Beiträge von Susina Alpina

    Da war es raus. Genau wie Alpina vermutet hatte. Phryne wollte das Kind töten. Wut kochte in Alpina hoch. Dieses Weibsstück wusste doch genau, wie man verhinderte schwanger zu werden! Und so konnte sie nicht anders als bissig zu entgegnen.
    "Du überraschst mich, Phryne. Ich war mir sicher, dass du nicht so dumm bist, von so einem Mistkerl schwanger zu werden. Wie nachlässig!"
    Das Wort Mistkerl spie die Hebamme förmlich aus. Dann schob sie nach.
    "Ich bin Hebamme. Meine Aufgabe ist es Kindern ins Leben zu helfen, nicht sie zu töten."


    In dem Moment, wo sie es aussprach, verkrampfte sich ihr ganzer Unterleib. Sie hatte getötet. Ganz bewußt hatte sie das Kind von Marcellus getötet und dabei ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt. Und dabei war sie nicht vergewaltigt worden, wie Phryne, von einem kaltblütigen, sadistischen Verbrecher. Sie war dumm und naiv gewesen, unvorsichtig und unverantwortlich im Umgang mit sich und dem werdenden Leben in ihrem Bauch. Durfte sie der Freigelassenen einen Vorwurf machen? Wohl kaum.

    Auch wenn Alpina nicht nach feiern zumute war und sie Angst vor dem Spießruten laufen unter den vielen Gästen hatte, wollte sie nicht "nein" sagen, als Curio und Runa sie fragten, ob sie mitgehen würde zur Saturnalienfeier im Landhaus des Iunischen Praefectus. Runa meinte, es würde ihr gut tun, sich abzulenken und Alpina hatte schließlich auch keine passende Ausrede. Momentan wartete nur Petronia Octavena auf ihre Wehen. Alpina hatte ihr ausrichten lassen, wo sie zu finden war für den Fall, dass die Geburt ausgerechnet an diesem Abend einsetzten.


    Ursicina war nun beinahe 2 Jahre alt. Ihren Vater hatte sie nie bewusst kennengelernt. Alpina hatte noch immer keine Nachricht von Corvinus. Alle Nachfragen bei der Legio blieben unbeantwortet. Als Beinahe-Schwängerin von Helvetius Curio war sie zwar überall gerne gesehen, doch fühlte sie sich neben dem glücklichen Ehepaar doch häufig wie das fünfte Rad am Wagen.
    Dennoch war sie beiden dankbar, dass sie so zu ihr hielten, in allen Lebenslagen. Als Runa nun Alpinas Hand drückte und äußerte, dass sie versuchen wollten, den Abend zu genießen, erwiderte sie den Händedruck und versuchte zu lächeln.
    "Sicher, das sollten wir."

    Wie immer fühlte sich Alpina bei der Freundin sicher und aufgehoben. Sie konnte verstehen, was Alpina durchgemacht hatte und wie sich eine Frau nach einer derartig demütigenden Behandlung fühlte. Ihr Vorschlag, den Göttern zu opfern und diese um Vergessen zu bitten fand die Raeterin eine gute Idee. Etwas anderes würde ihr ohnehin nicht bleiben. Sie musste ja für Ursicina da sein und da kam den Kopf in den Sand stecken nicht in Frage.
    Alpina nickte also.
    "Danke, Runa. Das ist eine gute Idee. Hoffentlich haben sie ein Einsehen. Welchen Göttern sollten wir opfern? Was denkst du? Sollte ich nicht auch Iustitia wegen des bevorstehenden Prozesses um Hilfe bitten?"



    Sim-Off:

    Sorry! ich habe es tatsächlich übersehen. 8o

    Alpina biss die Zähne zusammen als die Freigelassene die Taberna Medica betrat. Diese Hydra! Das gespielte Mitleid dieser Schlange verursachte bei der Raeterin einen dicken Kloß im Hals. Sie wusste also davon! Scheinbar wusste es bereits die ganze Stadt. Alpinas Bauch krampfte. Sie ahnte was ihr bevorstand wenn Gurox vor Gericht gestellt wurde.
    Was Phryne dann jedoch sagte, ließ Alpina aufhorchen und dann tatsächlich eine Spur Mitleid empfinden. Gurox hatte auch sie vergewaltigt, genau wir Kaeso es schon erzählt hatte. Und das Schlimmste, was Alpina sich vorstellen konnte, war eingetreten. Phryne war von ihm schwanger! Alpina dankte Iuno Lucina dafür, dass Gurox sie zwar schwer verletzt hatte, doch es nicht dazu gekommen war, dass sie sein Kind austragen musste.
    "Es tut mir leid, Phryne. Es muss schrecklich sein. Ich fühle mit dir. Und zu deiner Frage: nein, ich bin nicht schwanger."


