Beiträge von Aulus Tiberius Verus

    Der Verlierer seines Herzens traf ein. Er ließ den Boten zurück und trug nur die einfache Tunika in Rot, mitsamt dem cingulum militare aber in diesem steckte der Rebstock, sein Standeszeichen und seine edlen Sandalen, caligae magnae. Er war froh, dass er an diesem Tag keine Rüstung tragen musste oder irgendeine andere Waffe. Stabs- und Regeldienst war einfach; einfacher als Wach- oder Frontdienste. Immerhin war er wieder in einem richtigen Lager. Doch der Kontakt zu Luna, seiner geliebten Sklavin, erwieß sich nach, wie vor, als schwer. Er konnte sie nicht als Sklavin betrachten, musste aber das Theater aufrecht erhalten, um keinen Verdacht zu erzeugen. Zwar gab er ihr einfache Aufgaben und lud sie oft in seine Stube ein aber konnte nicht offen zu seinen Gefühlen stehen. Noch immer musste er sich verstecken. Solange er in Germanien war, musste er Theater spielen. Verus trat, nachdem er sich angemeldet hatte, durch die Tür und war überrascht, dass Luna hier war. Seine Idun, deren alten germanischen Namen er niemals ganz verdrängen konnte. Doch Luna war nun ihre neue Realität und auch Verus wollte lernen sie zu akzeptieren. Doch das Gefühl der Schande blieb in ihrer Nähe. Ängstlich trat er mit leisen Schritten ein und wich für einen Atemzug ihrem Blick aus. Nein, es fiel ihm immer noch schwer, aufrecht in ihrer Nähe zu sein. Er hätte ihr Schlimmes angetan und noch immer zeigte sie ihm Mitgefühl und Liebe. Sein Herz schlug heftig und seine Hände wurden schwitzig. Er fand sein Herz und blickte zu Luna auf, lächelte sie hoffnungsvoll an und war für sie da. Nie wieder würde er flüchten und sich vor sich selbst verstecken. Eine gnadenvolle Hoffnung umgab ihn, wenn auch Lunas Anwesendheit die Selbstsicherheit maßgeblich herabsetzte. Scheinbar erzählte Luna gerade ihre Sicht der Dinge, da Verus noch die letzten Worte aufschnappen konnte. Er wartete für einen Moment, bis er den Präfekt direkt anblicke. "Centurio Tiberius Verus, meldet sich, wie befohlen," sagte er militärisch und nahm Haltung an, wobei seine Beinwunde wieder schmerzte. Merklich verzog er sein Gesicht als sich sein Muskel anspannte, um den Oberkörper aufzurichten.


    Ihr Blick war seine Strafe. Er hatte nur noch Augen für sie. Jegliche andere Reaktion blendete er aus. Nicht, dass er ihn nicht verstand, doch auch ihre Stärke und ihre stille Zusicherung konnten ihn nicht erlösen. Nicht mehr. Es tat weh, nicht nur, was er getan hatte, sondern, dass er es ohne großes Zögern getan hatte. Er wollte ihr Held sein und war doch nur ein Befehlsempfänger. Ihre Liebe und Hofnung ließen ihn lautlos weinen. Schnell wandte er sich ab, rang nach Luft als ihn dieser taube Schmerz durchfuhr. Ja, sie war dort. Und er war zu schwach, um mit Würde seine Schande zu tragen. Schnell griff er zum Helm, um diesen aufzusetzen. Niemand sollte sehen, dass er weinte und die salzigen Tränen bereits auf seinen Lippen schmeckte. Ihre Hoffnung und Liebe waren die größte Strafe. Man brachte sie fort. Und doch wollte er ihr folgen. Ein Schritt tat er bereits in ihre Richtung, bremste diesen aber abrupt ab. Hatte er seinen Verstand verloren? Es war Irrsinn, dass sie ihn noch immer liebte und achtete. Es war Wahnsinn, dass er ihr das angetan hatte, nur um einer römischen Pflicht genüge zutun. Es war ein kleines Versprechen gewesen, was selbst die Götter machtlos machte. Verus war verloren in seiner Pein. Er wollte für Immer bei seiner Idun sein und doch trieb ihn seine Vernunft durch diesen Albtraum. Er wünschte sich zu sterben, die Nachwelt zu sehen und einfach zu vergessen, doch keine Gnade kam über ihn. War es dieses Gefühl? War es diese Gewissheit, dass er eine Seele hatte? Er fühlte diesen Schmerz, der immer weiter kroch, während er den Helm am Kinn mit den Lederriemen schloss. Der Prunkhelm wog schwer und verbarg zwar die großen Tränen aber in seinen Augen lag dieser Schmerz, den er mit Zorn kaschieren wollte. Er hasste alles an sich selbst und auch jene Hände, die er gerade betrachtete. Er betrachtete sie ausgiebig und erkannte die Narben eines Soldaten. Der Krieg war ihm gefolgt und hatte ihm das Schlimmste abverlangt, nur um zu überleben. Doch wofür überleben? Für Idun. Doch es war noch nicht vorbei. Noch lange nicht. Das Schicksal war berechnend grausam. Er verdiente jede Strafe und doch verfluchtete er mit einem Blick die Götter, als er in den Himmel blickte. Waren sie so neidisch, dass sie alles taten, nur damit zwei Seelen nicht als eine gemeinsam waren? Tiberius Verus ballte beide Hände zur Faust, bis die Knöchel knackten und er wieder Leben in ihnen spürte. Verus trat zu seinen Vorgesetzten und folgte in kalter Härte den Protokoll, wie eine Maschine. Es gab keine Flucht, jetzt nicht mehr. Er war ein römischer Soldat. Ein Eid, der vieles an ihn kettete. "Ich melde Vollzug der Versklavung und erwarte Befehl zur Kreuzigung der Gefangenen Feinde," rief er so laut, dass alle Anwesenden es hören konnte. Er wollte sich als fähiger Offizier präsentieren und auch gleichsam von seinen Tränen ablenken. Härte gegen sich selbst, war nun notwendig, um schneller bei seiner Idun zu sein. Wenn er ein Monster spielen musste, um Monster abzuwehren, dann würde er diese Schande ertragen. Er musste es ertragen, denn ohne Idun konnte er nicht mehr sein.

    Würde Idun mit ihm tanzen, wenn er sie darum bitten würde? Würde Idun mit ihm davonlaufen und niemals zurückschauen? Würde sie weinen, wenn er weint? Würde sie seine Seele retten? Würde sie lachen, wenn er lacht? Würde sie sterben, wenn er in ihrem Armen sterben würde? Verus wollte ihr Held sein. Er konnte ihr Held sein, doch war es nicht. Würde er mit ihr tanzen, wenn sie ihn darum bitten würde? Würde er mit ihr davonlaufen, wenn sie ihn darum bitten würde? Würde er weinen, wenn sie weinte? Würde er sterben, wenn sie in seinen Händen starb? Konnte sie seine Heldin sein? Verus Atem stockte für einen Gewalthauch. Er wollte sie einfach nur halten. Schützen, vor dem, was er tun musste. Er war hier, um der zu sein, der er sein musste und nicht ihr Held. Doch er wollte ihr Held sein. Ein Mann, der liebte und nicht hasste. Doch Verus hasste sich selbst. Idun nahm ihm jedem Atem. Die Zeit trat auf seine Würde, die nur Trugbild in der Paraderüstung war. Verus fühlte sich verkleidet, unecht und fremd in diesem Moment. Das Geschrei des Pöbels, die Menge und die widernatürliche Kälte des Tages. Verus wartete; auf seine Pflicht und seinen verlorenes Herz. Der Wahnsinn kroch in seinen Fingern, die schmerzlich gekrümmt waren. Er wollte sie öffnen, denn er wusste, was sie gleich tun mussten. Auf dem kleinen Holztisch, unweit der Pfähle, lagen die Werkzeuge seiner künftigen Gewalttat, die er für Rom vollbringen musste. Ein Rom, welches ihm so fremd war, wie dieses Land. Der Helm wog zu schwer auf seinem Kopf, so dass er ihn abnahm. Entgegen dem Protokoll. Verus wollte Idun wenigstens sein Gesicht zeigen. Er war es. Nicht ein Fremder. Er würde ihr etwas Schreckliches antun, was ihm so furchtbar ungerecht erschien aber unmöglich zu verhindern war. Doch es war zu verhindern. Nur war er kein Held. Er handelte nicht für Idun. Verus handelte nicht einmal für sich selbst. Er war eine Maschine, deren Seele gegen diesen Zustand ankämpfte aber stets versagte, weil es so angenehm bequem war, sich darin zu ergeben. Er wollte ihr Held sein. Verus wollte für immer bei ihr sein und jedem Atemzug ihr schenken. Doch tat er es nicht mehr, so sehr er es sich wünschte. Hatte er seinen Verstand verloren? Sein Blick zitterte, wollte nicht mehr fest sein und die Situation verflüchtigte sich ins Endlose. Der Pöbel dumpfte ab, sein Herzschlag flaute ab und auch seine Bewegung wurden monoton. Die lorica mit silbernen Zeichen seines römischen Ruhmes verblichen im Angesicht seiner trostlosen Augen, deren Iris Liebe suchte. Niemand küsste ihm seinen Schmerz fort. Niemand legte die Hand in seine. Er konnte ihr Held sein. Aber nicht hier. Nicht in diesem Moment. Verus wanderte in kleinen Schritte in der Mitte des Platzes umher, umgeben durch die Menge an Menschen, die bedeutungslos war. Die römische Geißel lag auf dem Tisch, neben einer mehrfachgeschlagenen Peitsche und einem Rebstock, welcher mit Pech umgeben worden war und dunkel erschien. Verus stützte sich auf den Tisch, um Luft zu finden und seine Augen über die grausamen Instrumente zu treiben. Lag dort auch ein Hammer mit einer kleinen Kiste großer Nägel? Ja, hier war alles beisammen, was Rom groß gemacht hatte. Ein Imperium der Gewalt. Tiberius Verus versuchte sich an seine Ahnen zu erinnern, ob sie einst auch so schwach und zögerlich gewesen waren? War es Liebe, die ihn hinderte oder doch nur sein Herz? Verus wollte aufgeben, vergessen, was er gesehen hatte aber konnte es nicht. Es war dieser Frost, der in seinen Ader kroch und wuchs. Mit festem Griff nahm er die Peitsche auf, während sein roter Mantel im Wind wehte und mit wertvollem Gold bestickt war, welches die Initialen SPQR zeigte.


