Beiträge von Marcus Decimus Aquila

    Für Momente wurde Aquilas Grinsen doch wieder breiter, bevor er sich wieder zusammenriss. Seinetwegen hätte das mit dem Lob für ihn ruhig so weiter gehen können... aber das Thema, das dann angesprochen wurde, war freilich interessanter. Dass es nur Patrizier gewesen waren, die ihn sich im Senat vorgeknöpft hatten, und dass das auch bei seinem Onkel zumindest zu einem großen Teil zutraf, war Aquila natürlich ebenso wenig entgangen wie anderen. Dass der Duccius besagte Patrizier dabei allerdings als Überbleibsel einer sterbenden Zeit betitelte, gefiel ihm. Diese Einschätzung hieß vor allem: er musste sich nicht allzu viele Gedanken darüber machen, was im Senat passiert war, weil es sich letztlich nur um ein paar Quertreiber handelte, die vielleicht früher mal von Bedeutung gewesen waren, aber zunehmend in der Versenkung verschwanden und bald nur noch davon würden träumen können, derart gehört zu werden. Livianus dagegen dämpfte diese Vorstellung wieder etwas. „Wär aber nicht klug, wenn der Kaiser die Patrizier bevorzugt, nur weil sie Patrizier sind. Genau deswegen hatte Vescularius doch so viele Anhänger. Oder nicht?“ fragte er den Duccius.


    Was er während der Unterhaltung so ziemlich vergaß, war seine Rolle als Gastgeber, die er zum ersten Mal innehatte. Er bemerkte auch nicht, wie sein Onkel kurz nach dem Essen Ausschau hielt. Das fiel den anwesenden Sklaven auf, die allerdings eigentlich die Order hatten, auf ein Zeichen Aquilas zu warten... das nicht kam. Weshalb einer von ihnen nun vortrat, sich räusperte und Aquila gewandt leise kundtat: „Das Essen wäre vorbereitet, Dominus. Soll nun aufgetragen werden?“
    „Eh, wie?“ machte der wiederum etwas verwirrt, weil überhaupt nicht daran gewohnt, dass er auf einmal derjenige war, der für so was zuständig war. Im nächsten Moment allerdings fiel der Sesterz, und mit einem raschen Nicken meinte er: „Ja, sicher.“ Woraufhin die Sklaven begannen, die Vorspeisen aufzutragen, und Aquila in einem unbeobachteten Moment mit seinen Lippen noch ein lautloses danke formte in Richtung des Sklaven, der ihn aufmerksam gemacht hatte.

    Aquila nickte leicht. Und weil die letzten Worte des Vinicius nur eine Wiederholung seiner vorigen Worte gewesen waren, ohne noch eine Frage hinterher, und sein Tonfall auch eine irgendwie abschließende Färbung hatte, beschloss er, das jetzt als Ende des Gesprächs aufzufassen. „Noch mal danke. Auch dafür, dass du dir Zeit für mich genommen hast, Consular. Vale bene“, verabschiedete er sich.

    „Also...“ begann Aquila laut zu überlegen, „... dass die Kandidaten sich das Wissen selbst aneignen, sollte ja nicht so das Problem sein. Sind ja im Prinzip alle entweder aus dem militärischen Bereich, oder stammen aus gehobenen Familien.“ Die dann sicher stellten, dass der Nachwuchs die nötige Ausbildung bekam für den jeweiligen angedachten Karriereweg – wie bei ihm ja auch. „Und der Nachweis... könnte damit nicht die jeweilige Einheit vor Ort betraut werden? Wenn es in den Provinzen faktisch sowieso schon so läuft, dass sich jemand in der Legion um die Abnahme der Prüfung kümmert und die Academia nur die Bestätigung bekommt, würde das nicht einmal einen großen Unterschied für die Beteiligten machen. Ob sie das nun an die Academia schicken oder an die Kanzlei, ist ja egal... Nur hier in Rom würde sich dann wirklich was ändern, wenn es in Zukunft zum Beispiel über die Urbaner läuft.“

