[Taberna Medica Alpina]

  • Wie Alpina Alexandria aussprach. So sprach jemand, der entweder Alexandria mit seinem Licht- und Schattenseiten liebte oder der es nur von Erzählungen her kannte. Ja, Alexandria, lange war er dort. Die drei Tage Rom waren nur ein Wimpernschlag dagegen. „ Es ist wunderschön.“ Alexandria hatte seinen Charme, wie jede große Stadt eben auf ihre eigene art und Weise. „ Warm? Du würdest es als heiß und unerträglich empfinden. So wie hier die warmen Tage, ist es dort am Morgen. Ich habe es immer als angenehm kühl empfunden.“ Es war ein krasser Unterschied Mogonitacum und Alexandria. Massa hoffte sich bald daran zu gewöhnen. „ Mein jüngerer Bruder lebt in Rom und kümmert sich um die Casa Decima Mercator. Ich weiß nicht ob du Decima Seiana kennst, sie lebt hier. Sie ist aus dem hispanischen Zweig der Decima. Ich wollte sie so bald wie möglich besuchen. Bei ihr hat sich Nachwuchs angekündigt. Vielleicht weiß du was darüber.“ Irgendwie vermisste er Alexandria mit seinem Trubel. Für ihn war es sein zu Hause geworden. Er kannte sich in Alexandria aus, wusste mit den Leuten umzugehen. Griechisch, die dortige Amtssprache, war seine zweite Muttersprache. „ Ein bisschen vermisse ich die Stadt und ihre Menschen. Aber ich habe es so gewollt. Ich habe um eine Aufgabe gebeten und bin hier her geschickt worden. Also werde ich hier meinen Dienst tun.“ Massa hatte beim Praefectus Aegyptii keinen Wunsch geäußert. Hätte er es tun sollen?


    Kam es ihm nur so vor, oder musterte sie ihn? Er hatte es vermieden sie lange anzusehen. Was ihm aber schon beim ersten Aufeinander treffen aufgefallen war, waren ihre rotbraunen Haare.
    Der Duft des Rosmarin‘s stieg ihm in die Nase. Ja, den kannte er. Mit geschlossenen Augen sog er den Duft ein. Erinnerungen wurden wach. Auf dem Markt von Alexandria wurden die Gewürze ebenfalls teuer angeboten. Kannte man die richtigen Leute, war der Einkauf wesentlich preiswerter so lange sie für den eigenen Bedarf waren. „ Du musst mir nicht die teuren geben. Ich nehme einheimische Kräuter. Die sind sicher genauso gut.“ Sein Blick blieb diesmal länger an ihr hängen. Ihre Augenfarbe versetzte ihm einen Stich. Die gleichen Augen wie…. Massa‘s Blick wechselte sofort auf die Kräuter.


    Kam es überraschend, nein. Bei einem Lager der Legion siedelten sich immer Menschen an. Legionäre gingen Beziehungen ein. Kinder blieben meist nicht aus. Sie hatte also eine kleine Tochter und besagter Legionär war seit 3 Jahren verschollen und sie wartete sicher auf ihn. Massa kannte das Gefühl nur zu gut auf jemanden zu warten. Wie lange hatte er auf Neriman gewartet? Wie viele Jahre ? Um dann in Rom zu erfahren, dass sie auf dem Weg zurück nach Hause gestorben war. Eine schmerzliche Erfahrung, die er kein zweites Mal machen wollte.
    „ Du verdienst das Geld, was du für dich und deine Tochter brauchst also selbst.“ Resümierte Massa aus dem von ihr Gesagtem. Vielleicht konnte er ihr einen Gefallen tun. Schließlich war er ihr einen schuldig. Zu gegebener Zeit sicherlich. Massa wollte noch etwas fragen, aber ließ es, als sie plötzlich auf seinen geäußerten Wunsch nach Kräutern für ein Bad einging.
    „ Ähm, ja. Zum besseren Einschlafen und das Kräuteröl dazu ist eine gute Idee.“

  • Gebannt lauschte Alpina den Erzählungen Massas. Alexandria... es war morgens schon so warm wie in Mogo wenn es wirklich heiß war. Unglaublich! Sie hörte genau zu. Er hatte einen jüngeren Bruder in Rom. Die Casa Decima Mercator. Das klang nach einer bedeutenden Familie und prompt brachte er eine weitere Persönlichkeit ins Spiel: Decima Seiana. Ja gehört hatte Alpina von ihr, doch sie gehörte zu dem Gesellschaftskreis zu dem sie keinen Zutritt hatte. Es sei denn, die edlen Damen bekamen Kinder. Tatsächlich. Seiana war schwanger? Nun, dann schien sie eine andere Hebamme gewählt zu haben oder hatte gar eine eigene Sklavin, die als Hebamme und Kinderfrau diente.