    Idun trat auf, geführt von Soldaten; und ihr Anblick ließ ihn fast zusammenbrechen. Es kam alles nieder, was er sich verbeten hatte. Sie hob ihren Blick, der trotz der Situation frei von Angst war - aber eine Unsicherheit in sich barg, und suchte seine Augen – und als sie sie fanden stand für beide die Welt für einen Moment still. Verus biss sich auf die Unterlippe, so fest, dass er Schmerz spürte. Schmerz, der die seelische Pein töten sollte. Es misslang. Die Götter hatten kein Herz und nahmen ihm nicht das seinige. Ein Schmerz durchfuhr ihn und ein seine Augen schlossen sich für einen winzigen Moment als er den Tisch verließ, um sich den Pfählen zu nähern. Es war niemals zu spät. Doch es war seine Wahl. Nicht seine Träume, sondern auch er war ein Gefangener. Der Albtraum der willenlosen Folge erbarmte sich nicht, denn Verus blieb bei Verstand und bot sich selbst dem Wahnsinn anheim. Er war allein vor Idun. Es tat ihm so leid und doch konnte er nicht abbrechen. Rom verpflichtete ihn. Feige deutete er zu den Soldaten, die Idun anbanden und fixierten.


    Sie rissen ihr das Kleid vom Körper, so das sie nackt am Platze hing und dem Wetter ausgesetzt war. Verus rollte die mehrschwänzige Peitschte mitsamt Griff langsam aus, zog diesen ein paar mal auf und ab, um das Leder zu dehnen, bevor er sich zum Publikum wandte. Es half, nicht sofort zu beginnen. Diese Welt würde niemals das sein, was er erwartete. Zeit schinden, bevor sein Herz ihn gänzlich hinderte. Rom war grausam. Verus wurde grausam zu sich selbst. "Rom ist alles," donnerte seine tiefe Stimme aus dem Orkus seines Selbsthasses, der fast echtem Zorn gleichklang. Die Bürger würden nicht unterscheiden, ob er über sich selbst zürnte oder über Idun. "Rom ist Ordnung. Rom ist das Gesetz," hämmerte seine Worten jedem die Ideologie in die Ohren. "Rom ist Frieden," schloss er etwas leiser ab und offenbarte damit seinen Wunsch für diesen Moment. Auch wenn Frieden beim Anblick der nackten Idun und der Peitsche in seinen Händen wie fremder und fieser Hohn wirken musste. "Wir zeigen euch, dass selbst eine Seherin vor Rom die Knie beugen wird, sie wird unterworfen und als Sklavin dienen, für ihr Verbrechen, nicht an Roms Gnade zu glauben und für ihren schändlichen Aberglauben," sagte Verus betonter und gleichsam monoton. Er trat einmal, ohne herabzublicken, um die angebundene Idun, ließ die Peitsche in seinen Händen wiegen. Verus konnte es noch nicht tun. Die Vernunft rang noch mit seinem Herzen, das sich mit aller Macht weigerte.


    Schweiß rann still über seine Augenlider und vermischte sich mit winzigen Tränen in den Augenwinklen, die niemand aus der Ferne erblicken konnte. Seine Wangen schienen im Zorn und Hass zu zittern, doch zitterten sie aus Furcht und Leid. Würde nur eine Macht nun sein Leben beenden, doch geschah es nicht. "Sie war einst als Idun, die Seherin bekannt, und wird heute als Serva durch actio in Roms Gnade unterrichtet," erklärte Verus und beugte sich dann hektisch herab, und fand kein Opiumholz. Mit sanften Fingern kramte er an seinem Gürtel und gab ihr ein Lederband als Ersatz in den Mund. "Es tut mir leid," flüsterte ihr zu und erhob sich dann wieder. Seine Augen verweilten noch in der Bewegung in ihren und wollten dort Vergebung finden.


    "Ich, Tiberius Verus, Centurio der Legio Secunda, veurteile zur actio, 21 Schläge durch römische Hand," hob er die Peitsche empor, um damit auf Idun zu zeigen. Er trat einen Schritt zurück, um einen festen Stand zu finden. Verus keuchte, als seine Vernunft über sein Herz siegte und somit der Römer seinen Stolz fand. Einen Stolz, der nur Grausames gebar. Tränenbehaftete Augen wollten weinen, doch konnte es nicht und so entschied sich Verus, da er nicht entkommen konnte; nicht einmal ein Held sein konnte, der römischen Natur nachzugeben. Wie war es soweit gekommen? Kurz huschten noch ein paar Gedankenfetzten durch seinen Kopf. Um einen Aberglauben unter seinen Männer zu bekämpfen, musste nun Idun leiden? War es wirklich vernünftig? Doch der Pöbel duldete keinen Aufschub. Seine Rolle, um Idun retten zu können, duldeten keine Gnade. Auch nicht für Verus. Rom wollte Macht. Und Rom bekam durch Verus Macht. Es war diese allmächtige Staatsidee, die alles tötete, was einst in Liebe gezeugt worden war. Verus sehnte sich nach Liebe und doch war dort nur diese Taubheit als er seinen eigenen Herzschlag hörte. "Rom ist alles," schrie er wütend und holte für den ersten Durchgang aus. Nein, er dürfte die Augen nicht schließen. Er wollte bewusst grausam sein. Nicht lügen. Noch einmal leiden, um das Leid für immer zu beenden. Die Peitsche sauste herab und die bösen Zungen gruben sich in die Haut. Verus holte erneut aus, für den nächsten Schlag und erneut bog sich das Leder auf ihrem Rücken. Jeder Schlag traf auch ihn selbst, ließ ihn mit den Fingern zuckern. Schon beim vierten Schlag musste er die Schlaghand wechseln, da die einstige Schlaghand furchtbar unruhig wurde. Laut zählte Verus jeden Schlag. Endlich erreichte er Schlag sieben. Der Centurio trat zum Tisch, um nach römischer Foltersitte das Instrument im zweiten Durchgang gegen den Rebstock zu tauschen. Er legte die leicht blutige Peitsche ab, konnte nicht auf sie blicken und nahm den schwarzen Rebstock auf. "Roms Gnade ist Leben," rief er in die Menge und deutete mit den Rebstock auf die anderen (männlichen) Gefangenen. "Ihr Leben ist verwirkt aber Idun wird als Sklavin leben dürfen," erklärte Verus und machte damit klar, was Rom sein konnte. Elegant, um seine unsichere Mimik zu verbergen, trat er um die gepeinigte Retterin herum. Verus holte tief Luft und begann dann gezielt mit schnellen, aber auch abgezählten Schlägen, auf den Rücken zu schlagen. Immer wieder überkreuzend schlug mit dem dünnen Holz, bis auch die Zahl Sieben erreicht war. Dann trat er wieder zum Tisch, um den Stock abzulegen. Die Peitsche wurde von unsicherer und zitternden Hand suchend aufgenommen, um den nächsten Durchgang durchzuführen. Der Anblick von Idun tat ihm inwischen so unfassbar weh, dass er am liebsten sich selbst dort angebunden hätte. Schmerz lag seinen Fingern, die kaum noch gerade lagen. Der Griff der Peitsche wollte nicht mehr ganz in seine Hand passen und doch fand er Halt. "Ab heute heißt sich nicht mehr Idun, auch ist sie keine Seherin mehr, sondern nur noch Luna, die Sklavin des Tiberius Verus," erklärte er seinen Besitzanspruch, um sich selbst eine Pause zu erlauben, von der blutigen Arbeit. Auch war es üblich, den Delinquenten eine Pause zu schenken, damit der Schmerz anwachsen konnte aber für Verus war dies nicht der Grund. Er wollte einfach nicht mehr zuschlagen. Sein Herz verbot es ihm. Doch die römische Vernunft herrschte in dieser Pein über sein Herz. Wieder war er Verlierer. Er holte aus, keuchte und ließ den Schweiß über seine Wangen laufen, als er die Peitsche herabsausen ließ und erneut die Sieben abzählte. Nun mehr schloss er bei jedem Aufsetzen der Peitsche die Augen, um es nicht anblicken zu müssen. Sein Herz zuckte und seine Lippen zitterten, um der eigenen Furcht und Schande Raum zu geben. Wieder trat er zum Tisch, legte die Peitsche ab und rief zu einem Soldaten: "Das tiberische Brenneisen!" Ein Legionär trat von einem heißen Schmiedekorb weg und trug das Eisen in seiner Hand. Der Soldat überreichte Verus das Eisen mit jenem Wappentier und den Buchstaben ATV. Verus, wohlwissend, dass sie bereits ein Brandzeichen besaß, wollte jeweilige Ansprüche unterbinden, und suchte mit schnellen Augen das alte Zeichen und überstach es in einer flüssigen Bewegung. Rauch stieg auf und der brennende Dunst von verbranntem Fleisch stieg in seine Augen. Es war getan. Und nun mehr hasste er alles an sich selbst. Mit einer wenig schönen Bewegung warf er das Eisen in den Schmiedekorb und trat mit erhaben-gespielten Schritten vor der Menge auf und ab, um Idun nicht anblicken zu müssen. Einsame Schande kroch über seine Hände, wie Eiswasser. Rom hatte heute zwei Seelen gepeinigt. Hoffentlich würde dies den gefährlichen Gerüchten und dem Aberglauben ein Ende setzen, der Idun und Verus Zukunft gefährdete. Doch hatte Verus nun Angst, dass er durch seine Folter und seine aktive Versklavung diese Zukunft längst zerstört hatte. "Entfernt die Sklavin in den carcer," befahl Verus römisch und deutete auf Octavius, als Zeichen, dass man Luna (einst Idun) nun losmachen konnte. Insgeheim hatte er einen seiner getreuesten Soldaten aufgefordert, sich schnell nach einem medicus umzusehen, der seine neue Sklavin um Kerker aufsuchen wurde, um sie dort zu versorgen.

