Beiträge von Iunia Sibel

    Dieser Germanicer? Sibel brauchte erst eine Weile, bis ihr klar wurde, wen Morrigan meinte. „Du meinst doch nicht etwa den Optio?“ Natürlich waren die beiden recht unfreiwillig aneinandergeraten. Gleich schon an ihrem zweiten Tag in der Castra. Langsam begriff Sibel auch, weshalb er trotzallem ihr gegenüber so freundlich geblieben war. „Er und Apolonia? Das wusste ich gar nicht. Aber es ist schön zu hören, dass es ihr gut geht und hoffe für sie das Beste. Versteckt sie sich denn noch immer?“ Schließlich war Apolonia ja auch eine entflohene Sklavin gewesen und die Claudier würden sicher alles daransetzen, auch ihrer wieder habhaft zu werden. Es war ihr nur zu wünschen, dass die Liebe zwischen dem Optio und ihr auch so stark war, um noch einige Zeit zu überdauern. Irgendwann würde der Germanicer auch Centurio sein. Vielleicht würde er dann Apolonia dann auch zu sich holen.


    Als ihr Gespräch sich dann wieder um Morrigan und ihre Zukunft drehte, wurde die Perserin sehr nachdenklich. Was sie dann sagte, zeugt nicht davon, dass sie gerade nur so vor Glück strotzte. Nein, wahre Liebe sah anders aus! Und als sie auf diesen Sklaven zu sprechen kam, wurde sie noch trauriger. „Was, das hat er gemacht? Erst schickt er dich in die Wüste und dann kommt er mit diesem schrägen Vorschlag? Das ist doch echt pervers!“, platze es aus ihr heraus. Andererseits war dieser Angus ja selbst Sklave gewesen und eigentlich hätte sie am besten wissen müssen, dass man in einer solchen Situation nicht so reagieren konnte, wie man gerne gewollt hätte. „Naja, er hat das vielleicht nur aus seiner Verzweiflung heraus getan, weil er dich liebt,“ meinte sie dann und relativierte damit ihre Empörung. Wenn man jemanden liebte, tat man manchmal Dinge, die nicht einfach zu erklären waren. „Du hast also Schluss mit ihm gemacht? Und, wie hat er das aufgenommen?“ Morrigan trank einen Schluck, als wolle sie die ganze Sache mit Angus ein für alle Mal hinunterschlucken. Offenbar waren da immer noch Gefühle für ihn da, was das alles so schmerzlich machte.Da war es wohl besser, das Thema zu wechseln.


    „Das können wir gerne machen. Da würde ich mich freuen,“ entgegnete sie auf Morrigans Vorschlag, gemeinsam ein Buch zu kaufen und es dann zusammen zu lesen. Je mehr sie Übung hatte, umso schneller lernte sie.


    Als sie dann auf ihren derzeitigen Zustand zu sprechen kamen, grinste Morrigan. Im Nachhinein schien es naiv gewesen zu sein, dass Sibel zuerst an eine Magenverstimmung geglaubt hatte. Denn die Anzeichen wurden von Tag zu Tag immer offensichtlicher. Sibel sah an sich herab. Ja, sicher hatte sie die Veränderungen an ihrem Körper wahrgenommen. Auch wenn sich ihr Bauch noch nicht zu wölben angefangen hatte, begannen nun ihre Brüste größer zu werden. Als dann noch Morrigan den Glanz in ihren Augen erwähnte, war Sibel nun ganz irritiert. „Ach echt? Hab ich den? Du meinst, man sieht es mir an, nur wenn man mir in die Augen schaut?“ Wenn dem so war, musste Avianus längst schon Bescheid wissen!
    Morrigans Frage, die dann folgte, war dann mehr als berechtigt. „Ich weiß es nicht, wie er darauf reagieren wird. Nur, wenn ich es behalte, dann wird meine Zeit in der Castra bald zu Ende sein.“ Davor fürchtete sie sich am meisten.

    Aufgrund des Rauschmittels fiel es Beroe zunehmend schwerer, klar zu denken. Doch langsam sickerten die Informationen zu ihr hindurch und sich begriff langsam, weshalb Varus sich so eigenartig benommen hatte, als sie ihn nach dem Brief gefragt hatte. Seine trübe Stimmung war also tatsächlich durch diesen Brief hervorgerufen worden, weil er wahrscheinlich aus der Feder dieser Quintila stammte.
    „Ja, anscheinend war er das,“ antwortete sie auf Shanis Frage. Allerdings berührte sie das nicht so sehr wie die Villica, die ja richtig Mitleid mit ihrem Besitzer aufbringen konnte. Das Verhältnis zwischen Beroe und Varus war nie so innig oder vertraut gewesen, weil sie ihm nicht wirklich vertraute.


    Doch da sie gerade beim Unglücklich sein waren, dauerte es nicht lange, bis eine der beiden Beroe darauf ansprach. Das mit dem Unglücklich sein war so eine Sache. Im Großen und Ganzen musste man doch unglücklich über sein Leben sein, wenn man bereits in Kinderjahren alles verloren hatte. Angefangen von den Eltern, dem Zuhause bis hin zur persönlichen Freiheit und einer Perspektive für die Zukunft. Letztendlich aber hatte sie es in ihrem Leben wenigstens einmal gewagt, ihr Glück selbst in die Hand zu nehmen. Das war der Tag, an dem sie aus Misenum geflohen war, nachdem sich auch ihre Herrin das Leben genommen hatte.
    Aber auch was danach folgte, konnte man nicht wirklich als glückliches Leben bezeichnen. Wobei es dennoch Glücksmomente gab, die ihr immer wieder das Gefühl gaben, nicht unglücklich zu sein. Einer dieser Glücksmomente war der, als sie ein zweites Mal Avianus begegnet war.
    „Nein, war ich nicht“, gab Beroe zurück. „Was nicht heißt, dass ich es toll fand, dort zu arbeiten. Aber es gab dort jemand, der mich immer wieder glücklich machte, wenn er zu mir kam. Das Lupanar, so schräg das auch jetzt klingt, war für uns eine glückliche Fügung, da wir dort zusammen sein konnten, ohne dass es jemand gestört hätte. Seitdem ich in Varus‘ Haus bin, ist das allerdings anders. Jetzt bin ich unglücklich.“

    Nach ein paar Bissen fühlte Sibel sich schon viel besser. Der leichte Anflug von Übelkeit, den sie zuvor zu spüren geglaubt hatte, war wie weggeblasen. Außerdem war das Moretum mit dem frischgebackenen Brot eine wirklich gute Wahl gewesen. Einfach aber lecker!
    Auch empfand sie es als angenehm, für eine Zeit lang sitzen zu können. Nie hätte sie gedacht, dass über den Markt schlendern und Bücher kaufen so anstrengend sein konnte! Im hinteren Teil der Garküche hatte es für sie beide tatsächlich noch einen netten Platz gegeben. Dort war es angenehm kühl, da ständig ein leichter Luftzug ging.


