Beiträge von Susina Alpina


    Publius Gavius Balbus


    Die blonde Frau bestätigte Balbus Vermutung. Der Mann auf der Kline war der Aedil. Sie lüftete kurz die Abdeckung der Wunde. Eine ordentliche Platzwunde, eventuell ein paar Knochenabsplitterungen, nicht lebensbedrohlich. Doch schien der Mann bewusstlos. Der Chirurgicus nahm das Handgelenk des Aedils und zählte. Der Puls war beschleunigt, aber nicht besorgniserregend. Er legte die Hand auf den Brustkorb. Die Atmung war normal. Mit zwei Fingern spreizte Balbus die Lider des rechten Auges auseinander. Die Pupille war geweitet. Er öffnete ihm das zweite Auge. Gleicher Befund. Also auf jeden Fall eine Commotio Cerebri, vielleicht eine Contusio Cerebri. Welchen Schaden das Gehirn genommen hatte, war noch nicht abzusehen. Doch die Wundversorgung hatte Zeit. Wenn es stimmte, was die Frau sagte, dann war der zweite Mann schlimmer verletzt. Balbus richtete sich wieder auf.
    "Ich komme gleich wieder. Halte die Wunde weiter bedeckt."


    Der hagere Chirurgicus trat an den Mann, der auf dem Boden neben der Tür lag. Die rothaarige Frau daneben, sprach ihn an.
    "Salve, Gavius Balbus. Ich bin Susina Alpina, Hebamme und Kräuterfrau. Das ist meine Taberna Medica. Dieser Mann hier ist der Leibwächter meines Schwagers, des Aedils. Er heißt Cossus Malleus. Bei dem Überfall, jedenfalls gehe ich davon aus, dass es sowas war, ist er schwer verletzt worden. Eine Stichwunde im Brustkorb und eine Schnittwunde am Arm. Das Blut ist hell und blasig. Ich befürchte, die Lunge ist getroffen. Aber sieh selbst."


    Sie löste den Verband und Balbus sah auf die Wunde, die dem Mann offenbar durch ein Gladius zugefügt worden war. Blut quoll hervor. Tatsächlich hatte die Kräuterfrau recht. Die Farbe und die Bläschen kündeten von einer Verletzung der Lunge Balbus legte beide Hände auf den Brustkorb. Die linke Brustseite hob sich kaum, während rechts die Atemexkursion normal war. Der Chirurgicus legte sein Ohr auf die Brust des Mannes. Nun stand es fest. Der unterste Lungenlappen links war kollabiert. Balbus fluchte leise. Er sprach den Mann an.
    "He du, Malleus? Hörst du mich?"
    Mit kräftigen Klapsen an die Wange versuchte er den Mann zum Leben zu erwecken. Ein weiterer Blick auf die Wunde und ein Aufspreizen der Wundränder offenbarte, dass die Spitze des Gladius eine Rippe durchschlagen hatte, aus diesem Grund jedoch nicht tief eingedrungen war. Den Schaden hatte offenbar die geborstene Rippe angerichtet. Ein Lichtblick. Dann konnte es sein, dass nur wenig Lungengewebe zerstört war. Wenn sich die Wunde schnell schloss, würde der Mann vielleicht überleben.


    "Hol Wein und heißes Wasser, saubere Lumpen und Verbandsmaterial sowie meine Sachen aus der Satteltasche des Esels. Ich muss gleich anfangen können", befahl der Chirurgicus und sah sich währende Alpina eilte die Wunde am Arm an. Eine Schnittverletzung. Wenige Stiche würden ausreichen, um sie zu schließen.


    Publius Gavius Balbus


    Der Junge, der den Chirurgicus so aufgeregt im Ludus von der Arbeit weggeholt hatte, führte ihn zum Hauteingang der Casa. Balbus war der Aufforderung zunächst nur widerwillig gefolgt. Einzig die Aussicht auf eine ordentliche Entlohnung, da es sich bei dem Verletzten wohl um einen der Aedile handelte, hatte den hageren Mann dazu bewegt, seinen Esel zu besteigen und auf der Via Borbetomagus in die Cabanae zu reiten. Eine eigenartige Adresse für einen Aedil. Und dann dieser Laden einer Kräuterfrau... Balbus wunderte sich zunehmend. Das Haus war mehrteilig und auf den ersten Blick ein wenig unübersichtilich.