    Vor einem Tag hatte sein Präfekt gefragt, ob er reiten könne und Verus hatte dies eindringlich mit einem festen "Ja" beantwortet und sich unter Schmerzen auf das Pferd geschwunden, was Idun einst genutzt hatte, um ihn zu retten. Es war ein gutes Pferd, welches ruhig aber langsam in seinem Gang trat. Auch Verus musste sich an diesem Tag von seiner Idun wortlos verabschieden. Denn ihm blieb nicht viel zu sagen, ohne sein ihm aufgetragene Rolle zu verraten. Ihre Stille tat ihm weh, denn langsam begannen die Offiziere abzurücken. Man reihte die gefesselten Gefangenen auf und auch Idun wurde in Fesseln gelegt, um sie etwas gesondert am Ende des Trosses im Gewahrsam zu leiten. Verus, unter Zwang und Zug seines Präfektes, geriet an die Spitzes des Heerzuges, da sein Pferd im Bewusstsein der Herde sich am Pferd des Iulius orientierte. Es gab kein Entkommen. Vorallem nicht aus seiner gefühlten Schuld. Innerlich fragte er sich, wohin er ging. Nicht im Sinne eines Wegpunktes, denn er wusste, dass sie nach Mogontiacum reisten, sondern im Sinne einer Seelenreise. Er stellte die berühmte Frage: Quo vadis? Es war nicht nur eine Frage über einen Ort, sondern auch über seinen persönlichen Lebensweg, der sich abrupt veränderte und einer Spur folgte, die ihn belastete. Verus konnte nicht still halten und blickte sich abgekämpft um. Brabbelnd formulierten seine Lippen jene zwei Worte: "Quo vadis?" So als ob er sich bei Licinus versichern wollte, noch auf dem rechten Weg zu sein. Auf jenem römischen Weg der Tugend, dem er glaubte zu dienen. Doch seine Erfahrungen mit Idun ließen die Tugend zur Untugend werden. Verus erschien sich selbst als Verfehlung und wusste nicht, was ihn noch erwartete. Sein Verstand ahnte bereits, was ihn erwarten würde, doch sein Herz verweigerte Gewissheit. Die Frage musste vom Herzen beantwortet werden aber konnte nicht ohne jene Nähe zu Idun beantwortet sein. Es war ein Widerspruch, der nun seinen Höhepunkt in einsamen Diamantaugen fand, die schimmernd aber leer im Regen welkten. Der Ritt war nicht nur eine körperliche Qual, sondern auch eine seelische. Es gab keine Antworten mehr auf diese bohrende Frage. Wohin ging Verus? Quo vadis, Vere? Die Rüstung wollte nicht leichter werden, sich nicht besser anfühlen und der Regen war Nahrung für seine Einsamkeit. Er vermisste Idun und wollte sie nicht allein in Ketten wissen, auch wenn er wusste, dass es römisch war und allgemeiner Brauch. Doch konnte nicht auch ein Brauch und eine Sitte gebrochen werden? Jetzt galt -Quo vadis- Idun, deren Lebensweg auch im Unsicheren lag. Die Frage war treffend für beide und stand für sich, so dass Verus Lippen erneut tonlos jene zwei Worte formten, um dem seelischen Blei einen Auslass zu geben. Sein Herz schrie wortlos mit einem dumpfen Herzschlag. Er war der Verlierer dieser Schlacht gegen sein Herz, welches hämmernd im Rausch seines Pflichteifers brechen wollte aber der römische Stolz hinderte es daran. Verus wollte anhalten, seinen Weg wenden, um für Idun in Liebe und Vertrauen ein Wächter ihrer Zeit zu sein. Doch, es blieb nur ein kaltes Nein seines Verstandes. Was blieb ihm noch? Seine Haltung war schlaff, gebückt im Regen und Wind des brechenden Sturmes, welches im fernen Donner auf sein gedankliches Nein zu antworten schien. Donnern begleitete Verus seit er in Germanien war. Ein Geräusch, welches Momente durchtrennte und alle andere Töne wertlos machte; für einen Atemzug, um dann wieder zu verschwinden und Stille zu hinterlassen. Stille, die mit Leben gefüllt wurde. Verus lebte und verlor dennoch. Er verlor sich in seiner einsamen Sehnsucht nach ihren Augen, ihrer Stimme und ihrer Nähe. Noch waren es nur winzige Zeiteinheiten und doch schien es für Verus eine Ewigkeit zu sein, sie nicht angeblickt zu haben. Es war diese Unsicherheit, dieser Vertrauensbruch mit seiner flüchtigen Gewissheit, die ihn zum Verlierer machte. Egal, was jetzt geschah. Er würde verlieren. Als Kriegsheld, erbte er ein Trauma. Als Liebender, fand er Einsamkeit. Als Römer, fand er Pflicht. - Und als Verus, fand er die kalte Sensation des Abschieds. Die Sonne schien über seinem Leben stets zu sinken, um dann frech einen letzten Lichtstrahl in wunderbarem Licht zu zeigen. Ein Lichtstrahl, der so selten und göttlich war, dass er trotz des Verlustes, Hoffnung als Geschenk erhielt. Idun war Hoffnung. Verus hoffte, dass er sie retten konnte, so wie sie ihn gerettet hatte. Es war die einzige Pflicht, die sein Herz noch frei akzeptierte, ohne zu verlieren. Iulius Licinus, seines Zeichens harter Militär, riss Verus aus seinen einsamen Gedanken, die versuchten Iduns Gesicht zu rekonstruieren. "Ja," antwortete Verus fragend, als er seinen Blick erhob. Seine Augen waren glasig und trugen die sichtbaren Zeichen des Krieges. Ein Mann, der Krieg und Konflikt gesehen hatte, erhielt diesen Blick, der jedem erkenntlich machte, dass diese Augen sich sehnlichts Wunder wünschten. Echte Farben, um sich selbst vom Leid reinigen wollten. Es aber nie konnten. Verus hörte aufmerksam zu, da er über die persönliche Gefangene sprach; was gleichbedeutend mit Idun war und somit Herz und Verstand zu Licinus Worten lenkte. Was er aussprach, traf ihn. Es traf ihn aber er sah darin jene Chance, die er sich gewünscht hatte, um Idun aus dem Joch weiterer römischer Strafen zu befreien. Als seine Sklavin konnte er sie beschützen. "Ich verstehe," sagte der Centurio nüchtern, um nicht den Anschein eines Gefühls zu eigen. Er zeigte militärische Kälte, die selbst den erfahrenen Präfekten schockieren konnte. Immerhin hatte Idun ihm das Leben gerettet. "Wenn es Rom verlangt, werde ich das tun, was Rom verlangt," erklärte der Tiberius noch eine schwache Rechtfertigung, um sich selbst etwas Illusion zu schenken. Doch die Illusion half nicht mehr. Er würde Idun etwas Schreckliches antun müssten, um sie zu retten- oder tat er es, um sich selbst zu retten? War er ein Feigling, der nicht aus seiner Pflicht ausbrechen konnte? Verus verzweifelte an sich selbst, verdammte seinen Stolz und fand sich erneut als Verlierer wieder, da erneut sein Herz in den Kampf gegen seine Vernunft zog. Leid war die Waffe, die seine römische Rüstung durchdrang. "Ich werde über sie die Macht Roms demonstrieren," log er nicht und hasste sich bereits dafür. Dorthin zogen sie also: Quo vadis? Idune in servitutem redigerent.