    Der Tribun erzählte, was ihn nach Germanien verschlagen hatte. Eine militärische Aufgabe. Es war zu erwarten gewesen und ebenso, dass er seine Heimat vermisste.
    Sie wechselten Blicke. Alpina wurde heiß. Lange hatte sie niemand so angesehen. Sie wurde rot. Corvinus war so lange fort. Langsam verlor sie die Hoffnung, dass er zurückkehrte. Doch durfte sie sich solche Blicke und solche Gedanken erlauben?
    Massa schien über ihr Leben als alleinerziehende Mutter nachzudenken.


    "Ich liebe meinen Beruf, musst du wissen. Es erfüllt mich mit großer Freude, Kinder auf die Welt zu holen, kranken Menschen zu helfen und kleinere und größere Blessuren zu behandeln. Außerdem freut es mich, dass mich die Götter mit so einer wundervollen Aufgabe betraut haben. Auf diese Weise kann ich wenigstens Ursi und mich ernähren und muss nicht wie andere betteln oder ... " Sie verstummte. Wie viele ledige Mütter verkauften ihren Körper um sich und die Kinder ernähren zu können.


    Während sie ihm von sich erzählte, füllte sie einige Kräuter in eine Spanschachtel. Das Gemisch roch würzig und wenn Massa die Nase darüber hielte - so wie zuvor über den Rosmarin - würde er feststellen, dass neben dem einheimischen Baldrian, der Melisse und dem Labkraut auch einige violette Lavendelblüten aus dem Süden in der Dose Platz gefunden hatten. Alpina liebte den Duft der mediterranen Lavendelblüte.


    Dann holte die Kräuterfrau ein Leinensäckchen unter dem Tresen hervor. Sie stellte die Dose hinein und das Kräuteröl. Einen Augenblick zögerte sie, ob sie Massa fragen sollte, ob er für die Narbe ihre Narbensalbe probieren wolle, dann aber fügte sie die kleine Horndose mit einer Narbensalbe ohne zu fragen hinzu.
    "Das hier ist eine Narbensalbe. Unter anderem sind Rosmarin- und Lavendelöl enthalten sowie das Öl der Wildrose. Trage sie täglich auf, damit die Narbe sich nicht verhärtet. Du brauchst doch eine elastische Haut, damit sie die Muskulatur darunter nicht behindert."


    Alpina sah hoch. Sie suchte bewusst die braunen Augen des Tribuns. Erschrocken schalt sie sich sogleich, dass sie es bleiben lassen sollte. Hatte sie nicht endlich genug von Legionären? Was veranlasste sie, immer wieder dem eigentümlichen Charme dieser Berufsgruppe zu erliegen?

  • Er sah ihr beim Befüllen der Spanschachtel zu. Unter Unbekanntem entdeckte er kleine violette Blüten, die er sehr gut kannte. Ein Hauch des Duftes der aus der Schachtel entwich bestätigte seine Vermutung. Es waren Lavendelblüten. Das andere kannte er nicht aber es duftete sehr angenehm. „ Ich weiß was du meinst.“ kommentierte er ihren unvollendeten Satz. Also gab es das auch hier. Er hatte es in Alexandria oft genug gesehen.


    Massa hatte ihr sehr genau zugehört. Ihn beeindruckte ihre Liebe zu ihrem Beruf. Er konnte genau so wenig ohne den Exercitus leben. Er hatte es in Alexandria ohne versucht und war kläglich gescheitert.
    Bei der Erklärung zur Narbensalbe nickte Massa. Es schränkte ungemein ein, da hatte sie recht. Das konnte er nicht gebrauchen. Auch wenn er jetzt nicht mehr ganz vorn mitmischte. Für die anderen Narben hatte er einfaches Olivenöl genommen, was besseres gab es damals in der Wüste nicht.


    Da sah sie ihn wieder an. Diesmal versuchte er ihrem Blick nicht auszuweichen. Ihre grünen Augen leuchteten anders als die von Neriman. Vielleicht war es die helle Haut und die rotbraunen Haare, die sie anders aussehen ließen. Warum machte er sich darüber Gedanken und verglich? Alpina war vollkommen anders als Neriman. War sie wirklich so anders? Massa lass es gut sein. Du solltest lieber die Sachen bezahlen.


    Aber er wollte es nicht gut sein lassen. Was er bis jetzt erfahren hatte, machte ihn neugierig.„ Welche Gewürze aus dem Süden würdest du gerne kaufen, wenn du es könntest?“ Massa hatte vorhin schon daran gedacht seinem Freund zu schreiben. Er wusste wie und wo man auch die teuren Gewürze zu einem annehmbaren Preis erstehen konnte. Das wäre ein angemessenes Dankeschön. Es würde zwar eine Weile dauern, aber Alpina's Hilfe und Alpina selbst war es wert.