    Sein Begleiter rief eine Art Parole durch die Tür und es dauerte eine Weile bis das Tor von Innen entriegelt wurde. Ein grimmig dreiblickender Ianitor beäugte den Chirurgicus und ließ dann beide ein. Die Casa Helvetia glich einer Festung. Balbus war erstaunt über die aufwändigen Sicherheitsmaßnahmen. Über das Vestibulum und das Atrium betraten sie den Teil des Hauses, in dem die Taberna Medica lag. Der Junge riss die Tür zur Taberna Medica Alpina auf.


    Die Tür schwang auf und gab den Blick auf eine typische Taberna Medica frei. Neben Kräuterbüscheln, die von der Decke hingen, gab es Regale mit Flaschen und Dosen. Es roch nach Kräutern und Gewürzen. Der Boden vor Balbus war blutverschmiert und ein Blick auf die Szenerie warf weitere Fragen auf. Ein wenig entfernt von der Tür, durch die sie vom Wohnhaus die Taberna Medica betraten lag kräftiger Kerl auf dem Boden. Vor ihm kniete eine Frau. Die Rothaarige offnete gerade eine der Binden, die sie scheinbar aus der zerrissenen Kleidung des Mannes gewonnen hatte. Zwei Verletzte? Hatte der Junge nicht nur was von dem Aedil gefaselt? Auf einer Kline im Hintergrund lag ein Mann in der Toga, das musste der Aedil sein. Eine hübsche blonde Frau beugte sich über ihn und drückte ein Tuch an seine Stirn. Sie betete auf Germanisch.


    Balbus entschied sich zunächst nach dem Aedil zu sehen. Er drückte sich mit einem gemurmelten "Salvete!" an der Rothaarigen vorbei und trat an die Kline. Der Mann schien bewusstlos zu sein.
    "Salve gute Frau, ich bin der Chirurgicus Publius Gavius Balbus", sagte der Chirurgicus kurz angebunden. "Ist das der Aedil Helvetius Curio? Wie ist er verletzt worden? Kannst du das da mal wegnehmen?"
    Balbus zeigte auf das Tuch mit dem die Frau die blutende Wunde geschlossen hielt.

    Vertieft in ihre Arbeit bemerkte Alpina zunächst nicht dass Runa erschien. Als sie aufsah und den Blick der Freundin traf, erkannte Runa sicherlich die Sorge darin. Es war weniger die Platzwunde, die Alpina unruhig machte, als die Gefahr, dass das Gehirn Schaden genommen haben könnte. Solange Curio nicht bei Bewusstsein war, konnte man keine Aussage treffen.
    "Ich hoffe, dass Kaseo bald mit dem Chirurgicus kommt. Natürlich könnte ich die Wunde nähen, doch ich vertraue lieber dem versierten Fachmann, der es gewöhnt ist, solche Verletzungen zu versorgen. Magst du bei Curio bleiben und die Wunde abdecken? Sei blutet inzwischen nicht mehr so stark, aber sollte trotzdem abgedeckt werden. Ich möchte mich um Malleus kümmern. Der Druckverband ist durchgeblutet und muss erneuert werden. Er hat sehr viel Blut verloren und ich befürchte, dass die Lunge verletzt sein könnte."


    Alpina drückte Runa ein sauberes Tuch in die Hand, mit dem sie Curios Platzwunde abdecken konnte. "Bete zu Proserpina, dass sie Curio nicht zu sich holt. Die Wunde wird heilen, aber ich weiß nicht welchen Schaden der Schlag angerichtet hat. Wir wollen hoffen, dass er noch derselbe ist, wenn er zu sich kommt."


    Publius Gavius Balbus


    Der Chirurgicus, der sich um die Verletzungen der Gladiatoren kümmerte, grinste zynisch. Vor ihm saß ein blonder Hühne, dessen Hand übel aussah. Sie war rot und dick geschwollen. Die Wundränder einer frischen Naht sahen entzündet aus.
    "Vielleicht solltest du deinen Kampfnamen von Eisenfaust in Eiterfaust umändern?"
    Er entblößte grinsend zwei abgebrochene Schneidezähne, die entweder einer Schlägerei oder einem Sturz zum Opfer gefallen waren.


