Beiträge von Marcus Decimus Aquila

    „Das ist Absicht, die Inspektion ist unangenkündigt“, erwiderte Aquila, der sich zusammenriss und auf ein begleitendes Grinsen wohlweislich verzichtete, das ihm eigentlich auf die Lippen kriechen wollte. Er war Amtsträger und offiziell unterwegs, und so gern er sonst auch rumblödelte, das hier sollte er ernst nehmen, das war ihm bewusst. „Fragen hätt ich schon, aber die können wir auch nebenher klären, während du uns rumführst. Wie viele Zellen habt ihr im Moment, wie viele sind besetzt, wie ist die Bewachung geregelt... also allgemeine Sachen erst mal, für meinen Bericht.“

    „Schönheitsschlaf? Du? Das ist doch nicht dein Ernst.“ Aquilas Grinsen wurde noch verschmitzter, während er, ohne sich selbst darüber bewusst zu sein, versuchte den Charme des Duccius zu imitieren, den er immerhin ein Jahr lang fast auf Schritt und Tritt begleitet hatte – und dabei auch mitbekommen hatte, wie dieser Frauen bezirzte. „Jemand, der so aussieht wie du, braucht doch keinen Schönheitsschlaf. Und sooo viel älter bist du auch nicht.“ Aquila glaubte selbst nicht so wirklich daran, dass er Celeste mal rumkriegte... irgendwie hatte er das Gefühl, dass die Frau ihm einfach ein bisschen überlegen war, auch wenn er das nicht zugegeben hätte. Aber das Geplänkel machte Spaß, und wer wusste schon, ob sie nicht irgendwann doch nachgeben würde.
    Ein bisschen perplex war er dann doch, als sie nicht etwa rundheraus ablehnte oder sich sogar aufregte, sondern sogar zustimmte. Das... hätte er nicht erwartet, und da er eigentlich auch nicht wirklich vorgehabt hatte, sie nach so einem Rundgang – oder einem Tavernenbesuch, das bot sich eher an – zu besuchen, wusste er für einen Moment nicht, wie er reagieren sollte. „Klar mitten in der Nacht. Das ist ja der Sinn der Sache“, konterte er erst mal, und verlegte sich dann wieder aufs grinsen. Spaßiges Geplänkel, mehr war das doch gerade nicht, versuchte er sich in Erinnerung zu rufen. „Also, eh, abgemacht. Dann komm ich mal bei dir vorbei.“ Noch während er das sagte, sah er ihr über die Schulter und musterte den Fall, der auf der Tabula angerissen war. „Hä?“ machte er erst mal wenig eloquent, bevor er spezifizierte: „Ist da schon was passiert aufgrund der Zeugenaussage?“

    „Danke.“ Aquila nickte dem Urbaner zu und folgte dem anderen, der sie zum Carcer brachte. Wo er sich erst mal nach angekündigter Wache umsah und die ansprach. „Salve, Miles... Marcus Decimus Aquila mein Name, Tresvir capitales, ich bin hier um den Carcer zu inspizieren. Kannst du oder einer deiner Kollegen mir und meiner Scriba eine kleine Führung geben?“

    Zu spät. Zu spät zuspätzuspätzuspätzuspät. So ein Dreck, er war zu spät! Aquila rannte, das hieß: rennen war nicht wirklich drin mit den Klamotten... er eilte also, so schnell es sein Aufzug zuließ, über das Forum, hin zu der Taberna, in der irgendein Rhetor mit irgendeinem Rhetorik-Kurs begann, wie er vor ein paar Tagen von irgendeinem Bekannten gehört hatte. Nach seinen Erfahrungen im Senat bei seiner Kandidatur hatte Aquila sich gedacht, dass es nicht verkehrt sein konnte, noch mal in Rom einen Rhetor zu besuchen. Einen, der vielleicht ganz konkret Erfahrung mit bissigen Nachfragen von noch bissigeren Senatoren hatte. Angemeldet war er... aber jetzt kam er zu spät. Musste wohl daran liegen, dass Celeste heute was anderes zu tun hatte, ergo nicht bei ihm im Officium gewesen war, ergo ihm auch nicht auf die Finger hauen, pardon, ihn rechtzeitig daran erinnern können, dass er ja los musste, weil er einen Termin hatte. Narf. Er verließ sich schon viel zu sehr auf diese Frau... das hatte man dann davon. „'tschuldigung! 'tschuldigung, bin schon schon da, tut mir leid dass ich erst jetzt komm“, platzte er herein, nachdem er sich einen Moment Zeit genommen hatte vor der Tür, seine Kleidung zu richten – und stellte etwas entnervt fest, dass der Rhetor tatsächlich schon begonnen hatte. So. Ein. MIST! Aber wie hieß es doch so schön? Frech siegt. Also einfach nicht zeigen, dass ihm das doch ein bisschen peinlich war, sondern fröhlich in die Runde lächeln.