    Für Momente war Aquila sich dann doch unsicher, ob er hier richtig war – aber dann konnte er sehen, wie sich Erkennen auf der Miene seines Gegenübers zeigte. Und obwohl er nicht so wirklich damit einverstanden war, dass sie sein Gesicht in ihre Hände nahm als wäre er noch ein Kind – er war ja keine zehn mehr! –, freute er sich zu sehr, um sich darüber wirklich aufzuregen, und wenn es nur innerlich war. Den Teil hatte seiner Familie hatte er ewig nicht mehr gesehen, umso schöner war es, dass es tatsächlich stimmte: dass sie wirklich nach Rom gekommen waren. Und umso unverständlicher, fand er, dass sie hier in dieser Absteige wohnten, anstatt zu ihrer Familie zu kommen.
    „Jede Menge, wie man sieht“, grinste er zurück, und jetzt, wo ein für alle Mal geklärt war, dass sie wirklich Calena war, umarmte er sie kurzerhand. Was neben dem Ausdrücken familiärer Verbundenheit gleichzeitig den Vorteil hatte, dass sie ihre Hände von seinem Gesicht lösen musste und er sich nicht mehr so vorkam wie ein, naja, ein kleines Kind eben. „Was macht ihr hier in Rom? Und warum lebt ihr hier?“ platzte er dann heraus.

    Aquilas Grinsen wurde immer breiter, als die Sergia anfing sich zu beschweren, aber er reagierte immer noch nicht darauf, führte sie nur mit sanftem Druck weiter nach unten. Und genoss dann ihre Reaktion. In vollen Zügen. Tatsache, da hatte er sie endlich mal zum Schweigen gebracht... nicht nur das, sie schien regelrecht sprachlos zu sein. Während sie sich umsah, beobachtete er stattdessen sie – er hatte das hier unten ja schon gesehen, wobei er zugegeben musste, dass er immer noch beeindruckt war, und ja, er hatte den Laden selbst unbedingt ausprobieren wollen... er gab nicht nur deshalb so viel aus, um die Sergia auszuführen und dabei möglichst zu beeindrucken, er wollte den Abend schon auch genießen. Allein ihre Reaktion war aber schon mindestens die Hälfte des Preises hier wert. Sogar ihr Mund stand für Augenblicke offen, als sie sich ihm zuwandte, ohne – man betone hier noch mal extra: OHNE – dass irgendwelche Worte heraus gekommen wären. Jetzt musste Aquila lachen, amüsiert und sichtlich erfreut, dass der Ort einen solchen Eindruck hinterließ. „Ich hätte ja ehrlich gesagt nicht gedacht, dass dich irgendwas sprachlos machen kann“, neckte er sie, während nun eine der Nereiden auf sie zukam – nur knapp bekleidet, um die Hüften ein schimmerndes Tuch in weichen Blau- und Grüntönen, der Oberkörper frei bis um ein kunstvolles Band aus demselben Stoff, der sich um ihre Brüste wand. Kleinere Muscheln im offenen Haar vollendeten den Anblick. „Willkommen im Reich der Nereiden“, wurden sie mit einem Lächeln begrüßt, und es folgte eine leicht auffordernde Geste, der jungen Frau zu folgen. Während sie begann sich leichtfüßig zu entfernen, dabei jedoch immer wieder um sicher zu gehen, ob sie ihr folgten, wandte Aquila sich wieder an seine Begleitung und wiederholte, was er schon auf der Straße gesagt hatte: „Wollen wir?“

    Lange warten musste er nicht, bis sich die Tür öffnete, und als sie es tat, versuchte Aquila erst mal sich daran zu erinnern, ob er die Frau kannte. Doch. Bekannt kam sie ihm auf jeden Fall vor, die Gesichtszüge auf jeden Fall... aber sie selbst? „... Calena?“ fragte er etwas zögernd. Vom Alter her müsste sie eigentlich Calena sein. Aquilas Problem war nur, dass er noch ziemlich klein gewesen war, als dieser Teil seiner Familie damals Hispania verlassen hatte, Calena, ihr deutlich älterer Bruder, und dessen Tochter Flaminina. Er kratzte sich kurz am Kopf. „Entschuldige“, beeilte er sich dann noch hinzuzufügen, als ihm aufging, dass sie wohl noch perplexer sein musste als er. „Ich bin Marcus Aquila.“ Doch. Das musste sie einfach sein, beschloss er. Er grinste etwas schief. „Dein Großcousin.“

