Beiträge von Susina Alpina

    Gebannt lauschte Alpina den Ausführungen des Mannes. Das waren alles Informationen über Corvinus, die sie nicht gewusst hatte. Sie wussten so wenig voneinander...
    Er hatte es nicht leicht gehabt. Natürlich war so ein harter Knochen aus ihm geworden. Wie gerne hätte sie das alles von ihm, aus seinem Mund gehört. Aus erster Hand, das was ihn geformt und hart gemacht hatte... ob sie noch die Gelegenheit bekommen würde?
    Sie kämpfte mit sich. Einerseits wollte sie gerne mehr über Corvinus erfahren, aber Soldatengespräche und womöglich Anzüglichkeiten seitens der Kameraden von Gaius wollte sie doch lieber vermeiden. Ohnehin hatte Gaius gesagt, dass er ihn nicht so gut kennen würde, nur Gerüchte gehört habe. Also schüttelte Alpina noch einmal den Kopf.


    "Danke für das Angebot. Aber ich gehe jetzt besser. Es wird schon langsam dunkel. Nächste Woche sehe ich nach Gisela und wie schon gesagt, vielleicht ziehe ich ja irgendwann in eure Nähe. Wir werden sehen, was die Götter noch mit uns vorhaben."

    Als Alpina gehen wollte kam gerade Giselas Lebensgefährte Gaius. Er schien in Feierabendlaune zu sein. Mit seinen Kameraden trug er Amphoren ins Haus. Er dankte Alpina für ihre Hilfe und steckte ihr Geld zu. Die Einladung, die er anschließend aussprach, ließ Alpina jedoch den Kopf schütteln. Die Erwähnung der Helvetier führte zu einem Zusammenzucken.


    "Versteh bitte, wenn ich in der ersten Nacht nach meiner langen, beschwerlichen Reise ins freie Germanien in der Casa Atia bleiben möchte. Ich bin zu erschöpft zum Feiern. Ich danke dir für deine Gastfreundschaft und schließe auch nicht aus, dass es mich irgendwann in die Cabanae verschlagen wird, doch noch nicht momentan. Ich wohne kostenlos in der Casa Atia. Solange Atius Scarpus sein Haus nicht benötigt, habe ich alles was ich brauche. Und du weißt ja, dass mir der Weg in die Cabanae nie zu weit ist Ich komme jederzeit, wenn man mich ruft. Hoffentlich geht es Gisela bald besser. Ich sehe bald nach ihr."


    Sie wollte sich schon umdrehen, als sie innehielt. "Und was die helvetischen Brüder angeht, so sind wir nur gute Freunde, sehr gute Freunde.... ach, ja, Gaius. Hast du etwas von Corvinus gehört? Wie geht es ihm gesundheitlich, ich habe ihn lange nicht gesehen? Und... äh, wie kommt er damit zurecht, dass er jetzt Decuro ist?"

    Alpina klopfte an die Tür des Hauses der Lebensgefährtin des Torwächters, der sie bei ihrer Rückkehr von ihrer Reise ins freie Germanien begrüßt hatte. Das Paar hatte bereits drei Kinder und Gisela hatte zwei weitere während der Schwangerschaft verloren. Dieses würde also das vierte werden, wenn sie es austragen konnte.


    Gisela begrüßte Alpina fröhlich. Um sie herum tanzten die Kinder wie die Orgelpfeifen. Es war laut und turbulent im Haus. Zwischen dem Gekreische der Kinder erfuhr die Hebamme, dass Gisela bereits im achten Monat war. Ihrem voluminösen Bauch war es deutlich anzusehen. Die Untersuchung ergab einen bereits leicht geöffneten Muttermund. Alpina warnte die Germanin, mehr Ruhe zu geben. Was diese mit einem schallenden Lachen quittierte.
    "Klar, Alpina. Und du kümmerst dich dann um diese Bälger, die Wäsche und den Haushalt, oder?"


