Alpina genoss alles. Die gemütliche Athmosphäre im kleinen Triclinium, die Freundlichkeit und Aufmerksamkeit des Gastgebers und seines Dieners, das Essen und den Gewürzwein, um den sie Onasses bat und die Lockerheit mit der Ursi ihr kindlicher Ungestüm zugestanden wurde. Alles war perfekt. Zu perfekt?
Beeindruckt hörte sie, dass Onasses freiwillig mit Massa ins kalte Germanien gegangen war. Er schien frei zu sein. Dass er sich dennoch bereit gefunden hatte, diese lange und beschwerliche Reise auf sich zu nehmen und zudem im kalten und unwirtlichen Germanien mit seinem "Dominus" zu leben - Respekt.
Alpina sog den Duft des frisch gebackenen Moretums ein. "Herrlich, dein selbst gebackenes Brot, Onasses! Und wie interessant Lorbeerblätter unterzulegen!"
Die Kräuterfrau staunte. Lorbeerblätter waren nicht eben billig in Germanien. Sie wusste zwar, dass die Sträucher im Süden ebenso wie Rosmarin überall wild wucherten und reichlich Blätter trugen, doch die Tatsache, dass die Pflanzen den Winter nicht überstanden und ihre Blätter deshalb von Händlern eingeführt werden mussten, verteuerte sie. Alpina wäre deshalb nicht auf die Idee gekommen, sie als Unterlage für ein Brot zu benutzen um diesem diesen eigentümlich herben Geschmack zu geben.
Sie tunkte das frische Brot in das Moretum. Kräuter und Knoblauch, ausgewogen kombiniert. Dazu stellte Onasses bereits das Hühnchen auf den Tisch. Es war wunderhübsch mit Oliven dekoriert. Dazu eine Lauchsoße. Alpina staunte. Sie warf einen verstohlenen Blick auf Massa. Ließ er es sich immer so gut gehen oder war dies ein Festessen extra für sie? Schnell verwarf sie den Gedanken. Nein, das wohl nicht. Massa war Tribun. Er wusste zu leben.
Ursi stürmte herein. "Essen! Uiiii!", quitschte sie fröhlich. Sämtlichen Anstand über Bord werfend, griff sie sich mit einer Hand ein Stück des Brotes und mit der zweiten ein Stück Huhn. Die Lauchsoße und die Oliven ließ sie unberührt. Nun biss sie abwechselnd von einer Hand und dann von der nächsten ab. Es schmeckte ihr hörbar.
"Hm... lecker! Können wir öfter kommen?", fragte sie ganz unvermittelt.
Alpina lief rot an und gab ihrer Tochter einen kleinen Klaps auf den Popo.
"Ursi, das gehört sich nicht! Wo sind deine Manieren? Man nimmt eines nach dem anderen und schon gar nicht läd man sich einfach selbst zum Essen ein. Schäm dich!" Und zu Massa hin gewandt sagte sie: "Verzeih ihre kindliche Offenheit."
Die Kleine zuckte mit den Achseln und nahm ein weiteres Stück Huhn. "Wenns doch wahr ist..." grummelte sie. "Ich finde es toll hier!"
Als auch das nächste Stück Huhn vertilgt war, schleckte sich Ursi die Finger ab, griff sich ein weiteres Brotstück als Proviant und verschwand wieder in der Casa.
Sie waren wieder allein. Oh, wie sehr genoss Alpina diese Zweisamkeit und zum Glück ließ ihr Gegenüber keine peinliche Gesprächspause aufkommen. Er fragte nach dem Winter.
"Der Winter..." sie zögerte. Wie erklärte man einem Mann, der die Hitze Ägyptens und die sommerliche Wärme Roms kannte den germanischen Winter? "Nun, das ist schwer vorstellbar, denke ich. Wie du feststellst kommt der Winter hier schon meist im November das erste Mal mit frostigen Temperaturen. Manchmal sogar im Oktober schon. Hier in Germania superior ist es oft lange einfach grau, kühl und regnerisch. In Raetia, wo ich herkomme, am Fuße der Alpes, bedeckt im November oft schon der erste Schnee die Berge und das Flachland. Und der bleibt dann, mit ein paar Unterbrechungen bis Anfang März oder sogar im April kann es noch schneien. Hier in Mogo ist es eher nass und matschig. Stell dich auf ungemütliche Zeiten ein. Zum Glück habst du eine Hypokaustanlage. Damit kann man es wenigstens in seiner Casa aushalten. Die Kontroll- und Außeneinsätze der Legion sind auf ein Minimum beschränkt im Winter. Das Leben geht ruhiger und gemütlicher zu. In der Castra und in der Stadt kümmern sich die Leute eher darum Reparaturen durchzuführen und häusliche Tätigkeiten zu verrichten. Die einzigen Abweschlungen sind Schnee räumen und die Saturnalienfeiern."
Alpina suchte Massas braune Augen. Erschreckte ihn der Winter? Würde er versuchen so bald wie möglich wieder südlich der Alpes einen Einsatz zu bekommen? Sie hatte Angst ihn gleich wieder zu verlieren. Ihn zu verlieren? Sie hatte ihn doch gar nicht! Alpina schalt sich töricht, sie musste schnell diesen Gedanken vergessen. Und doch suchte sie bewusst seine Nähe. Es war schön bei ihm.