    Der Mann war... gelinde gesagt: beeindruckend. Ohne eine Ahnung zu haben, worum es hier ging, hatte Aquila doch das Gefühl, dass ihr Gegenüber von der Sorte war, die man lieber nicht als Gegner haben wollte. Und wie sich das Gespräch entwickelte... Das hieß, es musste sich gar nicht entwickeln, der erste Schlag kam gleich ziemlich am Anfang. Decima, sagte der Aedil, und Aquilas Gesichtszüge entgleisten für einen Moment. Wie, was, welche Decima hatte was mit einem Kerl wie dem da zu tun? Und warum? Seine Neugier wuchs genauso wie sein Unwohlsein, und je mehr er hörte, desto weniger wusste er, ob er seinen Ohren trauen sollte, oder ob er da wirklich hörte, was er zu hören glaubte. Er versuchte einen neutralen, unschuldigen Gesichtsausdruck aufzusetzen, als die Sprache zwischendurch auf ihn kam, fühlte sich aber effektiv daran gehindert, als er gemustert wurde von diesem Corvus, auf eine Art, die ihm klar machte wie sich wohl ein Kaninchen vor der Schlange fühlen musste. Der Blick des Duccius, der darauf folgte, war auch nicht sonderlich schön zu sehen, wenn auch nicht so unangenehm wie der andere, und weil er so gar nicht wusste, wie er reagieren sollte, setzte er einfach ein ziemlich unpassendes Lächeln auf... das ihm gleich darauf schon wieder verging. Hörte er da Sorge in der Stimme seines Senators, der plötzlich seine Eloquenz verloren zu haben schien und ein wenig stammelnd erklärte, was Aquila hier machte?
    Und dann fiel das Wort, das ihm schon im Kopf herumgespukt war, ohne dass er es hätte bewusst denken wollen: Meuchelmörder. Was Aquila in einen Zustand versetzte, den er selbst nicht so genau beschreiben konnte: Unwohlsein, wie schon die ganze Zeit, nach wie vor Neugier, ein wenig Unglauben, eine ordentliche Portion morbider Art von Faszination, und etwas, das Angst ziemlich nahe kam. Verdächtig nahe. In jedem Fall spürte Aquila sein Herz weit stärker klopfen als normal war. Weil er plötzlich nicht wusste wohin mit seinen Händen, verschränkte er die Arme einfach, während er sich einredete ruhig zu bleiben, es lautlos wiederholte, immer wieder, und zugleich versuchte weiter zuzuhören. Er linste auf das Stück Leder in dem Versuch, den Namen zu erkennen, war aber erfolglos – zu weit weg, und Corvus zu schnell dabei es aufzuheben. Und ein Mord sollte das offenbar ohnehin nicht werden. Im Gegensatz zu dem nächsten... da sagte der Duccius den Namen sogar laut. Und Aquila machte unwillkürlich ein erschrockenes Geräusch, das er noch währenddessen versuchte zu unterdrücken, so dass das, was zu hören war, halb wie ein Prusten, halb wie ein Husten klang.

    Als das Gespräch auf den Kaiser kam, horchte Aquila interessiert auf. Die Auswirkungen des Bürgerkriegs waren noch zu spüren, fand er, was kein Wunder war. Genauso wenig war es verwunderlich, dass manches immer noch etwas... naja, unsicher schien, gerade in Bezug auf den Kaiser. Mal abgesehen von seinem Einzug in Rom war der Mann, zumindest so weit es Aquila mitbekommen hatte, bislang noch kaum in Erscheinung getreten.
    Wie zu erwarten war, antwortete der alte Aelier pro Palma – aber wie er das formulierte, klang in Aquilas Ohren nicht ganz so überzeugt. Immerhin, und müssen wir wohl waren nicht die Worte, die er gewählt hätte, wollte er zeigen dass er voll und ganz hinter dem neuen Kaiser stand... aber bevor sich daraus nun eine wirklich interessante Unterhaltung hätte entspinnen können, schloss sein Onkel das Thema, und Aquila ließ sich nicht lange bitten, als Livianus auf das Essen hinwies, sondern fing nun richtig damit an.