    Ein wenig unsicher, was sie der Schauspielerin nun anbieten sollte, sah sie Phryne fragend an. Wollte sie einen Schwangerschaftstee oder ein Abtreibungsmittel. Und was würde sie ihr antworten, wenn sie das Kind nicht haben wollte. Selbst hatte sie einen Schwangerschaftsabbruch nur knapp überlebt...

    Die Konditionen klangen gut. Natürlich würde es für Kaeso zunächst unbequem werden im Ludus der Gladiatoren. Doch er würde immerhin eine Unterkunft und Verpflegung haben. Man würde schon dafür sorgen, dass er nicht verhungern musste. Und sie würde ihm ab und an ein paar Leckereien vorbeibringen, das nahm die Hebamme sich vor. Kaeso hatte ohnehin keine Wahl. Alpina nickte also.
    "Dein Angebot erscheint mir fair. Wichtig ist vor allem, dass er lernt ein guter Wundarzt zu werden. Das kann ihm helfen, sich auf eigene Beine zu stellen. Ich danke dir für dein Entgegenkommen. Dann werde ich Kaeso davon berichten. Wann kann er anfangen?"

    Zitat

    Original von Marcus Iulius Licinus: Dann trat er zu Alpina hin und ging in die Knie, machte sich instinktiv klein, um keine Bedrohung abzugeben, wie er es gegenüber Marei und Esquilina vor Jahren getan hatte, als sie sich gremd gewesen waren. "Alpina?" fragte er leise.


    Erst als Licinus sich zu Alpina niederkniete, nahm sie ihn überhaupt zur Kenntnis. Die schwer traumatisierte Hebamme hatte sich in ihre eigene Welt zurückgezogen. Die vertraute Stimme so nah an ihrem Ohr ließ sie aufblicken.
    "Praefectus Licinus!", hauchte Alpina verwirrt. Sie schien noch nicht zu verstehen, was um sie herum vorging. Zu weit hatte sie sich aus dem Geschehen entfernt. Ihr Blick hetzte einem aufgescheuchten Tier gleich durch die Taberna Medica. Wo war er? Wo war diese Bestie? Licinus war da, er hatte Soldaten mitgebracht. Die Hebamme erkannte nun auch die bewaffneten Soldaten und Roderiq. Sie schienen den Verbrecher überwältigt zu haben.
    Alpinas Blick kehrte zu den beruhigenden braunen Augen des Praefectus Castrorum zurück. Sie wusste, dass sie in seiner Gegenwart nichts und niemanden fürchten musste. Unsicher, ob sie sich erheben sollte und immer noch angstvoll, ob sie dem Peiniger gegenübertreten musste, wurde ihr Blick fragend. Was erwartete Licinus von ihr? Was sollte sie tun?

    Der Humor des Chirurgicus war wie immer nahe an der Schmerzgrenze. Alpina versuchte sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren.
    "Ich bin auch froh, wenn ich dich nicht bei einer Entbindung brauche, denn meist geht diese dann tödlich für mindestens eine Person aus."


    Die Hebamme lächelte sparsam als er ihr anbot, seine Gehilfin zu werden.
    "Danke für das Angebot, Balbus. Ich werde dir nicht als Gehilfin dienen, aber ich wüsste jemanden, der diese Aufgabe gerne übernehmen möchte - mein Gehilfe Kaeso. Du kennst den Jungen. Er hat schon viel über Heilkräuter und die Herstellung von Tränken, Salben und Umschlägen gelernt. Doch die Tätigkeit einer Hebamme ist nichts für so einen jungen Mann. Und auch die Heilkräuter werden ihm auf Dauer nicht genügen. Er entwickelt sich zum Mann, da wäre eine Umgebung, wie deine hier" Sie sah sich um und zeigte auf die kämpfenden Gladiatoren, " besser geeignet für Kaeso als sich immer nur mit Frauen zu umgeben."


    Nun sah sie dem Chirurgicus direkt in die Augen. "Würdest du Kaeso als Gehilfen annehmen? Ihn ausbilden?"

    Die Palla tief ins Gesicht gezogen und den Mantel vor der Brust zusammenhaltend betrat Alpina die Gladiatorenschule. Curio hatte ihr Roderiq zur Seite gestellt. Alleine traute sich die Hebamme seit dem Überfall in der Taberna Medica nicht mehr vor die Tür. Und schon gar nicht in eine Gladiatorenkaserne. Doch was blieb? Sie wollte den Chirurgicus Publius Gavius Balbus bitten Kaeso als seinen Schüler anzunehmen.
    Wie erwartet folgten ihr die neugierigen Blicke der Gladiatoren, die in kleinen Grüppchen zusammenstanden und ihre Ausrüstung polierten oder Trainingseinheiten absolvierten. Finstere Gestalten aus fernen Ländern waren darunter. Männer, deren Haut schwarz wie die Nacht war oder aber farbige Tätowierungen aufwies. Andere wieder konnten vor Muskeln kaum laufen und bewiesen im gegenseitigen Kräftemessen ihre Stärke.


