für die kommende Amtszeit zur Verfügung stand, die auch ziemlich teuer werden würde – und mal ehrlich, wenn man mit für die Sicherheit auf den Straßen bei Nacht verantwortlich war und da für irgendwelche Patrouillen löhnen musste, das konnte doch sowieso schnell teurer werden als gedacht. Da fiel es nicht auf, wenn er von dem Geld ein bisschen was für sich mal abzweigte... und der Rest kam ja aus den Einnahmen, die ihm seine Beteiligung am hispanischen Gestüt und den anderen Familiengütern einbrachte.
    So oder so: ein bisschen aufgeregt war er, wie schon erwähnt. Immerhin war die Sergia eine potentielle Verwandte des Kaisers, denn auch wenn Aquila immer noch nicht so sicher war, ob er das glauben sollte: er hatte zumindest auch nichts Gegenteiliges herausfinden können bisher... da fiel ihm ein: vielleicht sollte er mal Celeste darauf ansetzen, für seinen Onkel hatte sie ja schon Informationen unterschiedlichster Art beschafft, hatte sie erzählt. Diesen Gedanken schob er allerdings sofort wieder beiseite, denn vor allem anderen freute er sich auf diesen Abend. Das Reich der Nereiden war ihm als Geheimtipp gepriesen und in den schillerndsten Farben geschildert worden, und er war tatsächlich auch selbst neugierig darauf, wie das nun wirklich sein würde, und vor allem neugierig auf die Nereiden, die da angeblich bedienten, oder Frauen, die so schön und rein und zart und anmutig waren und zudem so exzellent hergerichtet, dass Poseidon sie jederzeit in sein Reich mitnehmen würde, so hatte sein Bekannter es ihm erzählt. Und außerdem: die Sergia, verwandt mit dem Kaiser hin oder her – sie war heiß.
    Und so wartete Aquila also darauf, dass die Sänfte eintraf, die seine Verabredung herbringen sollte.

    Das Reich der Nereiden – nicht das tatsächliche, sondern jenes, das findige Geister in Rom hatten erstehen lassen – lag irgendwo ein Stück weit entfernt von den Trajansmärkte, in einer Seitengasse, durchaus so, dass man es finden konnte, wenn man denn wollte... aber dass es unwahrscheinlich wahr, durch puren Zufall darüber zu stolpern. Zumal es von außen eher unspektakulär, ja, geradezu unauffällig wirkte.
    Auch beim Eintreten offenbarte sich Besuchern noch nicht sofort, was es denn nun Besonderes gäbe, nur die Tatsache, dass ein bulliger Kerl hinter dem Eingang wartete und dafür sorgte, dass nicht etwa jeder Beliebige weiter kam, ließ darauf schließen, dass in den Tiefen des Gebäudes noch etwas warten musste, was nicht ganz so gewöhnlich war wie der äußere Anschein. Hatte man den Eintritt geschafft, offenbarte sich einem nur ein möglicher Weg: ein Gang, der nach kurzer Zeit zu einer Treppe nach unten führte – ganz offensichtlich musste es zu dem Haus noch einen zweiten Zugang geben, der zu den oberirdischen Räumen führte.
    Folgte man nun dieser Treppe und erreichte ihr Ende, befand man sich urplötzlich wie in einer anderen Welt. Auf einer Fläche, die eindeutig über die Grundfläche des darüber stehenden Hauses hinausging, breitete sich etwas aus, was einer Grotte ziemlich nahe kam. Verschiedene kleinere und größere Steinbecken waren im ganzen Raum verteilt, manche im Boden eingelassen, manche etwas erhöht, alle kunstvoll so in Gestein eingefasst, dass sie sich beinahe natürlich in den Raum einfügten. Alle waren sie mit Wasser gefüllt und geschickt mit Lichtquellen verschiedenster Art – flackernde Kerzen, beständig brennende Öllampen, dunkel glühende Kohlen oder hell lodernde Fackeln – ausgeleuchtet, und es gab sogar verschiedene Farbreflexe, überall dort, wo buntes Glas zum Einsatz kam. Größere und kleinere Steinbrocken, großzügig im Raum verteilt und angepasst an die Becken, verstärkten den Eindruck einer märchenhaften Grotte noch, und geschickt waren dabei die Fundamente des Gebäudes darüber eingebunden, die teilweise durchbrochen waren, so dass zahlreiche Nischen entstanden, kleinere und größere Bereiche, die teils ebenso wie die Becken kleine Höhenunterschiede im Boden aufwiesen. Verteilt darin waren Liegegruppen, manche mehr, manche weniger abgeschirmt, und durch dieses unterirdische Wasserreich liefen als Nereiden angetane junge Frauen umher, die den Gästen brachten, was diese wünschten.