    „Das kommt daher, dass es heute einfach nichts gibt, woran ich etwas aussetzen könnte“, konnte Aquila sich eine Retourkutsche nicht verkneifen – was hatte das Weib nur davon, ihn ständig zu provozieren? Andererseits: genau das war es ja, teilweise wenigstens, was sie so interessant machte, und so begleitete ein gewinnendes Lächeln seine Worte, und sein Tonfall war nach wie vor schmeichelnd. Gleich darauf floss allerdings echter Stolz in Mimik und Stimme. „Danke. Bestes Wahlergebnis, das... hätte ich offen gestanden nicht erwartet“, gab er ehrlich zu, beschloss allerdings, ihr besser nicht Recht zu geben, was den zweiten Teil anging. Wenn dann nur durch die Blume. Keine Frau hörte wohl gerne, dass es sich ausgezahlt hatte, sie warten zu lassen – selbst wenn sie es gewesen war, die das überhaupt erst zur Sprache gebracht hatte. „Aber ein Treffen mit dir aufzurechnen gegen den Wahlkampf... das würde weder dir noch der Wahl gerecht werden. Ich meine, beides verdient vollen Einsatz. Der Senat hätte nur einer Verschiebung der Wahlen kaum zugestimmt, damit ich mich zuerst dir hätte widmen können.“ Womit er faktisch zugab, dass es sich definitiv gelohnt hatte, sie warten zu lassen – aber so verpackt, dass sie das hoffentlich als Kompliment verstand. Was es ja im Grunde auch war.


    Darauf, dass sie gespannt war, erwiderte Aquila nichts – er grinste nur, wissend und ein bisschen neckend. Er wusste, wie die Fassade, die ganze Gasse wirkte, er war ja selbst ziemlich zweifelnd gewesen, als er das erste Mal hierher gekommen war. Ohne ein Wort zu sagen, führte er die Sergia zu dem Eingang, hielt ihr die Tür auf und schenkte dem Schrank von Ianitor dahinter nur einen flüchtigen Blick – er hatte ja vorher schon alles geklärt gehabt, und hatte wohlweislich vor Ankunft der Sergia noch mal kurz Rücksprache gehalten, damit es nicht am Ende noch ein peinliches Missverständnis gab –, der ebenso wortlos nickte und ihnen Platz machte. Vorbei an dem Kerl, den Gang entlang bis zu der Treppe ging es, die Aquila mit der Sergia hinunter ging... um dann, als sie durch den Durchgang traten und sich ihren Augen offenbarte, was sich hier unten verbarg, erst mal einen Moment innezuhalten und gespannt die Reaktion der Dame neben ihm abzuwarten.

    Nachdem Aquila gehört hatte, dass einige seiner nächsten Verwandten in Rom waren, hatte er zunächst noch ein bisschen gewartet, ob diese auch den Decimi einen Besuch abstatten würden... was allerdings nicht geschah. Also beschloss er irgendwann, selbst vorbeizuschauen. Eine Insula. Trans tiberim. Nachdem er sie gefunden hatte, betrat er diese und klopfte an die Tür jener Wohnung, die ihm beschrieben worden war.

    Nicht sonderlich eng verwandt also. Nicht mal in der tiberischen Villa wohnten sie also, da musste die Verwandtschaft offenbar ziemlich weit – bitte was? Aquila starrte den Tiberius an, als der zu Ende sprach. „Eine Insula? Trans tiberim?“ Seine engsten Verwandten, die Nichte und Großnichte des decimischen Triumphators, lebten irgendwo in Rom in einer Insula? Das durfte ja wohl nicht wahr sein. Und weite Verwandtschaft hin oder her: wenn sie gemeinsame Ahnen hatten, zu denen sie alle opferten, warum um alles in der Welt hatten die Tiberii nicht angeboten, dass Verus und seine Familie bei ihnen leben konnten? Umso mehr, da es ja ganz offensichtlich nicht dessen Schuld war, dass es so weit gekommen war? Die hatten eine Villa, bei allen Göttern, und an Geld mangelte es ihnen ja auch nicht, so wie der Tiberius sich gab!
    In diesem Moment fand Aquila den Tiberius und dessen kaltschnäuzige Art reichlich unsympathisch, und er ertappte sich bei dem Gedanken, dass es eigentlich ganz gut gewesen war von Vescularius zu versuchen, die Patrizier ein bisschen in ihre Schranken zu weisen. Allerdings war Aquila sich nur zu bewusst, dass die beiden Tiberier Gäste waren, und noch dazu nicht die seinen, sondern die seines Senators. Also hieß es: sich zusammenreißen. Entsprechend zwang er ein Lächeln auf seine Lippen. „Wo genau wohnen sie denn?“ Wenn die Tiberier sich zu fein dafür waren, einem der Ihren eine standesgemäße Unterkunft zu bieten: die Decimi waren es ganz sicher nicht. „Hier müssen wir übrigens ins Innere der Insel... damit wir auf die andere Seite kommen, dorthin wo es zum offenen Meer geht. Früher mal war die Insel ein Rückzugsort für Piraten, müsst ihr wissen“, begann Aquila nun ein wenig zu erzählen.