    Aquila fragte sich allen Ernstes, wie die das machten. Wie die Kerle und das Weib da einfach so mir nichts, dir nichts, Zeile um Zeile herunter reimten, als wenn das nichts wär. Die mussten doch einfach vorgearbeitet haben daheim, weil sie wussten was sie hier erwartete. Und er kam sich... unglaublich bescheuert vor. Und ziemlich blass im Vergleich zu den reimenden Säcken noch dazu. Dankbar nahm er daher den Wink seines Senators an und machte einen Schritt zurück, ließ ihm den Vortritt, beschloss kurzerhand einfach gar kein Wort mehr zu sagen. Wozu auch? Denn jetzt bewies sogar der Duccius, wozu er imstande war, und der hatte daheim doch ganz sicher nicht geübt, da war er sich ziemlich sicher – gerade eben noch hatte er doch genauso über diesen Reim-dich-oder-ich-fress-dich-Quatsch gestöhnt wie Aquila selbst! Wie um alles in der Welt machte der das, aus dem Stegreif einfach so was hinzuklatschen?
    Aquila seufzte lautlos. Und verdrehte ein bisschen die Augen, erst bei dem ganzen reimenden Gesülze – hauptsächlich weil er sowieso keine Chance haben würde, bei der Frau zu landen, selbst wenn er allein unterwegs wäre –, und dann noch mal, als der Duccius einen Handkuss los wurde. Und noch ein drittes Mal, als die Aurelia die perfekte holde Maid spielte, naiv und unschuldig und scheinbar völlig hilfsbedürftig. Natürlich sprang die Meute auf so was an. Wäre er wohl auch, wenn er reimen könnte, und wenn er nicht argwöhnen würde, dass der Duccius ihn einen Kopf kürzer machen würde dann.

    Aquila wartete, bis die beiden Senatoren anfingen sich zu bedienen, bevor er auch selbst zugriff bei den Vorspeisen. Davon abgesehen machte er nicht viel mehr, als er im Grunde im vergangenen Jahr ständig gemacht hatte, wenn er mit dem Duccius unterwegs gewesen war: er hörte zu. Versuchte so viel wie möglich mitzubekommen und zu lernen. Interessant war es allemal: politische Geschichten der letzten Jahre aus dem Mund von jemandem zu hören, der hier gewesen, der das hautnah mitbekommen hatte... Und die Diskussion über das Programm seines Onkels entpuppte sich als auch nicht ohne, jedenfalls was den Punkt der Aufarbeitung betraf. Aquila war da ein bisschen hin und her gerissen... Einerseits konnte er verstehen, dass Livianus die Aufarbeitung angehen wollte, gerade weil sie beide bei ihrer Kandidaturvorstellung so angegangen worden waren. Andererseits musste er auch dem Aedil Recht geben, dass es vermutlich keine so kluge Idee war, wenn ausgerechnet ein Decimer das machte, Consul hin oder her. Und das nicht nur weil die Sprache auf Serapio kommen könnte, sondern auch wieder gerade weil manche Senatoren so diskutiert hatten bei der Kandidatur. Wenn die bei einer simplen Wahlrede schon so reagiert hatten, konnte Aquila sich vorstellen, was sie wohl dazu sagen würden, wenn Livianus damit begann proaktiv Aufarbeitung zu betreiben.

