Beiträge von Susina Alpina

    Alpina nickte als Kaeso zu bedenken gab, dass er zunächst kaum würde laufen können. Auch seine Scham anderen von den Misshandlungen erzählen zu können konnte sie verstehen. Sie würde jedoch sicherlich nicht tatenlos zusehen, dass quasi vor ihren Augen ein Verbrechen geschah. Nun aber wollte sie Kaesos Entscheidung erst einmal repektieren und darüber schlafen. Womöglich gab es einen anderen Weg.
    "Nun gut. Lass uns darüber schlafen. Ruf mich, wenn es dir nicht gut gehen sollte. Ich bin jederzeit für dich da. Das weißt du hoffentlich, oder?"


    Sie streichelte sanft über den Lockenkopf ihres Schülers.
    "Schlaf gut, Kaeso! Und gute Besserung!"

    Octavena war bereit alles für das werdende Leben in ihrem Bauch zu tun. Nun musste Alpina ihr erklären, was sie tun und was unterlassen sollte.
    "Es ist wichtig, dass du nicht schwer hebst und dich nicht körperlich anstrengst. Vermeide langes Stehen. Lege dich so oft wie möglich hin und bade nicht mehr. Die letzte Vorsichtsmaßnahme betrifft vor allem euch als Paar. Enthalte dich bis zur Niederkunft der körperlichen Vereinigung mit deinem Mann. Es könnte gefährlich für das Kind sein."


    Die Hebamme stand wieder auf. "Ich werde dir eine Teemischung machen, die die Abwehrkräfte stärkt und vorzeitigen Wehen entgegenwirkt. Hoffentlich schaffen wir es gemeinsam, dass du das Kind nicht zu früh bekommst. Bitte lass mich sofort rufen, sobald du Beschwerden hast oder die Wehen einsetzen. Fieber ist ein Alarmsignal. Falls du Fieber bekommst, bitte zögere keinen Augenblick. Ich komme zu jeder Tag- und Nachtstunde."

    Nun sprudelte es nur so aus Kaeso heraus. Die gesamte Beichte. Wie er Phryne kennengelernt hatte, wie sie ihn verführt und ihm den Kopf verdreht hatte. Ganz offensichtlich hatte Cupido so sehr von ihm Besitz ergriffen, dass der junge Mann nicht mehr, zwischen der Venusdienerin Phryne und seiner Lehrerin und Freundin Alpina unterschieden hatte.


    Was dann folgte war eine Räubergeschichte ohne Gleichen. Irgendein Kerl hatte wohl die wohlhabende Phryne entführt und auch ihre Sklaven unschädlich gemacht. Kaeso hatte schließlich von Glaucus eine hanebüchene Geschichte aufgetischt bekommen, von der Alpina zunächst nur die Hälfte glaubte. Was deutlich zu sehen war - die Misshandlung des Jungen. Sollte der Rest der Geschichte auch wahr sein. Es klang so abenteuerlich, dass die Hebamme es kaum glauben konnte.
    "Du sagst der brutale Kerl, der dich so zugerichtet hat oder zurichten ließ, halte Phryne in ihrem Haus gefangen? Und du willst da nochmal hin? Sag, Kaeso, bist du verrückt? Du wirst einen weiteren Besuch dort nicht überleben!"


    Alpina ließ sich auf der Bettkante nieder. Gedankenverloren streichelte sie über Kaesos staubige Lockenpracht. "Wir werden Hilfe brauchen, Kaeso. Alleine können wir da nichts ausrichten. Wen könnten wir fragen? Nachdem Curio mit Runa auf dem Landgut ist, könnten wir seinen Rat nur schriftlich einholen. Das hilft uns nicht. Wir brauchen bald Hilfe. Denn wenn es so ist, wie du sagst, ist Phryne in großer Gefahr."


    Eigentlich tat die Schauspielerin Alpina überhaupt nicht leid. Mit ihrer unverschämten und frechen Art und ihrer offen zur Schau getragenen Promiskuität, hatte sie es sich schon lange verscherzt bei Alpina. Doch ein Verbrechen zu dulden, wenn man davon Kenntnis hatte, soweit würde die Hebamme nie gehen. Nicht einmal bei Phryne!