    Natürlich wusste Alpina, dass Giselas Leben mit den Kindern kein Zuckerschlecken war. Sie konnte sich noch gar nicht vorstellen, wie ihr Leben sich verändern würde...
    Schnell verdrängte sie den Gedanken, verordnete einen Tee und versprach, bald wiederzukommen.


    Als sie vor die Tür trat, sah sie, dass es bereits dämmerte. Sie würde ihren Besuch bei Runa wohl auf den kommenden Tag verschieben müssen.

    Mit klopfendem Herzen öffnete Alpina die Tür zu ihrer Taberna Medica. Das Glöckchen über der Tür veranstaltete einen Tanz, doch der Mann, der hinter dem Tresen in sich zusammengesunken saß, reagierte nicht. Im Halbdunkel konnte sie kaum erkennen, dass es Leonides war. Was ihr aber auffiel waren die halbleeren Regale. Die Taberna Medica war in einem desolaten Zustand. Offenbar hatte Leonides es nicht für nötig gehalten, für Nachschub zu sorgen und sich nur unzureichend um die Herstellung der Heilmittel gekümmert. Alpina seufzte. Wie sah dann wohl der Kräutergarten aus?


    Mit zügigem Schritt ging sie auf den alten Sklaven zu.


    "Leonides, meine gute Seele! Ich bin es, Alpina!"


    Der alte Mann erschrak. Er stemmte sich von seinem Stuhl hoch und stammelte.
    "Alpina, Dominella, wie siehst du denn aus? Bei Iuppiter, was haben sie mit dir angestellt? Wo sind deine schönen langen Haare geblieben?"


    Alpina lächelte und umarmte den Sklaven. "Ich freue mich, dich wiederzusehen. Und mach dir keine Sorgen, die Haare wachsen wieder. Ich musste sie schneiden, um nicht sofort als Frau erkannt zu werden. Du kannst dir sicher vorstellen, dass es für eine Frau nicht ungefährlich ist alleine zu reisen."


    Leonides nickte. "Hast du erreicht, was du wolltest?"


    Die Raeterin bejahte es. "Ja, Leonides, ich habe die weise Frau gefunden nach der ich gesucht habe und ich habe unendlich viel von ihr gelernt. Es hat mich und meine EInstellung zum Leben sehr verändert. Erzähl du mir, was sich hier zugetragen hat. In der Taberna Medica und in der Casa Atia."


    Der alte Mann seufzte. "Ich habe ja versucht, dich so gut es möglich mal zu vertreten. Doch ich hatte oft einfach nicht die Kraft, all die Salben und Tees zu mischen. Und dann die vielen detailierten Fragen der Kunden... ganz zu schweigen von den Schwangeren. Es war furchtbar, Dominella. Lass mich nie wieder so lange allein!"


    Alpina musste lächeln über das Lammentieren ihres Leonides.
    "Ich verspreche dir, dass ich ab jetzt hier bleiben werde. Ganz sicher. Es wird sich ohnehin einiges verändern in diesem Haus. Aber zunächst werde ich meine Sachen ablegen und mich waschen. Ach ja, was machen die helvetischen Brüder?"


    Sie versuchte die Frage so beiläufig wie möglich zu stellen, doch Leonides Blick ließ erkennen, dass er wusste, dass ihr dieses Thema besonders am Herzen lag.
    Er schüttelte den Kopf.
    "Nun, seit Iullus Helvetius Curio Magister Vici ist, sehe ich ihn nur noch wenig. Sogar die Abende verbringt er meist außer Haus. Und seinen Sklaven hat er immer dabei. Er war mir keine große Hilfe im Haus und im Garten."
    Schon wieder dieser jammernde Unterton.
    "Der Centurio wurde nach seinem Fehlverhalten wohl zum Decurio degradiert. Er ist nur selten da. Aber unlängst hat er sich einen heftigen Streit mit deiner duccischen Freundin geliefert. Ich habe nicht zugehört, aber da das Ganze im Garten stattfand, war es unüberhörbar, dass sie sich gestritten haben."