    Zufrieden lächelnd nahm sie ihren Becher und trank einen Schluck, als Avianus scheinbar etwas loswerden wollte. Er druckste nicht lang herum, sondern kam direkt auf das, was er ihr sagen wollte. Sibel stellte ihren Becher ab, hörte zu und sah ihn dabei an. Er begann von einer Einladung zur Hochzeit seines Cousins Seneca zu sprechen und einer kleinen Reise in die Albaner Berge. Sibel hatte schon einiges über die Albaner Berge und den Albaner See gehört. Es war ein Refugium reicher Römer, die im Sommer der Hitze, dem Dreck und der Enge der Stadt entkommen wollten. Unerreichbar für sie. Obwohl ihr der Gedanke gefallen hätte, wenigstens für ein paar Tage der Stadt entfliehen zu können. Wie schön musste dagegen doch das Landleben sein! Im Grunde hatte sie schon lange einen solchen Wunsch gehegt, ihn aber natürlich nie ausgesprochen. Doch nun begann sich ein zartes Lächeln um ihren Mund zu bilden. Doch der nächste Satz schien all ihre Gedanken und Wünsche zunichtemachen zu wollen. Er hatte das kleine Wörtchen wir kein einziges Mal erwähnt. Stattdessen wollte er mindestens ein Tag nicht in Rom sein. Und auch sein nächster Satz zerstreute all ihre Hoffnung auf ein paar Tage außerhalb Roms. Ein wenig enttäuscht ließ sie ihren Blick sinken. Natürlich würde sie es akzeptieren und zurück in Rom bleiben, allein in der Habitatio, wenn er das so wollte. Doch der darauffolgende Satz krempelte mit einem Mal alles wieder um! Sie sah wie er auf und konnte es noch kaum fassen. „Du willst mich doch mitnehmen? Ja, wirklich?“ Ihre Augen begannen zu glänzen und sie strahlte über ihr ganzes Gesicht. „Natürlich möchte ich dich begleiten! Und wie ich das möchte! Davon habe ich schon immer geträumt. Du und ich – wir beide, für ein paar Tage raus aus der Stadt.“

    [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/e4ctfnz5.jpg] | Sarah


    Evander war fast schon am Ende, als sie endlich von ihm abließen. Nur noch halb bei Bewusstsein nahm er wie durch einen Nebelschleier war, wie man ihm die Fetzen seiner Kleidung in den Mund stopfte, um ihn damit am Sprechen zu hindern. Wahrscheinlich wäre er dazu sowieso nicht mehr in der Lage gewesen ein paar halbwegs verständliche Worte herauszubringen, denn der unerträgliche Schmerz, der von seinem Rücken ausging strahlte auf seinen ganzen Körper aus.


    Auch von Sarah ließ man endlich ab, so dass ihr Kopf nicht länger gegen die Tischplatte gedrückt wurde. Endlich konnte sie wieder eine angenehme Sitzhaltung einnehmen. Doch ihr ganzer Körper zeugte von der schweren Last, die ihr aufgebürdet worden war. Es gab kein Entrinnen mehr für sie.
    Der Centurio nahm wieder auf seinem Hocker Platz und wartete. Dem Ganzen verleih er noch etwas Nachdruck, indem er sie noch einmal aufforderte, wirklich alles zu sagen – auch ihre Versammlungsorte. Sarah atmete schwer, bevor sie begann. Man sah noch, wie sie einen erfolglosen Kampf mit sich ausfocht. Doch schließlich begann sie zu reden: „Narseh und seine Anhänger treffen sich in ein paar Tagen bei Yishai, dem Schuhmacher. Er wohnt in einer kleinen Seitenstraße der Via Aurelia. Zu ihnen gehören noch Amal, Arash und David. Unser Versammlungsort für diese Woche wird ein unterirdischer Raum sein, den man nur von außerhalb der Stadt erreichen kann. Wir sind seit der Razzia vorsichtiger geworden. Wenn man über die Via Aurelia die Stadt verlässt, erreicht man über einen Feldweg den Eingang zu einem Abwasserkanal. Wenn man ihm stadteinwärts folgt, erreicht man einen in den Fels gehauenen Raum. Dort treffen wir uns…“ Sarahs Worte kamen monoton über ihre Zunge. Sie starrte ins Nichts, während sie sprach.

    Sibel nickte. „Ja, das werde ich.“ Im Augenblick erlebte sie eine Achterbahn der Gefühle. Zum einen war sie froh darüber, von Avianus nicht allein gelassen zu werden. Sie würde sich auf ihn verlassen können und er würde ihr helfen, wenn sie Hilfe brauchte. Andererseits war da diese Traurigkeit, in Zukunft nicht mehr in seiner Nähe sein zu können. Ein wenig schwang auch die Angst vor ihrer Zukunft mit und auch der weitere Verlauf der Schwangerschaft. Wer würde ihr bei der Geburt beistehen? Es passierte immer wieder, dass Komplikationen eintreten konnten, die das Leben von Mutter und Kind gefährdeten.


    Natürlich hatte sie ihr Unbehagen ihm gegenüber nicht verbergen können, als der die Casa Iunia erwähnt hatte. Doch er konnte sie beruhigen. Offenbar hatten ihm seine Verwandten ihretwegen keine großen Vorwürfe gemacht, was an sich schon erstaunlich war.
    Sibel versuchte, gefasst zu bleiben. Im Grunde bleiben ihr nicht mehr viele Optionen. In der Casa Iunia wäre sie nicht allein, was durchaus von Vorteil war, wenn ihre Schwangerschaft erst einmal vorangeschritten war. In irgendeiner Insula würde sie über kurz oder lang vereinsamen und vielleicht noch all ihren Mut verlieren.
    Avianus versuchte ihr seinen Vorschlag so schmackhaft wie möglich zu machen und sie wusste auch, dass dies wohl das Beste für sie und ihn war. Schließlich nickte sie, auch wenn ihr bei der Sache nicht ganz wohl war. Letztendlich waren seine Verwandten für die Fremde und unterschwellig fürchtete sie, ihre Vergangenheit könne sie wieder einholen. Doch vielleicht war ein erstes Treffen ganz gut, um diese Leute besser kennenzulernen und sich selbst ein Bild zu machen, wie sie über sie dachten. „Na gut, wenn du meinst.“ Doch eines beschäftigte sie weiterhin. „Wie soll ich denn deiner Cousine gegenübertreten. Ich meine, wie soll ich sie ansprechen.“ Beim Zusammentreffen mit Seneca hatte sie sich diese Frage schon gestellt. Da Avianus über ihn wie von einem Freund gesprochen hatte, war es ihr nicht allzu schwer gefallen, ihm relativ freundschaftlich zu begegnen. Doch bei seiner Cousine war sie sich ganz unsicher. Für sie war sie nur eine Sklavin, in die sich ihr Cousin verleibt hatte.


    „Wusstest du eigentlich, dass du nicht der einzige bist… warst, der sein kleines Geheimnis hat?“, begann sie plötzlich nach einer Weile. Ihr war wieder Morrigans Bemerkung während ihres Besuches eingefallen. „Dein Optio, er hatte auch eine Freundin.“ Die arme Apolonia! Was würde sie jetzt nur tun ohne ihn?