    „Und in der Kanzlei sitzt nicht immer unbedingt jemand, der wirklich genug Ahnung vom Militär hat, um die Inhalte der Prüfungen vorgeben zu können... irgendwie müsste sicher gestellt werden, dass da militärischer Sachverstand mitspielt, wenn die Prüfungen mal überarbeitet werden“ ergänzte Aquila, was zumindest er selbst als ein Problem sah. Klar konnte es sein, dass da ein Ritter saß, der schon mal Tribun gewesen war, aber Voraussetzung war das ja nicht unbedingt. Er neigte seinen Kopf leicht zur Seite, während er sich kurz am Kinn kratzte. „Dann würde ich diese Punkte dem Duccius mitteilen, damit er sie in seinen Reformvorschlag einarbeiten kann, wenn du einverstanden bist. Meinst du es reicht, wenn der Kaiser in einer Senatsdebatte zu dem Thema dann seine Meinung kundtut, oder sollte er vorher um eine Stellungnahme gebeten werden?“

    „Selbstverständlich“, schmunzelte er zurück, erfreut, dass sein Kompliment offenbar erfolgreich sein Ziel gefunden hatte. Einen kurzen Blick riskierte er noch zu der Nereide vor ihnen, aber die Gefahr war vorüber, und die Sergia tat ihr übriges dazu, dass Aquila sich auf sie konzentrierte. Dass sie auf einmal Mars ins Spiel brachte, der mit Venus eine Affäre hatte... gehabt hatte... immer noch hatte... wie die Legende es wollte, egal, jedenfalls hatten sie was miteinander, und dass die Sergia nun darauf anspielte, das war... vielversprechend. Verheißungsvoll sogar. Beinahe ohne es zu wollen dachte Aquila wieder an ein Hinterteil, das sergische diesmal, wie sie es ihm präsentiert hatte als in ihr Officium beim Cursus Publicum gekommen war... Aquila räusperte sich, während er versuchte sich auf den anderen Grund zu konzentrieren, weshalb ihre Worte ihn von der Nixe ablenkten. Sie verglich ihn mit Mars. Dass mit ihrem Verlobten und anderen Söhnen des Mars überhörte er geflissentlich – ohnehin war sein Selbstvertrauen groß genug, dass er überzeugt davon war, dass andere ihm nicht so schnell das Wasser reichen konnten. „Ja... im Monat des Mars geboren. Meine Eltern haben das als Zeichen gesehen.“ Wie so viele andere Eltern. Aber auch das blendete Aquila gekonnt aus. Bescheidenheit, erst recht falsche, gehörte mit Sicherheit nicht zu seinem Repertoire. „Und ich habe vor, meinem Namen auch alle Ehre zu machen. Mars und der römische Adler, beide werden stolz darauf sein können, dass ich nach ihnen benannt worden bin.“


    Als sie die Nische erreichten, ließ Aquila der Sergia den Vortritt, folgte ihr dann und setzte sich ebenfalls. Diesmal ohne der Nixe noch einen Blick zu gönnen. „Absolut. Deshalb habe ich sie ausgesucht“, lächelte er seinem Gegenüber zu. „Wie sieht's aus, möchtest du einen Falerner trinken? Oder was anderes?“ Erst mal für die Getränke sorgen. Mit etwas Wein würde aus dem vielversprechend bis verheißungsvoll von gerade eben vielleicht tatsächlich mehr werden... Aquila grinste, teils wegen seiner Gedanken, teils wegen dem, was die Sergia nun sagte. „Das war meine Absicht, als ich den Ort hier ausgesucht hab. Nichts geht über eine gute Überraschung.“ Schon gar nicht, wenn man eine Frau beeindrucken wollte. „Es freut mich, dass es dir gefällt hier.“

    Aquila hatte sich, mit Celestes Hilfe und natürlich in Absprache mit seinen beiden direkten Amtskollegen, tatsächlich einen Plan erstellt, und demzufolge waren, was Carcer-Inspektionen betraf, die der Urbaner als erstes dran. Entsprechend war er mit seiner Scriba also hier, unangekündigt – unangekündigte Kontrollen waren die sinnvollsten, wie er aus leidvoller Erfahrung zahlloser Unterrichtsstunden wusste –, und strebte zu den Wachen am Tor der Castra Praetoria. „Salve, Milites. Ich bin Marcus Decimus Aquila, gewählter Vigintivir und tätig als Tresvir capitales... und bin heute hier, um die Carcer der Cohortes Urbanae zu inspizieren.“