    Verus sah die traurigen Augen seiner Idun. Seine Hände waren kalt, als er versuchte seine Gedanken zu verstehen, die wild und ungeordnet huschten. Er sah die Tränen, welche langsam verendeten, in ihren Augen und fühlte sich so hilflos im Inneren, dass er nicht einfach aufstehen konnte, um für sie bereit zu sein. Sein Herz war nicht müde aber auch nicht stark genug, um diese Kälte zu ertragen. Die Bäume verrieten ihr Geheimnis nicht und schwiegen, wie eine Mauer, die sie still umgab. Die erschöpfende Hilflosigkeit drängte sich auf. Ein Wolf. Dort. Verus kannte ihn und wusste, dass es Fenrir war; jener Bruder und Freund seiner geliebten Idun. Nein, der Römer traute sich nicht, seinen Namen zu rufen. Nur bewunderte er ihn kurz, wie er mit seiner natürlichen Anmut im diesigen Licht des Regens schlenderte; nicht fliehen wollte von seiner Freundin. Es war ein seltsames Theater. Verus fühlte sich aus der Zeit gerissen, entrückt von dieser Welt, denn nichts konnte ihn wirklich halten. Die Zeit schien in langatmiger Eleganz vorbeizuschleichen, wie sich sein Blick mit dem Blick des Wolfes kreuzte. Sein Herz schlug für einen Takt mit ihm. All sein Leben war für einen Atemzug nur ein Traum, eine Geschichte einer anderen Welt und doch wollte er leben. Echtes Leben spüren. Doch für diesen Moment verlor er sein Leben an die Ewigkeit, da die Zeit zum Stillstand kam. Nur sein Bewusstsein flog einem Vogel gleich über diesen Ort, forschend und begierig auf das Ende. Nein, Verus war nicht gestorben. Nicht vergangen, doch war die kalte Gewalt, die er sich selbst antat, peinigend grausam und erzwang diesen Stillstand. Nur der Wolf schien ihn zu verstehen, der ohne sein Rudel verloren schien. Eine einsame Seele, die eigenmächtig nach Vergebung strebte und ebenso etwas vermisste, was doch noch vor ihm lag. Wie Fenrir nicht gehen konnte, konnte Verus auch dem Moment nicht entfliehen. Was wenn es alles nur eine Illusion war? Eine erheiternde Geschichte und Unterhaltung für fremde Mächte? Verus blickte durch die Augen des Wolfs. An einen Ort in ferner Zukunft, der nicht beschrieben werden konnte. Nicht einmal benannt und doch war dort etwas, was Verus ängstigte und erstaunte. Es war die Erkenntnis, dass jedes Leben nur eine Geschichte war. Ob lebendig oder tot, denn im Herzen waren alle Lebewesen nur tradierte Geschichten, die man sich selbst und andere erzählte. Diese Welt war Illusion und allein das, was er daraus machte, zählte. Seine Geschichte lebte und atmete im göttlichen Sinn. Es spielte keinerlei Rolle. Denn ein Teil seiner Seele verband ihn mit dieser Welt und gleichzeitig mit einer anderen. Ein Weltgänger zwischen Tag und Nacht, wie der Wolf Fenrir. So tragisch seine Hilflosigkeit war, so großartig war der wachsende Mut, denn Verus wollte nicht akzeptieren, dass jemand unschuldig litt. Der Stillstand brauch mit einem fernen Donner, der durch die Wolken stieß, als sich Verus erneut vom Stamm erhob, an den er sich gelehnt hatte. Es war keine Zeit für Erschöpfung. Stöhnend und keuchend erhob sich der Römer, der einem Untoten gleich schlaff wankte. Doch seine Augen lagen im Bewusstsein nun bei Idun, hinter der jener Wolf traurig kauerte und in seiner Entfernung vom Geschenen doch nicht gehen wollte. Auch für ihn galt eine Bestimmung. Ein Leben, welches er nicht aufgeben wollte. Wenn Liebe Bestimmung war, kannten nun Verus und Fenrir Bestimmung. Idun lebte erneut aus der Gedankenwelt, ihrem persönlichen Abyss, entrissen und blickte sich wieder mit Klarheit um, die mit ihrem Schmerz gemein war. Der Medicus gab es auf, den Tiberius in ruhiger Position zu halten, denn erneut erhob sich der verletzte Legionär und wankte in Richtung der Soldaten und Idun. Die Soldaten nahmen Haltung an, da sie selbst erstaunt waren, dass ein derartig verletzter Offizier überhaupt noch Kraft aufwenden konnte. Kampfgeist zeigte sich. Verus gab nicht auf. Doch waren vielleicht andere Mächte am Werk? Verus versuchte seinen Stand zu finden, als Licinus mit Seneca auftauchte und einen stämmigen Satz von sich gab. Der römische Tiberius wandte seinen suchenden Blick von Idun ab, um zu seinem Vorgesetzten zu blicken, den er schätzte aber auch fürchtete. Licinus war ein Hardliner. Ein Mann, dessen Gnade nur römisch war. Und somit kannte er nur eine Antwort auf die Welt. "Ruhig," antwortete Verus nüchtern und atmete so, als ob ein Bleigewicht seine Lungen beschwerte. Idun sollte der Prozess gemacht werden. Verus ließ den Kopf hängen, bevor er erneut aufblickte.

    Gut, nun war die Sache klarerer aber die Unsicherheit blieb. Verus nickte verstehend und grüßte dann noch einmal römisch mit einem knackigen "Ave!", bevor er sich entschied mit tappsenden Schritten zu Idun zu gehen, um im gebührenden Abstand auf sie zu achten. In ihrem Blick fand er jene Leere und ahnte, dass sie bereits abwesend war. Wer konnte es ihr verübeln? Verus hätte dies jetzt auch gerne getan. Neben Idun stehend, sagte er zum Soldaten, der Idun bewachte und davor bewahrte, umzufallen. "Sie ist meine persönliche Gefangene, achte gut auf sie," meinte er dann halblaut, damit Idun ihn vielleicht hörte und sie wissen konnte, dass Verus nun wieder in ihrer Nähe war. Gerne hätte er seine Hand ausgestreckt, um ihr wirklich nahe zu sein aber dies konnte er derzeit nicht.

    Zitat

    Original von Marcus Iulius Licinus
    "Wir werden uns also doppelt vorsehen," Licinus nickte. Etwas ähnlcihes hatte man wohl erwarten müssen. "Danke für deine Warnung."


    Die Bitte empfand Licnius dann doch als ungewöhnlich, so ungewöhnlich, dass seine Augenbraue ein wenig nach oben zuckte als er antwortete "Deine Bitte ist notiert. Ich oder der legatus entscheiden darüber, wenn dein schriftlicher Bericht vorliegt." Jetzt war weder die Zeit noch der Ort, eine solch doch recht weit reichende Entscheidung zu treffen.


    "Wenn du sonst nichts mehr hast, was wir wissen sollten, bevor wir abmarschieren habe ich nur noch einen Befehl für dich Soldat: Ruh dich aus! Wir sind bald wieder zurück."
    Wie bald, das ahnte Licinus noch nicht.


    Hasste Verus sich selbst? Ja, und doch war dieser Hass nicht aus Missgunst, sondern aus Liebe erwachsen, denn um Idun zu retten, musste er grausam tun. Und dieses Spiel tat ihm mehr weh als jedem anderem. Grausamkeit lag Verus nicht. Er war keine grausame Seele. Dennoch konnte er den harten Römer darstellen, da er sich selbst von falschen Idealen befreien konnte und doch war dort noch immer etwas in ihm. Ein Ideal von einem gerechten Staat, welches davon unberührt blieb. Verus stand hier als Römer und als Mensch, der eine Rolle ausfüllen musste, um eine andere Person, die er liebte, zu retten. Die Götter waren grausam, so ein Schicksal zu erlauben und doch würden sie auch neidisch sein, denn Verus und Idun fanden dadurch jene Magie, die selbst Götter stürzen konnte. Es war die reine Liebe, ohne Begierde, die nur dann erwuchs, wenn zwei Seelen gemeinsam in einem Takt schlugen. Idun und Verus lebten nun mehr ein Leben gemeinsam. Eine große Macht, wenn auch mit großer Verantwortung, denn nun kannten sie beide Einsamkeit. Vorher waren sie allein gewesen in dieser Welt und nun kannten sie den Bruch mit diesem Gefühl. Von diesem Tag an würden eine Trennung der beiden, großen Schmerz bedeuten. Sie waren untrennbar verwoben von magischer Hand. Seine Atmung beruhigte sich, flachte ab aber brach nicht ein.