    „Consular Spurius Purgitius Macer“, beantwortete Aquila die Frage, und versuchte nicht, nein, gar nicht daran zu denken ob und wenn ja was sein Angebot wohl bewirkt haben mochte. Nicht daran denken. Auch nicht daran, dass der Vinicius kein Wort dazu gesagt hatte, nicht ob er es anzunehmen gedachte, kein Wort des – wenn auch sicher oberflächlich-höflichen – Dankes, noch nicht einmal etwas, womit er gezeigt hätte dass er das Angebot überhaupt gehört und begriffen hatte. Das... das hatte er doch, oder? Gehört? Begriffen? Flüchtig warf Aquila dem Consular einen leicht zweifelnden Blick zu und versuchte einzuschätzen, wie alt der alte Mann vor ihm wirklich war, musste allerdings feststellen, dass ihm – der noch jung genug war, dass er 30jährige schon für ziemlich alt hielt – das eher schwer fiel. Sollte er vielleicht... Nein, beantwortete er sich so lautlos wie kategorisch die Frage selbst, noch bevor sie sich in seinen Gedanken wirklich hätte ausformulieren können. Nicht daran denken. Schon gar nicht daran, nachzufragen. Stattdessen lieferte er lieber noch ein paar Informationen zu seinem Klientelverhältnis mit dem Purgitier nach, um abzulenken – nur für den Fall, dass sein Gesichtsausdruck womöglich zu viel verraten hatte. „Ist noch ziemlich frisch, ich war erst vor kurzem bei ihm, um ihn zu fragen.“

    Aquila zuckte deutlich zusammen, als Celeste irgendetwas in seine Seite stach. „He, was...“ kam über seine Lippen, während sein Körper unwillkürlich in eine angespannte – und aufrechte – Position schnellte. „Gönn mir doch den Moment“, grinste er flüchtig, als er ihr Kichern hörte, verzichtete aber wohlweislich darauf, sich wieder in den Stuhl zu fläzen. Machte sich vermutlich auch nicht gut, wenn einer seiner Kollegen reinkommen würde. Oder ein Bürger, der irgendwas... irgendwen denunzieren wollte. „Eh, ja. Alles was noch offen ist aus der vorigen Amtszeit. Mit meinen Kollegen muss ich noch absprechen, was für ne Aufteilung wir machen, ob wir einfach die von unseren Vorgängern übernehmen oder ob einer von denen was anderes will... von einem hab ich schon gehört, dass sein Verwandter gerade zum Praetor gewählt wurde und der gerne hauptsächlich dem zuarbeiten würde. Aber ne Auflistung der offenen Sachen brauchen wir eh. Und wann die jeweils letzten Inspektionen waren... ach was, nicht nur wann, einfach den kompletten Bericht rausziehen.“ Dann konnte er nicht nur sagen, was als erstes wieder anstand, sondern auch was beim letzten Mal beanstandet worden war und worauf er zu achten hatte. Aquila sprang vom Stuhl hoch und ging zu dem Regal, wo die vermutlich – hoffentlich – jüngsten Fälle der vergangenen Amtszeit gelagert waren. „Und ich les mich erst mal allgemein ein...“ brummte er, offenkundig wenig begeistert davon.

    Unwillkürlich schossen Aquila Bilder durch den Kopf, Bilder, wie Celeste ihm entgegen segelte, wie er sie auffing, oder wahlweise zwar hinfiel, aber logischerweise mit ihr, auf ihm, in seinen Armen. Möglichst eng an ihn gepresst. Das versuchen? „Na sicher, auf jeden Fall!“ Jetzt ging Aquilas Grinsen quasi von Ohr zu Ohr. Natürlich hatte er sich eigentlich nicht vorgestellt, dass Celeste sich auf ihn stürzte... aber wenn sie das so offenkundig anbot – wer war er, dass er dazu nein sagte? „Keine Sorge, ich fang dich dann schon auf.“