    Es dauerte nicht lang bis die erste anzügliche Bemerkung zu Alpina hinüberschallte. Sie zuckte merklich zusammen. Roderiq trat einen Schritt näher an sie heran und funkelte die Gruppe aus der man die Stimme vernommen hatte böse an.
    Alpina sah sich um. Irgendwo musste Balbus doch sein.


    Da! Im Schatten der Mauer lehnte der hagere Chirurgicus an der Wand und beobachtete das Treiben in der Palaestra. Alpina wies Roderiq den Weg und überquerte den Sandplatz. Den wachen Augen des Wundarztes war der Damenbesuch nicht entgangen. Mit einem schiefen Grinsen löste er sich von der Wand und kam auf die Raeterin zu.
    "Salve, Gavius Balbus", begrüßte sie den Mann.

    Nachdem Kaeso Alpina angekündigt hatte, die Casa Helvetia verlassen zu wollen, sei es um vorübergehend in einem Tempel in Kontemplation in sich zu gehen oder anschließend eine Ausbildung bei dem Chirurgicus anzutreten, hatte sich die Raeterin Gedanken gemacht, wie sie dem Jungen noch eine Freude machen konnte. Sie erinnerte sich an ihren Entschluss, Mogontiacum zu verlassen, nach der verhängnisvollen Nacht mit Corvinus.


    Die Hebamme kramte die alte Rückentrage hervor, die sie auf ihrem Weg ins freie Germanien begleitet hatte. Erinnerungen kamen hoch: an den weiten Weg, an Osrun, an Othmar und die anderen großartigen Menschen, die Alpina auf ihrer gefahrvollen Reise zu sich selbst getroffen hatte. Sie sah wieder die germanischen Wälder und Flusslandschaften vor sich und roch den Qualm des Lagerfeuers. Vor ihren Augen erschienen die Esel, die den Wagen des Pelzhändlers gezogen hatten und Hrothgar, der schweigsame Gehilfe des Othmar. Alpina vermisste die Weggefährten. Sie nahm sich vor, Othmar bald wieder zu besuchen und auch nach Hrothgar zu fragen.


    Mit einem Seufzen packte sie einen kleinen Beutel mit den wichtigsten Heilpflanzen in die Rückentrage. Dann holte sie ihren wollenen Reisemantel aus der Truhe. Beides zusammen trug sie in Kaesos Kammer und legte es, für ihn gut sichtbar, auf das Bett des jungen Mannes. Dazu legte sie einen kleinen Brief.


    Mein lieber Kaeso,


    der Pfad des Lebens windet sich in verschlungenen Bahnen. Mal scheint er uns von einander wegzuführen, dann wieder nähern wir uns an. Mal sehen wir kein Ziel, dann wieder scheint es greifbar nahe. Wo auch immer dich dein weiterer Weg führt, ich möchte, dass du weißt, dass du jederzeit deine Schritte wieder zu mir in die Taberna Medica lenken darfst. Sei es um Rat zu sichen, um Heilung zu erbitten oder einfach um mir von dir zu erzählen. Ich hoffe sehr, dass sich unsere Wege noch oft kreuzen werden.
    Für deinen weiteren Weg, soll dir diese Rückentrage gute Dienste leisten. Sie begleitete bereits mich auf einer gefahrvollen Reise durch Germania Libra zu mir selbst. Möge sie auch dich auf dem Weg zu dir selbst begleiten. Und möge der Umhang dir Wärme und Schutz gewähren. Ich bete zu Fortuna Redux dich wieder zu mir führen.


    Vale bene, Amicus, vale bene,
    Alpina

    Kaesos Gesichtszügen konnte Alpina entnehmen, dass er den Vorschlag als Rauswurf betrachtete. Das hatte sie geahnt, wenn auch nicht so gewollt. Sie konnte sich vorstellen wie es in seinem Inneren aussah. Alpina versuchte sachlich zu bleiben, ihre widerstreitenden Gefühle zu unterdrücken. Die Entscheidung, die sie gefällt hatten, war zu ihrer aller Vorteil. Zumindest im Augenblick. Doch sie wollte Kaeso noch deutlich machen, dass es kein Rauswurf war und auch keine Einbahnstraße. Der Dank des Jungen klang hohl. Er fühlte sich herabgesetzt. Alpina griff Kaesos Hände.
    "Du hast ein gutes Herz und wirst es mit deinen Talenten weit bringen, wenn sie in die richtige Richtung gelenkt werden. Ich denke es ist jetzt an der Zeit einen neuen Wegabschnitt anzugehen. Sei versichert, dass es keine Einbahnstraße ist. Wann immer du es möchtest kannst du umkehren oder bei mir in der Taberna Medica eine Rast einlegen. Diese Tür steht dir immer offen, ganz gleich was du von meinem Schwager noch zu hören bekommst. Ich werde dir niemals die Tür weisen."


