Mit scheuem Blick versuchte sich Alpina in der Castra umzusehen. Es war lang her, dass sie durch die Straßen des Kastells gelaufen war. Dennoch erkannte sie einiges wieder. Die Blicke der Legionäre machten sie verlegen. Hatte sie einen Fehler gemacht?
Sie erreichten die Stallungen. Drinnen war es warm und roch interessant nach Pferd. Mit großen Augen betrachtete Ursi die vielen Pferde. Nun war sie nicht mehr zu halten. Sie streckte ihre kurzen Ärmchen aus um das dunkelbraune Stute Cara zu streicheln. Alpina war ein wenig bang. Pferde hatten riesige Köpfe und große Zähne. Was wenn Cara beschloss, die Finger der Kleinen anknabbern zu wollen?
"Salve, Cara!", sagte Alpina. "Das hier ist Ursi, sie würde dich gerne streicheln."
Kurz ließ Cara sich über die Blässe streicheln, dann senkte sie den Kopf und man konnte an den Nasenflügeln sehen, dass sie den Inhalt des Korbes erschnupperte, den Massa den beiden Ferauen hinhielt. Der große Kopf kam dem Korb immer näher. Cara schien sich selbst bedienen zu wollen. Alpina stellte Ursi auf ihre Füße und hob lachend den Korb hinter ihren Rücken. Sie griff hinein und holte zwei kleiner Äpfel hervor. Einen drückte sie Ursi in die Hand und selbst hielt auch sie der Stute die Frucht hin. Mit einem großen Happs schlug Cara die Zähne hinein. Alpina zuckte ein wenig zurück und auch Ursi schien beeindruckt. Dennoch hielt sie Cara tapfer ihren Apfel hin als der erste mit lautstarkem Schmatzen und ordentlich Gesabber zwischen den großen Pferdelippen verschwunden waren. Diesmal nahm Cara den Apfel wesentlich vorsichtiger - nur mit den sanften Lippen. Als wenn sie wusste, dass sie das kleine Mädchen sonst erschrecken würde.
Begeistert grinste Ursi und sah sich nach dem Tribun um, der nun sogar das Angebot machte, sie könnte auf der Stute sitzen. Mit einem erst zaghaften, dann aber doch deutlichen Kopfnicken zeigte Ursi an, dass sie den Vorschlag gut fand.
Alpina beschäftigte die Stute inzwischen mit einem weiteren Apfel und etwas trockenem Brot.
Auf dem Hof ihrer Eltern hatte es ein großes, schweres Arbeitspferd gegeben auf dem sie als Kind auch ab und an sitzen und reiten durfte. Alles hier erinnerte sie daran. Der Duft des Strohs und das warme Fell Caras. Der in der kalten Herbstluft dampfende Atem der vielen Pferde um sie herum und das Schnauben der Tiere - Alpina genoss es. Noch glücklicher machte sie aber, dass Massa keine Berührungsängst mit Kindern zu haben schien. Was für eine glückliche Fügung. Sie musterte Massa und versuchte ihn sich auf dem Rücken des Pferdes vorzustellen. Ein edles Tier mit dekoriertem Zaum und Sattelzeug, er dazu in vollem Ornat wie heute. Unwillkürlich leuchteten Alpinas Augen.
"Da wo ich herkomme, verehren die Menschen eine einheimische Göttin, die als Herrin der Pferde bezeichnet wird. Ihr römischer Name ist Epona. Mein Großvater errichtete ihr einen Schrein in Bratananium, meinem Heimatdorf. Hast du von ihr gehört?"