    Aquila warf dem Tiberius einen leicht bedauernden Blick zu – wobei der allerdings nur gespielt war. Er selbst konnte sich nicht wirklich dazu durchringen, echtes Bedauern zu empfinden. Er opferte in regelmäßigen Abständen, tat das, was von einem Römer erwartet wurde, aber viel mehr konnte er dem Götterkult nicht wirklich abgewinnen, und er verstand nicht so ganz, was andere daran fanden. Da war es schon leichter, der Tiberia eine Antwort zu geben. „Wenn wir nicht gerade die kommende Amtszeit des Duccius planen, helf ich den Fischern“, sagte er locker dahin, und es klang wie selbstverständlich. Hätte er die Wahl gehabt, hätte er freilich nicht so viel gearbeitet... ein bisschen, das schon, irgendwann wurde einem sonst ja langweilig – das hieß, ihm jedenfalls, allzu lange brachte er es nicht fertig zu gammeln –, aber ein bisschen mehr Freizeit hätte er schon vertragen, so war es nicht. Aber nun ja: er hatte genau einen freien Tag gehabt, bevor der Duccius ihn dazu beordert hatte sich auf der Insel nützlich zu machen, wenn er ihn nicht brauchte, und diesen einen Tag hatte er größtenteils an dem größeren der beiden Strände zugebracht, kaum dass er den entdeckt hatte.


    Dass es der Tiberia offenbar etwas peinlich war, die Insel als klein bezeichnet zu haben, bekam Aquila gar nicht so wirklich mit – schon gar nicht, als sie ihn fleißig nannte und das löblich fand. Er grinste ein bisschen geschmeichelt, als er das Kompliment hörte, hatte aber keine Gelegenheit noch weiter darauf einzugehen, weil die Sprache auf seine Verwandten kam – was wohl auch gut so war, sonst hätte er es wohl etwas übertrieben mit der Darstellung seiner Arbeiten hier, nur um die Tiberia zu beeindrucken... „Offenbar sind wird das wohl. Wie seid ihr denn mit Calenas Mann verwandt? Wohnen sie in der Villa Tiberia?“ fragte er neugierig zurück und erwiderte das Lächeln der Tiberia offen – während er sich zugleich fragte, ob das tatsächlich seine Verwandten waren, von denen die zwei da sprachen. Und wenn ja, warum um alles in der Welt die beiden noch nicht bei ihrer Familie gewesen waren.
    Dann allerdings hatte er wieder Gelegenheit, unwillkürlich zu grinsen, ein wenig stolz und ziemlich verschmitzt. „Ja, man muss schon zusehen, wie man sich mit solchen Namen in der Familie behauptet... Spaß beiseite, mein Großvater ist der Grund, warum ich hier bin. Er hat mich auch aufgezogen, an meinen Vater kann ich mich gar nicht mehr erinnern.“ Er zuckte leicht die Achseln. „Und er hat mir immer von der Zeit erzählt, in der er Rom gedient hat... ich freu mich drauf, ihm das endlich gleich tun zu können.“

    Aquila bemühte sich, sein Gesicht möglichst neutral zu halten, als der Tiberier davon sprach, wie natürlich es doch war für ihn als Patrizier, den Cursus honorum zu beschreiten, selbstverständlich, quasi von den Schicksalsgöttinnen so festgelegt. So furchtbar tragisch, dass er in den vergangenen Jahren an seiner natur- und göttergegebenen Bestimmung gehindert worden war. Manchmal... naja, manchmal fand Aquila diese Patrizier schon etwas arg abgehoben. Als der Tiberius die Frage dann an ihn zurückgab, und das mit einem Seitenhieb, der es in sich hatte – wie er fand –, zuckte Aquila aber nur leicht die Schultern und versuchte sich an einem Politikerlächeln, wie er es in der bisher noch etwas kurzen Zeit als Tiro des Duccius bereits dennoch ein paar Mal bei diesem hatte beobachten können. Was blieb ihm auch anderes übrig? Eine bessere Reaktion auf die Anspielungen bezüglich seiner Familie und der Rolle, die sie im Bürgerkrieg gespielt hatte, war ihm bis jetzt zumindest noch nicht eingefallen. „Es ist noch ein bisschen früh, sich über die kommenden Wahlen Gedanken zu machen, finde ich. Natürlich will ich in die Fußstapfen meines Großvaters treten, aber ob ich das nun bei den nächsten Wahlen in Angriff nehm oder bei einer der darauffolgenden... das entscheide ich, wenn es so weit ist. Erst mal ist mein Tirocinium dran“, antwortete er ein bisschen salopp, was die Wirkung des Politikerlächelns möglicherweise etwas konterkarierte. Genauso wie etwas zu lockere Bewegung, mit der Aquila sich nun ein paar Oliven in den Mund warf.