    Alpina drückte die Hände des Jungen fest.
    "Die Idee eine Auszeit in einem Tempel außerhalb der Stadt zu nehmen finde ich sehr gut. Frag doch Curio nach einer Empfehlung. Er kann dir sicher einen guten Ort nennen, wo du ein wenig Kraft schöpfen kannst für die neuen Aufgaben, die vor dir liegen."


    Dann stand Alpina auf. "Bevor du zu Phryne gehst, spricht bitte mit Curio. Er wartet auf dich in seinem Arbeitszimmer. Und vergiss nicht, dass du mir immer willkommen sein wirst. Ich freue mich darauf, dich nach deiner Auszeit wiederzusehen, bevor du einen neuen Weg beschreitest. Inzwischen werde ich mit dem Chirurgicus sprechen und die Bedingungen für deine Lehrzeit dort aushandeln, wenn es dir recht ist."
    Sie umarmte Kaeso und drückte ihn fest an sich. Es war nicht leicht ihn wieder loszulassen.

    Kaeso fragte allen Ernstes warum sie ihn davon abgehalten hatte, Gurox zu töten. Und dann folgte eine Beschwörung sich nicht der Häme und des Spottes der Bürger Mogontiacums auszusetzen.
    Einen Verbrecher wie Gurox einfach zu töten, wäre zu einfach gewesen.
    "Kaeso. Er hat es verdient vor den Augen aller als Verbrecher hingerichtet zu werden. Ein Exempel will ich statuieren, allen gewalttätigen Männern der Provinz klar machen, dass es nicht ungestraft bleibt, wenn man sich mit Gewalt nimmt was man haben möchte. Und ja, du hast recht, die Waschweiber können grausam sein, schadenfroh und boshalft. Aber ich habe doch keine Wahl. Er hat anderes verdient. Was mir passiert ist, darf niemals mehr einer anderen Frau von Gurox angetan werden."


    Hart verschlossen sich ihre Lippen zu einem schmalen Strich. Sie war wild entschlossen. Entgegen aller Warnrufe. Nun aber kam Kaeso auf ein Thema zu sprechen, das sie ohnehin anschneiden wollte.
    "Wo du gerade auf deine Zukunft zu sprechen kommst, Kaeso. So sehr ich deine Mithilfe schätze und mir noch unklar ist wie ich mich in der Taberna Medica ohne deine Anwesenheit sicher fühlen soll, wird es Zeit über deine berufliche Zukunft nachzudenken. Du hast mich schon einmal gefragt, ob ich mir für dich eine Lehrzeit bei einem Chirurgicus vorstellen kann. Ich habe lange darüber nachgedacht und ich denke, es wäre gut, wenn ich Cinicus Balbus nun darum bitten würde. Das würde dir eine neue Perspektive eröffnen. Ich schätze deine Fähigkeiten hoch ein. Du wirst sehr davon profitieren. Da bin ich mir sicher."


    Sie sah Kaeso offen an. Mit keinem Wort erwähnte sie Curios Zweifel an Kaeso und auch nicht, dass sie und ihr Schwager mit Sorge auf die Beziehung des jungen Mannes zu der Freigelassenen Phryne sahen. Was würde er antworten? Wie würde er diese Idee aufnehmen?

    Alpina nahm Kaeso mit in ihr Cubiculum. Sie bot ihm einen Stuhl an und setzte sich auf das große Bett. Nachdenklich sah sie den jungen Mann an. Dann seufzte sie ein wenig und begann das Gespräch.
    "Dich trifft keine Schuld, Kaeso. Ich weiß, dass du dir Vorwürfe machst. Doch das solltest du nichts. Dieser Gurox ist ein Verbrecher. Er hat dich und mich und vermutlich noch viel mehr Menschen missbraucht und verletzt. Er muss zur Rechenschaft gezogen werden für seine Schandtaten."


    Sie sprach gefasst, doch mit deutlicher Härte - ungewöhnlich für die sonst so einfühlsame und zartbesaitete Hebamme.
    "Die Götter prüfen uns - mich ganz besonders. Denn, was du nicht wusstest und was auch niemand sonst erfahren muss, es ist nicht das erste Mal, dass ich das Opfer männlicher Gewalt wurde. Es scheint meine Prüfung zu sein, ein Teil meines Lebens. Ich scheine es anzuziehen. Doch dieses Mal werde ich nicht schweigen und es verheimlichen, um den Schein zu wahren. Dieses Mal gehe ich an die Öffentlichkeit. Curio wird mich unterstützen, Gurox anzuklagen und vor den Legatus Augusti zu bringen. Er wird büßen müssen!"