    Der Präfekt sprach und Verus verstand oder auch nicht ganz. Wie sollte Verus in seinem Zustand noch einen Bericht anfertigen? Selbst wenn er bald zurückkehren würde, wäre die Bürde des Berichtes doch eine erhebliche Anstrengung. Immerhin hatte er mit Mühe dieses Massaker überlebt und konnte sich schon jetzt nur unter Schmerzen erinnern. Der Iulius war ein harter Hund, denn wenn er so etwas verlangte, war er recht grausam zu einem Veteranen eines blutigen Tages, der einem Fluch gleich Verus Seele folgte. Auch wollte Verus nicht begreifen, warum Licinus nicht dem römischen Brauch folgte und dem edlen Bürger seinen Besitz überließ, der nach Recht und Sitte beansprucht wurde. Sollte er noch einen öffentlichen Anspruch auf diese Sklavin erheben? Verus war durchaus überrascht, dass die Dinge - trotz geübten Schauspiels - nicht sofort gelingen wollten. Er fürchtete sich davor, was noch kommen würde und bis dahin wäre seine Idun auch nicht sicher. Brabbelnd legte er seine Lippen aufeinander und atmete tief durch die Nase ein. Jetzt dürfte er nichts Falsches sagen. "Ich werde den Bericht von einem Soldaten alsbald abfassen lassen und dir übergeben," umging er eine klare Antwort und nickte Licinus zu. "Ich ruhe mich aus und erwarte die Rückkehr," sagte er noch und trat dann einen wankenden Schritt zurück.

    Idun in Gewahrsam aber in Sicherheit. Vorerst. Verus dürfte sich keine Blöße leisten. Nicht offenbaren, wie er fühlte und dachte, denn sein Rom konnte dies nicht verstehen oder ertragen. Er war verdammt zu einer Lüge. Zwar wollte er nicht lügen, denn Rom belog man nicht aber um Idun zu retten, war er gezwungen dieses Theater zu spielen, denn wenn dieser Konflikt den Verlauf nahm, den er befürchtete, würde der Boden bald erneut in Blut getränkt werden. Er musste dies Idun ersparen. Nicht nur, weil er fürchtete, dass sie darunter leiden konnte, erneut diesen Tod zu sehen, sondern viel schlimmer, dass sie daran umkam oder durch eifrige römische Soldaten misshandelt wurde. Krieg offenbarte oft das Schlechteste im Menschen, wie er auch große Heldentaten hervorbringen konnte. Krieg war der Schlüssel zum Abgrund; und manchmal verbargen sich im Abgrund furchtbare Dinge oder wertvolle Dinge. Doch Verus wollte nicht erneut erfahren, wie sich der Abgrund anfühlte. Die Träne seiner liebgewonnen Wahrheit, die Idun ihm schenkte, gab ihm Sinn und Verstand, diesen Kraft zu meistern. "Es tut auch gut, wieder Römer zu sehen," erklärte Verus nicht einmal gelogen, doch nun begann das Theater; jene Konstruktion gegenüber dem Präfekten, der ihn immer unterstützt hatte. Iulius Licinus war ein aufrichtiger Soldat. Zwar durch Krieg und Militär eisern gemacht aber nicht herzlos. Vielleicht würde er verstehen, wenn Verus seine Zwangslage, die ihm sein Herz gab, offenbarte? Aber Rom verbat es. Rom musste es verbieten. Es gab immer diese Grenze. Diese grausame Trennung zwischen einem "Wir" und einem "Die". Es war dieser kalte Hass, diese vorwurfsvolle Ignoranz zwischen zwei Welten. Gegenseitig trennte man. In Gut oder Schlecht aber was war am Ende die wahre Grenze? Man selbst war die Grenze. Man selbst entschied sich für oder gegen etwas. Doch Verus konnte nicht gegen Rom entscheiden. Rom war immer größer gewesen, immer wichtiger und immer ein Anker der Kultur und der Vernunft in einer willkürlichen Zeit. Die Hörner und Trommeln des Krieges schlugen, unüberhörbar, war der Marsch der Soldaten und der baldige Kampf stand bevor. Verus musste von einem Kampf ausgehen. Rom musste Vergeltung üben. Nur sein Machtanspruch sicherte seine Grenzen. Die militärische Stärke sicherte Macht und die Macht erschuf jenen römischen Frieden; der vielleicht nicht so friedlich war, wie manche Zeitgenossen meinten. Doch Verus würde sich kein Urteil darüber erlauben, da er die Welt außerhalb Roms kannte. Sie war nicht schlechter aber mit Sicherheit auch nicht besser. Es war eine Welt, die sich einer klaren Bewertung entzog. Die Geschichte verlief in ewig gleichen Kreisen. Hoffnung, Verlust jener, und Aufbau einer neuen Hoffnung. Doch Verus hatte etwas außerhalb des Kreises gefunden. Etwas, was fern und gläubig war; jene Urmacht, die keinen Sinn brauchte und keine Vernunft. Mit einem gescheiten Seitenblick suchte er diesen Schatz im diesigen Licht des einbrechenden Unwetters, welches immer mehr Tropfen freigab, die perlend auf die Rüstungen prallten. Regen, wie passend, zu ihren ungesprochenen Tränen. Ja, Verus verstand den Präfekten gut. Sehr gut sogar. Denn die Kraft, die er gefunden hat, war widernatürlich und doch ganz frei von dämonischer Besessenheit. Sein Angesicht wanderte zurück zum erfahrenen Offizier Licinus. "Ja, ich kann sprechen," erklärte der Tiberius, legte dabei dem warnenden Arzt seine Hand auf die Schulter, um diese sanft zu beruhigen. Er selbst fühlte sich bereit für das Theater, jenes Machwerk an hilfloser Hilfe gegenüber eine überfahrenden Zeit. "Sie sind hinterhältig und greifen gegen jene Sitte auch mitten in der Verhandlung an," sprach der Römer aus Verus und offenbarte damit seine eigene Erfahrung. Der Krieg brodelte in ihm, zog an seinen Knochen und seinen Wangen, die dezent zitterten. Seine Augen sangen den Abgesang seiner Unschuld als Licinus in die Augen eines Veteranen blicken konnte. Verus war nun ganz Soldat, der im Blut eingeschmolzen zu Eisen geworden war. Nur Idun hatte ihn davor bewahrt, zu einer herzlosen Waffe zu erstarren. "Die Einheiten müssen auf Hinterhalte und versteckte Fallen achten. Insbesondere Angriffe aus Hütten. Sie kämpfen alle. Auch Frauen und Kinder. Allesamt greifen sie uns an, ganz plötzlich und ...," steigerte sich die Wortwahl, bis Verus seine Ausführung abbrach, da die Erinnerung daran noch immer schmerzte. Diese taube Gefühl in der Seele wuchs wieder, wie ein Geschwür und nur Iduns unvermittelte Nähe, wenn auch auf Abstand, hielt sie zurück. "Praefectus," schloss er dann wieder militärisch ab, um nicht weiter in diesen dunklen Welten zu versinken, die wie Schatten an der Seele eines Soldaten fraßen. "Ich habe eine Bitte," musste er jetzt unterbringen, damit er seine Idun sicher wusste. "Diese Germanin dort, hat mich versorgt und hat sich in meine Potestas als Serva verkauft, um eine Familienschuld zu begleichen. Ich erhebe Anspruch auf sie," sprach er betont kaltherzig diese Worte, um nicht zu zeigen, wie er in Wahrheit fühlte. Sein Herz fühlte kaltes Blei im Guss, wie es langsam herabfiel und dieser Schmerz war frostig. Erst, wenn sie unter seinem Namen stand, konnte er sie wirklich schützen oder zumindest wäre sie sicher. Ein fremder Gewahrsam, wenn auch ein römischer, war dennoch unkontrollierbar für Verus. Es fiel ihm nicht leicht aber das Theater verlangte es. Mit seinem linken Arm deutete er ohne Blick zur Seite; in jene Richtung, wo Idun stand.