    Zitat

    Original von Kaeso: „Er hat sie entführt.....wir wurden gefangen …. jetzt ist er bei ihr ….er beschmutzt, benutzt alle. Oh Alpina, es tat so entsetzlich weh als er mich nahm.“ brach es zum Schluss aus mir heraus. „Kannst du mir je verzeihen, was ich dir angetan habe?“ Dabei meinte ich auch meine geheime Beziehung zu Phryne, welche ich ihr noch gestehen musste. Mit Hilfe von Alpina gelangte ich schließlich Taberna Medica. „Kannst du mir helfen, mich zu säubern und meine Wunden zu versorgen? Ich schaffe es nicht alleine. Wenn ich mich dann ein wenig ausgeruht habe gehe ich auch, du willst so einen wie mich bestimmt nicht länger in deiner Nähe haben.“ Erschöpft machte ich eine Pause und traute mich endlich ihr in die Augen zu sehen.


    Das was Kaeso stammelnd hervorbrachte machte in Alpinas Augen keinen Sinn. "Sie" war entführt, "er" beschmutzte "alle"? Um wen und um was ging es hier? Doch das hatte Zeit. Zunächst musste sie Kaeso von der Straße bringen und seine Wunden versorgen. Dann würde er ihr erklären können was das Gestammel bedeeuten sollte. Kaeso sagte, dass er misshandelt worden war. Alpina schüttelte es. Wie grausam. Es war dringend, dass sie ihn in Sicherheit brachte.



    Als die Kräuterfrau die Tür der Taberna Medica hinter sich geschlossen hatte, hörte sie Kaeso erleichtert durchatmen. Energisch schüttelte sie den Kopf als er davon sprach ihr etwas angetan zu haben.
    "Es war doch nur ein Kuss, Kaeso. Das ist nicht schlimm. Deshalb werde ich dich nicht verstoßen. Mit Sicherheit nicht. Und nun komm erst einmal. Natürlich helfe ich dir, deine Wunden zu versorgen."

    Ohne viele weitere Worte buxierte sie ihn in seine Kammer und ließ ihn die verschmutzte Tunika ausziehen. Sie holte heißes Wasser, eine Schüssel mit Wasser und Posca und eine Dose mit ihrer Wundheilsalbe. Dann bat sie ihn sich hinzulegen und begann sanft und sorgfältig seinen Körper zu waschen. Bei jeder Berührung seiner Wunden zuckte Kaeso zusammen. Als er sich auf den Bauch drehte, erschrak Alpina zutiefst. Die blutigen, entzündeten Striemen der Peitsche und die deutliche Rötung seines Hinterteils ließen keinen Zweifel zu. Der Junge war aufs Übelste misshandelt worden! Die Raeterin atmete tief durch. "Bei Minerva! Wer bei allen Göttern hat dir das angetan? Kannst du, willst du mir davon erzählen?"


    Sie bestrich die Wunden vorsichtig mit der Salbe. So auf dem Bauch liegend musste er sie nicht ansehen, wenn er ihr peinliche Details erzählen wollte oder musste. Das war vielleicht eine Möglichkeit dem Armen eine zweite Erniedrigung zu ersparen.

    Alpina hatte die halbe Stadt nach Kaeso abgesucht. In einigen Tabernae und auf dem Forum hatte nach ihm gefragt. Schließlich war ihr in einer Caupona, nicht weit von der Casa Helvetia, ein Tipp gegeben worden. Man habe den Jungen gemeinsam mit einem großen und kräftigen Kerl gesehen, der üble Verletzungen gehabt hatte. Die Beschreibung des Kerls ließ in Alpina eine Vermutung aufkommen. Es könnte sich um Phrynes Leibwächter Glaucus gehandelt haben. Erst kürzlich war er mit seiner Herrin in der Casa gewesen. Alpina war den Sklaven Phrynes in der Culina begegnet. Was wollte Kaeso von Glaucus? Oder sollte sie sich eher fragen, was er von Phryne wollte? Unbehagen mischte sich in die Vermutung der Raeterin. Kaeso war einer solchen Schlange, wie die Schauspielerin es war, doch nicht gewachsen. Was wenn sie ihn für ihr Spiel benutzt hatte, ihm den Kopf verdreht hatte....