    Alpina rang die Hände. Es kostete sie viel Kraft das auszusprechen. Sie hatte so geschickt all die Erinnerungen an die Gewalttaten verdrängt. Doch jetzt kamen die Bilder alles wieder mit Macht an die Oberfläche. Der Prozess würde furchtbar werden, das war ihr klar. Doch sie tat es nicht für sich. Sie tat es für alle, die Opfer dieses üblen Verbrechers geworden waren, einschließlich Kaeso.
    "Ich hoffe, ich kann es vermeiden, dass dein Name in diese Schlammschlacht mit hineingezogen wird, doch sicher bin ich mir nicht. Curio erklärte mir, dass es nötig sein könnte, dich als Zeugen zu nennen. Wirst du das ertragen können?"

    In der gewohnten Routine untersuchte Alpina die Petronierin. Der Muttermund war wie beim letzten Mal schon gut zwei Finger breit geöffnet. Alpina erkannte die Zeichen einer bevorstehenden Geburt. Es würde keine 4 Wochen mehr dauern. Doch wann genau die Wehen einsetzen würden, war nicht abzusehen.
    "Nun, Octavena. Soweit ist alles in Ordnung, doch der Muttermund öffnet sich bereits. Es wird nicht mehr lang dauern. Bitte schick mir sofort einen Boten wenn die Wehen einsetzen. Ich komme bei Tag und bei Nacht. Und scheu dich nicht, wenn die ersten Anzeichen kommen, nach mir zu rufen. Bei der zweiten Entbindung kann alles viel schneller gehen. Und lieber komme ich bei einem Fehlalarm als zu spät."


    Alpina ließ Octavena eine Teemischung da, die den Muttermund erweichen und auf die Geburt vorbereiten würde. Dann verabschiedete sie sich.

    Nach ihrem Gespräch mit Curio machte sich Alpina auf, Kaeso zu suchen. Sie musste nicht lange suchen, denn er hatte offenbar gewartet, dass sie wiederkam. Alpina sah ihn hinter einer Ecke des Atriums hervorlugen. Sie kam auf ihn zu.
    "Mein lieber Kaeso. Ich würde gerne mit dir alleine Sprechen. Wollen wir in dein oder in mein Cubiculum gehen?"
    Ihre warme Hand legte sich auf seinen Unterarm und signalisierte ihm, dass er Vertrauen haben konnte.

    Das Misstrauen, das Alpina aus Curios Ausführungen heraushörte, machte sie traurig. Seine Angst vor einem Gesichtsverlust durch Phrynes Intrigen führten so weit, dass ihr Schwager Kaeso beinahe ein Hausverbot erteilen wollte. Als Gast war er geduldet, aber eben nicht mehr. Das war für Alpina inakzeptabel. Dafür mochte sie Kaeso viel zu gern und sie hatte auch Verständnis für ihn, wenngleich sie Curios Sorge Phryne wegen teilte. Eine Zwickmühle. Sie würde über eine Lösung noch nachdenken müssen.
    Mit einem Nicken quittierte sie, dass Curio ihren Vorschlag unterstütze, den Jungen zu dem Chirurgicus in die Lehre zu geben.
    "Ich werde mich an Cinicus Balbus wenden. Wenn du die Wohnungssuche unterstützen könntest, wäre das hervorragend. Ich würde vorschlagen, ich spreche gleich mit Kaeso. Soll ich ihn nachher zu dir schicken?" Sie dachte noch einmal nach, dann fuhr sie in bittendem Ton fort. "Und fass ihn nicht zu hart an, Curio. Bitte. Kaeso ist sehr verletztlich!"


    Dann sprang Alpina auf. "Es ist wichtig, dass ihm jemand die Augen öffnet, was Phryne betrifft. Und wer kann das besser als du. Von Mann zu Mann ist sicherlich besser als wenn ich es versuchte. Bei mir klingt es als sei ich das eifersüchtige Mauerblümchen, das über die schöne Verführerin herzieht. Danke für deine Hilfe."
    Sie drückte ihren Schwager zum Abschied erneut an ihr Herz. "Ich bin so froh, dass ich dich und Runa habe. In solchen Zeiten ist es schwer, nicht zu verzweifeln und den Lebensmut nicht zu verlieren. Ohne euch und ohne die kleine Ursi hätte ich mich vermutlich längst in die Fluten des Rhenus gestürzt."
    Sie hauchte ihm noch ein letztes "Danke!" ins Ohr, dann verließ sie das Arbeitszimmer ihres Schwagers um Kaeso zu suchen.