    Alpina sah Leonides entsetzt an. Runa und Corvinus hatten gestritten? Worüber denn? Sie musste unbedingt bald mit Runa sprechen. Am besten gleich am kommenden Tag oder noch an diesem Abend, nach ihrem Hausbesuch bei der schwangeren Gisela? Alpina war schon wieder voll im Alltag angekommen. Sie schulterte ihre Rückentrage.
    "Ich werde dann ins Haus gehen und mich frisch machen. Falls Curio äh, der Magister Vici kommen sollte, richte ihm aus, dass ich auf einem Hausbesuch bin. Wenn er das Bedürfnis verspürt mir irgendetwas mitzuteilen, muss er warten bis ich wieder da bin."


    Leonides konnte hören, dass sie nicht gut auf Curio zu sprechen war.

    Curio war ganz Magistrat. Er kümmerte sich um jeden Fragenden mit derselben Aufmerksamkeit. Als er sich Alpina zuwandte, konnte sie keine Veränderung in seinem Gesicht und seinem Verhalten feststellen. Ernüchtert von seiner Sachlichkeit, ja scheinbaren Gefühlskälte, nahm sie geistesabwesend die dargebotene Hand.


    "Salve, Magister Vici", erwiderte sie trocken. "Vielleicht kannst du mir ja bei Gelegenheit einen Termin in deinem ach so dichten Terminkalender einräumen. Oder aber mich in der Taberna Medica Alpina besuchen. Denn dorthin werde ich mich jetzt begeben. Vale bene."


    Enttäuscht und mit einem quälenden Gefühl im Bauch drehte sie auf dem Absatz um und bahnte sich ihren Weg durch die Menge. Sie legte einen Schritt zu. Nur schnell weg von hier...

    Nachdem Alpina das Stadttor passiert hatte, machte sie sich auf den Weg durch die Straßen in Richtung auf den Vicus Apollinensis. Verwirrt von dem Reitertrupp unter einem Anführer, der Corvinus so ähnlich gesehen hatte, ging sie gedankenverloren auf eine Kreuzung zu, an der sich eine Menschenmenge versammelt hatte.
    Beim Näherkommen sah sie, dass einer der Schreine der Lares Compitales renoviert und wieder eingeweiht worden war. Die Malerein erglänzten in neuen Farben. Sehr schön! Mit einem Grinsen stellte sie fest, dass der kleine Widder einen Hinweis auf den Auftraggeber gab. Curio hatte es also geschafft, er war wohl Magister Vici geworden.


    Als sie sich durch die Menge zwängen wollte, um ihren Weg fortzusetzten, stieß sie beinahe mit einem Mann zusammen, der neben einem mit Toga bekleideten Mann stand, der sich angeregt unterhielt. Sie erkannte Acanthos. Erstaunt und ein wenig verlegen sah sie den Sklaven Curios an.


    "Salve, Acanthos. Ich bin es, Alpina. Erkennst du mich überhaupt?"


    Noch mehr aber war sie gespannt, ob Curio sie erkennen würde.

    Alpina lächelte den Soldaten an. Ja, sie kannte seine Frau und freute sich zu hören, dass sie wieder ein Kind erwartete. Die Übelkeit war eine lästige Begleiterscheinung.


    "Ja, ich war lange weg. Aber nun bin ich wieder hier und ich werde gleich heute nach Giesela sehen. Wenn ich zunächst meine Sachen abgeliefert und mich ordentlich gereinigt habe. Es war eine lange und beschwerliche Reise. VIelen Dank, dass ihr mir die Treue haltet. Ich bin ab heute wieder für alle da."


    Er ließ sie passieren und sie schritt durch das Stadttor. Viel Zeit zur Eingewöhnung würde sie wohl nicht bekommen.

    Tatsächlich erkannte Alpina Corvinus erst als er bereits an ihr vorbeigeritten war. Sie erwartete ihn ja nicht an der Spitze einer Truma und nicht hoch zu Ross. Als sie die Statur des Reiters richtig interpretierte, riss es sie förmlich. Er als Reiter? Und wohin war er unterwegs, mit einer ganzen Reitereinheit?