    Ein Stöhnen entkam der Kehle des germanischen Gladiators als der Chirurgicus die Wundränder zusammenpresste. Eiter quoll hervor. Balbus zog den Wundspalt zwischen den Verknotungen der Naht mit einem Wundhaken auseinander. Dann entkorkte er die kleine Weinamphore auf dem Behandlungstisch mit den Zähnen. Nachdem er sich zunächst einen kräftigen Schluck genehmigt hatte, goss er anschließend eine kleine Menge des Weines in die eitrige Wunde. Der germanische Gladiator knurrte unbehaglich.
    Balbus grummelte. "Eigentlich viel zu schade für dein faulendes Fleisch."
    Dann verschloss er die behandelte Naht mit einem neuen Wundverband. "So, fertig für heute."

    Das Chaos war groß. Keiner antwortete auf ihre Frage was passiert war. Alpina schnappte Wortfetzen auf. Ein ehemaliger Soldat? Was bei allen Furien war passiert?
    Die Raeterin würde jetzt keine Antwort bekommen, musste sich also auf ihre Arbeit konzentrieren. Trotz der blutigen Tunika schien Malleus nicht allzuschwer verletzt zu sein. Die Wunde am Unterarm war nicht tödlich. Acanthos eilte ins Haus und der Leibwächter wollte sich ebenfalls entfernen um Liam zu holen als er noch in Sichtweite Alpinas zusammenbrach. Nun brauch der Kräuterfrau endgültig der Schweiß aus. Curio lag bewusstlos und schwer verletzt vor ihr auf der Kline, der Leibwächter war blutend zusammengebrochen und Acanthos irgendwo im Haus. Wie sollte sie Herrin der Lage werden?


    Alpina legte den Schwamm weg und drückte Kaeso einen sauberen Lumpen in die Hand.
    "Hier, drück das fest auf die Wunde. Ich muss erstmal nach Malleus sehen."


    Mit wenigen großen Schritten war sie bei dem großen, kräftigen Mann, der wie ein gefällter Baum zu Boden gegangen war. Sie schlug den Mantel zur Seite und sah den Schlitz, den die Stichwaffe in der Flanke des Leibwächters hinterlassen hatte. Panisch zerriss sie den aufgeschlitzten Stoff um erkennen zu können, wie tief die Wunde war.
    "Bei Gorgo-Medusa!", entfuhr es ihr. Die Klinge war zwischen zwei Rippen gefahren. Die Lokalisation der Stichverletzung und das viele Blut versetzten sie in Angst und Schrecken. Die Wunde war tief und damit lebensgefährlich! Sie konnte nicht einschätzen ob die Lunge getroffen war. Aus den Anteilen der Tunika, die nicht blutgetränkt waren, machte Alpina auf die Schnelle einen Druckverband. Und auch die Schnittwunde am Arm verschloss sie mit einem Stoffstreifen. Dann rief sie gellend nach Acanthos.


    Ehe der Scriba ihres Schwagers wieder erschien, eilte die Kräuterfrau zu Curio zurück.
    "Kaeso, ich brauch deine Hilfe. Die Art und Schwere der Verletzungen übersteigen mein Können. Wir brauchen kompetente Hilfe. Lauf die Via Borbetomagnus hinunter bis zum Theater. In der Nachbarschaft des Campus Drusi liegt der Ludus, die Gladiatorenschule. Frage dort nach Publius Cincius Balbus. Er ist der Chirurgicus, der die Verletzungen der Gladitatoren versorgt. Hol ihn her! Sag ihm, dass es um das Leben des Aedils Helvetius Curio geht. Er wird angemessen entlohnt werden! Beeil dich!"


    Alpina wusste, dass der Chirurgicus nur kommen würde, wenn man ihm eine ansprechende Entlohnung in Aussicht stellte. Kaum war der Junge losgerannt, griff die Hebamme nach ihrem schärfsten Messer und einer Pinzette. Sie begann die Umgebung der Kopfwunde zu rasieren, indem sie die Wundränder mit der Pinzette festhielt und die Schneide des Messers über die Kopfhaut gleiten ließ.

    Die Ereignisse überschlugen sich. Alpina zuckte zusammen als sie die lauten Stiefeltritte hörte, dann flog auch schon die Tür auf. Entsetzt wich sie zurück als Malleus und Acanthos den bewusstlosen Curio hereintrugen. Malleus selbst war blutüberströmt. Alpina blieb nicht viel Zeit, sich einen Überblick zu verschaffen, der Leibwächter ihres Schwagers informierte sie sogleich über die Art der Verletzung. Mechanisch nickte die Kräuterfrau und wies auf die Kline im Hintergrund, auf die beide Männer Curio schließlich wuchteten.