    Ganz in Gedanken versunken hatte Alpina den Heimweg angetreten. Nicht weit von der Casa Helvetia entfernt, wäre die Hebamme beinahe über ein Beinpaar gestolpert, das aus einem Busch herausragte. Sie wollte schon einfach darüber steigen und sich nicht weiter um den vermutlich Betrunkenen kümmern, doch dann erkannte sie die hübschen Schuhe, die Kaeso erst seit kurzem sein Eigen nannte. Alpina erstarrte.
    "Kaeso? Kaeso, bist du das? Was bei allen Göttern machst du hier?"


    Sie kniete sich nieder und bog die Zweige des Busches auseinander. Was sie dann sah, erschreckte sie zutiefst. Kaeso sah übel aus. Seine neue Tunika war verdreckt und blutverschmiert. Diejenigen Stellen, die nicht von dem verschmutzten Stoff bedeckt waren, zierten Kratzer, Hämatome und blutige Striemen. Das Gesicht des Jungen war verschwollen, die Lippe aufgeplatzt.
    "Beim gütigen Merkur! Was ist passiert?"


    Sanft und vorsichtig reichte sie dem jungen Mann die Hand und half ihm sich aufzurichten.

    "Kaeso? Kaeso, bist du hier?"
    Erst sachte, dann kräftiger klopfte Alpina an die Tür von Kaesos eigenem Reich. Diesen Morgen war Kaeso nicht in der Taberna Medica erschienen. Alpina machte sich Sorgen und Vorwürfe.
    Erst wenige Tage zuvor hatte Kaeso versucht, mit ihr intim zu werden. Alpina hatte ihn vor den Kopf gestoßen, seinen Forderungen nicht nachgegeben. In den kommenden Tagen hatten sie sich nicht viel gesehen. Alpina hatte einige Entbindungen und Wochenbetttermine gehabt und war wenig in der Taberna Medica gewesen. Kaeso war zumeist sich selbst überlassen gewesen. Nun stellte sie fest, dass er ganz offensichtlich weder in der Taberna Medica noch in seinem Zimmer war.


    Unruhig suchte Alpina das gesamte Haus nach ihm ab, fragte Gwyn und Liam, sowie die Leibwächter Curios. Niemand hatte Kaeso in den vergangenen zwei Tagen gesehen. Ein unglaublich schlechtes Gewissen flutete in der Raeterin hoch. Was wenn er die Zurückweisung nicht ertragen konnte, wenn er sich etwas antat? Nach all den Erfahrungen seiner Kindheit. Wie gedankenlos von ihr! Womöglich hatte ihn die Zurückweisung so hart getroffen, dass er wieder auf Wanderschaft gegangen war, geflüchtet war. Und sie trug die Schuld daran! Alpina ließ sich an der Wand zu Kaesos Kammer auf den Boden sinken. Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte.
    Ausgerechnet jetzt, wo Curio und Runa auf ihrem Landgut waren, musste das passieren. Alpina hatte Kaeso vergrault und niemand war da, dem sie ihr Herz ausschütten und den sie um Hilfe bei der Suche bitten konnte.


    Nach einer Weile rappelte sie sich auf. Sie holte ihre Palla, bat Neman Ursi mit in die Taberna Medica zu nehmen und dort die Stellung zu halten und machte sich auf den Weg in die Stadt. Sie wollte überall fragen, ob jemand Kaeso gesehen hatte.