    Sibel folgte einfach Avianus. Ihr war es gleich, zu welcher Garküche sie gingen. Auch war sie sich noch gar nicht so sicher, wozu sie heute Appetit haben würde. Denn neuerdings entwickelte sie zu manchen Speisen eine Abneigung. Besonders konnten so manche Gerüche Übelkeit bei ihr hervorrufen. Natürlich hoffte sie, dass dies heute nicht der Fall sein würde.
    So näherten sie sich einer der Garküchen, die zur Straße hin offen waren. Die Malereien auf den Wänden im Inneren kündeten bereits vom Angebot. Aber auch der Duft der warmen Speisen sorgten dafür, potentielle Kunden anzulocken.


    Die korpulente Frau hinter der Theke sprach sie an. Sie hob einen der Deckel an, der die in die Theke eingelassenen Gefäße bedeckte, so dass der Duft des darin befindlichen Essens herausströmen konnte. Ein deftiger Geruch, dem Sibel wohl unter normalen Umstanden hätte kaum widerstehen können. Doch diesmal schreckte er sie aber ab. Nein, lieber kein Gemüse mit Speck heute, befand sie im Stillen. „Ich hätte gerne etwas Moretum mit Brot, bitte,“ entgegnete sie fast schon zurückhaltend der Frau, die dann nur mit den Schultern zuckte und für ihre beiden Gäste die bestellten Speisen richtete. „So, einmal Wurst mit Brot und Moretum mit Brot. Wollt ihr auch etwas trinken?“, fragte sie schließlich noch, geschäftstüchtig wie sie war. Wenn sich die beiden nur mit Kleinigkeiten zufrieden gaben, vielleicht wollten sie dann wenigstens noch ein Getränk.


    Sibels Blick ging schon automatisch zu Avianus, doch dann äußerte sie trotzdem ihren Wunsch, denn durstig war sie auch. „Für mich bitte etwas Posca,“ antwortete sie der Bedienung, die auch sofort damit begann einen Becher zu füllen.
    Avianus Vorschlag, sich setzten zu wollen, kam ihr sehr entgegen. Im hinteren Teil der Garküche gab es um diese Uhrzeit doch tatsächlich auch noch einige wenige Plätze. „Oh ja, lass uns kurz setzen. Ich mag nicht im Stehen essen.“ Das war doch ein guter Vorwand, um zu verbergen, wie erschöpft sie gerade war.


    Wenig später saßen beide an einem kleinen Tisch. Vor ihnen stand ihr Essen und Sibel genoss die Ruhe. Sie lächelte Avianus zufrieden zu. Solche Tage, an denen sie gemeinsam etwas unternehmen konnten, gab es einfach viel zu selten. „Ich bin so froh, dass du jetzt bei mir bist.“ Sie riss ein Stück ihres Brotes ab, tunkte es in ihr Moretum und biss herzhaft zu.

    Sibel nahm Platz. Für das Getränk und die Schale mit Obst war sie sehr dankbar. Nicht dass sie etwa hungrig war. Jedoch hatte sie festgestellt, dass ihre Übelkeit, wenn sie denn da war, gemildert wurde, wenn sie etwas aß. Doch zunächst nahm sie einen Schluck des stark verdünnten Weines und freute sich einfach, wieder hier bei Morrigan zu sein. Es tat gut, eine Freundin zu haben. Zumal es in Rom nicht viele Menschen gab, die sie als Freund hätte bezeichnen können. „Ja, endlich lerne ich lesen und schreiben. Avianus möchte mit mir demnächst zum Markt gehen, um mir ein Buch zu kaufen.“ Alleine wäre sie damit wahrscheinlich heillos überfordert gewesen. Sie freute sich schon so sehr darauf, wäre nur nicht immer diese Übelkeit gewesen, die sich einfach nicht bessern wollte.


    Als Morrigan auf das Leben in der Castra zu sprechen kam, brauchte sie einen Moment, um darauf zu antworten. Besonders wenn sie alleine die Lagerstraße bis zum Tor laufen musste, war ihr unbehaglich zumute. „Nun ja, manchmal fühlt es sich etwas seltsam an. Aber bisher ist alles gut gegangen. Natürlich sehen sie mir ständig nach. Aber keiner hat sich bisher getraut, mich anzusprechen, da sie genau wissen, dass ich das Eigentum ihres Centurios bin.“


    Endlich begann die Perserin mit ihren Neuigkeiten herauszurücken. Die Wichtigste von allen unterbreitete sie ihr eigentlich nur so nebenbei: Varus hatte sie also tatsächlich freigelassen! Dann sprudelte es nur so aus ihr heraus. „Du bist frei?! Oh Morrigan, ich freue mich so für dich! Das ist doch das, wovon du immer geträumt hast!“ Außerdem hatte Varus auch für ihr Auskommen gesorgt. Eine Wohnung ein Geschäft, was wollte frau noch mehr? „Er kommt dich gelegentlich besuchen?“, fragte sie etwas skeptisch. Doch dann begriff sie, dass Varus und Morrigan doch etwas mehr verband, als nur das Geschäft. „Ich wusste gar nicht, dass du und Varus… Wenn du nur mit ihm glücklich bist, warum nicht?“ Wahrscheinlich mussten sich die beiden mit den gleichen Problemen herumschlagen, wie Avianus und sie. Aber war da nicht noch etwas anderes gewesen?„Aber hattest du nichts mit diesem Sklaven am Laufen? Wie hieß er gleich noch? Argus oder so ähnlich..“ Wahrscheinlich war das längst schon vorbei.


    Immer wieder hatte sie Morrigan dabei erwischt, wie sie sie mit einem seltsamen Blick musterte. Zwar hatte Sibel nichts gesagt, aber sie war deswegen schon etwas verunsichert. Dann endlich ließ Morrigan die Katze aus dem Sack. Denn sie hatte eine bestimmte Vermutung, weshalb es ihr in letzter Zeit nicht gut ging.
    „Naja, ich hatte gehofft, dass es ‚nur‘ eine Magenverstimmung ist… aber inzwischen befürchte ich fast, es ist etwas anderes. Meinst du, ich bin schwanger?“ Sibels Laune hatte sich schlagartig verschlechtert. Die wusste, was das dann für sie und Avianus bedeutete. Nur wollte sie es noch nicht aussprechen.

    Schon eine Weile bevor sie Avianus ihre Schwangerschaft gebeichtet hatte, wusste Sibel bereits, dass große Umbrüche auf sie zu kamen. Nicht nur, dass sie in wenigen Monaten Mutter sein würde, nein alles würde sich ändern. Doch wozu war das alles gut, wenn Avianuns dieses Kind eigentlich gar nicht wollte? Es gab so Vieles, was ihr Angst gemacht hatte und weswegen sie es immer weiter vor sich hergeschoben hatte. Doch nun gab es kein Zurück mehr. Der Zeitpunkt, da sie sich ihm hatte offenbaren müssen, war wahrlich nicht der glücklichste gewesen. Eigentlich hatte Avianus schon genug im die Ohren. Nun musste er sich auch noch mit einem weiteren beschäftigen. Wahrscheinlich hätte sie sogar Verständnis dafür gehabt, wenn er sich nicht auf das Kind gefreut hätte, sondern es als weitere Belastung gesehen. Doch es kam ganz anders!