    Die Melodie spielte leise. Nicht zu hören und doch in jedem Herzschlag, der Blut durch Verus trieb. Leben stand im nahe aber auch war er entrückt von diesem. Etwas war verändert, verwandelt und versetzt in eine andere Zeit. Verus stand außer sich und doch war er lebendiger als jemals zu vor. Liebe stand im Glanz seiner Augen, der seine Idun betrauerte. Sprachlos war er und doch sagte er alles, was er ihr sagen konnte, als sich ihre Blicke erneut trafen. Ihre stille Träne band sich mit einer Träne aus seinem Winkel. Die Bedeutung von allem schwand. Liebe, nicht diese Begierde, die viele verwechselten, wuchs in sanfter Blüte zwischen beide als sich ihre Tränen zum gleichsamen Fall entschieden. Ihre Zuwendung hatte keinen Sinn, keinen Namen oder Zweck, doch war sie real, so wunderbar und so göttlich, dass sein Herz schlug. Es machte ihn besser und sie stärker. Sie verlangten nichts voneinander. Man fand sich ohne sich zu suchen. Es brauchte keine Beschreibung für jene Verbindung, die geschmiedet aus Einsamkeit war. Nichts konnte ein Leben mehr möglich machen, wenn beide Herzen nicht neben einander schlugen. Idun blickte ihn an und er blickte sie an. Der Medicus wollte dem Präfekten antworten, als Verus sich unter Kraftanstrengung am Stamm empor schob, um an diesem Stand zu finden. "Ich denke schon," sagte der Arzt schließlich, der erstaunt war, dass der immer noch schwer verletzte Soldat noch die Kraft hatte, diesen Akt zu vollziehen. Es ergab keinen Sinn und so stützte der erfahrene Truppenarzt mit einer Hand den Stand des Centurio. "Ja, das kann ich," antwortete Verus also mit nicht ganz so fester Stimme. Idun brauchte ihn. Ihre Träne war Lebensforderung für ihn. "Ich bin Tiberius Verus," stellte er sich fest vor und tat dem römischen Recht genüge, dass den Namen stets verlangte. Mit einem traurigen Gefühl musste er seinen Blick zum Iulius wenden und blickte diesen mutig an. In Verus Gesicht standen seine Erfahrungen und seine Eindrücke. Doch die Augen logen nicht und durchbrachen den Schmerz der Erfahrung. Hoffnung lag darin. Dieses Leuchten, welches fremd und entrückt war. "Praefectus Iulius," grüßte er dann und hob seine Hand auf seine Brust zum römischen Gruß. "Ave," schloss er dann militärisch ab und vermittelte durch diese einfache Geste seinen Dank. Schließlich bemerkte er, was wirklich vor sich ging. Es war nicht nur ein Rettungseinsatz, sondern die Vorbereitung eines Konfliktes.

    War es dieses Gefühl, welches man Sehnsucht nannte? Er sehnte sich nach etwas, was ihm fehlte und doch war es direkt vor ihm. Man hatte sie ihm durch händische Macht entrissen. Idun, voller Kraft und Stolz, war diese fremde Anmut, die er von schlechter Position betrachten musste. Eine Betrachtung, die ihn schmerzte; denn er wollte mehr für sie sein als dieses kränkelnde Etwas, welches durch den Krieg verwundet, nicht nur um Würde, sondern auch um Anstand rang. Die Ereignisse überschlugen sich. Verus durch Wunden gekrümmte Wahrnehmung wollte im Fieber nicht klar sein, doch nun nahm er wahr, was um ihn herum passierte. Etwas passierte. Er stöhnte vor Schmerzen, als er sich bewegen wollte, um aufzustehen. Ein Centurio kroch nicht über den Boden. "Ich bin...," wollte er sagen, als die Soldaten bereits für ihn, noch betäubt vom Bewegungsschmerz, in ein Wortgemenge verfielen. Waren darunter nicht auch Männer, die er kannte und die unter ihm dienten? Es waren sicherlich zwei dabei, deren Gesichter er nun erkennen konnte. Einer nannte Idun eine Hexe. Vielleicht war sie es auch. Verus glaubte nicht an so etwas aber konnte die Magie dieser Frau nicht leugnen. Krampfend wollte er sich erheben, um Idun zu verteidigen. Niemand sollte ihr hier ein Haar krümmen. Denn sie stand doch unter seinem Schutz. Mit all seiner Macht und Sehnsucht stämmte er sich auf und fand wankend auf seinen Beinen einen halbwegs festen Stand. "Ja, Centurio Tiberius," antwortete Verus nun. Vielleicht hätte sein Wort Gewicht, wenn er sich schützend vor Idun stellte? Doch es geschah bereits ohne sein Zutun. Dieser Auxiliar schritt ein, half und doch war sein Einschreiten seltsam brutal. Ungeschönt. Nicht, dass Verus keine Gewalt kannte, immerhin plagte ihn noch immer der Fluch des Krieges; jenes Andenken, welches im Hinterkopf eines Soldaten schlummerte und seine Zukunft immer mit salzigen Tränen begleiten würde. Tränen, die sich wie Blei ins Blut und somit die Erinnerung gossen. Doch die Römer ließen noch nicht von Idun ab. Sie drohten ihr zu Schaden (- so zumindest musste es Verus wahrnehmen) und Verus immer noch machtlos durch Verwundung konnte nur seinen Arm nach Idun ausstrecken und wollte über seine brechenden Lippen einen Satz formen, doch konnte es nicht, da der Stand sämtliche Kraft fraß. Mühsam setzte er einen Schritt vor den anderen und hoffte bald in Schutznähe zu sein, um Idun zu befreien. Und wieder nahm Fortuna ihm jedwede Handlungsmacht und die Ereignisse überholten den lahmen Gang des Römers. Der Medicus versuchte auf Verus einzureden, wieder an den Baum zu lehnen, wollte aber aus Angst vor den Verletzungen nicht mit fester Hand zu greifen. Er war der einzige, der aktiv Verus bemerkte, da die anderen mit der angeblichen Hexe beschäftigt waren oder zumindest ihren Fokus auf diese Situation gelenkt hatten. Die Luft wurde wieder schwer in seinen Lungen, so dass wieder ein paar Schritte zurück ging, um wieder am Baum herab zu sinken; jenem Baum an dem er vorhin gelehnt hatte. Wie ein Geist war er gewesen, hatte versucht in die Welt der anderen einzudringen aber konnte keine Fassung finden. Nicht einmal bemerkt hatten sie ihn. Sein Herz pochte aber Idun schien versorgt, wenn auch nicht mehr unter der Gewalt des Hexenfluchers. Scheinbar wirkte etwas auf das Gerangel ein, welches entstanden war. Es waren die Stimmen, feste Männerstimmen, geschult im Befehl, welche durch seinen Nebel drangen. Der Kriegsgeist Verus kniff beide Augen zusammen und sah sie. Es waren Römer. Sogar Offiziere. "Ich bin hier," rief er instinktiv, um sich seinem Rom zu vergewissern, welches gekommen war. Zu ihm gekommen war. Rettung für sich und Idun. Eine Rettung, die er ihr versprochen hatte, wenn auch nicht im genauen Wortlaut. Schon näherten sich weitere Menschen, vorallem Legionäre. Verus hörte geblaffte Namen, eine militärische Angewohnheit und der Römer konnte einordnen, wer gemeint war. Jetzt erkannte Verus einen der beiden Reiter. Es war Präfekt Iulius. Er kannte diesen Mann. Verus keuchte und wollte ihm zu rufen. "Hier, Praefectus," schaffte er dann mit Aufwand seiner Lungen. Verus wollte mit Licinus sprechen. Er musste mit ihm sprechen, denn alles hing davon ab, wie er die Sache erklärte. Idun schwebte in Gefahr. Der Tiberius fühlte dies. Ein Arzt näherte sich, sprach mit Verus, der dessen Worte nicht fokussieren konnte. Der Medicus begann die Verbände zu untersuchen und betrachtete Verus ausgiebig, fühlte sogar die Temperatur. Der Arzt handelte, wie es ihm notwendig erschien und durchbrach dabei kleinere Gepflogenheiten, denn er schob zwei Legionäre von Verus weg, die ihn anheben wollten. Noch war er nicht soweit. Alles geschah so schnell. Sprach Idun mit dem Präfekten? Verus verstand nicht klar. Seine Ohren rauschten und doch konnte er Brocken verstehen. "Ich bin...," wollte er wieder sagen und brach dann doch wieder ab. Der Arzt beruhigte Verus mit einer einfachen Geste und die beiden Legionäre sicherten den Centurio achtungsvoll ab.


    Sim-Off:

    *Ich hoffe, dass es okay war, das ich mir den Medicus ausgeliehen habe, um Verus wieder ein wenig in den Handlungsablauf einzubauen, da ich doch etwas überholt wurde. :D

    Iduns Angesicht, ihre Worte, hielten ihn zurück. Das Gladius war schnell entschwunden durch ihre Hand und der waffenlose Verus blickte mit etwas mehr Leben, fast unschuldig, hinauf ins Blattwerk, in welches leise Regentropfen fielen. Einige Blätter lösten sich hinab und trudelten in einem eleganten Tanz auf seinen Schoß und seine Schultern. Ein paar Tropfen durchbrachen den Moment, glänzten im schimmernden Licht des schnellen Wetters. Zwei Tropfen fielen in sein Gesicht, um dort Edelsteinen gleich zu verweilen. Verus konnte wieder frei atmen und die Luft in seinen Lungen wuchs an, um das Fieber zu vertreiben. Er lebte. Erholt schloss er die Augen, denn der krankhafte Wahn war geschlagen und in der Nähe eines neuen Prologs für ein neues Leben, waren neue Kräfte gewachsen. Der Römer nahm das Tuch von seiner Stirn, um es an Idun zurück zu reichen. Dann blickte er wieder herab, um er den ersten und neuen Blick nach diesem Atemzug zu schenken. Mit großen und warmen Augen, die sich für Idun öffneten, blickte er sie an. Ihr ungewisser Blick traf auf seine Hoffnung. "Alles wird gut," meinte Verus tonlos gesprochen und erneut kündigte ein Donnern den nahenden Sturm an. Der Regen begann für die beiden zu singen, indem er rauschend ins Blattwerk fiel.