    Zunächst glaubte Alpina an eine Täuschung, als sie die Lippen auf ihrem Nacken spürte. Zart erst, wie ein Schmetterlingsflügel. Doch dann wurde ihr klar, was da gerade eben geschah. Verwundert, erstaunt und irritiert nahm sie wahr wie Kaeso, ihr Schützling, ihr Lehrling, ihren Hals mit Küssen bedeckte.
    "Kaeso!" entfuhr es der Raeterin eher erschrocken, denn erbost.
    Der junge Mann drehte sie zu sich um und nun wurde Alpina bewusst, dass er ihr nicht nur in harmloser Freundschaft zugeneigt war. Kaesos Lippen erreichten ihre Wangen und schließlich ihren Mund. Sie wollte ihn stoppen, ihn aus seinem augenscheinlichen Wahnzustand wecken, doch er ließ sich nicht beirren. Schon schob sich seine Zunge zwischen ihre Lippen. Als er ihren Kopf festhaltend sie derart fordernd küsste, dass auch dem letzten Esel klar werden musste, wohin das führen würde, versteifte sich Alpina. Wie gut konnte sie sich an jene Nacht erinnern, in der Ursicina gezeugt worden war! Die Parallelen waren da. Nein, nicht jetzt, nicht hier, nicht mit Kaeso!


    Alpina bot alle ihre Kraft auf und tauchte nach unten weg. Sich aus seinem fordernden Griff entwindend wich sie schnell zurück.
    "Bitte, Kaeso! Mach doch nicht leichtfertig kaputt was uns beide verbindet. Ich bitte dich!", brachte sie verzweifelt hervor.
    Dann drehte sie sich um und rannte davon. So schnell sie konnte in ihr Cubiculum.



    Heftig atmend schloss Alpina die Tür hinter sich. Gedanken rasten durch ihren Kopf. Wie dumm von ihr! Sie hatte seine zärtliche Freundlichkeit und das Geschenk für ein Zeichen seiner Freundschaft zu ihr gehalten und schlußendlich hatte sie ihn noch ermuntert, zu glauben, dass auch sie mehr von ihm wollte, indem sie ihm den Kuss auf die Wange gegeben hatte. Alpina hätte sich ohrfeigen können, weil sie die Signale nicht erkannt hatte. Er war ein junger Mann, der gerade seine Gefühle entdeckte, der zum Mann reifte und ausloten wollte, was alles dazugehörte.


    Auf ihrem Bett liegend starrte Alpina die Decke an. Der kupferne Anhänger mit der Rune Naudhiz brannte wie ein Brandeisen auf ihrer Haut. Was hatte sie angerichtet? Wie sollte es weitergehen? Wie sollte sie Kaeso am kommenden Tag unter die Augen treten, wie mit ihm umgehen, mit ihm arbeiten?
    Alpina fasste einen Entschluss. Es war an der Zeit, dass Kaeso aus ihrer Obhut in die Hände eines männlichen Lehrers kam. Sie würde gleich am kommenden Morgen den Chirurgicus aufsuchen und ihn darum bitten, Kaeso auszubilden.

    Verunsichert sah Alpina Kaeso an, der wie von der Tarantel gestochen aufsprang. Was war mit ihm? Hatte sie etwas Falsches gesagt? Ihn an irgendetwas in seiner schrecklichen Kindheit erinnert. Als er sich jedoch schnell wieder beruhigte und ihr ein schönes Kompliment machte, freute sich Alpina. Sie mochte ihn wirklich gern. Was für ein lieber Kerl. Er streichelte ihren Arm, um ihr zu zeigen, dass sie nicht allein war, wenn sie Sorgen hatte und gleich bot er ihr auch sein offenes Ohr an.
    "Du bist ein ganz wundervoller Zuhörer, Kaeso, und gerade das wird einen sehr guten Heiler aus dir machen, wenn du erst das Handwerkszeug gelernt hast."
    Sie trat auf ihn zu und drückte ihm ganz unschuldig in ihrer Freude und Rührung einen Kuss auf die Wange. Ihr Hand hielt noch immer den Runenanhänger.
    "Magst du so lieb sein und ihn mir umlegen?" Mit treuherzigem Augenaufschlag hielt Alpina Kaeso den Kupferanhänger am Band hin und drehte sich um, damit er ihr die Kette umlegen konnte.