    Sie beugte sich über ihren Schwager. Sein Haar klebte am Schädel, dunkel suppte Blut aus einer Platzwunde. Vorsichtig versuchte Alpina zu erkennen wie tiefgreifend die Verletzung war. Eilig bat sie Kaeso heißes Wasser mit einem Schuss Essig darin zu holen. Dann griff sie sich einen Schwamm und begann sorgfältig die Verletzung zu säubern. Schnell war eine klaffende Wunde zu erkennen. Man konnte bis auf den Knochen hinunter sehen. Alpinas Magen krampfte sich zusammen. Diese Wunde musste genäht werden. Sie würde zunächst einen Teil der Haare rasieren müssen. Alpina sah zu Curios Leibwächter hoch. Dessen Tunika färbte sich zunehmend stärker rot. Die Kräuterfrau runzelte die Stirn. Das konnte nicht Curios Blut sein. Der lag vor ihr auf der Kline. Sie sah den Malleus fragend an.
    "Was ist mit dir? Du scheinst auch zu bluten. Bei allen Göttern, was ist euch passiert?"

    Alpina war wie üblich in der Taberna Medica. Soeben hatte sie eine Kundin, die eine Kräutermischung für ein Sitzbad kaufen wollte. Geduldig hörte sie sich die Symptome der Frau an und empfahl neben dem Sitzbad zugleich noch eine Salbe.


    Was unterdessen auf dem Forum passierte, konnte sie nicht ahnen. Doch als es vor der Tür der Taberna Medica laut wurde und aufgeregte Stimmen durcheinanderriefen, sah sie nervös auf. Sie zählte der Kunden das Wechselgeld in die Hand und begleitete diese zur Tur um dort nachzusehen, was das für ein Tumult war.

    Dass auch Uriscina bereits ihren eigenen Kopf hatte und sehr geschickt alles Bewohner der Casa Helvetia um den kleinen FInger wickelte, verschwieg Alpina. Sie lächelte nur mitfühlend als Octavena die Trotzphase in schönen Worten umschrieb. Diese stand ihr tatsächlich erst noch bevor.


    Nachdem Octavena keine besonderen Beschwerden angab außer einer leichten Übelkeit und Schwindel, also ganz natürliche und typische Begleiterscheinungen einer Schwangerschaft, nahm die Hebamme ganz selbstverständlich die Hand der Schwangeren und interpretierte den Puls. Alles war soweit wie üblich, keine Besonderheiten.
    "Wenn du dich ein wenig zurücklehnst, dann kann ich deinen Bauch abtasten. Für die Untersuchung des Muttermundes bräuchte ich allerdings Wasser zum Waschen der Hände, gerne mit einem Schuß Essig darin. Ich kann sie im Sitzen vornehmen oder aber auf einer Kline. Wie du möchtest."


    Alpina kramte ein Fläschchen mit Olivenöl hervor, das sie für diese Untersuchung brauchen würde. Dann nahm sie die Tastuntersuchung des Bauches vor. Man konnte die vergrößerte Gebärmutter tasten. Alles fühlte sich normal an. EIn Zustand wie er typisch für eine Schwangere im 4. Monat war. Mit einem zufriedenen Nicken wartete sie auf die Entscheidung wie sie weitermachen sollte.

    Alpina traf die Hausherrin im Garten an. Sie schien die Ruhe und die Sonne zu genießen und hatte es sich bequem gemacht. Als sie das Nahen der Hebamme bemerkte, öffnete sie die Augen und begrüßte Alpina.
    "Salve, Octavena. Ich komme doch immer gerne zu dir. Du hast es wirklich schön hier und tust gut daran dir ein paar ruhige Minuten zu gönnen. Davon wird es in Bälde nicht mehr allzuviele geben und ich nehme an, dass du sie auch jetzt schon zählen musst."


    Die Raeterin sah sich suchend um. "Wo ist denn Camelia? Ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen. Ich glaube bei der Hochzeit von Curio und Runa zuletzt. Sie muss schon wieder ein Jahr älter geworden sein. Stell dir vor, meine Ursicina ist auch schon bald ein Jahr alt."


    Alpina stellte den Korb ab und entnahm ihm das Öl gegen die Schwangerschaftsstreifen und die Kräutermischung für den Trank während der Schwangerschaft.
    "Hier habe ich das gewünschte Öl und die Kräuter für den Trank. Ich denke damit bist du gut vorbereitet. Gegen Ende der Schwangerschaft sehen wir dann, ob wir noch etwas verändern müssen an der Zusammensetzung. Aber jetzt wollen wir zunächst einmal sehen, ob alles in Ordnung ist. Bist du noch immer beschwerdefrei?"