    Sibel war eine große Last von den Schultern genommen worden, als er sich für das Kind aussprach. Es sollte ihr gemeinsames Kind werden. Auch wenn sie genau wusste, welche Konsequenzen es haben würde, war sie in diesem Moment überglücklich und dankbar. Sie wischte ihre Tränen weg und umarmte ihn. „Ja, es ist kaum zu glauben, und er macht es mir auch nicht leicht. Fast jeden Morgen, seit gut einem Monat schon, wird es mir übel wenn ich aufstehe“ meinte sie und lächelte endlich wieder ein bisschen dabei.
    Sie wusste genau , wie schwer es ihm fallen musste, ihr nun seine Freude zu zeigen. Ausgerechnet in dieser Nacht, in der sein Optio gestorben war. Deswegen versuchte sie, nicht mehr zu weinen und ihm keine Szene mehr zu machen. So konnte sie ihm im Augenblick am besten helfen.
    Auch wenn das, was er ihr noch sagte, nicht gerade das war, was sie hören wollte, versuchte sie gefasst zu bleiben. Sie nickte erst nur stumm, als er ihr sagte, dass sie nicht länger bei ihm in der Castra bleiben konnte. Auch wenn sie dann keine Sklavin mehr war, hatte sie keinen Grund, sich darüber zu freuen. Er würde für sie und das Kind eine Unterkunft finden und sie dort von Zeit zu Zeit besuchen. „Ja, das verstehe ich,“ sagte sie leise und ließ ihre Augen sinken. Er sollte nicht die Traurigkeit in ihrem Gesicht sehen müssen.
    Bei seiner nächsten Bemerkung aber hob sie ihren Blick wieder und ah ihn entgeistert an. „In die Casa Iunia?“ Die Erinnerungen, die sie mit diesem Ort verband, waren nicht gerade die besten. Aber offenbar hatte er nun auch dem Rest seiner Familie seine Liebschaft zu seiner Sklavin gestanden. „Deine Verwandten? Sie wissen jetzt alle von mir?“, fragte sie zaghaft. „Und?... Wie denken sie darüber?“

    Vielleicht machte sich Sibel auch einfach zu viele Gedanken. Sie sah, wie er täglich versuchte, sie in irgendeiner Weise glücklich zu machen, sie mit Dingen zu überraschen, die ihr Freude machen sollten. Und wenn es nur Kleinigkeiten waren, die niemand sonst aufgefallen wären, weil sie für andere selbstverständlich waren. Sibel aber erfasste das alles, jede einzelne seiner Gesten und Liebesbekundungen. Und er betonte es ja auch immer wieder: Es sollte ihr an nichts fehlen. Jeden Wunsch wollte er ihr von den Lippen ablesen. Und genau da lag das Problem. Sibel war das einfach nicht gewohnt. Natürlich hatte Avianus in all den Jahren, seit sie sich nun schon kannten, immer wieder versucht zu helfen, wo es nur ging. Doch seit sie nun bei ihm lebte überschüttete er sie förmlich. Sibel wusste gar nicht, wie sie ihm das noch ausgleichen sollte. Sie hatte doch nichts, außer sich selbst und ihre Liebe, die sie ihm aber doch schon schenkte. Auch wenn es sich sehr gut anfühlte, so umsorgt zu werden, dies als Gegeben anzusehen, war doch noch immer etwas, dass sie sich erst noch zu Eigen musste.
    Letztendlich aber half der kleine Hinweis, dass Avianus selbst vielleicht in diesen Büchern lesen wollte. Was die Situation in ihren Augen natürlich völlig veränderte. „Achso, ich wusste ja nicht… Bitte entschuldige, ich habe wieder nur an mich gedacht. Und ich wollte dich auch nicht kritisieren, aber du brauchst wirklich nicht so viel Geld für mich ausgeben,“ meinte sie mit gedämpfter Stimme, als er sie bereits aus dem Landen hinausschob. Auch sie musste erst mehrmals blinzeln, als sie wieder vor dem Laden standen, da der Unterschied zum Tageslicht auch für ihre Augen recht groß war.


    [wrapIMG=left]http://fs1.directupload.net/images/150712/2ldwuu2x.jpg[/wrapIMG] Die Frage nach dem Wohin beantwortete sie zuerst mit einem Schulterzucken. Jedoch spürte sie bei der Erwähnung von Essen den aufkommenden Hunger in ihr. Ihre Erfahrungen, die sie in den letzten Wochen gewonnen hatte, hatten sie gelehrt, diesem Gefühl unbedingt nachzukommen, sonst konnte sich die Übelkeit wieder einstellen. Und dass wollte sie heute ganz bestimmt nicht! „Könnten wir zuerst etwas essen? Ich habe einen riesen Hunger!“ Es musste nichts Großes oder Besonderes sein. Es sollte nur den Hunger stillen. Außerdem konnte etwas Ruhe auch nicht schaden, denn neben dem Hunger spürte sie auch so etwas wie Erschöpfung. Und das, obwohl sie doch gar nicht viel gemacht hatte! Später dann, so hoffte sie, blieb ihnen noch genug Zeit, sich weiter umzuschauen.


    Etwas Essbares zu finden, war hier auf dem Markt sicherlich das geringste Problem. Unzählige Cauponae, einfache Garküchen, deren langgezogene Theken, in denen Gefäße mit den jeweiligen Speisen eingelassen waren und die mittels eines Holzdeckeln verschlossen wurden, zur Straße hin offen waren und die im hinteren Teil noch Platz für ihre Gäste boten, reihten sich nahezu aneinander. Ihre Angebote reichten vom einfachen Puls, mit Hülsenfrüchten oder Fleischeinlage, über luftgetrocknete Würstchen und gallischem Schinken, verschiedenste Backwaren bis hin zum Moretum, einer Käsepaste aus Schafskäse,Olivenöl und verschiedene Kräutern und Gewürzen, oder Epityrum, einer Olivenpaste. Beides schmeckte auf frischgebackenem Brot einfach nur lecker!
    Natürlich gab es aber auch noch eine Vielzahl anderer Gerichte, teils aus anderen Gegenden des Imperiums, die für den römischen Gaumen noch Neuland darstellten, wie etwa in Fett ausgebackene Kichererbsenbällchen, die zusammen mit etwas Gemüse und Brot angeboten wurden. Rom war eben ein Schmelztiegel, der die Menschen aus aller Herren Ländern zusammenbrachte...