    EInerseits schrie ihr Herz in diesem Moment, er solle sie nicht verlassen andererseits würde ihr seine Abwesenheit die Gelegenheit geben zunächst mit Curio darüber zu sprechen, wann und wie sie ihm sagen sollte, dass sie schwanger war. Dann war sie besser vorbereitet, wenn er zurückkam... wenn er zurückkam. Hoffentlich ritt er nicht gerade Norwiga und ihren fiesen Schergen in die Quere!

    Es ist schon bezeichnend, wenn man "eine Diskussion anregen" will über ein in meinen Augen wirklich ernstes Thema und in 24 nur eine Antwort bekommt. Vielen Dank dafür.


    Bis gestern kurz vor Mitternacht hat es ein einziges Posting in Rom gegeben. Keines im Senat, keines vor der Curia, die offen steht, damit das Volk vor den Toren der Curia die Proklamation des neuen Kaisers durch den Consul hören konnte, keine auf dem Forum... nichts... inzwischen hat das Imperium seit 3 Tagen einen neuen Kaiser. Keine öffentliche Proklamation, kein Bote, der die Nachricht in die Provinzen bringt, keine diskutierenden Bürger vor der Curia...
    Das hier ist nicht nur ein Problem der "hohen Tiere", die sich vor der Wahl sehr ausgiebig Sim-Off mit Dreck beworfen haben, sondern ein allgemeines Problem.


    Ihr hättet Marcus Vinicius Hungaricus zum Kaiser wählen sollen. Der residiert zur Zeit wenigstens in einer lebendigen Stadt des Imperiums, auch wenn er dort nur selten als lebendig wahrgenommen wird. Von den 13 Postings in den vergangenen 24 Stunden waren zumindestens 9 in Germania Superior, 1 in Ägypten und ebenfalls 1 in Rom.


    Ich werde mir das Ganze hier noch eine Weile ansehen, weil ich hoffe, dass es noch ein paar anderen so geht, dass sie es schade fänden, wenn das IR nach langem Siechtum einen qualvollen Tod stirbt, aber auch ich habe keine Lust, ein totes Pferd zu reiten...


    Sim-Off:

    35 IDs waren in den vergangenen 24 aktiv laut Mitgliederliste. Jede von ihnen hätte die Möglichkeit gehabt sich an der Diskussion zu beteiligen oder, da die Mehrzahl Bewohner Roms sind, auch etwas zu posten.

    Salvete an alle, die noch ab und an im Imperium Romanum vorbeischauen,


    ich bin sicherlich nicht diejenige, die prädestiniert ist hier eine DIskussion über das Leben in der Hauptstadt des IR anzuregen, da sich meine ID in Mogontiacum oder anderswo tummelt. Dennoch möchte ich nach reiflicher Überlegung eine Diskussion anstoßen. Seit Wochen beobachte ich die Aktivitäten im IR und dabei vor allem in Rom mit Besorgnis. Zunächst schob ich es auf die Feiertage, Osterferien oder andere erklärbare Gründe, warum es so still in Roma ist, aber nach Wochen der Stille, in denen kaum irgendwelche nennenswerten Threads in der Hauptstadt laufen, wollte ich schon einmal nachfragen, woran das liegt?


    Schon im Vorfeld der Kaiserwahl war das Interesse mehr als lau, aber inzwischen ist es völlig zum Erliegen gekommen!
    Leute, hier ist gerade ein neuer Kaiser gewählt worden. Vor 2 Tagen!!! Und keine Sau (sorry!) interessiert es! Hallo!! Aufwachen! Der wichtigste Mann im Imperium wurde ausgerufen und niemand schreibt etwas dazu. Keiner gratuliert oder schimpft. Keiner fühlt sich bemüßigt, das irgendwie zu kommentieren oder eine Handlung darum zu bauen.
    Ich bin entsetzt! Wollt ihr wirklich, dass Rom und das Imperium Romanum im Dornröschenschlaf versinken??? Ist das euer Ernst???