    Der Duccius indes hatte begonnen, sich mit der Tiberia zu unterhalten, und als Aquila hörte wie sein Name in einem etwas... naja, unschönen Zusammenhang fiel. Oder zumindest glaubte er das, weil er die Hälfte nicht mitbekommen hatte. „Ich und weben?“ lachte er leise auf. „Und da hätte ich eher gedacht, dass du dir mich beim Weben überhaupt nicht vorstellen kann. Spätestens nach der Rettung deines Schals müsste doch klar sein, dass meine Talente woanders liegen.“

    Auch Aquila hatte sich, wie alle anderen gewählten Magistrate, zur Ernennung eingefunden und sprach den Eid, der von ihm verlangt wurde:


    „Ego, Marcus Decimus Aquila hac re ipsa decus Imperii Romani me defensurum, et semper pro populi senatuque imperatoreque Imperii Romani acturum esse sollemniter iuro.


    Ego, Marcus Decimus Aquila officio Tresviri capitales Imperii Romani accepto, deos deasque imperatoremque Romae in omnibus meae vitae publicae temporibus me culturum, et virtutes romanas publica privataque vita me presecuturum esse iuro.


    Ego, Marcus Decimus Aquila Religoni Romanae me fauturum et eam defensurum, et numquam contra eius statum publicum me acturum esse, ne quid detrimenti capiat iuro.


    Ego, Marcus Decimus Aquila officiis muneris Tresviri capitales me quam optime functurum esse praeterea iuro.


    Meo civis Imperii Romani honore, coram deis deabusque Populi Romani, et voluntate favoreque eorum, ego munus Tresviri capitales una cum iuribus, privilegiis, muneribus et officiis comitantibus accipio.“

    „Eh“, machte Aquila, den die Nachfrage zwar nicht gänzlich unvorbereitet traf, aber doch zumindest ein bisschen. Immerhin war es sonst immer der Duccius gewesen, der über dieses Projekt gesprochen hatte, kein Wunder, es war ja auch seins. Mit einem Räuspern versuchte er sich ein bisschen Zeit zu verschaffen und begann dann etwas zögernd, weil er nichts Falsches sagen wollte. „Nun, wir... dachten daran, dass auch die Academia Militaris in ihrer jetzigen Form aufgelöst werden könnte. Ähnlich wie bei der Reform der Schola soll dadurch der private Bildungsbereich gestärkt werden, und gleichzeitig hoffentlich finanzielle Mittel für den Staat frei werden. Und die Archive, Bücher und Materialbestände könnten in die Bibliothek der Schola eingegliedert werden, die ja erhalten bleiben soll... so gäbe es ein weiteres Gebäude weniger, das unterhalten werden müsste. Ob das tatsächlich so machbar wäre, müsstest natürlich du beurteilen. Bei den Planungen zur Schola hatte der Aedil auch mit meiner Tante, der Rectrix der Schola, gesprochen.“

    „Werd ich machen“, versprach Aquila. Eine Einladung würde sein Onkel als Sodalis sowieso erhalten, aber es war selbstverständlich, dass er ihn auch so informierte, wenn sich irgendwas tat. „Nein, ich hab sonst nichts mehr.“ Aquila begriff die Frage durchaus als Wink, dass das Gespräch damit mehr oder weniger beendet war, wartete aber dennoch, dass sein Onkel es beendete, wie es sich gehörte. „Kann ich dir noch irgendwie behilflich sein?“

    Die Insel. Dieses wirklich hübsche Kleinod im thyrrenischen Meer. Aquilas Augen bekamen einen leicht sehnsüchtigen Ausdruck, als er an die Tage dachte, die er vor knapp einem Jahr auf Dianium verbracht hatte. „Irgendwann mal hol ich mir auch so ne Insel...“ murmelte er und grinste dann flüchtig, während ein Sklave nun kam und beiden schon mal Getränke anbot – darunter auch Met und Bier, worauf Aquila bestanden hatte, der inzwischen ziemlich gut über die Vorlieben des Aedils Bescheid wusste. „Was Grundbesitz angeht, könntest du vielleicht mal meinen Onkel fragen. So weit ich weiß, müsste er aus seiner Zeit in Germanien dort etwas Land besitzen.“ Aquila selbst ließ sich eine Weinschorle einschenken. „Hast du schon jemanden im Blick, also, eine Frau?“