    Die Arbeit als Vigintivir war in der Tat ziemlich fordernd, aber nachdem Aquila direkt von seinem Tirocinium fori in die Amtszeit gerutscht war, und nachdem der Duccius ihm kaum eine Pause gegönnt hatte in der Zeit bei ihm, war Aquila daran gewohnt, und machte im Grunde einfach weiter. Nur mit dem Unterschied, dass er eben nicht mehr einem Senator folgte und den quasi als drohende Instanz im Hintergrund hatte, die ihn davon abhielt, Sachen schleifen zu lassen... jetzt war es zum einen das Bewusstsein, dass er einen guten Eindruck als Vigintivir machen wollte, und zum anderen, naja: Celeste. Die Frau war irgendwie überall, und sie war vor allem immer genau dann zur Stelle, wenn Aquila mal etwas nicht ganz so ordentlich erledigen wollte, um sich zu entspannen. Er konnte sich ja noch nicht mal bequem in seinen Stuhl im Officium hinlümmeln, weil sie ihn dann piekste oder so... Aber egal. Jetzt war Abend, und wer arbeiten konnte, konnte auch feiern, fand Aquila, weshalb er mit ein paar Bekannten um die Häuser gezogen war. Nachdem sie in einer Taverna schon ein bisschen Alkohol gebechert hatten, waren ein paar von ihnen noch weiter gezogen, und irgendwann hatte einer erzählt, dass er da einen Schuppen kannte, in der Subura, mit dem besten Räucher-, Schnupf- und Schluckzeug in ganz Italia, und natürlich hielten sie es für eine absolut sehr gute, ach was, grandiose Idee, da hinzugehen und sich selbst davon zu überzeugen. Also saß Aquila nun schon eine geraume Weile in besagtem Schuppen, vor sich eine große Schale mit Räucherzeug, deren Duft betörend in seine Nase zog, und dazu hatte jeder ein Getränk, das der Hammer war. Also wirklich, wirklich: der absolute Hammer. Aquila konnte sich nicht erinnern, je so viel Spaß gehabt zu haben, und den anderen ging es genauso, bis auf einen, der mit irgendwie schreckgeweiteten Augen in der Ecke saß... aber egal. Der Rest der Runde war lustig drauf, und entsprechend fühlte Gerede und Gelächter von ihrem Tisch den Raum.

    „Oh ja, Opfer, das ist eine gute Idee“, stimmte Aquila zu, und warf seiner Scriba gleich darauf einen halb verschmitzten, halb empörten Blick zu. „Na was soll ich machen? Der hat nach der Wahl selbst gesagt, dass er mit seinem Verwandten zusammenarbeiten will. Und so geschniegelt wie der aussieht, will der sich bloß die Hände nicht schmutzig machen, rumlaufen müssen, Carcer inspizieren, so was... das ist nen fauler Sack, der lieber im Gerichtssaal sitzen will. Und wahrscheinlich die Hoffnung hat, über seinen Verwandten und die Arbeit in der Justiz ein paar wichtige Leute kennen lernen zu können. Da kann er dann auch die öden Sachen übernehmen, die dazu gehören...“ Aquila lehnte sich wieder etwas bequemer zurück und ließ seinen Blick durch das Officium schweifen, völlig ignorant gegenüber der Tatsache, dass Celeste die nächsten Aufgaben etwas weniger zu gefallen schienen. „Och, nachts schlafen? Was für eine Verschwendung, da gibts viel bessere Dinge zu tun...“ grinste er frech und ein wenig anzüglich. Geld war nicht wirklich ein Thema für ihn, und er war davon überzeugt, dass seine Familie Celeste so bezahlte, wie er sie halt brauchte, weswegen er darauf gar nicht erst einging. „Die Tresviri capitales sind auch für die Sicherheit auf den Straßen verantwortlich. Da wollt ich noch mit den andern beiden reden, wie's bei denen aussieht mit Veteranen-Klienten, die man günstig anheuern könnte... Und dann“, er sprang von dem Stuhl auf, ging zu einem der Regale, bei dem er vorhin gewesen war, und wühlte herum, bevor er triumphierend eine Tafel hervorzog und damit herum wedelte, „müssen wir einen Plan aufstellen, wo die am besten rumlaufen. In den wichtigen Gegenden Präsenz zeigen. Aber, um auf deinen Punkt zurückzukommen: ich denk ich werd da schon auch mal mitlaufen, aber da werd ich deine Hilfe wohl nicht brauchen. Aber... ich könnte dich danach dann besuchen“, grinste er sie verschmitzt an. „Carpe noctem.“ Immer noch grinsend ging er zu ihr, als es nun an ihr war mit einer Tabula zu wedeln. „Um was gehts denn?“