    Alpina näherte sich dem Stadtor. Ihren Dolch hatte sie in ihrer Rückentrage verstaut, um unangenehme Nachfragen der Wachmänner zu vermeiden. Mutig und mit festem Blick ging sie auf die Männer zu.


    "Salvete. Mein Name ist Susina Alpina. Ich bin Hebamme. Außerdem gehört mir die Taberna Medica Alpina im Vicus Apollinensis. Ich komme von einer weiten und langen Reise zurück. Darf ich passieren?"

    Wieder betrat Alpina die Brücke über den Rhenus mit einem mulmigen Gefühl. Dieses Mal von der anderen Seite und unter anderen Voraussetzungen. War sie auf dem Hinweg unsicher gewesen, ob sie das Abenteuer in Germania überleben würde und ob sie überhaupt nach Mogontiacum zurückkehren würde, war nun alles anders. Sie hatte die Reise überlebt und der Aufenthalt bei Osrun hatte ihr klar gemacht, dass sie eine Aufgabe hatte, die es erforderte nach Mogontiacum zurückzukehren. Jetzt war ihr mulmig, weil sie Angst vor der Zukunft hatte.


    Sie lief neben vielen anderen Menschen, Händlern und Reisenden her, deren Schritte vom Holz der Brückenbohlen widerhallten. Das donnernde Geräusch rollender Wagenräder vermischte sich mit den Stimmen der Menschen, die in die Stadt wollten oder aus ihr kamen.
    In der Mitte der Brücke blieb Alpina erneut stehen. Wie schon auf dem Hinweg lag Mogontiacum in der Sonne. Der Frühling hatte Büsche und Bäume am Ufer des Flusses mit einem zartgrünen Kleid überzogen, die Menschen ließen die Fellumhänge zuhause. Ihr Blick ging zurück auf die Strecke, die sie hinter sich hatte. Sie stand an der selben Stelle wie vor vielen Wochen, wieder zwischen zwei Welten. Auf der einen Seite ihre Abenteuerreise, die ihr wichtige Erkenntnisse gebracht und sie verwandelt hatte. Sie war eine andere Frau geworden als diejenige, die sich auf den Weg ins freie Germanien gemacht hatte. Auf der anderen Seite der Brücke ihr altes und doch neues Leben. In einem halben Jahr würde sie Mutter sein. Ihr Körper zeigte inzwischen sehr deutlich, dass sie dieses Kind behalten würde. Ihre Brüste stellten sich auf das Stillen ein und über den durch die an Größe zunehmende Gebärmutter sanft anschwellenden Leib zog sich eine dunkle Linie, die Alpina schon als Hebamme bei den schwangeren Frauen gesehen hatte. Sie zeigte an, dass die kritische Zeit vorüber war, in der man nicht sicher sein konnte, ob man das Kind nicht doch noch verlor.
    Alpina trug wieder eine Frauentunika. In dieser würden keinem Außenstehenden die Veränderungen auffallen, doch sie selbst wusste, dass sie sich unwiderruflich ihrer neuen Aufgabe würde stellen müssen.
    Mit einem Seufzen setzte sie sich wieder in Bewegung. Diese Nacht würde sie wieder in der Casa Atia verbringen.

    Die vergangene Woche war sehr angenehm gleichförmig verlaufen. Nach den Aufregungen im freien Germanien genossen die Händler und die beiden Frauen, die sie begleiteten, die Sicherheit und Bequemlichkeit des Reisens auf der römischen Seite des Limes. Gut ausgebaute Straßen, Mansiones zum Übernachten und vor allem die Gewissheit nicht von chattischen Horden bedrängt zu werden, halfen ihnen, ihrem Ziel, Mogontiacum, von Tag zu Tag ein Stück näher zu kommen. Anfangs hatte Hildrun noch Schwierigkeiten, sich dem Gehtempo der Händler anzupassen und litt unter denselben Beschwerden wie Alpina am Anfang ihrer Reise, doch mit der Zeit adaptierte sie.