  • Massas Interesse an ihrer Arbeit freute Alpina und als er sie nach den teuren Gewürzen und Heilkräutern aus dem Süden fragte, sah sie erneut in seine braunen Augen. Warum wollte er das wissen? Hatte er eventuell noch Beziehungen nach Alexandria?
    "Nun, als Hebamme sind es vor allem der Diptam und dann der sehr hilfreiche, wenn auch nicht ungefährliche Schlafmohn. Dessen Harz verwende ich gegen die Schmerzen und auch du hättest sie von mir bekommen, wenn du nicht in die Castra hättest zurückkehren müssen. Alraune ist ebenfalls selten und teuer. Sie ist ein hervorragendes Schlaf- und Traumkraut, aber mit Vorsicht zu genießen."


    Oh ja, Alpina erinnerte sich noch gut an Corvinus Mandragorasucht. Er war süchtig geworden nach den schönen und erotischen Träumen, die die Alraune ihm beschert hatte. Und sehr aggressiv, als sie ihm sein Suchtmittel entzogen hatte. Die Folge war eine Beinahevergewaltigung gewesen aus der Uricina entstanden war. Die Mandragora war also der Anfang ihrer folgenschweren Beziehung zu Corvinus gewesen.


    Mühsam riss sich die Raeterin aus ihren Gedanken. Kräuter! Massa fragte nach Gewürzen und Kräutern.
    "Ganz toll sind auch die Harze von Weihrauch und Myrrhe. Sehr teuer aber unschätzbar in der Behandlung infizierter Wunden, bei Zahnschmerzen und Gelenkbeschwerden. Und dann gibt es selbstverständlich sehr gute Gewürze, die weniger eine Heilwirkung haben aber zur Zubereitung von Speisen verwendet werden: Safran oder Muskatnuss."


    Alpina war ins Schwärmen gekommen. Sie liebte Kräuter und Gewürze. Erschrocken hob sie wieder den Blick.
    "Entschuldige, ich rede zu viel und langweile dich damit. Du hast sicher eine wichtige Aufgabe zu erfüllen und musst los. Verzeih meine Aufdringlichkeit."

  • Da hatte er einen Stein los getreten. Wie sollte er sich das alles merken? Diptam sagte ihm nichts, dafür Schlafmohn. Alraune; Schlaf- und Traumkraut ? Davon hatte er auch noch nie gehört. Harz von Weihrauch und Myrrhe das war wieder einfach. Safran und Muskatnuss, sehr teuer das wird schwer. Das hieß, dass er in seine Kiste „ Du-schuldest-mir-einen -Gefallen“ greifen musste. Es war allemal interessant zu erfahren was man damit behandelte. „ Nein, nein es ist nicht langweilig. Ich wusste nicht für was man das alles verwenden kann. Etwas dazu zu lernen hat noch keinem geschadet.“ Er lächelte,wie Alpina bei dem Thema Kräuter und Gewürze auf blühte. „ Bevor ich gehe, hätte ich gerne gewusst wie viel ich dir schulde. Und du bist keinesfalls aufdringlich. Das war für mich eine angenehme Abwechslung vom Dienstalltag. “ Eigentlich war für heute alles getan. Nur ein bisschen Schreibarbeit lag noch vor ihm. Der Spaziergang war eine Erholung vom ersten um sich dann dem zweiten zu zuwenden.

  • Alpina war rot geworden. Sie hatte ihn vollgeplappert mit Dingen von denen er als Legionär natürlich nicht viel verstand. Wie dumm von ihr.
    "Du musst dir das nicht merken", sagte sie. "Es reicht wenn ich es weiß."
    Sie konnte ja nicht ahnen, dass er vorhatte die Kräuter und Gewürze zu besorgen.


    Dann kam die Frage nach dem Preis. Alpina hätte am liebsten abgewinkt. Aber sie ahnte, dass er das nicht würde haben wollen. Also antwortete sie.
    "Nun für das Bad und das Öl bekomme ich 2 As, die Salbe ist geschenkt, denn sie gehört zur Behandlung der Wunde, die ich dir zugefügt habe."


    Er sprach von seinem Dienstalltag. Zu gerne hätte sie gefragt was ein Tribunus Angusticlavius für Aufgaben hatte, schalt sich dann aber als neugierig und sah ihn stattdessen nur unsicher an. Gleich würde er gehen und dann würde sie ihn vermutlich nicht so schnell wiedersehen. Sag etwas! Etwas Kluges, das ihn vielleicht dazu bringt, wiederzukommen!