    Er war ihr nicht böse und machte ihr auch keine Vorwürfe. Nein, im Grunde reagierte er so, wie Sibel es insgeheim gehofft hatte. Er nahm sie in den Arm, drückte sie an sich und küsste ihr Haar. Zwar würde er noch einige Zeit brauchen, bis er die Neuigkeiten wirklich verdaute hatte, aber er sah dem ungeborenen Kind positiv entgegen, auch wenn er das nicht explizit gesagt hatte. Dennoch wollte Sibel auch darüber Klarheit haben. Es sei auch ihre Entscheidung, hatte er ihr gesagt. Wenn sie es wollte, dann sollte, dann würden sie es eben so machen, hatte er bestimmt. Aber was war mit ihm selbst? Sie wurden nämlich das Gefühl nicht los, dass er dies alles nur wegen ihr sagte. „Ich möchte dieses Kind gerne haben, Aulus. Und natürlich werde ich mich um es kümmern, wenn es erst einmal da ist. Aber die Frage ist, willst du das auch? Willst du es wirklich?“ Noch konnte sie sich ihn als Vater gar nicht wirklich vorstellen. Womöglich ging es ihm da nicht anders. Doch würde er zu seinem Kind stehen? Es wäre dann zwar frei, aber sie wusste auch, es würde nicht sein legitimes Kind sein. Es würde auch niemals seinen Namen tragen. Doch könnte er es lieben? Und was war dann, wenn er sich eines Tages dann endgültig von ihr lösen musste, weil sie ihm und seiner Karriere im Weg stand? Wo würde dann ihr Kind stehen?


    Inzwischen hatte er auch das ausgesprochen, wovor sie sich am meisten gefürchtet hatte. Sie würde fortgehen müssen. Auch wenn sie dann frei war. Aber was bedeutete das schon, wenn sie dann wieder getrennt waren? „Aber ich will nicht weg von dir! Wo soll ich denn dann hin? Ich will nicht ohne dich leben! Bitte schick mich nicht weg!“ Wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen. Wenn er ihr keine Vorwürfe gemacht hatte, machte sie sich nun welche. Durch ihre Unachtsamkeit hatte sie alles verspielt. Sie sah es schon genau vor sich: Sie uns das Kind in einer kleinen dunklen Insula - allein. Darauf wartend, dass er sie besuchte, wenn er denn Zeit dazu fand. Und wenn er dann eines Tages nicht wieder kommen würde?

    Sibel konnte das Entsetzen in seiner Stimme regelrecht spüren. Offenbar hatte sie ihn doch eiskalt erwischt, weil er wahrscheinlich im Traum nicht daran gedacht hatte, dass irgendetwas sie in ihrem unbesorgten Beisammensein stören könnte. Doch im Grunde war es die natürliche Folge daraus. Jedenfalls dann, wenn man nicht schon von vorneherein dafür sorgte, gewisse Gegenmaßnahmen zu treffen. Das hatte Sibel aber versäumt. Sie war einfach zu glücklich gewesen, als sie endlich einen Weg gefunden hatten, um miteinander leben zu können. Und selbst dann, als diese Beziehung während des Besuchs in der Casa Iunia ihren Ersten Dämpfer erhalten hatte, wäre Sibel nicht auf die Idee gekommen, um in irgendeiner Weise vorzusorgen.


    Avianus stellte sie vorsichtig wieder auf die Füße, legte seinen Arm um ihre Taille und begleitete sie wieder nach drinnen. Natürlich hatte er recht! Dieses Thema war viel zu prekär, um es hier draußen noch weiter zu erörtern.
    Währenddessen überschlugen sich Sibels Gedanken förmlich. Sie fühlte sich so hilflos. Ganz gleich, was sie tun würde, nie wäre es das, was ihr helfen könnte oder was sie tatsächlich wollte. Ein Kind zu erwarten, war doch eine wunderbare Sache. Zumindest dann, wenn man ein normales und selbstbestimmtes Leben führte. Für eine Lupa war eine Schwangerschaft wohl das größte Übel, was über sie hereinbrechen konnte, da sie über Wochen hinweg schlichtweg einen Verdienstausfall hatte. Eine Tatsache, die weder ihr noch ihrem Besitzer oder Zuhälter gefallen konnte. Jedoch waren diese Zeiten für Sibel endgültig vorbei. Trotzdem konnte sich keine Fröhlichkeit bei ihr einstellen. Denn noch immer war sie Sklavin, was für ihr Kind zur Folge hatte, dass es auch als Sklave zur Welt kam, wenn Sibel nicht noch vor der Geburt frei kam. Wenn sie aber dann frei war, konnte sie dann noch länger bei ihm bleiben? Hier bei ihm in der Castra?


    Im Wohnbereich ließ er sich mit ihr auf der Kline nieder. Beide schwiegen. Nur Sibel schniefte gelegentlich, weil sie leise vor sich hinweinte. Immer wieder versuchte sie sich mit ihrem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht fortzuwischen. Ständig aber kamen wieder neue Tränen hinzu.
    Endlich durchbrach Avianus sein Schweigen uns sagte etwas. Seine Frage war durchaus berechtigt. „Ich hätte etwas dagegen tun können, damit es nicht soweit kommt. Es gibt da Möglichkeiten, um eine Schwangerschaft zu verhindern. Ein mit Salzlake oder Harz getränktes Schwämmchen. Aber das habe ich versäumt.“ Aber selbst jetzt noch gab es Möglichkeiten, um ihre Schwangerschaft vorzeitig zu beenden. „In der Stadt gibt es ‚Heilerinnen‘ der besonderen Art. Sie können Tränke mischen und damit alles rückgängig machen,“ ,meinte sie dann plötzlich. Es gab also doch noch einen Ausweg aus der Misere. Die Frage war nur, ob sie das wollte… nein, ob er das wollte! Und genau darauf zielte seine nächste Frage auch ab, ob sie das wollte.
    Sibel hob ihren Kopf an und sah ihn durch ihre verheulten Augen an. „Ich weiß es nicht, denn es ist doch auch gar nicht meine Entscheidung, ob ich möchte oder nicht. Natürlich hätte ich es gern, weil es von dir ist und ich mir das immer gewünscht hatte. Aber…“ Sie sprach nicht weiter, weil es für sie in diesem Moment einfach zu viel war, was sie ertragen konnte.

    Noch immer stand sie keuchend vornübergebeugt und hielt sich mit einer Hand an der Außenwand der Habitatio fest, um nicht den Halt zu verlieren. Die Neuigkeit vom Tod des Optios, ihre Assoziation, dass das Gleiche auch Avianus passieren konnte und nicht zuletzt ihr Zustand hatte ihr alles abverlangt. Nun fühlte sie sich noch schlechter. Sie hatte Angst! Angst davor, dass Avianus etwas zustoßen konnte und Angst, was mit ihr gerade passierte. Sibel konnte nicht wirklich Freunde darüber empfinden, obwohl es doch eigentlich ein Grund zur Freude war. Das war es doch, was sie sich mit ihm gewünscht hatte! Dass sie eines Tages die Mutter seiner Kinder würde. Doch dass es ausgerechnet jetzt soweit sein sollte, passte so gar nicht in ihr Konzept. Zu all den Sorgen, die über Avianus nun hereingebrochen waren, kam nun auch noch ihre „frohe Botschaft“.