    Zitat

    Original von Tiberia Lucia
    „Da du ja offensichtlich nicht weben kannst, wo liegen denn deine Talente noch - außer dass du tüchtig deine Arbeit verrichtest, heldenhaft Kleidungsstücke rettest und grandiose Führungen bietest?“ Ihr Lächeln wandelte sich während sie sprach in ein schelmisches Grinsen.


    Nachdem die nächste Wahl erst in gut einem Jahr anstand, hatte Aquila selbstredend das Gefühl, alle Zeit der Welt zu haben – auch wenn er die im Grunde nicht brauchte, denn dass er kandidieren würde, so lang nicht irgendwas passierte, was wirklich dagegen sprach, stand für ihn eigentlich schon fest. Auch wenn er das dem Tiberier nun nicht auf die Nase band, das immerhin würde er ja noch früh genug merken.


    Das Thema Ehe, das dann angesprochen, interessierte Aquila nun überhaupt nicht, weshalb er sich da auch tunlichst zurückhielt... am Ende fragte ihn noch irgendwer, ob seine Verwandten da schon Planungen für ihn hatten. Was sie nicht hatten. Hoffte er jedenfalls. Aber bei Kerlen war das zum Glück noch mal was anderes, sah man ja auch an den anwesenden Herren, die beide doch um etwas bis einiges älter waren als er und immer noch ledig. Da war es doch weit angenehmer, mit der Tiberia zu plaudern, die ihn gerade ansprach, als sich mit Heiratspolitik zu beschäftigen. „Reicht das nicht an Talenten?“ fragte er mit einem leichten Grinsen zurück, das aber nicht nur schelmisch war, sondern auch ehrlich – dass ihr die Führung offenbar gefallen hatte, freute ihn. „Wasser und Pferde – alles was damit zu tun hat. Die Pferdezucht und andere Güter meiner Familie in Tarraco liegen teilweise an der Küste. Da kriegt man einiges mit, wenn man da aufwächst, selbst wenn man den Großteil der Zeit mit Unterricht verbringen muss.“ Zumal ein Teil seiner Ausbildung ja auch beinhaltet hatte das zu tun, was der Duccius ihm hier aufbrummte – sich einfach mal nützlich zu machen und ordentlich zu schuften. Um nicht zu vergessen, wo ihre Wurzeln lagen, oder so. „Ich bin ein ziemlich guter Auriga... nicht zu vergleichen mit den Toplenkern der bekannten Factiones, aber für kleinere Rennen unter Freunden reicht es allemal, die andern zu schlagen. Was ist mit dir? Irgendwelche verborgenen Talente, von denen ich wissen sollte?“ Auch wenn Aquila versuchte, zumindest mit einem Ohr weiter der Unterhaltung der beiden anderen Männer zu lauschen, fand er dass es jetzt einfach unhöflich gewesen wäre, sich dort wieder einzuklinken... und davon abgesehen: viel beitragen konnte er da eh nicht. Von dem, was er hörte, fertigte sein Senator den Tiberius und seinen Wunsch nach Glanz-und-Ruhm-Wiederherstellung-einfach-nur-weil-er-Patrizier-war-ohne-was-dafür-tun-zu-müssen ziemlich gut alleine ab.