    Zur Wahlwerbung deutete Aquila ein leichtes Achselzucken an. „Muss nicht allzu gut sein, Hauptsache wir bleiben im Gespräch“, erwiderte er und griff sich dann eine der Tafeln, eine leere, die sie mitgebracht hatte. „Ich darf doch?“ fragte er der Höflichkeit halber, aber ohne es tatsächlich zu meinen, weil er sie ja schon gegriffen hatte und bereits im Begriff darauf zu kritzeln, wo sie wohnte. „In Ordnung. Dann sehen wir uns spätestens nach der Wahl.“ Wenn er die verlor, würde er sich überlegen müssen, was er machte... Hm. Vielleicht sollte er sich das vorher schon überlegen. In jedem Fall würde er Celestes Dienste dann wohl nicht so gut gebrauchen können. Aber das war etwas, worüber er sich dann immer noch Gedanken machen konnte, beschloss er, während er seine Scriba – seine Scriba! – verabschiedete. „Vale bene.“

    Schweigen war erst mal alles, was ihm begegnete, und Aquila spürte, wie seine unterschwellige Nervosität noch ein bisschen anstieg. Und die Antwort, die er dann bekam, war zwar immerhin kein hochkantiger Rauswurf... aber auch nicht unbedingt dazu angetan, ihn zu beruhigen. Irgendwie hatte er das vage Gefühl, sich nicht allzu gut geschlagen zu haben bei dem Consular. Andererseits: wenn er bedachte wie die Fronten im Bürgerkrieg verlaufen waren zwischen den Vinicii und dem Teil seiner Familie, der hier in Rom tatsächlich politisch und gesellschaftlich aktiv gewesen war... naja, vielleicht war ein drüber nachdenken das Beste, was er hatte erwarten können, selbst mit Großtante als Klientin des Consulars und einer Empfehlung eines anderen Klienten. „Danke, Consular Vinicius“, erwiderte Aquila und setzte nach einem kurzen Zögern noch hinzu: „Wenn du in Zukunft Unterstützung brauchst, bin ich dir gerne behilflich, so weit mir das möglich ist. Ich habe zwar einen Patron, aber so lang es mit meinen Pflichten nicht kollidiert, wäre es mir eine Freude, den Patron meiner Großtante zu unterstützen.“ Zum einen war sich Aquila sehr sicher, dass seine Großtante genau das von ihm erwarten würde... und zum anderen hoffte er natürlich, mit diesem Angebot wenigstens noch ein bisschen was reißen zu können, einen, nun ja, positiven Einfluss auf das Nachdenken zu nehmen.

    Also hieß es auf Tanco warten. Die Unterhändler blieben freilich in der Nähe, während der Tiberier und Aquila das Warten damit verbrachten, den Fahrern zuzusehen. Was zumindest für Aquila tatsächlich ein angenehmer Zeitvertreib war. Seine Augen klebten förmlich am Geschehen auf der Bahn, und ohne groß darauf zu achten, ob der Tiberius sich überhaupt wirklich dafür interessierte, begann er munter drauflos zu fachsimpeln. „Ich weiß nicht, ob Braecus wirklich was ist. Viel zu harte Hand, siehst du wie er seine Schwarzen gängelt in der Kurve? Der holt das in der Geraden wieder auf, weil er nen gutes Gespann hat, aber in einem Toprennen haben die anderen auch gute Pferde.“

    Es dauerte nicht allzu lang, bis der Kampf eröffnet war, aber im Gegensatz zu der Tänzelei von gerade eben beschloss Tigranes, nun erst mal einfach stehen zu bleiben, als er sah, dass die Rübe schon los stampfte. Erst als sein Gegner nah genug war und begann den Hammer zu schwingen, wich Tigranes mit ein paar schnellen Schritten zur Seite aus. Mit einem einzigen ordentlichen Treffer könnte ihn der Hammer im wahrsten Sinne des Wortes zu Brei schlagen... und Brocculus schien weniger Mühe mit dem Gewicht zu haben, als Tigranes vor dem Kampf gehofft hatte. So gerüstet wie der andere war, gab es wenig Möglichkeit einen eigenen Treffer zu landen, ohne sich in Gefahr zu bringen, weshalb eigentlich müde machen seine bevorzugte Taktik hieß – nur: bei dem Kerl konnte müde machen dauern, länger als ihm und vermutlich auch dem Publikum lieb war. Und Tigranes war jung. Er hatte nicht vor, sein Leben lang in zweitklassigen Arenen anzutreten. Er wollte bei wirklich großen Spielen kämpfen, und um das zu erreichen, musste dem Publikum was geboten werden. Er war sich nur nicht ganz schlüssig – und auch hier zeigte sich seine Jugend –, wie er das nun anstellen sollte mit einem Gegner wie diesem. Gewinnen wollte er ja schließlich auch. Er machte ein paar weitere schnelle Schritte, die ihn näher an seinen Gegner heran brachten, und ließ eine Klinge vorschnellen, die aber nur klirrend irgendwo an dem Eisen abglitt, bevor er sich wieder außer Reichweite des Hammers zu bringen versuchte.