    Celeste sah genervt aus, und kurzzeitig sogar etwas wütend. Wobei Aquila nicht wirklich begriff, warum, und offen gestanden auch nicht so ganz einsah, was er denn nun falsch gemacht haben sollte. Er hatte noch nicht mit vielen Frauen zu tun gehabt in seinem Leben, nicht solchen, die ihm ebenbürtig wären, die ihm einen Umgang auf Augenhöhe hätten lehren können. Sein Großvater hatte nach dem Tod seiner Frau nicht mehr geheiratet, sein Onkel, der die letzten Jahre in Tarraco verbracht hatte, war ebenfalls unverheiratet gewesen, und so sehr Aquila seine Mutter liebte, aber sie war eine stille, zurückhaltende Frau, die sich schon immer hatte sagen lassen was zu tun war. Weswegen Aquilas Weltbild in Bezug auf Frauen recht simpel war, und ziemlich geprägt von einem ordentlichen Selbstbewusstsein.


    Was er Falsches gesagt haben sollte, sah er auch dann noch nicht wirklich ein, als Celeste es ihm erklärte... ganz im Gegenteil. Sagte sie ihm da etwa gerade wirklich, dass er Schuld daran war, wenn eine Frau über ihr Alter log, nur weil er sie danach gefragt hatte? Inwiefern bitteschön zwang er denn jemanden zu lügen, wenn er nur eine simple Frage stellte? War doch das Problem der Weiber, wenn sie nicht die Wahrheit sagen wollten.
    Aber er war immerhin klug genug um zu wissen, dass es wohl besser war die Klappe zu halten zu diesem Thema. Schon allein weil bei Celestes Reaktion deutlich wurde, dass es irgendwie doch sein Problem war, wenn frau dann so zimperlich reagierte. Auch wenn, das wollte ein Teil von ihm doch irgendwie betonen – und zwar nur zu gerne laut, eigentlich, worauf er aber verzichtete –, auch wenn Celeste eine Frau war und seine Scriba von jetzt an und auch wenn das doch hieß, oder heißen sollte, dass er das Sagen hatte.
    Eigentlich. Faktisch schwante Aquila in diesem Moment, und auch in denen die folgten, in denen Celeste erklärte was es mit ihrer zusätzlichen Funktion als offenkundiger Wachhund auf sich hatte, dass es wohl nicht ganz so einfach werden würde. Wohl gar nicht, nicht wenn sie ein Auge darauf haben sollte, dass er nichts Dummes anstellte. Er bekam das noch nicht so ganz in Einklang mit seinem Bild über Frauen, aber dass seine Tante Seiana sich erst um sein Tirocinium und jetzt um die Scriba gekümmert hatte, bekam er auch nicht so ganz in Einklang... und konnte trotzdem ganz gut damit leben, indem er einfach nicht weiter darüber nachdachte.


    „In Ordnung“, brummte er. „Nicht nach dem Alter fragen. Alles klar.“ Er räusperte sich, sich nicht so ganz im Klaren darüber, was er jetzt davon halten sollte, dass er einfach so nachgab, aber nach einem Moment des Schweigens nahm er recht unbekümmert den Faden einfach wieder auf: „Also. Du und ich.“ Sie war doch um ein paar Jahre älter als er, und ältere Frauen hatten ja schon mehr Erfahrung, kam es ihm plötzlich und ziemlich unerwartet in den Sinn. Aquila grinste verschmitzt bei dem Gedanken. War vielleicht gar nicht so schlecht, sich einsichtig zu zeigen und damit Punkte bei ihr gut zu machen. „Wie viel Zeit hast du denn? Oder bist du dann den ganzen Tag bei mir? Falls ich gewählt werde, müsste ich dann auch erst mal abwarten welches Amt ich bekomm, bevor ich weiß was ich da genau zu tun hab. Und wo ich dich brauchen könnt.“

    Aquila fand ja, dass ein noch jüngerer Fahrer durchaus auch etwas hätte, aber er wollte dem Tiberius nun nicht widersprechen, nicht vor den Vermittlern der Aurigae. Hätte eher einen schlechten Eindruck gemacht, wenn sie sich selbst uneins waren.
    Bei den Worten des Vermittlers sah Aquila kurz zur Rennbahn hinüber... hatte der Tiberius vorhin nicht noch gemeint, der mit dem Ziegenbart sei Tanco? Aber dann hatte er sich vermutlich geirrt. „Ja, von dem hört man auch in Rom schon ein bisschen was... Wo ist er denn schon überall Rennen gefahren und wie viele? Und wann soll er heute kommen? Ich würd ihn gern selbst mal fahren sehen“, meinte Aquila. Auch wenn der Name ihm was sagte, aber sehen wollte er ihn trotzdem.