    Einfühlsam und lieb legte Kaeso seinen Arm um Alpina. Sie spürte, wie er sie fester an sich zog und ließ sich das auch gefallen, war sie doch froh, dass es nach langer Zeit mal wieder jemand tat. Auch als er sie streichelte und seine Hand auf ihr Knie legte, dachte sie sich nichts dabei. Er bestätigte ja selbst, dass er Mitleid mit ihr hatte.
    Schließlich öffnete sich Kaeso en wenig und erzählte von seinem Hass auf den eigenen Vater. Im Laufe der Unterhaltung kam er auf Alpinas Interesse an Pflanzen und der Heilkunde zu sprechen. Die Hebamme sah ihn von der Seite her an.
    "Meine Mutter und auch ihre Mutter schon waren Hebammen. Es steckt uns sozusagen im Blut. Schon früh nahm mich meine Großmutter mit auf Kräuterwanderungen, wenn ich den Sommer bei ihr auf dem Land verbrachte. Ich lernte die Pflanzen erkennen, schmecken und riechen. Nebenbei die Wirkungen und Nebenwirkungen. Meiner ersten Entbindung wohnte ich bei als ich 13 war."


    Sie hatte sich nun wieder etwas beruhigt und wollte nun auch von Kaeso ein wenig abrücken. Sanft legte sie ihre Hand auf seine, die auf ihrem Knie ruhte. "Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt zu Ursi zurückkehre und schlafen gehe. Meinst du nicht?"

    Kaeso beschrieb ihr seine Rune, Algiz. Lächelnd hörte sie zu, wie er schwärmte von der Rune, die Schutz, Glück und Lebenskraft versprach. Offenheit. Ja, das passte zu Kaeso. Er war offen und genau das mochte sie so sehr an ihm. Seine Offenheit und schonungslose Ehrlichkeit. Zumindest hatte sie ihn bisher so erlebt.


    Dann berichtete er von Runas Angebot ihn zu einem Blot mitzunehmen. Alpina hob die Augenbrauen.
    "Ich freue mich, dass Runa dir so viel Vertrauen entgegen bringt. Es ehrt dich, wenn sie dich zu so einem wichtigen Ereignis mitnehmen will. Ich habe schon einmal ein kleines Ritual mit ihr gefeiert und ihre unglaublichen Fähigkeiten selbst erlebt. Es war beeindruckend. Viel Ahnung habe ich nicht davon. Ich bin keine Germanin. Das wusstest du vermutlich gar nicht, oder? Ich bin Raeterin aus Augusta Vindelicum. Erst vor einigen Jahren kam ich hierher nach Mogontiacum, auf der Suche nach meinem Vater. Er war Soldat und verließ meine Mutter, meine Schwester und mich. Meiner Mutter hatte er gesagt, dass er nach Mogontiacum versetzt worden sei. Doch als wir ihn hier aufsuchen wollten, war er nie hier angekommen. Ich habe noch einige Zeit versucht, herauszufinden, was mit ihm passiert war, weil ich glaubte, dass er womöglich einem Verbrechen zum Opfer gefallen war. Doch er hat es wohl nur als Ausrede benutzt um meine Mutter zu verlassen."
    Alpina verstummte. Schon lange hatte sie nicht mehr darüber gesprochen. Die Enttäuschung kam erneut hoch. Sie spürte wie ihr die Tränen in die Augen stiegen.