    Verus trank. Er tat ohne Willen, was ihm seine schützende Götterbotin befahl. Denn noch war sein Geist gelöst und im Fieber. Gab es noch es etwas zu glauben? Gab es noch etwas, woran er sich festhalten konnte? Ja, das gab es. Im Delirium seines Zustandes suchte seine Augen Idun und fanden sie. Der Centurio sog Luft durch seine Nasenflügel ein und versuchte zu seinen Sinnen zurück zu finden. Es gelang ihm durch die Gewissheit, dass Idun bei ihm war. Doch etwas passierte hier. Als seine Sinne in seinen Geist zurückfanden, stellte er bekannte Geräusche fest. Es waren Kampfgeräusche. Panisch blickte er sich um und griff in Reflexhandlung zum Griff seines Gladius. Mit einer gebrochenen Bewegung riss er die Kriegswaffe heraus, um diese schützend vor sich zu halten. Es war der Drill, der ihn übermannte, bis er bemerkte, dass der Kampf noch entfernt war und so lehnte er sich wieder erschöpft zurück an Baum. Sein Gesicht sprach ohne Worte von seinem Leid. Das Gladius fiel aus seiner Hand auf den Waldboden, wo es achtlos liegen blieb. "Idun," jappste er und wollte sich ihrer vergewissern. Die feuchten Tüchter fielen ab; leblos auf den Boden neben Verus. Erst jetzt bemerkte Verus die Präsenz des Mannes, welches ihm unbekannt war. Mehrfach musste er seine Augen zusammen kneifen, um einen klareren Blick zu finden. An seiner Aufmachung erkannte Verus, dass es sich um einen Auxiliar handeln musste. "Soldat," sprach Verus fest und nickte diesem zu, der seiner Idun gerade eine Frage stellte. "Danke," meinte der Römer nun, denn er hatte zumindest diesen Moment wohl dank Idun und ihm überstanden.

    Zitat

    Original von Marbod


    Verus hörte die Stimme von Idun leise in seinem Ohr und fand ein wenig Kraft in seinen Beinen wieder, so dass er Marbod und Idun unterstützen konnte, als sie ihn zu Baum schafften, um ihn dort anzulehnen. In der Tat half diese Stütze, ihm das Gewicht der überschweren Rüstung zu erleichtern, die nicht nur hochwertig, sondern in seinem Zustand auch wie Blei war. Verus war ein vollwertiger römischer Soldat und seine Rüstung zeigte dies im Besonderen. Noch immer im Delirium seines Fiebers, konnte er seine Umwelt nicht mehr ganz wahrnehmen und brabbelte verwirrt immer wieder nur ein Wort: "Rom." Scheinbar wollte er einen Satz formulieren, eine Antwort aber schaffte es nicht, da er wirklich Ruhe benötigte und Flüssigkeit. Sein Verstand arbeitete nicht mehr so genau, wie er arbeiten sollte. Auch den Wolf, welchen Idun rief, und der ihm bekannt war, wollte er nicht wirklich wahrnehmen, sondern blickte mit hängendem Kopf auf den Waldboden. Seine Augen waren glasig aber mit einem Leben gefüllt, welches Idun suchte. Mühsam erhoben sich seine Augen, um das Verlorene zu finden.

    All die Geschichten, die je erzählt worden waren, lagen hier in einem einzigen Atemzug Ewigkeit, denn Verus hörte. Bis zum Ende der Zeit war die Seele geteilt und doch wollte sie mehr sein. Verus keuchte schwer, hörte die Stimme seiner Idun in einiger Entfernung und wollte sich nicht mehr abwenden aber sein entkräfteter Körper konnte nicht richtig reagieren. Seine Augen versuchten den Körper zu verlassen, um sie zu sehen und doch gelang es ihnen nicht. Verus, vergessen von seiner Vergangenheit, wollte einfach nur aufstehen und zu ihr gehen. Doch das Fieber schwächte ihn noch immer so sehr, dass er nur hilfslos den linken Arm heben konnte und eine Geste signalisierte, ihm aufzuhelfen. "Hilfe," rief er mit aller Kraft und wollte zu seiner Idun, damit sie nicht mehr allein war. Fragil war seine Körpermacht, wie leiser Sand in einer Sanduhr war alles vergebens, ohne Hilfe. Es war der Tag seiner eigenen Erkenntnis, denn gebunden durch das Fieber, war nur eines wichtig: dieses Gefühl nicht mehr zu verlieren. Idun nicht mehr zu verlieren. Die Rüstung, das schwere Kettenhemd, drückte auf seine Brust und das Gewicht der Ausrüstung machte sich bemerkbar, als Verus sich auf den Bauch drehen wollte aber scheiterte und somit auf seinem Rücken liegen blieb. Es war klar, dass er ohne Hilfe nicht aufstehen konnte.

    Es war diese Stimme, diese ferne Stimme, die ihn rief. Es zog ihn fern von diesem Ort, in die weite Ferne dieses Ozeans, welcher sich kalt um seine Seele zu erstrecken begann. Es war eine kalte Wärme, die durch seine Glieder fuhr. Eine Gewissheit, dass in dieser Ferne etwas lag, zu dem er gehörte. Die Stimme hatte keine Worte, keine klaren Klang, sondern sang allein in winzigen Tönen, so seltsam und fremd, dass es kein menschlicher Klang war. Es war die Melodie des Lebens, jenes Canto, welches die Sterbenden hörten. Verus hatte es gehört, nun zum zweiten Mal, deutlich lauter als jener Moment, wo er beinahe in die Nachwelt gegangen wäre. War es überhaupt eine Welt oder doch nur ein Ozean? Sein Bewusstsein flatterte, wollte nicht mehr ganz fest sein, da seine eigene Stimme ihm fremd erschien, die zwei Namen wiederholte: Calena und Idun. Nur diese beiden Worte hielten sein Bewusstsein zusammen, bevor es gehen konnte. Das Fieber nahm ihm seine Sicht, so dass er die Augen nicht mehr öffnen konnte. Iduns Hand konnte noch die schwachen Herzschlag spüren, der immer schwächer wurde. Doch dann wurde sie von ihm gerissen, fern und ließ Verus allein in diesem Gesang zurück. Der verwundete Körper eines Soldaten litt nicht mehr, sondern wollte enden. Einzig und allein sein Wille diese Namen nennen zu können, hielt ihn hier. Der römische Legionär, in voller Rüstung, jedoch ohne Helm, wollte sich vom Ozean befreien, der gierig seine Wellen in seinen Leib schlug. Doch diese Stimme war zu schön, zu lockend, um einfach übergangen zu werden. Sollte er sich entscheiden? Diese Welt hatte ihm nur Schmerz gebracht, nur eine kränkelnde Einsamkeit und doch war sie dort, diese Liebe. Dieses Gefühl, das widernatürlich war und sich selbst im Wege stand. Calenas Bild huschte vorbei, gefolgt von Idun, schließlich zeichneten sich in Schemen aller Menschen ab, die er jemals in seinem Leben gesehen hatte. Die Zeit schien endlos und auch seine Eltern erhielten einen Moment des Andenkens, bevor die Schemen zu Schatten wurden und schließlich verblassten. Der Gesang, das Lied der Sterbenden, sang nur für ihn. Das Fieber brannte, trieb den Schweiß immer mehr hervor und der Ozean des schwarzen Lichts schien in salzigen Tränen aus seinen Hautporen zu quellen. Die Lippen zitterten, begierig, Idun antworten zu können, doch ohne einen Willen, waren sie nur leblos. Sie verloren an Farbe, während seine Hände stumm in den Boden gruben.