    Aquila lauschte der Wegbeschreibung zu der Insula, in der seine Verwandten lebten, und nickte der Tiberia mit einem flüchtigen Lächeln zum Dank zu, sagte aber nichts weiter zu dem Thema. Schlimm genug, dass er so davon erfuhr, dass seine Verwandten in Rom waren... das musste er nicht noch weiter ausbreiten vor zwei im Grunde Fremden.
    Aber es musste auch gar nicht weiter darüber geredet werden, denn angesichts der Führung hatte Aquila Themen genug, über die er schwadronieren konnte. Und gleich seine erste Andeutung schien beide zu interessieren, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Die Tiberia würde wohl den dankbareren Teil der Zuhörerschaft bilden, auch das wurde Aquila während der ersten Reaktionen klar, aber das hatte er sich im Grunde schon gedacht. „Oh, wer weiß das schon so genau“, zwinkerte er ihr mit einem schelmischen Grinsen zu, während er den Weg ins Innere der Insel einschlug. „Vertrieben wurden sie nie. Die Fischer hier erzählen sich, dass sie die Insel einfach irgendwann aufgegeben haben, als das Risiko entdeckt zu werden zu groß wurde... auch wenn keiner so genau weiß, ob sie wirklich weg sind.“ Aquilas Stimme klang dabei ziemlich unbekümmert, so als ob ihn das nicht im Mindesten interessierte, aber natürlich erhoffte er sich zumindest von der Tiberia eine entsprechende Reaktion. Wozu sonst erfand man solche Geschichten – oder schmückte sie zumindest gewaltig aus? Damit das Publikum auch was davon hatte, und damit dann auch der Erzähler. Aquila kratzte sich kurz an der Nase. „Auf der anderen Seite der Insel gibt es einen Sandstrand, daran schließen sich wieder Felsen an, die hier überall sind. Da gibt es eine Höhle...“ An dem einen wunderbaren Tag, den er frei hatte, hatte er die entdeckt, beim Schwimmen und Rumklettern. Machte sich jetzt natürlich wunderbar, sie einzuflechten in die Geschichte. „... die Fischer erzählen, dass die Piraten dort manchmal die Beute von ihren Raubzügen versteckt haben. Aber das ist bei weitem noch nicht das Interessanteste, was diese Insel zu sehen gekriegt hat.“

    Ein paar Sprünge zur Seite brachten Tigranes in Sicherheit vor dem heransausenden Hammer. Auf seinem Plan für den heutigen Tag stand auch nicht, zu Brei verarbeitet zu werden, weswegen er lieber etwas zu vorsichtig war... lieber ein bisschen zu weit wegspringen als zu wenig. Weil er aber nicht so recht wusste, wie er weiter vorgehen sollte, machte er danach das gleiche wie davor: er tänzelte um die Rübe herum und ließ seine Klingen vorschnellen, in der Hoffnung, eine Schwachstelle in der Rüstung des anderen zu finden – aber wieder glitten sie nur klirrend und ziemlich harmlos ab. Tigranes wich dem zu erwartenden Angriff aus und versuchte es wieder, und wieder, und wieder. Nichts zu machen. Ein paar Dellen in der Rüstung, ein paar Kratzer auf seinen Schwertern, das war alles, was bei diesen Angriffsversuchen herauskam. Was den Dimachaerus langsam, aber sicher etwas entnervte. Da musste es doch irgendwo, irgendwie eine Möglichkeit geben, diesen Kerl zu treffen unter all dem Eisen, das er trug. Tigranes startete eine weitere Angriffsserie, versuchte diesmal noch schneller zu sein und gleichzeitig mehr Kraft in die Hiebe zu legen. Ausweichen, das hatte sich herausgestellt, war ja kein Problem, er war bisher immer mühelos dem Hammer entkommen – so mühelos, in der Tat, dass Tigranes schon länger nicht mehr große Sprünge machte, um auszweichen, sondern immer knapper davon tänzelte, um seine eigenen Angriffe immer schneller platzieren zu können. Wenn er schon keine Schwachstelle in der Rüstung fand, dann musste es doch wenigstens möglich sein, Brocculus müde zu kriegen... um ihn dann fertig zu machen.


