Beiträge von Susina Alpina

    So sehr sich Malleus auch gegen den Titel "Held" wehrte, so sehr empfanden es die beiden Frauen so. Natürlich wollte er nun auch noch mehr erfahren und Runa tat ihm den Gefallen. Aus dem Mund der Freundin, in ihren Worten ausgesprochen und in der Kürze auf den Punkt gebracht, hörte sich alles halb so schlimm an. Alpina schien ihr Schicksal wie aus der Ferne betrachten zu können. Ihre Gedanken drifteten ab zu Corvinus und dem Prozess. Dann aber holte die Schwägerin sie wieder in die Realität zurück mit ihrer Beschreibung der Auspeitschung der Seherin Idun.


    Alpina nickte zu Runas Beschreibung der Geschehnisse. Eine strenge Falte bildete sich zwischen ihren Augenbraunen. Noch immer war die Raeterin wütden über das Vorgehen der römischen Soldaten. Die arme Frau war aufs Schlimmste gedemütigt worden. Alpina war gespannt wie Malleus die Tat beurteilte. Sie wusste, dass er als Soldat gedient hatte und erwartete deshalb Verständnis für das Vorgehen der Legionäre.

    So so, eine Schwangerschaft stand also nicht an. Mit Belustigung hörte sie, dass die kluge Ehefrau ihren Mann mit einem "Problem" in die Taberna Medica schickte, dass dieser vermutlich als unwichtig und sehr unmännlich empfand. Trocken, gereizte und juckende Haut. Die Kräuterfrau lächelte freundlich.
    "Sehr weise von Octavena sich das nicht länger anzusehen und vor allem sich nicht länger deine Unleidigkeit zu ertragen, denn ich nehme an, dass es recht unangenehm ist."


    Sie griff in das Regal hinter sich und holte eine Flasch hervor. "Das ist selbst angesetztes Ringelblumenöl. Die Blüten wurden im vergangenen Sommer in bestem Olivenöl an der Sonne in Öl mazeriert. Das pflegt und beruhigt die Haut. Trage es morgens und abends auf. Und berichte mir bei Gelegenheit ob es die erwünschte Wirkung hat. Es gäbe sonst auch noch andere Möglichkeiten. Aber ich bevorzuge dieses Öl. Es hat schon vielen gute Dienste geleistet."

    Die Seherin nahm den römischen Soldaten in Schutz. Vermutlich hätte sie es genauso getan in ihrer Lage. Idun liebte. Sie liebte tief und aufrichtig. Alpina atmete schwer. Es tat wieder weh. Sie kannte die Wahrheiten, wusste, dass Idun recht hatte. Man hätte sie getötet. Alleine die Vorstellung, dass die Seherin einen Mann aus ihren Reihen mit einem Bann gebunden habe, reichte dem Arm Roms aus, die Frau zu töten. Natürlich war es "eine Gnade", dass dieser Befehlsausführer sie "gerettet" hatte.


    Alpina versuchte ihren persönlichen Frust außen vor zu lassen, als Idun sie nach Corvinus fragte. Sie nannte seinen Namen nicht, doch sie wusste, dass die Raeterin verlassen worden war. Tief bohrte sich das Messer in ihre Brust. Alpina hätte schreien mögen. Alles, was mit ihm im Zusammenhang stand, klammerte sie aus solange sie bei Bewusstsein war. Nachts, da sah sie ihn, da verfolgten sie die Bilder der schönen Erinnerungen. Sie vermied alle Gespräche, die das Thema anschnitten.


    Die Kräuterfrau sah die Seherin traurig an. "Bald sind es drei Jahre. Sie ist unlängst drei geworden und sah ihren Vater das letzte Mal als sie noch nicht mal ein halbes Jahr alt war. Sie erinnert sich nicht an ihn. Sie wird ihn vergessen, hat ihn bereits vergessen. Ich kann es nicht."


    Mit einem tiefen Seufzer drehte sich Alpina zur Tür. Sie konnte und wollte nicht weiter darüber reden oder auch nur daran denken. "Ich komme morgen wieder. Gute Besserung, Idun."

    Auch Alpina staunte nicht schlecht, dass Mallus die Verbrecher, die Curio überfallen hatten, zur Strecke gebracht hatte. Umso mehr freute sie sich für Runa, die entsprechend erleichtert war und deren Emotionen, ob schwangerschaftbedingt oder weil es sie als Strohwittwe näher am Wasser gebaut hatte, überflossen.