    Als sie die Veteranensiedlung der Castra von Aquae Mattiacorum erreichten, wollten die Händler den Markttag nutzen, um einen Teil ihrer Ware zu verkaufen. Alpina jedoch war unruhig. Ihr Ziel so nah vor Augen wollte sie das letzte Stück des Wegs auch noch hinter sich bringen. Sie begann also, sich von ihren Begleitern zu verabschieden. Wie schon in Novaesium reichte sie jedem die Hand und bedankte sich persönlich. Sogar Hrothgar reichte ihr seine wieder genesene Rechte. Hildrun und Alpina umarmten sich herzlich.
    "Solltet ihr vorübergehend eine Bleibe brauchen, kommt zu mir in die Casa Atia im Vicus Apollinensis. Es ist kein großes aber ein gastfreundliches Haus. Ich kann euch sicher für einige Tage adäquat unterbringen. Falls ihr das Angebot nicht annehmen wollt, möchte ich aber dennoch darum bitten, dass ihr einmal in der Taberna Medica Alpina vorbeischaut, wenn ihr in der Stadt seid. Es würde mich freuen, wenn wir uns heute nicht das letzte Mal begegnet sind. Herzlichen Dank für alles. Es gibt kein Wort, das meine Dankbarkeit richtig ausdrücken könnte. Ich stehe tief in eurer Schuld."


    Mit einem dankbaren Lächeln und einem freundlichen Winken löste sich Alpina von der Gruppe und betrat die Straße, die zur Brücke über den Rhenus führte.

    Erleichtert sah Alpina das Tor im Schutzwall, das das "freie Germanien" vom Imperium Romanum trennte. Nur noch wenige Schritte, dann wären sie in Sicherheit.
    Überrascht sah Alpina, wie Hildrun Othmars Hand nahm. Sie hatte bereits festgestellt, dass die beiden eine gewisse Vertrautheit zeigten. Das Händchenhalten offenbarte jedoch, dass sie wohl mehr als Freundschaft verband. Um so verständlicher, dass Hildrun nicht in dem von den Chatten kontrollierten Dorf bleiben wollte. Sie wäre wohl über kurz oder lang das Opfer gewalttätiger Übergriffe der Besatzer geworden. Alpina lächelte still. Sie freute sich für den oft etwas mürrischen Othmar, dass er eine passende Partnerin gefunden hatte. Hildruns Anwesenheit würde ihm sicher guttun.


    Zum Glück nahmen die Wachen die Kontrollen nicht allzu gründlich vor und ließen die Händler passieren. Alpina konnte ein allgemeines Aufatmen der Gefährten wahrnehmen. Nun war es nicht mehr weit bis zu ihrer ersten Station dem Grenzkastell und auch eine adäquate Unterkunft war ihnen sicher.
    Der einzige Wehmutstropfen, den Alpina verspürte, war die Gewissheit, dass bald für sie der Tag der Wahrheit kommen würde. Nach Mogontiacum war es nun nicht mehr weit. Dort würde sie sich den bohrenden Fragen der helvetischen Brüder stellen müssen. Und sie würde diesmal nicht einfach fliehen können. Sie musste sich offenbaren.

    Die Gefährten übernachteten bei Hildrun im Haus. Am kommenden Morgen half Alpina der Kräuterfrau die notwendigsten Sachen für ihre gemeinsame Flucht zusammenzusuchen und einzupacken. Die angespannte Situation schlug sich auf die Stimmung der Händler. Sie wussten nicht, ob sie sich und ihre Ware in die nahegelegene römische Provinz retten konnten. Wenn sie aufgegriffen wurden, würden sie ihre Ware abgeben und damit herbe Verluste hinnehmen müssen.


    Dass die Entscheidung ihre Heimat zu verlassen gerade Hildrun sehr schwer fiel, war Alpina bewusst. Lange sprach sie mit ihr über ihren Neuanfang in Mogontiacum, über Heimweh nach Mutter und Schwester und über geplatzte Träume. Sie bestärkte sie aber dennoch in ihrem Entschluss, und die Schilderung ihrer Erlebnisse in Novaesium, zumindestens soweit sich Alpina daran erinnerte, ließen keine wirkliche Alternative zu.