    Es stellte sich heraus, dass Curio tatsächlich vermutete, Phryne würde Kaeso nur benutzen um Alpina zu schaden. Der Raeterin war bewusst, dass diese Dimension Kaeso sicherlich nicht klar war und dass er das bestimmt nicht so wollte. Außerdem war sie nicht alleine Phrynes Lieblingsfeindin.
    "Ich fürchte, dass du und damit auch Runa mindestens gleichwertig in Phrynes Gunst stehen. Sie wird versuchen alle Informationen, die sie erlangen kann, irgendwie gewinnbringend zu nutzen. Oder einfach nur Zwietracht zu säen."


    Dann erklärte ihr Curio, dass er vorhatte Kaeso über Phrynes bisherige Gemeinheiten aufzuklären. Das würde den Jungen in einen unglaublichen Konflikt stürzen. Er stand doch eigentlich loyal zu Curio und vor allem zu Alpina. Doch die Macht, die Phryne über ihn hatte, würden sie beide nicht brechen können. Ob dieser Umstand Kaeso zerbrechen lassen würde? Oder würde es ihn gegen Curio aufbringen und ihn aus der Casa Helvetia forttreiben? Würde Alpina ihren Schützling verlieren? Und würde Kaeso sein Zuhause verlieren?


    Als ihr Schwager schließlich klar machte, dass er Kaeso nicht weiter bei sich dulden würde, wenn er sich weiterhin mit Phryne traf. Und Alpina wusste, dass der Junge das nicht tun würde - es nicht konnte. Die Macht der Venus war stark! Übermächtig für einen solchen jungen Mann.
    Alpina seufzte.
    "Es wird Kaeso in eine tiefe Krise stürzen. Er fühlt sich zuhause bei mir - bei uns - in der Casa Helvetia. Aber er ist Phryne verfallen. Ich mag gar nicht darüber nachdenken, wie es sich für ihn anfühlen muss, sich entscheiden zu müssen. Aber ich verstehe dich natürlich auch. Wenn du möchtest, hätte ich vielleicht einen Ausweg. Kaeso würde gerne noch mehr lernen, er hat mich gefragt, was ich von einer Ausbildung bei einem Chirurgicus halten würde. Ich könnte Publius Cincius Balbus fragen, ob er Kaeso unter seine Fittiche nimmt. Er könnte in der Gladiatorenschule wohnen, in der Balbus seinen Dienst tut. Dann wäre er nicht mehr hier im Haus, hätte aber nicht das Gefühl, dass du ihm vollständig das Vertrauen entziehst. Wir könnten sehen wie es mit ihm und Phryne weitergeht. So müssten wir ihn nicht vor den Kopf stoßen. Ich könnte es nicht. Er ist mir ans Herz gewachsen. Bitte, Curio!"
    Ein flehender Blick traf den Schwager.

    Erleichtert ließ Alpina den Atem den sie angehalten hatte, in der Sorge Curio würde doch noch einen Rückzieher machen, fahren. Sie hörte seine Beteuerung stolz auf sie zu sein und ließ sich dann von ihm umarmen. Der Hass schlug um in Erschöpfung. Alpina ließ sich halten und verdrückte ein paar Tränen, während Curio ihr versicherte, den "Dreckskerl" seiner gerechten Strafe zuzuführen.


    Als sie sich lösten kam Curio noch auf ein weiteres Thema zu sprechen: Kaeso und Phryne. Alpina nickte ernst. Sie zog sich den Stuhl wieder heran und wartete dass auch ihr Schwager wieder Platz nahm.
    "Das ist ein schwieriges Thema. Kaeso ist jung. Phryne hatte leichtes Spiel mit ihm. Sie hat ein neues Spielzeug gesucht und er war ein passendes Objekt. Ich glaube kaum, dass sie ihn liebt, sie spielt nur mit ihm. Aber er hat sich natürlich in sie verliebt. Sie ist schön und begehrenswert. Du und ich wissen, dass sie dieses Spiel perfekt beherrscht. Er ist ihr völlig verfallen. Sie braucht nur mit dem Finger zu schnippen, schon ist er hin und weg."


    Sie sah Curio aufmerksam an. "Meinst du Phryne hat Kaeso absichtlich verführt um ihn als Spitzel zu benutzen? Glaubst du er sollte ihr Interna aus der Casa Helvetia zutragen?"