    Es war ihre Namensrune. Kaeso hatte sich also Gedanken gemacht. Und wie! Alpina hörte mit zunehmender Rührung zu. Die Rune sagte also etwas über ein hartes Leben aus. Nun ja, Kaeso wusste ja nicht was sie schon alles durchgemacht hatte: "Leidensfähigkeit und Vorbestimmung. Das Schicksal annehmen" hatte er gesagt. Die Raetein dachte an alles was sie schon erlebt hatte: vom Vater verlassen, alleine in einer fremden Stadt, geschwängert von Petronius Marcellus, der sie sogleich fallen ließ wie einen heißen Stein, dann die Abtreibung, die sie fast nicht überlebt hätte, die Alpträume danach und die schweren Schuldgefühle. Schließlich die folgenschwere Nacht, in der Corvinus sie mehr oder weniger vergewaltigte. Wieder wurde Alpina schwanger, in ihrer Verwirrung lief sie davon. "Der Furcht ins Auge blicken" Sie war aufgebrochen ins Freie Germanien. Dort die Entbehrungen und Gefahren sowie eine Gefangenschaft und eine weitere Beinahevergewaltigung, aber auch eine großartige Begegnung mit der alten Germanin Osrun, die Alpina half ihre Schuldgefühle zu überwinden und die Nornen zu besänftigen. "Widerstand der Kräfte weckt". Ja, das war es gewesen. Für das Leben in ihrem Bauch, für Ursicina hatte sie allen Widrigkeiten getrotzt, war hochschwanger erneut nur knapp einer Vergewaltigung entgangen. Und nun war sie wieder allein. Corvinus war fort. Ob er noch am Leben war wusste sie nicht. Mit jedem Tag, den er fort blieb, wurde eine Rückkehr unwahrscheinlicher.


    Umso schöner und rührender waren Kaesos Worte und den Wunsch, dass der Runenanhänger ihr helfen sollte, dass sie gut gegen Widrigkeiten gewappnet sei und dass sie Besseres verdient habe. Alpina nahm Kaesos Hand. Sanft drückte sie sie und sah ihm in tief empfundener Freundschaft in die Augen.
    "Das hast du so lieb gesagt, Kaeso. Ich vergesse mich oft über all der Arbeit und über der Verantwortung für Ursicina. Aber das ist oft auch sehr gut so. Es ist besser nicht zu viel nachzugrübeln. Gibt es für dich auch eine Rune? Und was hat diese zu bedeuten? Was ist denn dir vorherbestimmt?"

    Die Aufforderung einzutreten kam prompt und Alpina öffnete die Tür. Kaeso war damit beschäftigt, einen weiteren Runenanhänger herzustellen. Also hatte sie richtig vermutet - die Kette mit dem Naudhiz-Anhänger war von ihm. Lächelnd trat Alpina näher.
    "Gehe ich recht in der Annahme, dass du mir dieses hübsche Geschenk gemacht hast?"


    Sie hielt die Kette mit dem Anhänger vor sich hin und setzte sich auf die Bettkante von Kaesos Bett. Die Kammer war winzig. Außer der kleinen Truhe, auf der der junge Mann mit seiner Bastelarbeit beschäftigt war, gab es nur den Schemel auf dem er saß. Alpina strich mit zarter Hand über das feine Bändchen und das Kupferplättchen.
    "Naudhiz, heißt die Rune, soviel ich weiß. Stimmt das? Du weißt es sicher besser. Runa wird dich die Runen gelehrt haben." Ihr freundlicher und dankbarer Blick traf Kaesos braune Augen. "Was hat es zu bedeuten und warum hast du mir ausgerechnet diese Rune zum Geschenk gemacht?"

    Als Alpina an diesem Abend müde nach getaner Arbeit in ihr Cubiculum wankte, schlief die kleine Ursicina bereits friedlich in ihrem Bettchen. Längst war sie der Korbwiege entwachsen und Alpina hatte von der Duccischen Schreinerwerkstatt ein Kinderbettchen anfertigen lassen. Im Augenblick war Ursi noch zu klein, um mit diesem Bettchen in ein eigenes Cubiculum umzuziehen, oder vielleicht war es auch einfach nur, weil Alpina nicht Nacht für Nacht alleine schlafen wollte - in jedem Fall schlief die Kleine noch bei ihr. Meist kletterte sie sogar nachts im Halbschlaf zur Mutter ins große Bärenbett und dann schmiegte sie ihr kleines Köpfchen an Alpinas Hals.