    Sie hatte ihn anfangs nicht bemerkt, da sie noch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt war. Doch nun, als er sie an ihren Schultern nahm, und seine Stimme so besorgt klang, wollten ihr die Beine einknicken. „Ein Medicus wird mir nicht helfen können,“ meinte sie verbittert und klang fast so, als leide sie an einer unheilbaren Krankheit. „Es tut mir so leid… ich… ich wollte es dir schon viel früher sagen…aber ich wusste nicht, wie.“ Sibel schluchzte verzweifelt. Vielleicht war nun nach ihrem Geständnis alles aus. Er würde sie vielleicht fortschicken oder ihr Vorwürfe machen deswegen. „Ich bin schwanger, Aulus! Es ist meine Schuld. Ich habe nichts unternommen, um es zu verhindern.“ Sie war den Tränen nah.

    Sibel hatte nicht lange warten müssen, bis das vertraute Gesicht des Ianitors erschien und ihr sofort Einlass gewährte. Ihr Eintreffen war relativ schnell bis zu Morrigan vorgedrungen, so dass er nicht lange dauerte, bis sie erschien.
    Die Lykierin begann zu strahlen, als sie so freundlich empfangen wurde. „Ich freue mich auch, wieder hier zu sein und dich endlich besuchen zu können!“ Sie hatte Morrigan schon so lange nicht mehr gesehen. Das letzte Mal waren die Umstände alles andere als rosig gewesen. In der Zwischenzeit aber war viel geschehen. Natürlich wollte Morrigan alles wissen, angefangen damit wie es ihr ging bis hin über das Zusammenleben mit Avianus. Man konnte richtig ihre Freude spüren, die sie für ihre Freundin empfand. Sibel ließ sich von ihr mit nach oben in ihren privaten Raum ziehen. Dort würden sie genug Zeit und Ruhe haben, um miteinander zu reden. Natürlich gab es viele Neuigkeiten zu berichten. Aber Sibel interessierte sich selbstverständlich auch dafür, was es im "Aedes iste Laetitia" neues gab.


    „Mir geht es gut… bis auf… naja, in letzter Zeit fühle ich mich ein bisschen schlapp. Ich glaube, ich habe mir etwas eingefangen,“ meinte sie, als sie in Morrigans Zimmer eintat. „Aber ansonsten geht es uns gut. Aulus… also Avianus bringt mir gerade das Lesen und Schreiben bei. Deinen Brief habe ich schon selbst gelesen,“ erzählte sie stolz. "Aber sag, wie geht es dir, Morrigan?"

    Noch immer rätselte sie, was ihn so sehr bedrückte. Irgendetwas belastete ihn so schwer, wie sie es nur selten bei ihm erlebt hatte. Gerade jetzt, da er sie brauchte, wollte sie ihm so nah wie möglich sein. Und scheinbar war es auch das, was ihm in diesem Moment half. Er lehnte sich an sie, gegen ihren Bauch und ahnte wohl kaum, wie nah er in dem Moment diesem Etwas war, was in ihr heranzuwachsen begonnen hatte.
    Sibel wollte ihn jetzt auch auf gar keinen Fall weiter bedrängen und fragte nicht noch einmal nach, was dort draußen passiert war. Denn das schien so unglaublich, so unaussprechlich zu sein, dass die Worte dafür erst noch gefunden und sorgfältig abgewägt werden mussten. So verharrte sie einfach nur still bei ihm und streichelt weiter sein Haar.


    Nach einiger Zeit fühlte er sich dann doch imstande, jenes Unaussprechliche auszusprechen. Was auf den ersten Blick vielleicht so unscheinbar daherkam, hatte bei näherer Betrachtung doch eine enorme Tragweite. Sein bester Mann war verloren. Nur langsam drang diese Information zu ihr vor. Noch schien sie sich nicht wirklich ein Bild machen zu können. Einer seiner Männer – ein Mann, dessen Gesicht sie nicht vor sich sah, weil es in der Masse der Anonymität verborgen war, war verloren. Einfach weg! Tot. Tot?
    Natürlich drängte sich nun die Frage nach dem Wer auf. Doch sie stellte sie nicht. Stattdessen versuchte sie selbst dahinter zu kommen. Sein bester Mann, war doch der, dem er vertraut hatte und derjenige, auf den er sich immer hatte verlassen können.
    „Doch nicht etwa der Germanicus… dein Optio? Nein!“, brach es plötzlich aus ihr hervor. Nun sah sie ihn wieder vor sich. Den Mann, den sie an ihrem zweiten Tag in der Castra auf recht unkonventionelle Art kennengelernt hatte. Der sollte tot sein? Nein das konnte doch nicht sein! Er hatte doch nur so vor Kraft gestrotzt und war so erfahren, dass es ihm möglich war, jedem noch so bedrohlichen Angreifer die Stirn bieten zu können… genauso wie Avianus...
    Bei dieser Vorstellung drehte sich ihr Magen um. Sie fühlte, wie sich wieder die Übelkeit in ihr ausbreitete. Ein verlässlicher Indikator, wie sie inzwischen wusste, der ihr unmissverständliche anzeigte, wie ihr Körper nun reagieren würde. Nun half nur noch eins. Und zwar schnell! So leid es ihr in diesem Moment auch tat, sie musste sich von ihm lösen und rannte fluchtartig zur Tür hinnaus, um sich anschließend in der Dunkelheit zu übergeben.

    „Achso,… ja, ich weiß,“ meinte sie etwas verlegen. Natürlich wusste sie, dass sie es sagen sollte, wenn sie etwas wollte. Sie hatte es ja diesmal auch gesagt. Trotzdem hatte es nicht besonders selbstbewusst geklungen! Sibel konnte eben nicht so einfach über ihren eigenen Schatten springen. Selbstbewusst sein konnte man nicht einfach so lernen, wie lesen und schreiben. So etwas brauchte einfach Zeit und viel Geduld. Letztendlich aber freute sie sich jetzt schon auf die Lektüre. Am Abend vielleicht fand sich noch etwas Zeit, um zu lesen. Es war schon interessant, wie sie sich seit neuestem versuchte, Freiräume zu schaffen, um ihre „Studien“ voranzubringen. Dabei legte sie recht viel Ehrgeiz an den Tag. Ein Grund dafür war mit Sicherheit der Wunsch, endlich mit ihrer Vergangenheit abzuschließen, die noch immer so schwer auf ihr lastete. Allerdings gehörten zu dieser Vergangenheit nicht nur die Jahre in Misenum. Auch ihre Kindheitserinnerungen, die langsam verblassten, gehörten dazu. Sie wollte nur noch nach vorne schauen und dazu gehörte es eben auch, alles was ihr verwehrt geblieben war, nachholen zu wollen.