    Mit einem strahlenden Lächeln begrüßte Alpina Albin. "Salve, Albin! Schön dich so munter und bei guter Gesundheit zu sehen. Ich habe dir auch was mitgebracht, damit es so bleibt. Hier, ein Fläschchen mit Wermutwein!"
    DIe Hebamme hielt dem germanischen Ianitor das Mitbringsel hin. "Er soll den Appetit anregen. Und das kann doch niemals schaden, nicht wahr?"


    Dann kam sie auf seine Frage zurück. "Ja, ich würde gerne zur Hausherrin, zu Petronia Octavena. Sie erwartet mich."

    Beruhigt konnte Alpina die kleine Ursi bei ihrem Schwager lassen. Er würde gut für sie sorgen während sie die Arznei bereitete. Auf das Thema Kinderbetreuung hin angesprochen nickte die Hebamme.
    "Aber sicher. Neman wird sich ganz bestimmt um Decimus auch noch kümmern können und sollte nich sehr bald noch mal ein Brüderchen oder Schwesterchen folgen, wird sie damit nicht überfordert sein, zumal mir Kaeso wirklich sehr hilfreich ist."


    Mit einem zuversichtlichen Lächeln verschwand sie und kehrte nach einer Weile mit einem Trank gegen die Kopfschmerzen zurück. Sie hatte ihn mit Honig gesüßt, damit Curio nicht davor zurückschreckte.


    "So, hinunter damit! Und dann warte bitte bis die Wirkung einsetzt bis du mit deiner Arbeit fortfährst. Kurz vorm Zubettgehen schicke ich dir Gwyn mit dem "Schlummertrunk". Berichte mir bitte morgen, ob er dir geholfen hat. Ich habe noch diverse andere Möglichkeiten, wenn das nicht helfen sollte."

    Kaeso schien noch nicht wirklich zu wissen, wohin er beruflich tendieren sollte. Woher auch? Er war ja noch viel zu jung dazu. Alpina hörte seiner Erklärung zu, warum er sich den Cohortes Urbanae hatte anschließen wollen. Sie glaubte zwar nicht, dass seinen brutalen Vater davon abgehalten hätte, die Familie zu tyrannisieren, aber das tat ja nichts zur Sache. Er hatte etwas aus sich machen wollen und das alleine zählte.


    Als Kaeso äußerte, dass er lieber sie begleiten und von ihr lernen wollte als eine der anderen Berufsoptionen ins Auge zu fassen, wusste sie nicht ob sie sich freuen sollte. Sie wollte ihm nicht seine Zukunft verbauen, ihn nicht an sich binden, um ihn zu einem "Schwächling" in seinen Augen zu machen. Doch Alpina nahm sich vor, mit Curio und Runa darüber zu sprechen und Kaesos Wunsch zunächst ernst zu nehmen. Er war noch jung und hatte noch viel Zeit, sich über seine Zukunft Gedanken zu machen.


    Schließlich fragte er nach Männern in ihrem Beruf. Alpina grübelte.
    "Nun, Kaeso, es gibt wenig Männer im Bereich der Frauenheilkunde und Geburtshilfe, wenn man von dem berühmten Soranus von Ephesus absieht, der in Rom tätig ist und wichtige Lehrwerke für Medici und Hebammen verfasst hat. Aber es gibt sehr wohl Heiler und Kräuterkundige, sowie Medici. Natürlich vor allem im Exercitus, in den Valetudinaria dort. Dann gibt es noch die, welche den Beruf eines Chirurgicus ergreifen. Der schneidet und brennt bei Abszessen, Zahnvereiterungen und diversen anderen Leiden. Auch in den Ludi, den Gladiatorenschulen gibt es solche Männer, die sich um die Verletzungen der Wettkämpfer kümmern. Was immer möglich ist, das wäre eine Art von reisender Heiler, der von Vicus zu Vicus zieht und seine Dienste anbietet. Nur in den Städten oder in der Nähe der Lager, wo es Thermenanlangen gibt, finden die Menschen eine medizinische Versorgung. Auf dem Land ist man auf reisende Heiler oder die Hilfe eines lokalen Kräuterkundigen angewiesen."