    Während sie noch grübelte, was sie sagen könnte, das einen ritterlichen Tribun interessieren könnte, hörte man tippelnde Schritte und eine Kinderstimme aus dem Haus in Richtung Taberna Medica kommen.
    "Maaaaamaaa!"
    Mit fliegenden Haaren und roten Bäckchen schoss Ursicina in den Verkaufsraum. Sie hatte einen großen Tannenzapfen in einer Hand, in der anderen einen Ast.
    "Hilfst du mir ein Pferd zu basteln?"

  • Es war lange her, das eine Frau in seiner Gegenwart errötete. Er lächelte in sich hinein. Sicherlich war es nicht lebensnotwendig für ihn, aber zu wissen mit was und für wen sich sein Gegenüber damit befasste war immer gut. Außerdem gefiel ihm ihre selbstbewusste Art. Fang nicht wieder an zu vergleichen Massa. „Ähm, wie? 2 As? Sicher?“ Massa holte, während er noch einen Einwand auf der Zunge hatte, seinen Geldbeutel hervor. „Du hast …..“ - Lavendelblüten in die Kräuter getan, wollte er sagen. Da unterbrach ihn eine Kinderstimme. Massa sah an Alpina vorbei. Das war also ihre kleine Tochter. Abgelenkt durch das plötzliche auftauchen von Alpinas Töchterchen und wahrscheinlich war die Verschnürung zu locker am Beutel, fielen vier Münzen heraus. Sie tanzten und rollten auf dem Boden herum. Eine rollte bis vor die Füße der Kleinen. Massa sah zu Alpina und zuckte entschuldigend mit den Schultern, bevor er sich daran machte in die Knie zu gehen um sie einzusammeln.

  • Als die Münzen klimpernd auf den Boden rollten und sich die Dreijährige daran machte sie einzufangen, als ob es gelte Mäuse zu jagen, musste Alpina schmunzeln. Nachdem Ursi die letzte Münze mit ihren kleinen FIngern aufgesammelt hatte richtete sie sich unbeholfen auf. Ihre kindliche Stirn stieß mit der des Tribuns zusammen. Zunächst machte sie ein erschrockenes Gesicht, dann holte sie tief Luft. Alpina ahnte was als nächstes kam. Sie ging ebenfalls in die Knie. Sehr nah an dem Decimer. Der vertraute Geruch nach Leder, das Klimpern des Metalls am Cingulum. Alpina versuchte es zu unterdrücken, doch ihr Herz schien plötzlich einen Extraschlag zu machen. Corvinus....


    Blödsinn, hör auf damit, Alpina. Er ist fort. Du wirst ihn nie wiedersehen. Hör auf dein Herz an einen Geist zu hängen.


    Einen Augenblick länger als sittsam war und auf jeden Fall zu lang für Ursi verweilte Alpina im Dunstkreis des Tribuns. Dem tiefen Einatmen folgte ein dramatischer Schrei. Mit schmerzverzerrtem Gesicht presste Ursi kleine silberne Tränen zwischen den langen Wimpern hervor und begleitete dies Schauspiel mit einem markerschütterndem Weinen. Die kleine Faust öffnete sich und die Münzen rollten erneut über den Boden der Taberna Medica.
    Alpina strich sanft über die Stelle an Ursis Stirn, die sich sanft rosa färbte und pustete eifrig.
    "Oh, alles gut, Carissima. Nichts passiert. Kein Grund eine Tragödie zu inszenieren! Siehst du? Jetzt puste ich den Schmerz weg. Schon ist es wieder gut."


    Nichts war gut. Ursi hielt zwar einen Moment inne, doch ließ sie sich nicht vom Weinen abbringen, bis Alpina mit ihr auf dem Arm aufstand und einen Tontopf vom Regal holte. Noch bevor sie den Korkverschluss geöffnet hatte, ebbte das Weinen ab und als der Duft nach Honig die Taberna Medica erfüllte, war Stille eingekehrt. Aufmerksam beobachtete die Kleine jede Bewegung ihrer Mutter und als sie den Finger in den Topf tauchen und ihn abschlecken durfte, schien die schwere Verletzung vergessen zu sein. Entschuldigend sah die Hebamme den Tribun an.
    "Entschuldige bitte, ich habe hier eine kleine Schauspielerin. Wenn das Ziel lohnt... kann sie die sterbende Alkestis miemen."

