Mit klopfendem Herzen öffnete Alpina die Tür zu ihrer Taberna Medica. Das Glöckchen über der Tür veranstaltete einen Tanz, doch der Mann, der hinter dem Tresen in sich zusammengesunken saß, reagierte nicht. Im Halbdunkel konnte sie kaum erkennen, dass es Leonides war. Was ihr aber auffiel waren die halbleeren Regale. Die Taberna Medica war in einem desolaten Zustand. Offenbar hatte Leonides es nicht für nötig gehalten, für Nachschub zu sorgen und sich nur unzureichend um die Herstellung der Heilmittel gekümmert. Alpina seufzte. Wie sah dann wohl der Kräutergarten aus?
Mit zügigem Schritt ging sie auf den alten Sklaven zu.
"Leonides, meine gute Seele! Ich bin es, Alpina!"
Der alte Mann erschrak. Er stemmte sich von seinem Stuhl hoch und stammelte.
"Alpina, Dominella, wie siehst du denn aus? Bei Iuppiter, was haben sie mit dir angestellt? Wo sind deine schönen langen Haare geblieben?"
Alpina lächelte und umarmte den Sklaven. "Ich freue mich, dich wiederzusehen. Und mach dir keine Sorgen, die Haare wachsen wieder. Ich musste sie schneiden, um nicht sofort als Frau erkannt zu werden. Du kannst dir sicher vorstellen, dass es für eine Frau nicht ungefährlich ist alleine zu reisen."
Leonides nickte. "Hast du erreicht, was du wolltest?"
Die Raeterin bejahte es. "Ja, Leonides, ich habe die weise Frau gefunden nach der ich gesucht habe und ich habe unendlich viel von ihr gelernt. Es hat mich und meine EInstellung zum Leben sehr verändert. Erzähl du mir, was sich hier zugetragen hat. In der Taberna Medica und in der Casa Atia."
Der alte Mann seufzte. "Ich habe ja versucht, dich so gut es möglich mal zu vertreten. Doch ich hatte oft einfach nicht die Kraft, all die Salben und Tees zu mischen. Und dann die vielen detailierten Fragen der Kunden... ganz zu schweigen von den Schwangeren. Es war furchtbar, Dominella. Lass mich nie wieder so lange allein!"
Alpina musste lächeln über das Lammentieren ihres Leonides.
"Ich verspreche dir, dass ich ab jetzt hier bleiben werde. Ganz sicher. Es wird sich ohnehin einiges verändern in diesem Haus. Aber zunächst werde ich meine Sachen ablegen und mich waschen. Ach ja, was machen die helvetischen Brüder?"
Sie versuchte die Frage so beiläufig wie möglich zu stellen, doch Leonides Blick ließ erkennen, dass er wusste, dass ihr dieses Thema besonders am Herzen lag.
Er schüttelte den Kopf.
"Nun, seit Iullus Helvetius Curio Magister Vici ist, sehe ich ihn nur noch wenig. Sogar die Abende verbringt er meist außer Haus. Und seinen Sklaven hat er immer dabei. Er war mir keine große Hilfe im Haus und im Garten."
Schon wieder dieser jammernde Unterton.
"Der Centurio wurde nach seinem Fehlverhalten wohl zum Decurio degradiert. Er ist nur selten da. Aber unlängst hat er sich einen heftigen Streit mit deiner duccischen Freundin geliefert. Ich habe nicht zugehört, aber da das Ganze im Garten stattfand, war es unüberhörbar, dass sie sich gestritten haben."
Alpina sah Leonides entsetzt an. Runa und Corvinus hatten gestritten? Worüber denn? Sie musste unbedingt bald mit Runa sprechen. Am besten gleich am kommenden Tag oder noch an diesem Abend, nach ihrem Hausbesuch bei der schwangeren Gisela? Alpina war schon wieder voll im Alltag angekommen. Sie schulterte ihre Rückentrage.
"Ich werde dann ins Haus gehen und mich frisch machen. Falls Curio äh, der Magister Vici kommen sollte, richte ihm aus, dass ich auf einem Hausbesuch bin. Wenn er das Bedürfnis verspürt mir irgendetwas mitzuteilen, muss er warten bis ich wieder da bin."
Leonides konnte hören, dass sie nicht gut auf Curio zu sprechen war.