Wagenrennen im Römischen Reich
Wagenrennen waren eine im alten Griechenland und Rom sehr beliebte Sportart. In der römischen Spätantike und in Byzanz waren die Anhänger verschiedener Mannschaften in Zirkusparteien geteilt, vor allem die "Grünen" und die "Blauen", aber auch die "Weißen" und "Roten", die sich bisweilen bürgerkriegsähnliche Kämpfe lieferten, aber auch sonst kräftig in der Politik mitmischten. Jede Partei repräsentierte eine bestimmte Volksschicht, und diese Wagenrennen waren nicht zuletzt auch ein Ventil für die Ressentiments zwischen den Volksschichten, da sich der Kaiser oder seine Repräsentanten bei dieser Gelegenheit dem Volk zeigten und sich als Wohltäter inszenierten.
Ursprünge der Wagenrennen
Seit wann es sie gibt, ist unklar. Die erste literarische Erwähnung findet sich bereits in der Ilias, die von einem Rennen zu Ehren des verstorbenen Patroklos erzählt.
Übernommen hatten die Römer den Brauch wohl von den Etruskern, die ihn wiederum von den Griechen hatten. Im Gegensatz zu den Griechen hielten die römischen Wagenlenker die Leinen allerdings nicht in der Hand, sondern schlangen sie sich um den Arm. Dadurch hatten sie zwar einen besseren Halt, liefen aber auch Gefahr, mitgeschleift zu werden, sollte es zu einem Zusammenstoß kommen (was offenbar nicht selten geschah). Daher waren sie gerüstet und hatten ein Messer bei sich, um die Zügel notfalls abschneiden zu können.
Neben unbeabsichtigten Zusammenstößen und aus der Kurve getragenen Wagen, gab es auch mutwillig verursachte Unfälle, denn die Rivalität zwischen den verschiedenen Parteien war groß.
Diese Rivalitäten brachten es mit sich, dass auch die Rennteilnehmer nicht zimperlich miteinander umgingen, die Wagenlenker lebten also recht gefährlich.
Wagenrennen wurden mit Streitwagen, den „bigae“, durchgeführt, die mit zwei oder vier Pferden bespannt wurden. Doch die Zahl der Pferde wurde
immer weiter erhöht. Dabei erhöhte sich aber die Geschwindigkeit nicht, allerdings musste der Lenker mehr Geschicklichkeit aufbringen, um den Wagen
unter Kontrolle zu halten. Die Pferde wurden nicht hintereinander, sondern nebeneinander gespannt. Die Rennfahrer stammten meist aus kleinen Verhältnissen. Nicht selten kamen sie aus dem Sklavenstand und waren wegen ihrer sportlichen Fähigkeiten freigelassen worden. Hatten sie viele Siege aufzuweisen, so feierte man sie als Stars.
Den großen Bedarf an Rennpferden konnte Italien selbst nicht decken. Deshalb bezog man die Pferde auch aus den Provinzen.
Die meisten erfolgreichen Renn- und Zirkuspferde stammten aus Nordafrika und Spanien, aber auch Kappadokien, Griechenland und Sizilien waren für die Zucht von Rennpferden von Bedeutung.
Die afrikanischen und spanischen Pferde waren wahrscheinlich unseren heutigen iberischen und libyschen Pferden (Andalusier, Lusitanos) ziemlich ähnlich. Ein Rennpferd wurde mit drei Jahren ins Training und mit fünf Jahren zum ersten Mal in die Rennbahn gebracht. Ihr Stockmaß lag zwischen 135 und 155 cm.
Sehr wichtig waren harte, gesunde Hufe, weil es noch keinen genagelten Hufbeschlag gab. Auch die Gelenke mussten, besonders in den 180°- Kurven, starken Belastungen standhalten. Viele Pferde starben bei den häufigen Unfällen im Circus, weil Knochenbrüche praktisch unheilbar waren. Einige Pferde überstanden aber Hunderte von Rennen und verdienten sich einen ehrenvollen Ruhestand.
Es war Sitte, vorher oder kurz vor Beginn des Rennens Wetten über den Sieg abzuschließen, wobei die Ärmeren ihre Sparpfennige, die Reichen aber oft enorme Summen setzten.
Wenn der Spielgeber durch Fallenlassen eines Tuches das Startsignal gab, stürzten die Gespanne aus ihren Boxen, die durch eiserne Gittertüren verschlossen waren. Auf den Boden gemalte Linien hinderten die Lenker auf den ersten 170 Metern daran, die Bahnen zu kreuzen. Danach durfte man andere Wagen überholen und abdrängen. Oft kam es zu Karambolagen, Achsbrüchen und Unfällen, die zu schweren Verletzungen und Todesstürzen führten. Dieses passierte vor allem in den gefürchteten Linkskurven, da man hier nur mit großer Geschicklichkeit nicht stürzte.