  • Den kleinen Kopf hatte er nicht kommen sehen. Ein leichter Stoß Stirn gegen Stirn. Massa empfand ihn nicht als schmerzhaft, die Kleine dagegen machte ein Gesicht als ob…. Neben ihm tauchte Alpina auf. Sie war so nah, dass eine kleine Bewegung seinerseits gereicht hätte sie zu berühren. Er bewegte sich nicht, nahm sie aber sehr deutlich war. Ihre Wärme, ihren angenehmen Geruch und das Zögern bevor sie…. Massa erschrak bei Ursi‘s Schrei. Was hatte er da angerichtet. Während Alpina versuchte die Kleine zu beruhigen, sammelte Massa, schuldbewusst und weil er nicht wusste was er machen sollte, die Münzen auf. Auf dem Boden lagen auch noch der Ast und der Zapfen, was Ursi vorhin mitgebracht hatte. Massa nahm die beiden Sachen und machte sich dran ein Pferd daraus zu basteln. Der Ast hatte an einem Ende eine Astgabel, gut für Hals und Kopf. Aus dem Rest machte er vier Beine und steckte sie an vier Ecken in den Zapfen. Nach kurzer Prüfung ging es mit ein bisschen Fantasie als Pferd durch.


    Das Weinen war verstummt. Massa sah den Beiden zu. Das Bild von Alpina mit Ursi auf dem Arm machte ihn nachdenklich. Erst als Alpina sich ihm zuwendete war er wieder ganz da. Massa lächelte bei Alpina‘s Erklärung. Ein kleine Schauspielerin, dann war es gar nicht so schlimm gewesen und Honig das Allheilmittel.


    Etwas unsicher, wie es wohl ankommt, hielt er Ursi das gebastelte Zapfenpferdchen hin. „ Das ist mir gerade zugelaufen. Es sucht seine Besitzerin.“ In der anderen Hand hielt er zwei der Münzen. „ Davon kaufst du für dich ein Töpfchen Honig und für das Pferdchen einen Apfel.“ Was konnte er sonst noch tun? Kleine Kinder, damit hatte er nun gar keine Erfahrung.

  • Dafür, dass er Legionär war und vermutlich in den letzten 15 Jahren wenig Pferdefiguren aus Tannenzapfen und Ästen gebastelt hatte, machte Massa seine Sache hervorragend. Alpina schmunzelte als ihre Tochter den Kummer über die Beule vergaß und dann sogar sehr mutig wurde. Sie streckte die kleine Hand aus um zunächst das Pferd entgegenzunehmen. Dann öffnete sie auch noch die zweite Hand. Selbstverständlich hatte die Dreijährige noch keine Ahnung wieviel diese Münzen wert waren, dass man jedoch mit Münzen Dinge kaufen konnte, wusste sie. Erst recht als Massa erklärte, dass man mit den Münzen etwas für das Pferdchen kaufen konnte. Das leuchtete ihr ein. Ursi betrachtete die Arbeit des Tribuns sehr ausgiebig und mit offenkundigem Kennerblick. Alpina wartete darauf, dass sie sich bedanken würde. Doch als die erhoffte Höflichkeitsfloskel nicht kam, half sie nach.
    "Na Ursi? Wie heißt das? Was sagt man, wenn man etwas geschenkt bekommt?"


    Die Kleine auf ihrem Arm schürzte unwillig die Lippen. Nach einiger Zeit kam leise ein: "Danke" hervor.
    Streng sah die Mutter ihre Tochter an. "Danke, Tribun Decimus, muss das heißen!"


    Ursi sah den Mann grübelnd an, der ihr das Pferd gebastelt hatte. Statt dem von Alpina vorgesprochenen Danksatz kam eine Frage aus ihrem Mund. "Wenn ich jetzt die Besitzerin bin", sagte sie mit piepsiger Stimme."Was ist dann mit dir? Muss du jetzt zu Fuß gehen?"

  • Massa machte ein nachdenkliches Gesicht und sah dann Ursi an. „ Hmmm, mal überlegen. Ein Tribun darf mehr als ein Pferd haben. Ich hatte zwei Pferde. Du besitzt jetzt eins davon, also müsste ich noch ein Pferd im Stall stehen haben.“ Natürlich hatte er seine zwei Pferde, sein Reit- und sein Packpferd. „ Bis zum Stall muss ich jetzt laufen. Aber der ist nicht sehr weit weg.“ Da kam ihm eine Idee. „ Möchtest du es sehen? Wir können es, wenn ich wieder Zeit habe, im Stall besuchen .“ Ein voreiliges Versprechen, Ernte und Vorratsbeschaffung standen ins Haus. Es ging ja nicht bis in die Nacht und einen Nachmittag konnte er garantiert mit ihr zum Stall gehen. Das einzige was er vergessen hatte. Er hatte Alpina nicht gefragt ob es ihr recht ist. In letzter Sekunde fiel es ihm ein. „ Ähm, wenn es deine Mama erlaubt.“ Schuldbewusst sah er zu Alpina. " Ich kann es auch mitbringen. Falls es deiner Mama lieber ist." Ergänzt Massa schnell. Nebenbei legte er die übrigen zwei Sesterzen auf den Tresen. Es war mehr als sie gesagt hatte, aber das war egal. er gab es gern.