    Lächelnd beobachtete die Hebamme, wie ihre Freundin dem alten Haudegen dankte und konnte sich ihrer Einschätzung nur anschließen, dass sie tief in seiner Schuld standen. Denn so mussten die Menschen in Mogontiacum eine Angst weniger haben. Mit dem gefangen genommenen Gurox und den getöteten Attentätern, die Curio angegriffen hatten, wurde es vielleicht ein wenig sicherer auf den Straßen der Stadt.
    "Danke, Malleus! Du bist ein wahrhaftiger Held. Still und ohne großes Aufhebens darum, hast du die Bürger der Stadt von einer großen Gefahr befreit."

    Die Verhandlung bekam den Anschein eines Jahrmarktes. Phryne meldete sich ungefragt zu Wort. Wobei Alpina das was die Freigelassene von sich gab, nicht verwunderte. Mit Sicherheit stimmten die Anschuldigungen gegen Gurox. Was davon zu beweisen war, war wiederum eine andere Sache. Und wieviel Phryne freiwillig "gegeben" hatte auch.


    Gurox selbst schien nach wie vor motiviert sich selbst zu verteidigen und dabei öffentlich so viele Lügen wie möglich zu erzählen. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte laut gerufen, dass es eine Lüge war, dass Kaeso ihn angegriffen hatte, um sie zu schützen und vor dem Ungeheuer zu retten. Doch der Legtus Augusti hatte deutlich gemacht, dass jeder nur dann zu reden hatte, wenn er dazu aufgefordert wurde. Und sie würde als Zeugin befragt werden. Also wartete sie bis sie als Zeugin aufgerufen wurde.

    Während Malleus von seiner Tour durch die Grenzregion und dann darüber hinaus ins Barbaricum erzählte beobachtete Alpina wie Runa sich über den Bauch streichelte. Über den Bauch... da war tatsächlich ein Babybauch zu sehen! Warum hatte Runa ihr nichts gesagt? Warum hatte Alpina als erfahrene Hebamme das nicht bemerkt? Lag es daran, dass Runa so lange Zeit mit Curio auf dem Land verbracht hatte oder war Alpina zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt gewesen? Sie beschloss nicht vor Malleus das Thema anzureißen, wenn sie es nicht selbst tat, aber die Freundin gleich nach diesem Gespräch darauf anzusprechen.


    Wieder zu Malleus gewandt antwortete Alpina.
    "Nun, ich würde dir die offizielle Version sofort abkaufen, wenn ich nicht ahnte, dass etwas mehr dahintersteckt. Möchtest du uns die inoffizielle Version auch noch erzählen?"

    Ein wenig irritiert sah Alpina das Duccische Familienoberhaupt denn doch an als er so unvermittelt in ihrer Taberna Medica stand. Das konnte nur eines bedeuten - eine weitere Schwangerschaft von Octavena. Doch Alpina wollte ihm nicht vorgreifen. Also lächelte sie zunächt freundlich wie immer.
    "Salve Duccius Marsus. Welche Freude, dich in meinem bescheidenen Laden begrüßen zu dürfen."
    Sie drehte sich um zu den Familienräumen der Casa. "Uris, bist du in der Nähe? Komm doch mal!"


    Zu ihrem Gast sagte sie: "Ursicina ist jetzt 3. Es geht ihr gut. Auch wenn sie momentan in einem Weiberhaushalt aufwächst."
    Alpina sprach darauf an, dass Curio mit seinem Sekretär auf dem Landgut weilte und sie mit den Sklavinnen und Runa nebst ihrem Sohn alleine war.


    Ursi erschien völlig verschmiert mit irgendeiner roten Pampe um die Lippen. Alpina vermutete Beeren, denn die ersten Wildbeeren reiften bereits und auch in ihrem Kräutergarten gab es schon das ein oder andere zu ernten. Die kleine grinste Frech und winkte dem großen Mann unbefangen zu.
    "Sag artig "Salve" zu Duccius Marsus!" bat Alpina ihre Tochter. Die unverständlichen piepsigen Laute, die dem verschmierten Mund entfleuchten, konnte man in etwa als "Salve" deuten. Alpina nickte zufrieden und wandte sich wieder ihrem Gast zu.