Immer dann, wenn die Wagen aus ihren Boxen (erst acht, später zwölf) stürmten, stand der ganze Zirkus Kopf. Moderne Sportreporter pflegten diese Atmosphäre einen "Hexenkessel" zu nennen. Es gab die unterschiedlichsten Emotionen: Aufregung und Anspannung, Angst und Hoffnung, Jubel und Niedergeschlagenheit. Nur wenige ließen sich nicht von diesem Wahnsinn anstecken und fanden diese "alberne, eintönige Sache" einfach nur langweilig. In ihrer Organisation, ihrer Popularität und unter noch sehr vielen anderen Aspekten weisen die Wagenrennen große Ähnlichkeit mit unserem Fußballsport auf.
Auf der Spina (Aufschüttung in der Mitte der Rennbahn) standen Statuen, Altäre und zwei Gestelle. Auf dem einen waren Eier aufgebaut, auf den anderen Delphinen. Beide dienten der Orientierung des Zuschauers bei den Wagenrennen. Mit Hilfe dieser Zählwerke wusste der Zuschauer genau, in welcher Runde sich das Rennen befand, da nach jeder der sieben Runden ein Ei bzw. ein Delphin herabgenommen wurde.
Nach sieben Runden (ca. 8,5 km) war das Ziel erreicht. Der Sieger begab sich in eine Ehrenrunde. So dauerte ein Rennen meist eine Viertelstunde. Es ging einzig darum, welches Gespann als erstes über die Ziellinie ging. Ob der Lenker dabei noch im Wagen stand, war nicht so wichtig.
Der Sieger konnte hohe Preisgelder (Siegesprämien zwischen 15000 und 60000 Sesterzen pro Rennen) erreichen, da das Risiko hoch war, sich beim Rennen zu verletzen oder gar zu Tode zu stürzen. Der ideale Siegespreis bestand aus einem Palmenzweig oder grünen Kranz. Betrachtet man sein Vermögen, kann man einen siegreichen Wagenlenker mit den heutigen Formel-1-Piloten vergleichen.
Wagenrennen in der römischen Gesellschaft
Es gab vier nach Farben benannte Rennställe, die bei allen Rennen miteinander konkurrierten (bis zu drei Wagen eines Rennstalles nahmen an einem Rennen teil): die Grüne (prasina, in der Farbe des Frühlings), die Rote (russata, in der Farbe des Sommers), die Blaue (veneta, in der Farbe des Herbstes) und die Weiße (alba, in der Farbe des Winters).
Diese Parteien verfügten über eigene Ställe, Materialschuppen, Trainingszentren, Pferde, Wagenlenker, Hilfspersonal und wurden vom Rennveranstalter, in der Regel ein Konsul, Prätor oder Ädil, beschäftigt. Ihre Anhängerschaft verfestigte sich und identifizierte sich völlig mit den Wagenlenkern ihrer Farbe und deren Farben. Viele Römer nahmen leidenschaftlich Stellung für eine bestimmte Partei ein und bangten um ihren Sieg.
Man wollte seine Partei siegen sehen, sich im Freudentaumel mit Fans aus dem eigenen Lager gehen lassen und die Triumphe über die verhassten anderen Farben genießen.
„…Ein sonniger Nachmittag im alten Rom. Die vier Pferde wiehern, bäumen sich auf, treten erregt gegen das hölzerne Gittertor der Startbox. Pompeius Musclosus weiß, dass sie jetzt das Rennfieber gepackt hat und er hält die Hengste mit eiserner Hand im Zaum. Der Lärm der 150.000 Zuseher draußen lässt nach. Alle starren nur noch gebannt auf die Startboxen. Gleich werden die Tore aufspringen - und zwölf der weltbesten Gespanne hervorpreschen. Das Zeichen fällt. Das Rennen beginnt. Musclosus übernimmt vom Start weg die Führung. Schnaubend donnern die Pferde über die Sandbahn. Ein Blick über die Schulter. Der Maure Crescens rückt näher und näher. Der Sieg ist in Gefahr. Doch in der Kurve bringt Musclosus das Gespann des Rivalen mit einem geschickten Manöver zum Kippen. Und peitscht Sekunden später seine Quadriga als Sieger über die Ziellinie. Die Menge springt auf, brüllt, jubelt. "Wieder Musclosus!" …“
Pompeus Musclosus und seine Gilde der Wagenlenker waren gefeierte Sportidole und die absoluten Stars der Antike. Bis heute bleibt Pompeus Musclosus mit 3.559 Siegen der größte Rennfahrer aller Zeiten.