    Alpina lächelte, als Kaeso versicherte alles von ihr lernen zu wollen. "Gerne bringe ich dir bei, was ich weiß, dazu kannst du jederzeit mit auf die Märkte oder vielleicht auch mit Curio gehen, damit du siehst welche Möglichkeiten sich noch ergeben. Wenn du möchtest höre ich mich nach anderen, nichtmilitärischen Heilkundigen um. Vielleicht kannst du nach der Lehrzeit bei mir noch bei einem anderen lernen. Was meinst du? Auf jeden Fall kannst du bei mir bleiben so lange du möchtest. Wenn du aber irgendwann das Bedürfnis hast, etwas anderes zu sehen oder zu machen, so zögere nicht, es auszusprechen. Ich werde dir helfen wie immer ich es kann."

    Alpina sah Kaeso nachdenklich an. Natürlich dachte er so. Wie alle jungen Männer träumte er davon seine Kraft und Tapferkeit zu zeigen und ein echter Held zu werden. Was war das für ein Held, der Blümchen und Blättchen zupfte und sich um schwangere Frauen und Kranke kümmerte?


    Mit einem Seufzen griff sie nach Kaesos Hand. Sie ließ sich im Gras nieder und zog ihn hinunter, damit er an ihrer Seite sitzen konnte. Dann sah sie ihm fest in die Augen.
    "Ich verstehe dich, Kaeso. Und ich kann mir gut vorstellen, dass das hier nicht das ist, was du dir unter einer gloreichen Zukunft vorstellst. Ich habe mir auch bereits Gedanken gemacht, wie es mit dir weitergehen soll. Denn so sehr ich deine Gegenwart und deine Hilfe in der Taberna Medica schätze, ich weiß, dass deine Aufgabe langfristig eine andere sein wird."


    Sie hielt inne. "Wenn deine schwierige Vorgeschichte nicht wäre, dann würde ich ja sagen, du könntest zur Ala gehen. Mein Lebensgefährte Corvinus könnte sicher ein gutes Wort dort für dich einlegen. Doch ist er nicht da und wenn man dich nach dem Namen deines Vaters fragt, könnte es sein, dass alles auffliegt, was wir geheim halten wollen, Kaeso. Aber ich habe schon an andere Alternativen gedacht..."


    Alpinas Blick ging zunächst in die Ferne und fand dann den Weg zurück in die dunklen Augen des jungen Mannes. "Wie wäre es mit einer kaufmännischen Karriere? Oder einem Amt in der Verwaltung? Ich werde dich mitnehmen, wenn ich das nächste Mal Kräuter, Öle und Zutaten kaufe, die aus den fernen Provinzen kommen. Dann kannst du lernen, wie man mit den Händlern feilscht, um einen guten Preis zu bekommen. Das nächste Mal könntest du es dann selbst übernehmen und für mich die Geschäfte tätigen. Wenn du damit Erfahrung hast, könnten wir versuchen bei einem der ansässigen Händler eine Anstellung für dich zu bekommen. Sei es bei einem Wein-, Stoff- oder Gewürzhändler. Wie wäre das für dich? Oder würdest du einen Handwerksberuf lernen wollen? Dann könnten wir die Duccier fragen, ob du in einer der Werkstätten in die Lehre gehen könntest. Sie haben einen hervorragenden Schreiner, Schmiede und Töpfer. Dazu ein großes Handelsimperium. Wie wäre es, wenn wir Runa bitten würden, da etwas für dich anzuleiern?"

    Nachdem Kaeso Alpinas Besuch für den nächsten Tag angekündigt hatte, machten sich beide am kommenden Morgen auf den Weg. Die Hebamme hatte alles passend vorbereitet. Kräutermischung und Öl waren in ihrem Korb, dazu alles was sie eventuell benötien würde. Kaeso hatte sie auf dem Hinweg die wichtigesten Pflanzen für die Zeit der Schwangerschaft erklärt und ihn dann mit dem Auftrag beschäftigt, einige davon zu sammeln. Dafür hatte sie ihm die kleine Sichel überlassen, die sie zum Schneiden der Kräuter verwendete.


    Sie selbst war weitergegangen zum Landhaus der Duccier um Octavena zu untersuchen. Da wollte sie Kaeso nicht dabei haben. Die Betreuung einer Schwangeren gehörte in Frauenhand. Das war nichts für einen Jungen wie ihn.
    Alpina klopfte an der Pforte und freute sich auf Albin, für den sie ein kleines Fläschchen mit Wermutwein im Gepäck hatte. Der galt als gesundheitsfördernd und appetitanregend. Der hagere Ianitor der Duccier sah so aus als könne er so einen Appetitanreger gebrauchen.