    ~~~


    „Naja...“ machte Aquila, griff ohne hinzusehen in die Schale mit Knabbereien, die bei ihnen stand, und schob sich eine Ladung von etwas in den Mund, was sich als eine Mischung aus Nüsse und Trauben herausstellte. Jetzt, wo der Stress gelaufen war, stellte sich auch der Hunger ein. „Allsscho“, mampfte er, bevor er dann doch beschloss erst mal runterzuschlucken, „also, dass Tigranes ein größeres Repertoire hat, scheint dem aber auch nicht viel zu bringen. Nicht mit dem ganzen Eisen, das deine Rübe mit sich rumschleppt.“

    „Naja, nachdem das das erste Amt ist... verdienen muss ich's mir wohl erst noch“, hatte Aquila dann trotz Wahlsiegstimmung den Anstand, ein bisschen Bescheidenheit an den Tag zu legen. Wobei auch eine Rolle spielte, dass er sich nicht so sicher war, ob der ein oder andere Senator nicht deswegen für ihn gestimmt hatte, weil ein paar der Patrizier sich so auf ihn eingeschossen hatten... aber allzu lang wollte er sich ausgerechnet darüber keine Gedanken machen, weil das dann doch die Freude über die erfolgreiche Wahl etwas schmälerte. Und ohnehin hatte er ja vor zu zeigen, dass er das Vertrauen des Senats verdient hatte.


    Bei der Reaktion auf seine Bestellung grinste Aquila schon wieder. „Klar kann man. Macht sich an so nen Abend besser als Wein, find ich... war in Hispania so, wird hier nicht anders sein.“ Trotz aller Würden, die die Decimi erreicht haben mochten, konnte man eben doch merken, wie frisch diese noch waren in der Familie, und dass ihre peregrinen Wurzeln erst wenige Generationen zurücklagen. So lange Aquila seinen Pflichten und dem Unterricht nachgekommen war, hatte er ziemlich viele Freiheiten gehabt. Die Bestellung kam indes, und Aquila schnappte sich einen der Krüge und prostete seinem Gegenüber zu, bevor er einen Schluck trank. „Das letzte Jahr war ich Tiro fori bei dem duccischen Aedil, aus Germanien. Bier ist da auch beliebter als hier... und Met. Hast du mal Met probiert?“

    Unterlagen um Unterlagen später guckte Aquila hoch, als Celeste was erzählte von wegen witzig. Witzig, das konnte er gerade gut gebrauchen... aber so ganz witzig war das dann doch nicht, jedenfalls nicht wenn er bedachte, dass er da womöglich schlichten musste. Aber immer noch besser als den ganzen Kram hier zu lesen.
    „Na hoffentlich tauchen die hier nicht auf... nicht wenn ich grad da bin“, brummte er trotzdem, nachdem er einen Blick drauf geworfen hatte. Der Stapel mit den offenen Beschwerdefällen ging aber sogar halbwegs, fand er.
    „Prozesszahlungen? Ach, das soll der mit dem Praetor als Verwandten machen. Naja, die meisten jedenfalls.“ Wenn der eh schon danach gekräht hatte, sich hauptsächlich um so was kümmern zu wollen, konnte den langweiligen Part da gleich mitübernehmen.


    „Also...“ machte er dann, als sie halbwegs durch waren.
    „Mit den anderen beiden sprech ich mich ab, wer wann hier ist, damit im Officium ständig jemand ist. In der letzten Amtszeit“, Aquila zog eine Tabula hervor,
    „war das offenbar nicht so, da gab's ein paar Beschwerden von Bürgern offenbar, weil die hier nur nen Scriba oder so angetroffen haben, weil alle drei unterwegs waren. Und wegen der Nachtwachen und so sollte ich mich mit denen auch noch absprechen.“ So was war viel zu teuer, als das doppelt und dreifach zu machen. „Am wichtigsten wär, wenn du vor allem bei den Inspektionen und den Hinrichtungen mitkommst und alles mitschreibst, was da alles so anfällt. Und wenn's mal irgendwelcher Sachen weitere Ermittlungen braucht, kann ich deine Hilfe sicher auch gut gebrauchen. Ehm, was noch...“ Aquila zuckte die Achseln, als ihm nicht mehr so wirklich was einfiel. „Naja, bei dem allgemeinen Kram hier nehm ich auch gern Unterstützung an, aber da kommt's halt drauf an, wie viel Zeit du übrig hast“, grinste er sie an, wohl wissend, dass das hier nicht gerade das Spannendste war.