    "Ich hoffe du hast einen erfreulichen Grund, warum du mich aufsuchst?" Ihr fragender Blick deutete an, dass sie erwartete, dass er ihr eine erneute Schwangerschaft seine Frau anzeigte.

    Alpinas Blick drückte die Unfassbarkeit dessen aus, was seine Worte erklärten. Er war es gewesen? Er, der Mann der so zärtlich diese Frau berührte? Aus dessen Augen Liebe sprach? Er hatte Idun so furchtbar verletzt? Was in aller Götter Namen hatte ihn dazu bewogen? Nun, Alpina ahnte es längst. Er war Soldat. Der Dienst für den Kaiser stand über allen persönlichen Wünschen und Bedürfnissen. Hatte sie nicht selbst erlebt wie es war? Corvinus war fort. Er hatte nicht gehen wollen, er musste gehen. Aber er hatte keinen Augenblick gezögert, dem Befehl zu gehorchen.


    Der Blick der Raeterin löste sich von Verus. Ihre Stimme klang kalt als sie erwiderte.
    "Nun gut, ich nehme an, dein Sold sollte dafür leicht reichen. Such mich doch in der Taberna Medica Alpina in den Cabanae auf, dann kannst du dort deine pekunäre Schuld begleichen. Deine moralische Schuld wird dich hoffentlich bis ins Grab begleiten und mögest du jedes Mal zusammenzucken wenn du den Rücken dieser schönen Frau siehst, den du für immer gezeichnet hast"


    Alpina versorgte die Wunden und verband Iduns Rücken neu. Sie schwieg. Gefühle übermannten sie, Gedanken schossen durch ihren Kopf. Sie fühlte etwas zwischen Wut, Verzweiflung und Hilflosigkeit. Ein leiser Hass auf alle Männer dieser Welt brodelte in ihr.


    Als sie fertig war stand sie auf.
    "Ich werde auch morgen wieder nach dir sehen, Idun. Die kleinen Wunden heilen erwartungsgemäß, doch zwei der tiefen Wunden sind noch immer sehr nässend. Es besteht weiterhin die Gefahr eines Wundfiebers. Deshalb werde ich nach dir sehen bis diese Gefahr gebannt ist. Valete."

    Mit Zufriedenheit hörte Alpina, dass Malleus Lunge ihren Dienst tat. Natürlich war er nicht der Alte und die erfahrene Kräuterfrau wusste, dass der alte Recke ihr verschwieg mit welchen Problemen er zu kämpfen hatte. Die Frage danach ob er was verpasst hatte, brachte Alpina in Erklärungsnot. Zum Glück kam Runa ihr zuvor. Sie berichtete von Curios Rückzug. Alpina hatte wohl mitbekommen, dass ihr Schwager sich mehr und mehr aus dem öffentlichen Leben zurückzog und allem Anschein nach auch in seiner Familie nicht die nötige Ruhe zur Regeneration fand. Also hatte er sich auf sein Landgut zurückgezogen.


    Die beiden Frauen mit ihren Kindern und dem geschrumpften Hauspersonal waren zurückgeblieben. Standhalft hielten sie die Stellung.
    Als Runa die Gegenfrage an Malleus stellte, ws er so zu berichten habe, lehnte sie sich entspannt zurück. So würde sie Zeit gewinnen und musste Malleus nicht von der Vergewaltigung und dem bevorstehenden Prozess erzählen, was sie beides sehr belastete.

    Beeindruckt von der Tapferkeit der Seherin verstummte Alpina. Sie streichelte der Verletzten wortlos über den Arm. Dann reinigte sie wieder die Wunden, trug erneut Salbe auf und verband Idun mit frischen Binden. Dann sah sie den Soldaten neben sich mit einem forschenden Blick an.
    "Kennst du denjenigen, der dieser armen Frau diese Grausamkeit zugefügt hat? Wenn ja, dann sorg dafür, dass er zumindest für die Behandlungskosten aufkommt. Das ist das mindeste, was er als Gegenleistung anbieten könnte."


    Man konnte hören, dass die Kräuterfrau äußerst wütend auf die Brutalität der ausführenden Hand des römischen Exercitus war.

    Irgendetwas an Malleus erinnerte sie an Corvinus - ja, sein derber Humor. Wie sehr liebte sie diesen. Sie grinste unwillkürlich.
    "Ja du hast den Codex wohl umsonst zerfleddert. Tut mir leid", antwortete sie ihm.