    ~~~


    Aquila warf dem Duccius einen kurzen Seitenblick zu, als der etwas verwirrt nachfragte, aber eine Erklärung war dann doch nicht nötig. „Was soll man auch sonst großartig mit nem Hammer anstellen“, murmelte Aquila. So beeindruckend Brocculus war, was er da alles zu schleppen imstande war ohne dass es ihn einzuschränken zu schien... Aquila fand dann doch mehr Gefallen an Schwertern.

    Aquila war fassungslos. Im positivsten Sinne: fassungslos. Es war der Abend der Wahl, und als er das Ergebnis gehört hatte, hatte er geschwankt zwischen einfach Umkippen, und Freudensprüngen, die ihn mindestens bis nach Ostia gebracht hätten. Hin und her gerissen zwischen diesen beiden Gegensätzen hatte er dann erst mal gar nichts gemacht, als er das Ergebnis gehört hatte, sondern war einfach nur fassungslos da gestanden, und das war ein Zustand, der ihn auch jetzt noch, nur wenige Stunden später, im Griff hatte. Freilich hatte sich mittlerweile ein Grinsen dazu gesellt, das sich so sehr festgekleistert hatte, dass es schon herunter geprügelt hätte werden müssen, und eine ausnehmend gute Laune. Und die Lust zu feiern. Er hatte sich mit ein paar Bekanntenschrägstrichfreunden in der Taverna apicia verabredet, und gerade, als er sich auf den Weg hatte machen wollen von der Casa Decima aus, in die er einen kurzen Abstecher gemacht hatte, da war ihm der junge Aelier über den Weg gelaufen, seines Zeichens nun Tiro des designierten Consuls. Und ohne groß Federlesens hatte Aquila ihn einfach mitgeschleift, das hieß, er hatte ihn freilich gefragt, ob er mitkommen wollte, aber er hatte nicht so wirklich darauf geachtet, wie sehr der andere nun wollte oder nicht... ein nein hätte er ohnehin nicht gelten lassen. Nicht an diesem Tag. Nicht mit diesem Ergebnis. So kam es, dass Aquila nun mit dem Aelier im Schlepptau die Taverna betrat und zielsicher einen der Tische ansteuerte, an dem schon der ein oder andere Jungspund in ihrem Alter saß und den Abend feuchtfröhlich anging. Die Begrüßung war nicht viel mehr als ein kleines Gejohle, das plötzlich losbrach und in dem genauere Worte untergingen... was Aquila am Ende nur zu einem noch breiteren Grinsen verleitete, und erst als es wieder ein bisschen ruhiger wurde, stellte er kurz den Aelier vor, der dem ein oder anderen aus der Runde vermutlich auch schon bekannt war – immerhin waren sie alle im ähnlichen Alter und zählten alle mehr oder weniger zu den gehobeneren Familien Roms. Wenn auch vielleicht nicht ganz so gehoben wie die Aelii und Decimi, wie Aquila durchaus selbstzufrieden, aber nur für sich selbst feststellte... Consul in der Familie. Nobilitas. Das musste man sich auch erst mal auf der Zunge zergehen lassen. Und an der Stelle war Aquila auch völlig egal, dass ihn zwei oder drei Ecken von Livianus trennten. „So“, machte er dann, als die Gespräche am Tisch wieder aufgenommen worden waren und auch die neuesten Ankömmlinge etwas zu trinken bestellt hatten – in Aquilas Fall ein Bier. Und wo sie nun so bequem beieinander saßen, verzichtete er ohne nachzudenken auf die Förmlichkeiten, weil er das lächerlich fand. Oder gefunden hätte, hätte er darüber nachgedacht. Ach ja, nur so nebenbei: das Grinsen klebte ihm immer noch im Gesicht. „Der Tag war der Wahnsinn. Kannst dich schon mal auf was gefasst machen, wenn du antrittst, Paetus.“

    Wie üblich folgte Aquila dem Aedil wie ein – die Formulierung gefiel ihm irgendwie am besten – ein Schatten. Im Schlepptau des Duccius, so war es vielleicht am Anfang ein bisschen gewesen, ein kleines bisschen nur, und er bildete sich definitiv ein, dass er von den ersten Wochen an rasant zu einer echten Hilfe für den Duccius geworden war. Punkt.