    Sie brachen früh auf. Ohne größere Diskussionen händigten die Wächter ihnen die Dolche aus. Um ihre Aussage vom Vortag nicht als Lüge zu offenbaren, schlugen sie zunächst den Weg nach Norden ein. Doch sobald sie außer Sichtweite der chattischen Wächter waren, bog Othmar auf einen schmalen Pfad ein, der die Siedlung umging und sie nach Süden auf die Befestigungsanlagen des Limes zuführte. Schweigend und zügig marschierten sie voran. Sie wollten so schnell wie möglich hinter den schützenden Limes gelangen.

    Endlich erreichten sie Mattiacum. Doch etwas war anders. VIer Wächter standen am Eingang zu der Siedlung. Einer von ihnen beeilte sich, ihnen entgegen zu kommen. Er überprüfte den Wagen und die Händler, natürlich auch Alpina. Sie spürte, wie ihr Herz zu rasen anfing. Die Erinnerungen an die Grausamkeiten der Chatten in Novaesium kamen wieder hoch. Der Wächter flüsterte mit Othmar, doch Alpina konnte nicht verstehen, was sie sprachen. Ihr Unbehagen wuchs, vor allem als sie ihre Dolche abgeben mussten. Doch wenigstens war sie diesmal in Begleitung der wehrhaften Pelzhändler.


    Sie steuerten zunächst das Haus der Heilerin Hildrun an. Nachdem man sich herzlich gegrüßt hatte, erzählte Hildrun vom Überfall der Chatten und den Repressalien, denen die Dorfbevölkerung nun ausgesetzt war. Alpina wurde mulmig. Es klang fast genuso wie es in Novaesium gewesen war. Alpina konnte die Angst nur mühsam unterdrücken. Um sich abzulenken erklärte sie der germanischen Heilerin von Hrothgars Verletzung und ihren Maßnahmen. Hildrun nickte. Dann brachte Alpina die Beinwellwurzeln ins Haus und schlug vor, dass sie gemeinsam einen Brei daraus herstellen könnten. Hildrun war begeistert. Sie selbst kannte und nutzte die Beinwellwurzel auch häufig. Und so waren beide Frauen in Kürze damit beschäftigt, die Wurzeln zu zerkleinern und einen sämigen Brei daraus herzustellen. Dick auf den geschwollenen Arm aufgetragen und mit Binden fixiert, sollte er die Schwellung und den Entzündungszustand lindern. Othmar war inzwischen zu Ranulf gegangen. DIe Gefährten warteten auf seine Rückkehr.

    Alpina nickte Hrothgar aufmunternd zu und begann Othmar einzuweisen. Sie positionierte ihn direkt vor Hrothgar und zeigte ihm, wie er seine Rechte von der Daumenseite her um den Unterarm des stummen Mannes legen sollte. Sie selbst stellte sich neben Hrothgar und legte ihren Daumen von außen an die Stelle des Unterarms die geschwollen und schmerzhaft war.
    "Wenn ich das Kommando gebe, ziehst du mit Kraft an Hrothgars Unterarm und drehst ihn gleichzeitig nach außen. Ich schiebe hier von der Seite das Speichenköpfchen wieder in seine Postion. Es wird weh tun und Hrothgar wird schreien. Lass dich davon nicht irritieren. Kurz darauf wird der Schmerz vorbei sein."


    Sie lächelte Hrothgar zuversichtlich an und zählte bis drei. Dann rief sie. "Jetzt!"
    Othmar zog und drehte dann mit wohldosierter Kraft Hrothgars Unterarm nach außen. Der stumme Mann brüllte los:
    "AHHHHHH!!!" kam ein kehliger Laut aus seinem Rachen.
    Im selben Moment schob Alpina mit ihrem rechten Daumen das knöcherne Ende der Speiche wieder in seine ursprüngliche Position.