    Die Hebamme zog ihr Nachtgewand unter dem Kissen hervor. Dabei fiel etwas klingelnd zu Boden. Alpina bückte sich und hob den kleinen, kupfernen Gegenstand hoch. Ein zartes Band war durch das Kupferplättchen gezogen. Es war eine Halskette, sie trug eine Rune. Alpina kramte in ihrem Gedächtnis. Runa hatte sie die Bedeutung der Zeichen gelehrt. Es war Naudhiz. So ganz genau kannte Alpina die Bedeutung nicht mehr. Irgendetwas mit Störung, Verwirrung und Streit hatte sie in Erinnerung, aber auch Schicksal und Vorbestimmung. Verwirrt betrachtete sie die Kette mit dem Anhänger. Hatte Runa ihr die Kette geschenkt? Aber warum? Die Raeterin ließ das zarte Band durch ihre Finger gleiten. Nein, Runa hätte ihr erklärt wofür es stand und warum sie es ihr schenkte. Wer könnte es gewesen sein? Wer schrieb in Runen? Eigentlich blieb nur Kaeso. Ihm hatte Runa das Schreiben beigebracht. Vermutlich hatte sie ihm dabei auch die Buchstaben ihrer germanischen Sippe näher gebracht. Alpina würde ihn fragen.


    Sie verließ auf leisen Sohlen die schlafende Ursi und machte sich auf zum Cubiculum ihres Helfers. Sachte klopfte sie an die Tür.
    "Kaeso? Bist du da? Ich bin´s, Alpina! Kann ich kurz hereinkommen?"

    Anscheinend hatte Octavena bislang keine Beschwerden. Einerseits gut, andererseits gefährlich. Sie schien sich wenig zu schonen, sonst wäre der Muttermund nicht schon so weit geöffnet. Wenn sie das Kind nicht vorzeitig bekommen wollte, würde sie sich jetzt viel schonen müssen. Alpina versuchte es vorsichtig zu formulieren.
    "Octavena, ich habe eine beunruhigende Nachricht für dich. Bitte glaub mir, deinem Kind geht es gut. Aber der Muttermund ist schon ein wenig geöffnet. Das bedeutet, dass die Gefahr besteht, dass dein Kind sich vor der Zeit auf den Weg ins Freie machen könnte. Und eine weitere Gefahr ist nicht zu unterschätzen. Der Muttermund ist eine Pforte - das Kind kann dort hinaus. Aber ebenso kann auch etwas hinein... also ich meine womöglich beim Baden verunreinigtes Wasser oder so. Das könnte dem Kind schaden."


    Alpina nahm die Hand der Schwangeren. "Wir müssen jetzt gemeinsam alles Notwendige für dich und dein Kind machen. Willst du mir dabei helfen?"


    Sie sah Octavena ernst an. Natürlich kannte sie als Hebamme viele Fälle in denen alles gut gegangen war und die Kinder rechtzeitig gesund und munter zur Welt kamen, aber sie erinnerte sich ebenfalls an Fälle in denen nicht nur das Kind starb sondern auch die Mutter, weil es infolge einer aufsteigenden Infektion zu einer tötlichen Komplikation kam.

    Die Hebamme setzte sich zu Octavena und beruhigte die werdende zweifache Mutter.
    "Nein, Octavena. Ich befürchte gar nichts, aber da du nun schon mal hier bist, sehen wir nach. Es sind soviel ich nachgerechnet habe noch ungefähr 6 Wochen bis zur Geburt. Ich sollte dich von jetzt ab ohnehin häufiger untersuchen."


    Sie tastete den Bauch der Schwangeren ab. Das Kind lag schon mit dem Kopf nach unten. Alles war bestens. Ihr Ohr an Octavenas Bauch verriet die Herzgeräusche des Kleinen. Auch hier alles normal. Dann wusch sich Alpina die Hände und ölte sie. Nach einer entsprechenden Vorwarnung schob sie die Hand zum Muttermund vor. Sie stockte. Der Muttermund war schon etwa 2 Finger breit geöffnet. Viel zu früh! Alpina hielt die Luft an.
    "Du hast keine Vorwehen? Keine ziehenden Schmerzen im Unterbauch? Sicher nicht?"

    Es war schön, dass es Octavena augenscheinlich gut ging.
    "Wenn du nicht nur kommst, um eine neue Kräutermischung für den Schwangerschaftstrank zu holen, würde ich dich gerne untersuchen. Ich habe hier in der Kammer nebenan eine Untersuchungsliege."