    Er war so nah und doch so fern. Zwischen Licht und Dunkelheit leuchtete der Weg in einer Farbe, die auf dieser Welt nicht einmal einen Namen hatte. Verus fand sich wieder an jenem Ort, den einige als Elysium beschrieben, andere als Nachwelt oder wiederum als den Abschied bezeichneten. Unter ihm war schwarzes Wasser, so dicht und ohne Licht, dass es kalt um seine Füße wogte, während über ihm ein Himmel in strahlendem Licht war, der einen einzigen Lichtstrahl zu ihm sandte, der ihm folgte, wenn er einen Schritt tat. Es gab keinen Anfang und kein Ende, soweit sein Verstand blicken konnte. Hier gab es nur fehlende Stücke und eine Gewissheit, dass dieser Ort allein für Verus bestand. Hier war nichts, was er wollte, was er suchte und selbst der Ausruf eines Namens, insbesondere Iduns, konnte nichts bewirken. Nein, es war keine Angst, die sich fügte, sondern der Gesang füllte sein Herz mit siechender Hoffnung. Zwischen Licht und Dunkelheit kämpfte Verus darum, sein zu können. Lebendig zu sein. Ohne Bewusstsein für seine Umwelt, zuckte sein Körper in Intervallen, wollte gegen den Untergang ankämpfen, doch ohne Geist war kein Leben in der Hülle, welche noch wenige Atemzüge in dieser Welt haben sollte, wenn er nicht mehr Willen aufbrachte. "So nah," presste er mit all seiner Macht gegen den Gesang an. Ein ferner Donner durchschlug den Ozean und auch die reale Welt von Idun und den beiden Soldaten. Ein Donnerschlag, so laut und dumpf, dass das Blattwerk bebte und ein paar Regentropfen fielen. Noch war es kein Sturm aber ein Unwetter kündigte sich an, mit nur einem Donner, der weit über das Land rollte. Verus wollte sich fallen lassen, ins Meer, einfach fort treiben, doch der Donnerschlag ließ eine Welle durch das Meer fahren, die ihn an einen Strand spülte, wo Teile seines Lebens symbolisiert in Skulpturen und Artefakten lagen. Verus spuckte das schwarze Wasser aus seinen Lungen, zog sich selbst an den Strand, wo er erschreckt durch die Fratzen seiner Vergangenheit, panisch seinen Kopf suchend umher wandte. Atmen. Er musste atmen, denn der salzige Geschmack verklebte seine Lungen. Die Dunkelheit lag im Nichts, wie auch das Licht im Etwas lag. Verus erlebte seine Epiphanie erneut, doch dieses mal, zeigte ihm seine eigene Unterwelt klar, was er brauchte. Über den Strand wandernd, trat er auf eine Büste von Idun, die halbvergraben im Sand lag; im Sand der Zeit dieses endlosen Strandes ohne jemals einen Ort dahinter zu offenbaren. Eine Wüste am Meer, gefüllt mit Vergangenheit. Verus befreite die Büste vom Sand und war erschreckt über das Gesicht der Büste, welche weinend und traurig in sein Angesicht blickte. Ein Schmerz, ein stechender Schmerz durchfuhr seine Brust, als er der Blick dunkel wurde. In der realen Welt, riss er die Augen auf, atmete keuchend ein und aus, als ihm zwei Regentropfen direkt ins Gesicht fielen. Die Wassertropfen fielen über seine Wangen hinab, rollten über den Hals und versiegten am Halstuch des Centurios. Verus zitterte, doch die Krämpfe flauten ab und die Hände gruben sich kein Grab mehr im Waldboden. Mit verschwimmenden Blick wollte der Tiberius erfassen, wo er war und wann er war. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren und suchte die Realität nach fehlenden Puzzlestücken ab. Verus blickte in die Augen eines Soldaten, der ihn heftig schüttelte. "Ich...Ich," wollte er etwas sagen und da fiel ihm die Büste ein, die er gesehen hatte; an diesem Ort, der nicht sein dürfte. "Idun," sagte er nur und wiederholte ihren Namen mit einem lauten Puls am Halse liegend: "Idun." Wieder so fern und doch näher an dem, was er war.

    Zitat

    Original von Appius Tiberius Maxentius
    Wohnort: Roma


    Hab ich vergessen, sorry :)


    Das üben wir noch mal! So wird das nichts mit der großen restitutio res publica!


    Es ist alles soweit abgesprochen. Er darf gerne dem Licht des Flusses Tiber folgen und ein Tiberius werden. :dafuer:

    Sie nahm Abschied. Verus beobachtete seine Idun bei der gnadenvollen Geste gegenüber ihrer Heimat. Er war aufgeschreckt, als sie für ihn plötzlich das Pferd stoppte und ihn aus seinen Gedanken riss. Ihre Geste war eine stille Vergebung, eine leises Dahinscheiden von Erinnerung und ein Abschluss für ihre einsame Erfahrung in diesem Wald, der so viel Lebenskraft hatte, das Verus, eigentlich der Natur entwachsen, seine Kraft spüren konnte. Das Rauschen des Windes, das leise Geräusch von Tieren, welche in Entfernung durch den Wald gingen und selbst die Vögel, welche mit ihren Tönen das Astwerk bevölkerten und schwiegen sobald sich Idun und Verus näherten. Verus hatte einen solchen Wald nicht gekannt, nicht so, denn im römischen Teil der Wald wurde alles einer Ordnung unterworfen und jeder Wald nahezu gefällt und gerodet, um mit dessen Holz Gewinn zu erzielen oder auch um Schiff zu bauen. "Wir alle müssen vergeben. Irgendwann müssen wir uns selbst vergeben," meinte der Römer murmelnd. Er wollte es kommentieren, bewerten und auch einordnen, was er dort sah. Doch es entzog sich seine Wahrnehmung, was sie fühlte. Gerne würde er wissen, was sie fühlte und wie es sich anfühlte, den Wald mit ihren Händen zu berühren. Nein, Verus hatte keinerlei solche Verbindung zur Natur und beneidete seine Idun darum. Das Pferd blieb ruhig stehen, bewegte sich und verweilte in allem Friedem in seiner Position. Es flüchtete nicht, machte keine Anstalten durchzugehen oder einen neuen Kurs einzuschlagen. Ihre Geste ließ Verus mit traurigen Augen zurück. Was tat er ihr an? Nein, sie sollte nicht seine Sklavin sein. Auch nicht im Status aber die Welt verlangte es, wenn sie leben sollte. Doch wie konnte Verus eine Welt ertragen, die so grausam war? Er hatte als Römer gelernt, hart zu sein. Er hatte gelernt, die Welt sich Untertan zu machen aber zerbrach schließlich an einer Frau, die sein Herz mit Mitgefühl berührte. Ein Mitgefühl, was er niemals gekannt hatte. Nicht einmal von Calena. Sein Herz lebte, pulsierte und wollte Idun alles geben, was er an Leben besaß, um diese Einsamkeit ungeschehen zu machen, die sie ihr Leben erdulden musste. Er kannte dieses Gefühl. Dieses schreckliche Gefühl, niemals willkommen zu sein, niemals ein echtes Zuhause zu haben und stets getrieben von einer Hoffnung zu sein, dass es besser sein könnte. Ein Leben für sich allein war kalt, oft durchdrungen von tristen Gedanken und einer Sehnsucht nach Erlösung von diesem Gefühl. Verus hatte diese Erlösung stets in Idealen gesucht. Sein weiches Herz, versteckt im Körper eines Soldaten, eines römischen Offiziers, der so viel Blut gesehen hatte, dass selbst seine gestählten Muskeln zitterten und zebrachen, wenn er an den Kampf dachte. Das Zittern zog sich über seine Waden, über die Wunde hinauf, wie ein kalter Schauer. Idun war seine Erlösung, mit der er schlicht Seite an Seite liegen wollte, um dieses Gefühl von Einsamkeit ungeschehen zu machen, welches er auch sich selbst angetan hatte. Der Krampf ließ seinen Körper müde werden, den er mit reiner Willenskraft auf dem Sattel hielt und die wachsende Taubheit umfing seinen Oberkörper. Es war dieser Schmerz und der Schmerz darüber, dass er tatsächlich hier als Person enden konnte, ohne Idun wirklich zu sagen, was er über sie dachte. Idun sah zu ihm auf und ihre Edelsteinaugen funkelten mit jenem Gefühl, was er suchte. Mit jener Sicherheit, der er vertrauen musste. Verus atmete schwer ein und aus, während er fest in ihre Augen blickte, um seinen Willen daran festzuhalten. Sie gab ihm noch Halt, gegen den Krampf und den Schmerz. Das Fieber kehrte zurück. Schweiß perlte sich an seiner Stirn und die Lippen waren trocken. Seine Idun deutete mit ihrem Stab in eine Richtung. Verus wollte mit seinem Blick folgen, scheiterte aber, da bereits seine Wahrnehmung verschwamm und das taube Gefühl alles einnahm. Tatsächlich leuchtete der Weg hell, auf den sie gedeutet hatte und für Verus erschien er einem Wunder gleich, da für ihn ein helles Leuchten ein Elysium symbolisierte. Er war mit ihr hier und das war derzeit alles, was zählte. Entkräftet rutschte er zur Seite, fiel vom Pferd auf den Boden, bevor sie reagieren konnte und lag regungslos auf dem Waldboden. Seine Augenlider zitterten, wollten sich schließen und der Blick war gierig zum Himmel gerichtet. Sein verletztes Bein zuckte und auch seine Hände krampften, während sein Herzschlag pumpte und er nach Luft rang. Der Schweiß nahm zu und das Salzige überdeckte den Gesang seiner Augen.