  • Ursi sah den Tribun mit großen Augen an. Er hatte zwei Pferde? Er musste ein reicher und einflussreicher Mann sein. Ursi liebte Tiere. Sie liebte den altersschwachen Kater Nero, der die meiste Zeit des Tages in einer Ecke des großen Ehebettes schlief und auch die anderen Tiere, die sich manchmal in ihren Garten verliefen. Da gab es Igel, Eichhörnchen und vor allem Vögel, die nach Nahrung suchten. Aber sie war noch nie in einem Stall gewesen und hatte auch noch nie ein Pferd gestreichelt. Wohl hatte sie auf den Straßen der Stadt ab und an einen Reiter oder ein Pferdefuhrwerk gesehen, doch sich nie so nah ran getraut, dass sie die Pferde hätte streicheln können. Begeistert nickte sie also dem Tribun zu. "Oh ja!"


    Die Frage nach der Erlaubnis war unnötig, aber dennoch schätzte es Alpina, dass Massa nachfragte. Sie musste nicht lang nachdenken.
    "Natürlich erlaube ich es. Wenn ich auch selbst zugeben muss ein wenig neugierig zu sein. Ich fürchte nur, es sieht komisch aus, wenn ich mit Ursi an der Hand in die Castra komme, nicht wahr? Ist ja doch so ein Männerhaufen."


    Sie erinnerte sich noch genau wie sie mit Corvinus dort in einer Offiziersunterkunft gebadet hatte. Das Herzklopfen war wieder da. Es war so lange her und doch tat es noch weh. Sie zwang sich die Erinnerungen abzuschütteln. Sie lebte im "hier und jetzt". Es war an der Zeit loszulassen.
    "Was meinst du? Sollen wir es wagen?"

  • Über die Reaktion der Kleinen auf sein Angebot freute sich Massa. Er hatte das Richtige getan. Das Alpina zustimmte freute ihn um so mehr. „ Ja, natürlich warum solltet ihr es nicht tun? Mache dir keine Gedanken darüber. Ihr seid meine Gäste. Vielleicht werden euch einige Augenpaare folgen. Aber lass dich davon nicht stören.“ So schlimm war der Männerhaufen eigentlich nicht. Nur wann war es am Besten? Massa überschlug schnell wie lange sie für die anstehenden Aufgaben brauchten. Immer musst er ja nicht dabei sein. In drei Tagen ging es. Bis dahin dürften die Centurionen alles soweit im Griff haben, dass Massa nicht ständig gebraucht wurde. „ In drei Tagen zur Hora octa. Was haltet ihr davon?“ Sein Blick wanderte zwischen Alpina und Ursi hin und her. Bis dahin hatte er die Möglichkeit ein bisschen was von Onassis vorbereiten zu lassen. Vor allem im Domus musst er einiges tun. Wie es eben in einem reinen Männerhaushalt so ist. „ Ich hole euch beide hier ab oder wollt ihr lieber zur Castra kommen ?“ Was ihnen lieber war konnte Massa nicht beurteilen. Dazu hatte er zu wenig Erfahrung mit weiblichen Gästen.

  • In drei Tagen? Alpina stellte fest, dass sie die Vorstellung sehr schön fand, dass sie einen festen Termin hatte, zu dem sie Massa wiedersehen würde. Wäre er einfach gegangen ohne diese Vereinbarung, hätte sie wohl täglich darauf gehofft, dass sich die Tür zu ihrer Taberna Medica öffnen würde, um das Gesicht des Mannes aus dem fernen Alexandria zu sehen.
    "Hora octa?" wiederholte sie. "Gerne!"


    Wollte sie abgeholt werden oder selbst zur Castra gehen? Hm.
    "Wir kommen zu dir", entschied Alpina. Schließlich war es nur ein kurzer Weg bis zum Legionslager. "Ich freue mich...", fügte sie leise aber wahrheitsgemäß hinzu. "... und danke!"


    Der Dank beinhaltete viel. Die Bezahlung, die Bastelarbeit, die Münzen für Ursicinan und die Einladung. Zu ihrem Dank gesellte sich auch wieder eine leichte Röte auf den Wangen. Sie drückte ihm seine Bademischung und die Öle in die Hand und versuchte noch einmal den Blick seiner braunen Augen zu erhaschen.
    "Vale bene, Tribunus Decimus Massa!"