    Es war schön ihn zu sehen und seine kräftigen Pranken zu fühlen. Seine Frage wie es ihr ergangen sei, seit er gegangen war, ließ sie etwas ratlos stehen.
    "Nun... äh," Alpina wollte ihm erzählen was alles passiert war, wusste aber nicht wo sie anfangen sollte und entschied sich dann, abzubrechen. "Es geht soweit, Malleus. Kaeso fehlt mir. Er ist als Gehilfe jetzt bei dem Chirurgicus des Ludus. Aber sonst geht mir die Arbeit nicht aus, wie du dir denken kannst."


    Sie betrachtete ihn genau. Zählte Narben und suchte nach neuen Verletzungen.
    "Und wie geht es dir, du Unverwüstlicher? Was macht die Lunge?"

    Vorsichtig näherte sich Alpina. Sie kniete sich nieder ohne den Soldaten aus den Augen zu lassen. Eigentlich ging sie das Verhältnis der beiden nichts an, doch irgendetwas sagte ihr, dass die beiden ein verhängnisvolles Band verknüpfte.
    "Salve", begrüte sie ihn. "Ich bin die Kräuterfrau Alpina. Ich möchte mir Iduns Wunden ansehen und wenn möglich den Heilungsprozess beschleunigen. Dann lasse ich euch wieder alleine."


    Während sie die inzwischen blut- und wundsekretdurchtränkten Verbände löste, fragte sie die junge Frau nach den Schmerzen.
    "Wie ist es mit den Schmerzen. Reicht dir die Weidenrinde oder soll ich dir etwas stärkeres geben, Idun? Es wäre dann allerding eine Pflanzensubstanz mit bewusstseinsverändernder Wirkung. Dann bleiben nur Schlafmohn, Hanf oder in beschränktem Maße die Alraune oder das Bilsenkraut. Alle machen auch sehr schläfrig, die letzten nicht wirklich eine Schmerzlinderung, nur indirekt durch das euphorisierende Gefühl. Was denkst du?"

    Am kommenden Tag kam Alpina mit ihrem Korb mit Heilmitteln und neuem Verbandsmaterial in die Castra. Dieses Mal wurde sie unverzüglich zu der Verletzten geführt. Als sie die Carcerzelle betrat blieb sie wie angewurzelt stehen. Da war ein Soldat, der die Voelva umarmte. Erst dachte sie er würde ihr etwas antun. Dann wurde sie gewahr, dass es sich bei den beiden um ein Liebespaar handelte. Überrascht wartete sie ab, ob die beiden sie bemerken würden.

    Alpina saß bei Runa und hielt sich bewusst in der Nähe von Marcus Iulius Lilcinus auf. In seiner Nähe fühlte sie sich einigermaßen sicher. Sie hatte unglaubliche Angst vor diesem Prozess. Vor allem vor den Aussagen des Gurox und davor wie die zahlreich anwesenden Bürger Mogontiacums es aufnehmen würden. Allein der Tatbestand einer Vergewaltigung war unschön für sie. Alpina fühlte sich beschmutzt und starrte die meiste Zeit auf den Boden vor sich.


    Ihre Hände hatten sich ineinander verkrallt als sie die Stimme dieses Mistkerls vernahm. Wie er sofort Kaeso in den Schmutz zog. Es war kaum auszuhalten. Was würde da noch auf sie zukommen?
    Licinius und sie würden als Zeugen aufgerufen werden. Es würde ein schwerer Tag für sie werden. Wenn er nur schon vorüber wäre. Alpina schickte ein Gebet an alles Götter im weiten Himmel und unter der Erde auf dass Gurox an diesem Tag verurteilt würde und nie nie wieder sein Schandmaul aufreißen würde.

    Als die Hebamme ihre Schwägerin rufen hörte, ließ sie ihre Arbeit stehen und lief ins gemeinsame Atrium. Dort sah sie Malleus bei Runa stehen, was ihr sogleich ein strahlendes Lächeln auf die Lippen zauberte.
    "Malleus! Wie schön dich zu sehen! Ich habe deine Nachricht erhalten und es freut mich, dass wir uns doch noch sehen. Wie geht es dir?"