    Klopf, klopf

    Die Kräuterfrau nichte mitfühlend als Curio von Einschlafstörungen aufgrund seiner Belastungen im neuen Amt sprach. Nur zu verständlich, dass ihm vieles durch den Kopf ging. Dass er nicht gleich mit schwerer Artillerie auf Spatzen schießen wollte, war ihr angsichts des Beispieles seines Bruders Corvinus nur zu recht. Einen weiteren Mandragorarausch wollte sie nicht erleben. Da sie von Curios Panikattacken nichts wusste, resümierte sie:
    "Nun, wenn du kein Herzklopfen und keine körperliche Unruhe fühlst, dann werden wir es zunächst mit einer Mischung aus Hopfen und Baldrian versuchen. Ich bringe dir als erstes den Trank gegen die Kopfschmerzen und Gwyn soll dir dann etwa eine Hora bevor du zu Bett gehst den Schlaftrank aufs Cubiculum bringen. Oder wirst du noch in deinem Tablinium sein?"


    Alpina schätzte ihren Schwager als so pflichtbewusst und strebsam ein, dass sie vermutete, dass er noch bis kurz vorm Schlafen gehen arbeiten würde.
    Sie stand auf. Doch bevor sie das Cubiculum verließ, kam ihr eine Idee. "Soll ich Neman rufen oder passt du kurz auf Ursi auf? Wie ist das eigentlich bei euch und Decimus? Möchtet ihr gerne, dass euch Neman den Kleinen ab und an abnimmt? Ich nehme an Runa wird auch bald einen Teil ihrer Aufgaben wieder aufnehmen wollen, oder nicht? Wie ist es mit dem Unterricht für die Kinder und dem DIenst im Tempel?"

    Das Angebot, Kaeso mit in die Therme oder auf einen der Märkte zu nehmen, klang gut. Alpina nickte nachdenklich.
    "Das ist eine hervorragende Idee, Curio. Vermutlich tut es ihm nicht gut, den ganzen Tag unter Frauen im Haus beschäftigt zu sein. Er entwickelt sich zu einem jungen Mann und sollte auch dort seine Vorbilder suchen. Ich würde mich freuen, wenn du ihn ab und an mitnehmen könntest."


    Nur wenig später gab Curio zu, dass er bereits unter den Folgen seines Schlafentzuges litt. Er hatte Kopfschmerzen - kein Wunder - nächtelang ohne Schlaf... sie erinnerte sich, dass einst sein Bruder mit einem ähnlichen Problem zu ihr gekommen war. Daraufhin hatte sie ihm den Mandragoratrank gegeben, der schließlich in einer Verkettung der Umstände dazu geführt hatte, dass Corvinus und sie ein Paar geworden waren.
    Alpina grübelte. Sie wollte ihrem Schwager sehr gerne mit einem wirkungsvollen Mittel helfen, wusste aber eben auch um die gravierenden Nebenwirkungen der potenten Beruhigungsmittel.
    "Weißt du, Curio, es gibt sehr viele und sehr potente Heilpflanzen, die den Schlaf fördern. Doch alle haben eben nicht nur Wirkungen sondern auch Nebenwirkungen. Ich darf dich an deinen Bruder Corvinus erinnern..." Sie machte eine bedeutungsvolle Pause. "Ich würde dir gerne eine leichte Schlafmischung geben, um zu sehen, ob diese Wirkung zeigt. Wenn das nicht ausreicht, können wir einmalig oder kurzfristig auch zu stärkeren Mitteln greifen. Meine Betonung liegt auf kurzfristig und vorübergehend."


    Ihr strenger Blick sollte ihm zu verstehen geben, dass sie nicht wieder ein drogenabhängiges Wrack aus einem Helvetier machen wollte.
    "Fürs erste aber werden wir deine Kopfschmerzen mit einem Trank aus Weidenrinde und Pestwurz beseitigen. Ein paar Fragen hätte ich allerdings noch: hast du auch Herzklopfen und beschleunigten Puls? Oder sind es eher die Sorgen und Gedanken um den Arbeitsalltag und die Familie, die dich wach halten? Ist es mehr das Einschlafen oder wachst du auch auf in der Nacht?"
    Alpina war in die Rolle der Heilern geschlüpft. Die Fragen trafen direkt die auftretenden Symptome, damit sie die passende Heilpflanze finden konnte.