    Die ersten Sätze Curios trafen Alpina wie Peitschenhiebe. Natürlich entsprachen sie der Wahrheit und die Hebamme hatte ihren Status nie angezweifelt oder versucht ihn zu verhehlen. Doch Curio schaffte es, ihr schonungslos klar zu machen, dass sie nur geduldet war in der Casa. Solange Corvinus sie nicht offiziell zur Frau nahm, und das ging erst nach seiner Dienstzeit in der Legio, war sie nicht mehr als eine geduldete Geliebte, die ein Kind hatte, das Corvinus zwar offentlich als das seine gefeiert hatte, das jedoch in keinem Register als das Helvetischer Nachwuchs verzeichnet war.


    Alpina atmete durch. Gerade deshalb, gerade weil sie auf sich gestellt war, musste sie auch an sich und ihren Ruf denken. Was sollte sie tun? Das Gerede der Stadt konnte dazu führen, dass ihr Ruf litt. Sie musste sich und Ursi versorgen. Was war wohl, wenn Corvinus nie wieder zurückkehrte? Würde Curio sie dann vor die Tür setzen? Sie würde ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, ein Haus kaufen oder... was dann?


    Wieder meldet sich ihr Unterleib. Sie sah auf Curios Hand an ihrem Handgelenk. Gänsehaut. Er ergriff sie nicht mit Gewalt, doch in ihr meldete sich die Angst des mehrfachen Opfers. Sie wollte Genugtuung! Sollten doch alle Männer Mogontiacums sehen, dass man sich nicht ungestraft an Susina Alpina, Hebamme und Kräuterfrau raetischer Herkunft vergehen konnte!


    "Ich will dass er bestraft wird!", presste Alpina hervor. "Mit der brutalen Härte des Gesetzes! Ich will ein Exempel statuieren! Allen Männern dieser Stadt und allen potentiellen Vergewaltigern klar machen, dass man sich nicht ungestraft über eine ehrbare Frau hermachen kann und sich nehmen kann, wozu man gerade Lust hat. Nicht mit mir, nicht mit Susina Alpina, Connubia des Lucius Helvetius Corvinus!"


    Ihr Blick traf Curios. Er konnte den ganzen Hass in ihren Augen sehen. Den ganzen Hass, der sich nach mehreren versuchten und geglückten Vergewaltiungen und Überfällen in Alpina aufgestaut hatte.

    Curios Umarmung tat Alpina gut, auch wenn sie große Angst davor hatte ihm und dann womöglich noch völlig fremden Männern von dem zu erzählen was sie erlebt hatte. Doch das drängte sie im Moment in den Hintergrund, sah in Curio nur noch ihren Schwager, Corvinus Bruder. Wie sehr hätte sie sich gewünscht in diesen schweren Stunden Corvinus an ihrer Seite zu haben. Doch es war müßig. Sie musste froh sein in ihrem Schwanger und der Schwägerin sowie dem jungen Kaeso so liebevolle Menschen um sich zu haben.


    Als Curio dann anfing das bevorstehende Prozedere zu erklären hörte Alpina mit wachsendem Unbehagen zu. Ja, ihr war bewusst, dass es ein schwerer Weg werden würde. Und Curio deutete an, dass es auch ihrem Geschäft schaden könnte. Daran hatte sie bereits gedacht. Die Raeterin zuckte zusammen als der Schwager davon sprach, man könne sie auf offener Straße als Lupa bezeichnen. Gänsehaut lief ihr über den Rücken. Hatte nicht Phryne schon mehrfach versucht ihren Ruf auf diese Weise zu ruinieren. Die Libertina hatte nicht nur einmal versucht ihren Status als alleinerziehende Peregrine schlecht zu machen und sie in Verruf zu bringen. Würde es dieses Mal gelingen? Wollte Alpina das? Das würde auch Auswirkungen auf die Casa Helvetia haben, auf Curio und Runa. Er fragte, ob sie wirklich dazu bereit war. War sie?


    Alpina löste sich aus Curios Arm und stand auf. Sie wanderte im Zimmer umher. Heftig pochte ein Schmerz in ihrem Unterleib. Er schien sie zu erinnern, dass sie ihn nie würde vergessen können, wenn sie diese Sache nicht hinter sich brachte. Sie würde sich vor Gericht äußern müssen. Als Zeugin. Kaeso ebenso. Wenn sie jetzt "Ja" sagte, gab es kein Zurück mehr und es betraf nicht nur sie sondern alle im Haus und auch in der Casa Acilia.


    Curios Entschlossenheit und sichtbare Härte führten dann jedoch dazu, dass Alpina sich auf ihre Pflicht besann. Es gab noch mehr Frauen in Mogontiacum und wer weiß wo noch im Imperium und darüber hinaus, die man vor diesem Verbrecher schützen musste. Nie wieder sollte Gurox eine Frau schänden. Nie wieder einen Mann missbrauchen oder schlagen. Nie wieder!