    Alpina lachte, als Esquilina erklärte, dass die Bienen nur Honig machten wenn man sie in Ruhe ließe. Sie erinnerte sich daran, dass sie der Kleinen einen süßen Abschied versprochen hatte und daran hielt sie sich. Als sich Licinus verabschiedete, ging sie noch mit ihm und Esquilina in die Taberna Medica um eine Wachswabe mit Honig zu holen, so wie sie es versprochen hatte.


    Auch der Praefectus ging nicht leer aus. Er erhielt ein Büschel Zitronenmelilsse für seine Posca. Alpina hob mahnend den Zeigefinger. "Die Zitronenmelisse schmeckt am besten frisch. Stell sie in einen Becher mit Wasser, dann hast du in den nächsten Tagen noch was davon. Und wenn du Nachschub brauchst, komm mich besuchen!"Alpina zwinkerte. "Sie ist das ganze Jahr über zu ernten."


    Zum Abschied beugte sich Alpina zu Esquilina hinunter. "Du bist wirklich groß geworden, Esquilina. Ich muss nicht mehr in die Knie gehen um auf einer Augenhöhe mit dir zu sein. Eine kleine Verbeugung reicht! Bleib gesund, meine Kleine und besuch mich bald wieder!"


    Dann drückte sie dem Mädchen die Honigwabe in die Hand. Als sie schließlich Licinus die Hand geben wollte, sah sie auf ihre klebrgen Finger hinunter und lachte.
    "Hm, ich glaube, ich gebe dir lieber nicht die Hand."

    Alpina war froh, dass die Seherin einem Weidenrindentrank zustimmte. Sie war sich sicher, dass die Qualen ohne Schmerzmittel nicht auszuhalten waren.
    Und als Idun von Wunden sprach, die wohl nie verheilten und ansprach, dass Alpina etwas belaste, schluckte sie schwer.
    "Ja, es gibt Wunden, die nie verheilen. Mehrmals von jemandem verlassen zu werden, den man liebt, ist nicht einfach zu verarbeiten."


    Sie dachte an ihren Vater, an Marcellus und an Corvinus. Dann atmete sie tief durch.
    "Ich werde morgen wieder nach dir sehen Idun. Den Trank bereite ich dir gleich. Es ist eine Tagesdosis. Also 3 Becher am Tag. Trink sie nicht auf einmal. Eine Eigenschaft der Weidenrinde ist dass sie das Blut verdünnt. Das könnte die Blutungen verschlimmern. Also immer nur einen Becher in der Früh, am Mittag und am Abend."


    Mit einem weiteren sanften Streicheln stand Alpina auf. Sie versuchte zu lächeln.
    "Du bist sehr tapfer Idun. Das kannst du weil du weißt, dass deine Götter bei dir sind. Auch ich fühle und sehe täglich das Wirken der Götter durch meine Medizin. Ich glaube, dass genau das uns zu starken Frauen macht. Erhol dich gut, starke Frau. Wir sehen uns morgen."


    An der Tür wandte sich die Kräuterfrau an den wachhabenden Soldaten.
    "Wo ist der brutale Kerl, der das hier angerichtet hat? Ich möchte diesem Gewalttäter die Rechnung für meine Behandlung präsentieren. Ich hoffe, das Imperium hat die Kosten für seine Brutalität einkalkuliert? Morgen komme ich wieder. Die Behandlung wird sich noch tagelang hinziehen. Und wo kann ich einen Trank kochen oder jemand zuverlässigen finden, der dieser armen Frau einen Heiltrank kocht?"


    Für Alpinas Verhältnisse sehr selbstbewusst brachte die Raeterin ihre Forderungen vor. Sie war wütend, sehr wütend. Und das machte sie mutig.

    Sie hatte Opium bekommen. Das erklärte vieles. Natürlich hätte Alpina ihr auch ein Schmerzmittel gegeben und wenn sie nicht erfahren hätte, dass die Frau vor ihr eine Seherin war, wäre es vermutlich wegen der Wirksamkeit und auch der schlaffördernden Wirkung auch Opium gewesen. Nun seufzte Alpina. Sie hatte erlebt welche Wirkung die Mandragora auf Corvinus gehabt hatte, also konnte sie ahnen welche Auswirkungen der Schlafmohn auf eine Seherin hatte. Bedächtig nickte sie.
    "Schon gut, Idun. Wir werden uns erstmal um die Wunden kümmernen. Danach entscheiden wir ob du ein Schmerzmittel brauchst. Ich mische eine Salbe aus Honig, Zincum und Harzen zweier Bäume aus fernen Ländern jenseits des Mare mediterraneum. Davon verspreche ich mir in deinem Fall am meisten. Diese Paste ist für die tieferen Wunden. Für die leichteren Striemen nehme ich meine klassische Heilsalbe aus Ringelblume, Kamille, Beinwell und Breitwegerich."