    Alpina deutete auf die Tür, die die Taberna Medica mit dem dahinterliegenenden Haus verband.
    "Möchtest du mir folgen?"

    Wie immer war Alpinas Schwager vernünftig. Er sah ein, dass er noch nicht der Alte war.
    "Ich denke, du wirst sehr schnell merken, was du schon kannst und was nicht. Erfahrungsgemäß hat man eine Zeit lang Konzentrationsschwierigkeiten und die Kopfschmerzen werden sicher nicht besser, wenn du dich überlastest. Hör auf die Signale deines Körpers und übernimm dich nicht. Aber ans Bett fesseln will ich dich auch nicht."


    Sie lächelte aufmunternd. "In zwei bis drei Tagen kann ich die Fäden ziehen. Passt das mit deiner Rede? Und was die Austzeit auf dem Land angeht. Das ist eine hervorragende Idee. Allerdings würde ich dich nur ungern reiten lassen. Nimm besser den Reisewagen. Du kannst dein Reitpferd ja am Zügel mitführen lassen, dann kannst du zurück hoch zu Ross kommen. Wie gefällt dir die Vorstellung?"


    Sie sah Runa und Cornutus an. Wie schön, dass sich die junge Familie eine Zeit gemeinsam auf dem Landgut nahm. Das würde allen gut tun nach der Aufregung.

    Natürlich glaubte Alpina, dass Kaesos Röte ein Zeichen seiner Scham war, weil die Thematik doch etwas heiß geworden war. Ausgerechnet nach der Symbolik der Feige fragte er...
    Alpina konnte sich nicht vorstellen, dass ihr Schützling schon seine erste Liebesnacht hinter sich hatte, und die noch dazu mit einer stadtbekannten Hetäre. Hätte sie gewusst, dass Kaeso eine Affäre mit Phryne begonnen hatte, hätte sie ihn gewarnt. Doch so musste er seine eigenen Erfahrungen machen.

    Ja, Alpina war müde. Doch sie kannte es eigentlich nicht mehr anders. Die Aufgaben waren eben da, sie war gefordert. Alpina konnte und wollte nicht zurückstecken. Sie fühlte sich gebraucht und das tat ihr gut. Anderfalls würde sie darüber grübeln wie ihre Zukunft aussehen sollte. Noch immer keine Nachricht von Corvinus. Sie wusste nicht ob er tot oder lebendig war. Ursicina wurde größer und größer, ihren Vater kannte sie nicht mehr.


    Sie setzte sich zu ihrem Schwager Curio, der noch immer seinen Verband am Kopf trug. Er erholte sich so langsam, wenn er auch immer noch deutlich eingeschränkt in seiner Leistungsfähigkeit und Präsenz wirkte. Bei der Nachfrage erzählte er von Kopfschmerzen und Wortfindungsstörungen. Beide Symptome waren nicht ungewöhnlich bei dieser Verletzung.
    "Nun, die Kopfschmerzen sollten hoffentlich bald nachlassen. Ich werde dir einen Trank machen, der sie beseitigen sollte. Im Laufe der kommenden Woche sollte es besser werden. Die Wortfindungsstörungen sind auch nicht ungewöhnlich. Dein Gehirn regeneriert noch. Ich verstehe natürlich, dass du ungeduldig bist, deine Amtsgeschäfte wieder aufzunehmen. Ich werde, wenn du möchtest, gleich die Fäden ziehen. Dann kannst du den Verband weglassen. Allerdings solltest du unbedingt noch nicht wieder voll arbeiten. Die Symptome zeigen ja, dass du noch nicht vollständig wiederhergestellt bist. Vielleicht kannst du dir zweimal am Tag eine Ruhepause einbauen in deinem Terminplan? Wie wäre es, wenn du nur vormittags Termine außer Haus wahrnimmst und am Nachmittag dir die Personen, die du treffen willst in die Casa Helvetia einlädst? Wenn die Symptome endgültig verschwunden bist, kannst du zur Normalität zurückkehren."


    Alpina sah Curio vorsichtig an. Wie würde er diesen Vorschlag aufnehmen?