    "Ich mache das nicht für mich, Curio. Es muss sein. Das, was mir widerfahren ist, darf sich nicht wiederholen. Nicht durch Gurox. Und wenn ein öffentlicher Prozess und eine Hinrichtung auch andere Verbrecher davon abhalten könnten, ähnliches zu tun, dann hätte ich etwas Wichtiges erreicht. Aber bevor ich mit einem klaren "Ja, ich will es so" antworte, möchte ich deine persönliche Meinung wissen und auch ohne mich zu schonen hören, ob du Angst vor einem Gesichtsverlust hast, dadurch, dass dann bekannt wird, dass deine Schwägerin geschändet wurde. Wenn es soweit kommt, dass mich Bürger der Stadt als Lupa bezeichnen, wirft es auch ein schlechtes Licht auf dich und Runa. Sag mir ehrlich wenn du das scheust. Dann werde ich von dem Vorhaben ablassen."

    Zunächst sah sich Alpina bestätigt in ihrer Sorge, dass Curio sie als Schandfleck betrachtete, als entehrt und geschändet, nicht mehr tragbar für die Gens Helvetia. Er blickte starr auf die Tischplatte vor sich, erhob sich nicht, umarmte sie nicht wie er es früher getan hatte. Dann jedoch sprach er und sofort wurde Alpina klar warum er so zurückhaltend war. Er gab sich die Schuld. Wie schon Kaeso zuvor. Curio gab sich eine Mitschuld, weil er auf dem Landgut gewesen war als der Überfall passierte.
    Die Raeterin zog sich eine Stuhl heran und setzte sich. Dann griff ihre Hand quer über den Tisch und legte sich auf Curios.
    "Es ist nicht deine Schuld, Curio. Niemand trägt eine Schuld, nicht du und auch nicht Kaeso, der sich auch mit Schuldgefühlen quält, weil er diesen Gurox zu mir geführt hat und ihm am Ende körperlich unterlegen war."


    Einen Augenblick schüttelte es Alpina, sie schluckte. Wieder kamen die Bilder hoch. Mit belegter Stimme fuhr sie fort.
    "Gurox ist ein Verbrecher! Ich weiß was er Kaeso angetan hat und bezweifle auch nicht, dass er Phryne und ihre Sklaven in seiner Terrorherrschaft gefangen hielt. Zunächst wollte ich Kaeso das nicht glauben. Zu selbstverständlich schien Phryne in ihrem Haus ein und auszugehen. Doch ich weiß auch wie geschickt sie ist und tatsächlich stellt sich die Frage, wer da wen manipuliert hat. Doch eines steht fest: dieser Gurox ist ein Sadist, er liebt es, Menschen zu quälen und sie seine Macht körperlich spüren zu lassen..."


    Alpina musste abbrechen. Sie spürte wieder jedes Wort, das er ausgespien hatte in ihrem Unterleib. Ich - habe - hier - das - Sagen. Wieder spürte sie, wie er sie auf die Knie gedrückt und an den Haaren gepackt hatte. Einen kurzen Augenblick hatte sie das Bild vor sich wie er sich vor ihr aufgebaut hatte, bereit sie auf das Übelste zu demütigen.
    ".... das darf nie wieder passieren, Curio! Nie wieder! Niemand soll das mehr erfahren müssen! Bitte hilf mir dabei, diesen Gurox zu bestrafen für das was er getan hat. Ich kann nur dich um Hilfe bitten, denn Corvinus ist nicht hier."


    Tränen traten in ihre Augen. Sie erinnerte sich noch gut wie dieser sadistische Helvetier Agrippa versucht hatte sie zu vergewaltigen. Damals war ihr Corvinus zu Hilfe gekommen. Dieses Mal konnte er nicht ihr Retter sein. Wenn sie ihn überhaupt jemals wiedersehen würde.
    "Phryne kann Gurox nicht anklagen, ganz abgesehen davon ob sie es tun würde, und Kaeso scheut zu recht die öffentliche Anklage, bei der er allen Bürgern der Stadt erzählen müsste, dass er von diesem Verbrecher missbraucht wurde. Er könnte damit nicht in der Stadt bleiben, es würde als Makel an ihm haften. Ich verstehe es deshalb, dass er nicht gleich damit zu dir kam."


    Wieder pausierte die Hebamme. Dann blickte sie Curio unverwandt an. "Würdest du mir helfen Gurox vor dem Legatus Augusti anzuklagen? Auf wenn es bedeutet, dass deine Schwägerin eine geschändete Frau ist? Auch wenn viele anklagend auf mich zeigen werden und sagen: "die wollte es doch nicht anders! Deren Mann ist weit weg... wer weiß, vermutlich hat sie ihm schöne Augen gemacht und jetzt macht sie einen auf Opfer". Willst du mir trotzdem helfen?"