  • Im ersten Moment kamen ihm Zweifel, dass der feste Zeitpunkt nicht in ihre Planung passte. Sie verflüchtigten sich, als Alpina zusagte. Ihr zaghafter Ausdruck, dass sie sich darüber freute und ihre leicht geröteten Wangen brachten Erinnerungen zurück. Wie lange war er damals in der Wüste als er Neriman kennenlernte? Wie lange war er jetzt hier in Mogontiacum ? Es glich sich alles so sehr. Nein, es gab Unterschiede. Alpinas ganze Erscheinung, das Grün ihrer Augen. Die kleine Ursi, ein Rätsel für ihn. „ Ich muss mich bei dir bedanken.“ nahm er das Päckchen in Empfang. Bedacht nichts fallen zu lassen sah er erst nach der Bademischung und dem Öl bevor er sie ansah. Diesmal leuchteten seine Augen. Lange konnte Massa sie trotzdem nicht ansehen. Er scheute sich davor sie zu mustern. Noch fühlte er sich hier nicht richtig zu Hause. War ihm vieles fremd, wollte er Missverständnissen vermeiden. Auf das Wiedersehen freute er sich jedenfalls. „ Vale bene Ursi und Susina Alpina. Pass gut auf das Pferdchen auf Ursi.“ Mit der Bademischung und dem Öl in den Händen verließ er die Taberna.

  • Es war die Zeit zu der sonst Esquilina gelegentlich die taberna medica aufsuchte. Heute war es aber der andere Iulier, der vorbeikam, um sich der angekündigten Untersuchung zu unterziehen.


    Das Glöckchen bimmelte und geduldig wartete Licinus bis er an der Reihe war. Was hieß abzuwarten bis eine sichtlich nervöse junge Frau vor ihm fertig war, Alpina mit Fragen zu löchern. Licinus verstand kein Wort, aber er vermutete, dass sie das erste Mal schwanger war und entsprechend nervös.

  • Als Licinus diese Mal in die Taberna medica kam, wusste Alpina wo der Schuh drückte. Sie beriet gerade eine Kundin, die das erste Mal schwanger war. Sie voller Ängste und Sorgen. Alpina beantwortete geduldig ihre Fragen, gab ihr eine Kräutermischung und versprach, dass sie jederzeit wiederkommen könne, wenn sie Rat suchte. Außerdem würde sie auch die Entbindung übernehmen und in den Wochen zuvor Hausbesuche machen, wenn es nötig wurde.


    Als die junge Frau gegangen war, wandte sich Alpina mit einem entschuldigenden Lächeln an den Praefectur castrorum.
    "Salve, Licinus. Es freut mich, dass du es einrichten konntest. Ich werde noch ein paar Vorbereitungen treffen, dann gehen wir in den kleinen Raum, in dem Esquilina während ihrer Krankheit lag. Da haben wir unsere Ruhe."


    Sie begann einen Kräutersud aus Kamille vorzubereiten. Dieser musste erst abkühlen, damit sie ihn in Licinus Ohr einbringen konnte. Desgleichen das Mandelöl, das zuvor das Ohrenschmalz lösen sollte. Alpina stellte eine Schlale in heißes Wasser, damit sich das Öl erwärmen konnte. Zum Glück war es bereits kalt draußen so dass der kochendheiße Kräutersud schnell auf Körpertemperatur abkühlte. Zuletzt legte sich Alpina einen Ohrlöffel bereit mit dem sie das eventuell sehr fest sitzende Schmalz vorsichtig entfernen konnte.

  • "Wie war das noch mit dem Rat von Ärzten, den man befolgen sollte?" fragte Licinus, bewusst den zweiten Teil, der gar garstig von Ärzten sprach, vergessend.
    "Und wenn die Ärztin dazu noch eine gute Freundin ist, dann erst Recht, nicht wahr?" Auf Licinus Lippen spielte dieses seltene Kräuseln seines eigenen feinen, gelegentlich höchst selbstironischen Humors.
    "Außerdem bin ich mit einer gewissen jungen Dame verabredet, die hier vermutlich öfter vorbeikommt als ich erwartet hatte, als ich "nicht zu oft sagte". Sie stört dich wirklich nicht?" ging Licinus sicher, der nicht wollte, dass Esquilina Alpina zur Last fiel. Und letztere hatte er in Verdacht ein viel zu herzensguter Mensch zu sein, um das Kind von sich aus nach Hause zu schicken, so lange kein wirklicher Notfall anlag.