    Ein Lupanar also wieder einmal. Aquila hatte davon genug gesehen im vergangenen Jahr, dass er gar nicht mehr sicher war ob er so was je in Anspruch nehmen wollte. Naja, gut, sie hatten vor allem auch jene besucht, bei denen eher zu erwarten war irgendwas zu finden, nicht so sehr die hochklassigeren. Vielleicht sollte er da mal eigene Untersuchungen zu anstellen. Nur um rauszufinden, wie es in einem richtig teuren Ding aussah... Aquila wurde ziemlich abrupt aus seinen Gedanken gerissen, als sie das Lupanar erreichten – denn das war schon so ziemlich alles, was dieser Besuch mit den vorigen gemein hatte. Es ging schon damit los: die Urbaner blieben draußen. Das war ungewöhnlich, und im ersten Moment fragte sich Aquila, ob der Senator sich diesmal tatsächlich mit einer der Lupae einlassen wollte, was er bisher immer abgelehnt hatte, und das in einer Art, die Aquila vermuten ließ, dass es nicht darum ging seine Bettgeschichten nicht mit Dienstlichem zu vermischen, sondern dass er per se was gegen Huren hatte.
    Genau aus dem Grund glaubte Aquila aber nicht so recht, dass dieser erste Gedanke richtig war, und als sie drinnen waren, bestätigte sich das auch. Er wollte zu keiner der Lupae, er wollte zu... einem Mann?!? Aquila starrte den Aedil an. DAS hätte er nun nicht gedacht, dass der auf Kerle stand, und überhaupt, was sollte das mit seinen ganzen Weibergeschichten, wenn er dann in ein Lupanar ging, um mit einem Kerl... nein. Ganz sicher nicht. Was auch immer der Duccius von diesem Corvus wollte, es war ganz sicher nicht das. Wäre es so, hätte er doch schon früher was gemerkt... oder? Waren seine Weibergeschichten vielleicht nur Fassade und dienten dazu, sehr effektiv zu verbergen, dass er eigentlich schwul war? Für einen winzigen Moment zögerte Aquila, als der Duccius nach dem kurzen Gespräch mit der Empfangsdame weiter ging – dann setzte auch er sich in Bewegung. Nicht, dass er wirklich das sehen wollte, wenn der Duccius tatsächlich mit diesem Corvus... aber ihn trieb Neugier, eine gewisse Art von morbider Faszination und eine vage Mischung aus Hoffnung und Vermutung, dass doch etwas anderes dahinter stecken könnte. Was auch immer es war: er wollte es zumindest wissen. Verschwinden konnte er immer noch.


    Und tatsächlich... wie ein Stelldichein mit einer männlichen Hure wirkte das ganz sicher nicht, was sich ihm zeigte. Weder der Kerl, noch das Zimmer, noch das Verhalten – beider Männer. Prompt schnellte Aquilas Neugier nach oben, während er das tat, was er so häufig getan hatte im vergangenen Jahr: sich wie ein Schatten im Hintergrund zu halten und zuzuhören.

    Ein bisschen warten musste er, und obwohl Aquila damit durchaus gerechnet hatte, nervte es ihn trotzdem ein bisschen. Als er die Sänfte dann allerdings kommen sah, war das Gefühl schon wieder weg, und mit einem flüchtigen Lächeln auf den Lippen sah er der Sergia entgegen, als diese ausstieg und auf ihn zukam. Erst die letzten paar Schritte dann kam er ihr entgegen, immer noch leicht lächelnd, und neigte den Kopf. „Sei ebenfalls gegrüßt, Sergia Fausta. Du siehst fantastisch aus...“ So weit er das in dem vorhandenen Restlicht der Abenddämmerung beurteilen konnte, aber so dunkel war es auch noch nicht, dass es lächerlich gewesen wäre das zu sagen, weswegen es ganz sicher nicht schaden konnte. „Wollen wir?“ Mit diesen Worten bot er ihr seinen Arm an.