    Aquila fachsimpelte munter weiter, ohne wirklich darauf zu achten, ob sein Begleiter tatsächlich Interesse daran hatte oder nicht, und so verging die Zeit, ohne dass er das wirklich mitbekommen hätte. Er hätte noch eine halbe Ewigkeit so weiter machen können, kam allerdings nicht dazu – noch bevor Tanco erschien, kam plötzlich jemand auf sie zu, der den Tiberius kannte. Was der auch bestätigte und sie vorstellte. Blaue also... „Salve, Iulius. Decimus Aquila ist mein Name“, grüßte er den Iulier mit einem freundlichen Lächeln zurück und beschloss, erst mal abzuwarten um was für eine Sorte Sodalis es sich hier handelte... er hatte nicht das Geringste gegen einen Schlagabtausch halb im Spaß, halb im Ernst über die Vorzüge ihrer jeweiligen Factiones, aber schon der Tiberius hatte nicht so gewirkt, als ob er dem Rennsport auf diese Art anhing, also war es vielleicht besser... naja: abzuwarten.
    Als sich ein weiterer Mann zu ihnen gesellte – diesmal einer, den Aquila kannte –, war es allerdings der Iulius, der zuerst einen Seitenhieb losließ, einer, der eine von Aquilas Augenbrauen nach oben rutschen ließ. Goldig also, hu? Und noch dazu nur er, denn das entging ihm keineswegs, dass dem Tiberius dieses Attribut erspart blieb. „Salve, Senator Germanicus. Es freut mich, dich wieder zu sehen. Wie geht es meinem Großonkel und meinem Vetter?“ fragte er nach Avarus und dessen Sohn.

    Aquila konnte sich ein Grinsen nicht wirklich verbeißen bei ihrer Reaktion hinsichtlich ihrer Sprachlosigkeit, aber zu seiner Ehrenrettung sei gesagt: er versuchte es wenigstens. „Na, dann lag ich ja doch richtig.“ So wie er sie kennen gelernt hatte bisher, hatte er sich ja tatsächlich gedacht, dass das nicht so leicht möglich war, sie sprachlos zu machen. Sie aber jetzt trotzdem irgendwie so zu erleben, und das Wissen dass er dafür verantwortlich war – naja, ein bisschen, immerhin hatte er den Ort hier ausgesucht –, ging ihm natürlich runter wie Öl. Auch ohne dass sie es zugab.


    Der Nereide schenkte Aquila dann mehr als nur einen Blick... erst recht, als sie sich umdrehte und sie zu ihrem Platz führte, wobei sie nicht umhin kam, ihnen ihr Hinterteil zu präsentieren. Erst als die Sergia neben ihm zu sprechen begann, räusperte sich Aquila und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder unumwunden seiner Begleiterin zu, was, wie ihm gleich darauf auffiel, vermutlich auch besser so war. „Also...“ begann er, fing sich aber noch rechtzeitig wieder ein. Es war vermutlich – nein, es war ganz sicher nicht das Klügste, der Sergia jetzt unter die Nase zu reiben, dass er persönlich Venus nun für gar nicht so weit hergeholt hielt... „Um einem Vergleich mit Venus standhalten zu können, fehlt ihr noch eine ganze Menge“, rettete er stattdessen mit einem Schmunzeln – und fragte sich gleichzeitig, warum Weiber über das Aussehen anderer Weiber Witze machten, umso mehr je besser sie aussahen... ohne dass er sich dabei aber tatsächlich darüber bewusst war, dass so was häufig weit verletzender gemeint war als es klingen mochte. Auch die Worte der Sergia hielt er für nicht mehr als einen oberflächlichen, im Grunde harmlosen Spaß. „Im Gegensatz zu dir“, fuhr er fort, während sie nun der Nereide folgten – in einem Abstand, der größer war als eigentlich nötig, aber Aquila fand, dass er sich nicht unnötig selbst in Versuchung führen musste. „Wobei du dann dazu verdonnert wärst, einen hinkenden, hässlichen Gemahl zu haben... was eine Verschwendung wäre.“ In der Zeit, die der kurze Wortwechsel benötigte, hatten sie auch schon ihren Platz erreicht: eine kleine Nische zwischen zwei Wasserbecken, einem tiefgelegenen, das von einem höheren dahinter gespeist wurde und in dem gleich mehrere Lichter schwammen, und einem höheren auf der anderen Seite, das sich in einem Halbrund so um die Nische wand, dass sie nahezu unbeobachtet sein würden.