    Alpina holte das Mortarium aus ihrem Korb und begann die stark duftenden Harze des Weihrauchs und der Myrrhe zu feinem Pulver zu verreiben. Dazu gab sie Honig und Zincumpulver. Als die Paste fertig war, ließ sie sich frisches Wasser mit einem Schuss Essig bringen, um die Wunden zu säubern.
    "Es wird jetzt ein wenig brennen", bereitete die Kräuterfrau die Verletzte vor.


    Mit einem getränkten Tuch wusch sie Idun das Gesicht und die verkrusteten Lippen. Sie entfernte Schorf und Verkrustungen wo immer möglich und schmierte ein wenig Fett auf die spröden Lippen. Als nächstes säuberte sie die Peitschenwunden. Die tiefen offenen Wunden hatten ordentlich geblutet. Dort war weniger Schmutz eingedrungen aber die eher Oberflächlichen waren gefährlich.
    Alpina hörte das Stöhnen der Seherin und zwang sich dennoch weiterzumachen. Sie versuchte sich zu konzentrieren und nebenbei ein wenig zu sprechen, um Idun abzulenken.
    "Ich komme aus Raetia. Aus Augusta Vindelicum. Mein Vater war Beneficiarius in der Garde des Statthalters. Er hat meine Mutter, mich und meine Schwester Ilara sitzen lassen. Ich bin ihn mit meiner Mutter suchen gegangen und das hat mich hierher gebracht. Meine Schwester ist verheiratet in Augusta Vindelicum. Sie hat zwei Kinder."


    Mit dem spatenförmigen Ende einer Sonde füllte Alpina die selbst angerührte Paste in Iduns tiefe Wunden.
    "Meine Mutter und meine Großmutter waren bereits Hebammen und so wurde ich es auch. Ich lernte von ihnen die Kräuter kennen. Und auch in deiner Heimat habe ich einiges gelernt. Als ich ins Freie Germanien ging um eine Weise Frau aufzusuchen. Sie hieß Osrun. Ich habe viel von ihr und einer anderen germanischen Heilerin gelernt. Ein wenig lernte ich dabei auch eure Sprache. Allerdings nur ein wenig."


    Die oberflächlichen Wunden versorgte Alpina mit der Wundsalbe. Die frische Brandwunde des Sklavenbrandes bestrich sie mit Johanniskrautöl. Das rote Öl setzte sie jeden Sommer selbst im Garten an. Es roch angenehm, milderte Brandwundenschmerzen und sorgte für ein gutes meist narbenfreies Verheilen. Was in diesem Fall ja nicht zu erwarten war. Zuletzt verband sie die Wunden mit frischen Verbänden. Sie brauchte sehr viel Verbandsmaterial. Als sie fertig war streichelte sie Iduns Hand.
    "Ich bin fertig. Wir müssen nun noch über ein Schmerzmittel sprechen. Denn es wird noch einige Tage sehr weh tun. Ich könnte dir einen Trank aus Weidenrinde anbieten. Der ist nicht so stark wirksam aber eben auch nicht halluzinogen. Äh...also Visionen hervorrufend."

    Jäh wurden die beiden aus ihrer ernsten Stimmung gerissen. Alpina sprang auf, als Esquilina mit der weinenden Ursi an der Hand zu ihr kam. Die Erklärung der Älteren der beiden Mädchen ließ die Hebamme schunzeln.


    "Hat sie mal wieder versucht, eine Biene zu streicheln?" Sie warf Ursi einen tadelnden Blick zu. Dann erklärte sie Esquilina. "Sie möchte immer den hübschen Pelz streicheln, den die Bienen um die Brust tragen. Es ist nicht das erste Mal. Ich hoffe du bist klüger und bewunderst die Bienen nur, Esquilina?"


    Sim-Off:

    Aber klar doch! Passt doch perfekt!