    Nun aber war es zur Abwechslung einmal Avianus, der einen Aspekt aus seiner Vergangenheit preisgab, nachdem Sibel seinen Bruder erwähn hatte. Ähnlich wie er selbst hatte sein Bruder einige Jahre zuvor die gleiche Karriere anstreben wollen, war aber dann verstorben. Er erzählte das so freimütig, als habe sich damit längst abgefunden. Sie aber konnte es nicht verbergen, wie betroffen sie darüber war. Womöglich lag es vielleicht auch an ihrem Zustand, dass sie so emotional überreagierte. „Wie schrecklich! Das tut mir so leid für dich,“ entgegnete sie ihm. Sie wollte gar nicht daran denken, wie schnell sich das Schicksal gegen sie stellen konnte. Doch so war nun mal das Leben! Im Grunde musste man dankbar sein, für jeden Tag, den man erleben durfte.


    Währendessen reicht Avianus dem Buchhändler auch die zweite Schriftrolle, um die sie wahrhaft „gekämpft“ hatte. Wie es schien, war der Alte mit ihrer Wahl zufrieden und nannte wieder einen Preis, der auch sogleich beglichen wurde. Doch damit wollte es der Iunier noch nicht belassen. Offenbar plante er heute noch einen Großeinkauf! Die Argonautica von Valerius… Sibel sah sich noch einmal zu den betreffenden Schriftrollen um. Die waren bestimmt nicht billig! „Wenn du meinst, Liebster.“ Sie zuckte anfangs etwas zögernd mit den Schultern. „Warum nicht? Wer weiß, wann es mich wieder einmal hierher verschlägt.“ Tja, der Kluge Mann baut vor. Mit der Masse an Büchern war ihr Kontingent vorerst einmal gedeckt. Natürlich fand der Buchhändler diese Idee auch ganz famos, schließlich war er ja ein geschäftstüchtiger Mann. Als er sich jedoch wieder von ihnen entfernte, trat sie an Avianus heran. „Meinst du wirklich? Was das alles kostet! Die zwei Bücher hier reichen doch auch schon,“ flüsterte sie ihn zu.

    [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/e4ctfnz5.jpg] | Sarah


    Der Aufschub, der Evander gewährt wurde, war nur von kurzer Dauer gewesen. Was ihn nun erwartete, war nur noch schmerzhafter und qualvoller. Die Schläge der Peitsche begannen nun zum Teil tiefe Wunden in die Haut des Christianers zu reißen, so dass bald schon Blut austrat, welches in schmalen Rinnsalen an seinem Rücken hinab zu laufen begann.


    Wieder machte es der Centurio von Sarahs Entscheidung abhängig, wie lange diese Tortur noch fortgesetzt werden sollte. Die Christianerin, deren Kopf noch immer gegen die Tischplatte gedrückt wurde, konnte sie kaum noch rühren und sie merkte auch, wie sinnlos ihr Widerstand war. Gezwungenermaßen musste sie mit ansehen, wie Evander, der ja ein Mitglied ihrer Gemeinde gewesen war, weiter gefoltert wurde und litt. Seine Schreie, die inzwischen einem Stöhnen gewichen waren, kündigten bereits eine baldige Ohnmacht an. Doch auch dafür waren die Urbaner gut gerüstet. Ein Eimer mit kaltem Wasser, den man über den Gefangenen ausgoss, holte ihn wieder ins Bewusstsein zurück. Für einen Moment setzten die Schläge aus, so dass Evander eine weitere Pause gewährt wurde. Sarah indes litt Höllenqualen. Schluchzend musste sie sich eingestehen, dass ganz gleich, wie sie sich entscheiden würde, Unschuldige leiden mussten.


    Aber auch der Centurio hatte feststellen müssen, das seine bisherige Methode, Informationen aus der Christianerin herauszupressen, nicht das erreicht hatte, was er eigentlich beabsichtigt hatte. Also begann er nun weitere Drohungen auszusprechen. Zwar nannte er keine Namen, als er meinte, es müssten noch andere Leute Evanders Schicksal teilen. Doch Sarah ahnte bereits, dass die Urbaner sich ihren Bruder Elias holen könnten. Jeder in der Gemeinde konnte der Nächste sein. Das wusste Sarah und mit diesem Wissen spielte nun der Centurio sein Spiel weiter, wohlweislich dass er damit letzten Endes doch noch Erfolg haben würde.
    „Gut, ich erzähle euch, wo ihr Narseh findet! Aber bitte, lasst ihn jetzt in Ruhe,“ flehte sie.

    Bereits am Klang seiner Stimme wusste Sibel schon genau, dass „nichts“ nicht ganz der Wahrheit entsprach und dass sehr wohl etwas vorgefallen sein musste, was ihn nun dermaßen beschäftigte und er dafür lieber auf seinen Schlaf verzichtete. Daraufhin trat sie ins Arbeitszimmer ein und näherte sich seitlich seinem Schreibtisch, so dass sie ihn, und insbesondere sein Gesicht, nun besser sehen konnte. Ihre müden Augen sahen auf ihn herab und brachten ein mitfühlendes Lächeln für ihn auf. Sie kannte solche Situationen nur zu gut, wenn einem die Worte fehlten, um etwas auszudrücken, was schmerzlich war oder zu sehr belastete, als dass man es aussprechen konnte.


    Nachdem sie das Lämpchen auf dem Schreibtisch abgestellt hatte, legte sie sanft ihren Arm um ihn. Mit ihrer anderen Hand strich sie ihm durchs Haar. „Es ist nicht schlimm, wenn du es mir nicht sagen kannst… aber lass mich bitte für dich da sein,“ bat sie ihn und musste unweigerlich an ihren Ausflug zum Markt neulich denken. Da war auch sie verschlossen gewesen und er war um sie besorgt. Und im Grunde hatte sich daran auch noch nichts geändert, denn ihr Geheimnis trug sie immer noch mit sich herum, im wahrsten Sinne des Wortes...
    Zärtlich küsste sie ihn schließlich auf die Stirn, als wolle sie all seine Sorgen, die ihn plagten, von ihm nehmen.

    Sibel kämpfte ständig gegen ihre Müdigkeit an. Immer wieder wollten ihr die Augen zufallen. Das gedämpfte Licht ihres Lämpchens trug auch nicht gerade dazu bei, sie wach zu halten. Anfangs hatte sie noch mit dem Gedanken gespielt, wieder zurück ins Bett zu gehen. Doch je länger Avianus nun fort blieb, verwarf sie recht bald diesen Gedanken wieder und wollte weiter hier auf ihn warten.


    Letztendlich wurde sie auf das Geräusch einer sich öffnenden Tür aufmerksam. Leise Schritte folgten, die sich aber nicht zurück zum Wohnbereich bewegten. Sibel verharrte noch einen Moment und überlegte, was sie nun tun sollte. Ob sie nach ihm sehen sollte? Vielleicht brauchte er ja irgendetwas. Und wenn nicht, dann konnte sie wenigstens wieder beruhigt zu Bett gehen.