    Gehorsam ging Licinus in das Untersuchungszimmer und setzte sich auf einen Schemel in eine Position, von der er vermutete, dass Alpina auf diese Weise das beste Licht bekam. Oder zumindest den kümmerlichen Rest Licht, der noch durch das Fenster fiel.
    "Was hast du vor?" Bei allem Vertrauen, wenn sie in seinem Ohr arbeiten würde, dann wüsste Licinus schon gerne besser, was vor sich gehen würde.

  • Alpina lächelt leicht errötend. "Ich bin doch keine Ärztin, Licinus. Ich bin eine einfache Hebamme und ein Kräuterweib, nicht mehr."
    Sie mochte den Praefectus sehr und es freute sie, dass er sie als gute Freundin bezeichnete.


    "Oh, Esquilina will auch noch vorbeikommen? Wie schön! Ich freue mich immer wenn sie kommt. Sie stört überhaupt nicht. Wenn ich hier bin, habe ich immer ein offenes Ohr für sie, so wie für alle anderen, die mit ihren Sorgen oder einfach dem täglichen Klatsch und Tratsch zu mir kommen. Das ist auch eine Seite, die ich sehr an meinem Beruf liebe - die Arbeit am Menschen. Mit all seinen Facetten. Ich sehe die Leute wenn es ihnen schlecht geht, aber manchmal auch wenn es ihnen gut geht und sie mir einfach etwas erzählen wollen. Es ist immer der ganze Mensch wichtig, nicht nur sein kranker Körper. Ich glaube Esquilina hat ein ebenso offenes Wesen. Sie ist ein sehr angenehmer Mensch und du hast deinen Anteil daran. Du bist ihr ein großes Vorbild."


    Die Vorbereitungen waren abgeschlossen. Zu recht fragte Licinus nach der Behandlung die anstand.
    "Ich brauche dich gleich im Liegen auf der Kline hier. Ich werde dir warmes Mandelöl in dein Ohr träufeln und dann müssen wir ein wenig abwarten, ob sich das Ohrenschmalz löst. Wir werden es dann mit diesem Kräutersud, der Kamille enthält aus dem Gehörgang spülen. Sollte es sehr fest sitzen habe ich hier so ein kleines Ohrlöffelchen mit dem ich eventuell widerspenstigen Rest, die aber noch weit außen und gut zugänglich sind, vorsichtig herauskratzen kann. Nur wenn es nötig sein sollte. Danach wissen wir ob das die Ursache deiner Hörschwierigkeiten ist. Leg dich bitte zunächst auf den Rücken und dreh den Kopf nach rechts."

  • "Hebamme ja, Kräuterfrau, ja, keine Ärztin vielleicht," widersprach Licinus der Hebamme, deren Erröten sie ein wenig mädchenhaft verschämt wirken ließ. "Aber einfach? Das sicher nicht!"


    "Siehst Du, Du sagst es doch selbst. Du liebst deinen Beruf und Du siehst deine Patienten stets als ganzes. Nicht nur als einen kranken Zahn, Arm oder Bauch." Licinus hatte keine Ahnung, was jetzt im einzelnen am Bauch alles kaputt sein konnte. Aber es dürfte auch so rüberkommen was er meinte.
    "Kann ja sein, dass die medici und vor allem der chirurgici handwerklich geschickter und vor allem trainierter sind, als Du." Das musste man der Fairness halber durchaus zugeben, aber dennoch bleib die Frage. "Aber ob sie das allein zu den besseren Heilern macht, da bin ich mir nicht so sicher." Natürlich war er sich sicher und er würde Esquilina jederzeit zuerst zu Alpina bringen, als ins valetudinaroium des Lagers. Aber erstens könnte ihm das ziemliche Probleme bereiten, wenn er es laut sagte und zweitens wollte er Alpina nicht in Verlegenheit bringen.
    "Ja, sie ist ein wunderbarer Schatz. Aber ich glaube mit dem Vorbild liegst du nicht ganz richtig. Zumindest zum Teil bist auch du das. Ich will beinahe sagen, sie vergöttert dich. Und ich danke dir, dass du bereit bist ihr zuzuhören, wenn sie mit Problemen nicht zu mir kommen möchte. Auch ..."
    Jetzt hätte er sich beinahe verplappert, aber er hatte versprechen müssen, nichts zu sagen.


    "Das klingt ja beinahe angenehm", schmunzelte Licinus und erhob sich wieder von dem Schemel. Falsch gedacht, alter Junge, schalt er sich selbst amüsiert. Mandelöl gab es auch zu Massagen in den Thermen, wie er sich erinnerte.
    "Dann fangen wir mal an."
    Licinus war durchaus ein wenig nervös, wie die Diagnose lauten würde. Wäre seine Schwerhörigkeit heilbar?

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