    Als Kaeso den Mund aufmachte um ihr zu antworten erwartete Alpina bestimmt nicht die Frage, die ihr entgegenschallte. Fast ein wenig trotzig klang sie. „Hältst du mich eigentlich für einen Schwächling?“


    Die Raeterin sah dem jungen Mann direkt in die Augen. Was ging in ihm vor? Was brachte ihn zu dieser Vermutung?
    "Nein, Kaeso. Mit Sicherheit nicht! Wie kommst du darauf?" fragte sie in einer Mischung aus Unglauben und Entrüstung.
    Hatte sie ihm dieses Gefühl vermittelt? Sie bemerkte wieder, dass Kaeso voller Selbstzweifel war. Es fehlte ihm an einem gesunden Selbstbewußtsein. Und dabei bemühten sie und Runa sich nach Kräften, ihm dieses Selbstbewußtsein zu geben, indem sie ihn förderten und forderten. Was hatte sie falsch gemacht?

    Sie hatten die Stadtmauern noch nicht lang hinter sich gelassen, als Alpina bereits die erste Pflanze auf einer Wiese entdeckte. Sie marschierte querfeldein und blieb vor einem zunächst unscheinbaren Pflänzchen stehen. Die knapp bis zur Mitte ihres Unterschenkels reichende Pflanze hatte teils kleinere, teils größere markant geformte Blätter. Sie waren um die fünf bis neun Blatadern herum gefaltet. An den Außenrändern gerundet und mit kleinen Zähnchen versehen. Das Auffälligste aber waren die kleinen Tautropfen, die sich an den Zacken der Blätter und in der Mitte, des tief eingekerbten Blattes sammelten. Die Blüten waren sehr unauffällig gelbgrün und in kleinen Dolden zusammenstehend.
    "Das hier ist der Frauenmantel, Kaeso. Eine der wichtigsten Frauenheilpflanzen. Siehst du, wenn du das Blatt pflückst und umdrehst, sieht es aus wie ein Umhang. Du kennst doch diese keltischen Umhänge, Cucullatus genannt. Ein wenig wie diese."


    Sie pflückte ein Blatt ab und gab es ihm, damit er es selbst überprüfen konnte.
    "Die Germanen nennen den Frauenmantel "Friggas Blume", die Römer manchmal "Venusmantel", sonst hört man auch Mantelkraut, Neunlappkraut oder Weiberkittel."


    Alpina zeigte auf ein Blatt, an dem man die Tropfen besonders schön sehen konnte. "Weil sich in diesem hübsch gefalteten Blatt der Tau sammelt, heißt man es auch Himmelstau, Taubecher, Taufänger Taumantel, Taurose, Tauschüsselchen oder Tränenschön. Manche Menschen glauben, dass es zu Kränzen gebunden gegen Blitzschlag hilft und nennen es "Gewittergras". Sie hängen die Kränze an Fenster und Türen oder den Dachfirst. Da wo ich her komme, also in Raetia, wo die hohen Almweiden der Alpes genannten Berge sind, gibt es einen besonders aussehenden Frauenmantel, der an den Rändern weiß ist. Auf der Unterseite ist dieser silbrig schimmernd und ein wenig behaart. Die Blätter sind schmaler, eher sternförmig. Man nennt ihn "Silbermantel" und sagt ihm noch stärkere Heilkräfte nach."
    Die Kräuterfrau sah ihrem Schüler ins Gesicht. Konnte er ihren Erklärungen folgen?





    Sim-Off:

    Bildquelle: eigene Fotos

    An diesem Tag stand der Hausbesuch bei Petronia Octavena an. Alpina wollte die Gelegenheit nutzen, ihrem Schüler die Kräuter zu zeigen, die man in der Schwangerschaft häufig benötigte. Sie schloss die Taberna Medica und hängte ein Schild an die Tür, dass sie erst am Nachmittag öffnen würde. Dann drückte sie Kaeso den Korb in die Hand in dem bereits eine fertige Teemischung, ein Öl und einige Utensilien lagen, die sie womöglich für die Untersuchung und Behandlung der Schwangeren brauchen könnte. Sie versicherte sich, dass ihre kleine Sichel im Gürtel steckte und schlug die Palla über den Kopf und um die Schultern.
    "Hast du deine Tabula und den Stilus? Und deinen Stoffbeutel für die Kräuter? Prima, Kaeso, dann können wir aufbrechen!"


    Sie wanderten zunächst durch die Gassen der Stadt, um diese schließlich in Richtung der Villa Duccia zu verlassen. Dort, auf den Wiesen und in den Wäldern, würde die Lehrstunde beginnen.