    Mit ihrem Lämpchen in der Hand, erhob sie sich gähnend und ging zur Tür. Leise und vorsichtig betötigte sie die Klinke und schritt durch die offene Tür hindurch. Im Arbeitszimmer brannte Licht. Auch wenn die Tür nur angelehnt war, erkannte sie doch einen Lichtschein durch den Türspalt. Vorsichtig drückte sie die Tür auf trat aber nicht ein. Sie fand ihn, an seinem Schreibtisch sitzend. Doch da er ihr seinen Rücken zugewandt hatte, erkannte sie nicht das Entsetzen, welches ihm immer noch im Gesicht geschrieben stand.
    „Aulus, was ist denn passiert? Willst du nicht wieder zurück ins Bett kommen?“

    Diesmal hatte ihr Beschwichtigungsversuch und der Kuss sein Ziel nicht verfehlt. Avianus gab es vorerst auf, sie auszuquetschen. Was allerdings nicht bedeutete, dass das Thema damit beendet war. Sibel aber würde nicht umhinkommen, mit Avianus darüber zu sprechen. Zunächst aber schob sie das Unabwendbare weit von sich und konzentrierte sich auf das, was ihr Avianus über diese mysteriöse Cynthia sagen konnte, nachdem der Buchhändler sie wieder sich selbst überlassen hatte.
    Zu ihrer Überraschung taten sich einige Parallelen zwischen Sibel und ihr auf. Eine Hetäre und ein Angehöriger einer patrizischen Gens. Wenn das nicht skandalös war in den Augen derer, die auch sie verurteilen würden. Doch es schuf auch Genugtuung und bestärkte sie, nicht weiter zu zweifeln, denn sie beide waren also nicht die einzigen, die eine solch abenteuerliche Beziehung eingegangen waren. „Er hat noch mehr über sie geschrieben? Dann muss er sie sehr geliebt haben,“ sinnierte sie laut. Jedoch drängte sich ihr aber auch eine Frage auf, die sie ihm aber nicht stellte. Sie hoffte, es im Text zu erfahren, was aus ihrer Liebe geworden war. Ob sie glücklich bis an ihr Ende gelebt hatten oder er sie hatte fallen lassen, zugunsten einer anderen Frau vielleicht? Sibels Gedanken schweiften wieder einmal ab. So bemerkte sie, scheinbar gerade noch rechtzeitig, wie Avianus das Buch wieder zusammenrollte. Sie musste ihn daran hindern, dass er es nicht wieder an seinen Platz im Regal zurücklegte. „Bitte leg es nicht zurück,“ rief sie. „Ich würde es gerne lesen.“ Ob diese Bekundung ihres Willens endlich ein erster Schritt in die richtige Richtung war, um mehr Selbstvertrauen zu erlangen? Womöglich. Doch im nächsten Moment schien sie alles wieder zunichte zu machen. „Natürlich nur, wenn es dir nichts ausmacht.“ Aber er behielt die Schriftrolle weiter in seiner Hand.


    Als Avianus auf die Schriftrolle zu sprechen kam, die sie zuvor noch in der Hand gehabt hatte, konnte sie nur ahnungslos mit den Schultern zucken. Um den Buchhändler nicht zu vergraulen, hatte sie sie schnell wieder zurückgelegt. Avianus aber griff nach ihr und begann zu schmunzeln.
    Iason und die Fahrt der Argo, darüber hatte ihr Vater ihr manchmal Geschichten erzählt. Seine unzähligen Handelsfahrten hatten ihn gelegentlich auch ins Schwarze Meer geführt. Jedes Mal wenn er dann wieder zurück von seinen Reisen war, setzte er sich seine geliebte kleine Tochter auf sein Knie und begann ihr von den fremden Ländern zu erzählen, die er gesehen hatte. Er hatte in ihr stets eine begeisterte Zuhörerin gefunden. Ihr Vater hatte ihr auch von Iasons Schiff, der Argo erzählt und geflunkert, dass sein eigenes mindestens genauso schnell war, was sie ihm aber niemals wirklich abgenommen hatte. Und er hatte noch mehr berichtet, über Kolchis, Medea und vom Raub des goldenen Vlieses. Sie hatte diese vertrauten Momente geliebt, wenn sich ihr Vater etwas Zeit für sie genommen hatte und er für diese kurze Zeit nur ihr gehörte. Doch das war schon lange vorbei. Doch immer noch empfand sie etwas dabei, wenn sie daran zurückdachte. „Ich kenne diese Geschichte. Mein Vater hat mir davon erzählt,“sagte sie und klang dabei etwas wehmütig.
    Ihr war aber auch aufgefallen, dass er einen Namen erwähnt hatte, der ihm bisher kaum über die Lippen gekommen war. Ein gewisser Regulus, mit dem er als Kind gelernt hatte. Überhaupt sprach er mit ihr kaum über seine Familie in Misenum. Vielleicht wollte er ihr so die Erinnerungen ersparen, die sie mit diesem Ort verband. „Regulus? Ist das dein Bruder?“, fragte sie schließlich.

    Sibel hatte in der Geborgenheit von Avianus‘ Armen geschlafen. Harmonisch lagen ihre Körper dicht beieinander Bauch an Rücken. So hatte sie schnell zu einem ruhigen und entspannten Schlaf gefunden, der bis zum Morgen angehalten hätte, wäre er nicht unterbrochen worden.


    Sie hatte viel zu tief geschlafen, um das Klopfen an der Tür zu hören. Avianus jedoch hatte es aus dem Schlaf gerissen. Nachdem er sich von ihr gelöst hatte, setzte er sich auf. Ein Kuss folgte und das Versprechen, gleich wieder zurück bei ihr zu sein.
    Sibel wandte sich schlaftrunken zu ihm um. Ihre halboffenen Augen erkannten lediglich nur Umrisse. Nun, da sie langsam erwachte, nahm auch sie das stetige Klopfen und Rufen wahr und realisierte schließlich auch, dass etwas geschehen sein musste.


    Als Avianus bereits das Schlafzimmer verließ um zur Tür hinauszugehen, setzte auch sie sich verschlafen auf. Es war doch noch mitten in der Nacht! Was war denn so wichtig, was nicht bis morgen hätte warten können?
    Von der Tür drangen einige aufgebrachte Wortfetzen bis zu ihr hin. Sibel verstand allerdings nicht genau, worum es ging. Dennoch schien es wichtig zu sein. So wichtig, dass man ihn aus dem Bett geholt hatte.
    Einen Moment noch hatte sie gebraucht, bis auch sie das Bett verließ. Im Dunkel tastete sie nach ihrer Tunika, die sie, nachdem sie fündig geworden war, dann überstreifte. Barfuß tapste sie hinaus und versuchte, mit Hilfe eines Kienspans an der noch glimmenden Glut der Feuerstelle ein Öllämpchen zu entzünden. So dass nach einer Weile eine kleine Flamme den Raum mit ihrem warmen Licht erhellte.
    Avianus hatte bereits die Habitatio verlassen. Wohin er gegangen war, wusste sie nicht. Am besten war es, nun hier auf seine Rückkehr zu warten. Sie nahm sich einen Becher, füllte ihn mit Posca und nippte daran. Dann nahm auf einem der Stühle Platz und wartete.