    Mit einem erleichterten Seufzen atmeten alle drei aus. Alpina und Othmar weil die Anspannung vorüber war, Hrothgar weil der Schmerz nachließ. Um zu überprüfen, ob sie erfolgreich waren, tastete Alpina den Unterarm ab und drehte ihn zeitgleich nach außen. Diesmal kam kein Schmerzenslaut aus Hrothgars Kehle. Ganz im Gegenteil - er grinste und nickte Alpina zu. Sie lächelte zufrieden.
    "Siehst du! Es hat funktioniert. Wir sollten trotzdem heute noch Umschläge gegen die Schwellung machen. Ich habe im Wald schon einige Vorkommen von Beinwell gesehen. Auf dem Weg nach Mattiacum grabe ich ein paar der Wurzeln aus. Zerkleinert ergeben sie einen Brei der wundheilend und abschwellend wirkt."


    Dann übernahm Alpina Hrothgars Funktion und führte die Esel, die sie zuvor noch mit ihrem letzten Stückchen Brot bestach. Es war notwendig, dass sie vorwärts kamen, wenn sie nicht in die Dunkelheit geraten wollten. Wo auch immer Alpina Beinwellpflanzen sah, entnahm sie dem Boden eine der Wurzeln. Bald hatte sie genug beisammen, dass es für einen Umschlag reichen würde.

    Entsetzt lauschte Alpina Othmars Ausführungen. Sie waren also in einen Hinterhalt geraten und hatten sich offenbar tapfer gewehrt. Die Blessuren, die sie davongetragen hatten, behinderten die Händler nun. Deshalb kamen sie nur langsam voran. Othmars Ankündigung, dass er statt des Geldes lieber ihre Mithilfe haben wollte, freute Alpina und sich machte sich auch sofort daran, ihren Beitrag zu leisten. Sie trat an Hrothgar heran und bat ihn, ihr seinen Arm zu zeigen.


    Der rechte Unterarm des stummen Mannes war in der Nähe des Ellbogens dick angeschwollen. Alpina versuchte zu tasten, ob der Arm gebrochen war. Obwohl die Tastuntersuchung offensichtlich sehr schmerzhaft war, konnte Alpina keine Bruchstelle tasten. Als sie aber versuchte, den nach innen gedreht gehaltenen Arm zu drehen, ließ Hrothgar einen unterdrückten Schrei hören. Nun hatte Alpina einen Verdacht. Sie hatte einmal erlebt, wie ihre Mutter eine solche Verletzung bei einem etwa dreijährigen Kind behandelt hatte. Die Mutter hatte erklärt, dass es sich um eine Form von Ausrenken des Köpfchens des Speichenknochens handelte, die durch einen unvorbereiteten Zug am Unterarm hervorgerufen worden war. Man konnte diese Fehlstellung reponieren. Bei einem Kleinkind kein Problem, aber Hrothgar war groß und kräftig. Alpina würde die Hilfe eines der Männer brauchen.


    "Ich denke, ich kann Hrothgar helfen. Einer der Kerle, der euch angegriffen hat, hat Hrothgar den Speichenknochen am Ellbogen ausgerenkt. Ich kann ihn zurückschieben, wenn einer von euch mir hilft und den Arm unter Zug nimmt. Es wird kurz sehr weh tun, danach aber lässt der Schmerz schnell nach und er kann den Arm bald wieder gut bewegen und belasten. Mit ein paar Beinwellumschlägen heute Abend in Mattiacum wird er schnell wieder fit sein. Wer von euch möchte mir helfen?"


    Sie sah erwartungsvoll von Othmar zu Wolfhart.

    Am liebsten wäre Alpina den drei Männern um den Hals gefallen, so erleichtert war sie, sie wiedergefunden zu haben. Doch sie hielt sich zurück, blieb kurz vor Othmar stehen und sah den Pelzhändler lange an. Was und wieviel sollte er wissen, von dem was ihr widerfahren war?


    "Wie ich sehe, seid ihr auch nicht unverletzt? Seid ihr auch Opfer der wilden Horden dieser chattischen Norwiga geworden? Ich wurde in Novaesium von ihren Schergen aufgegriffen. Frag mich bitte nicht, welche Gräueltaten diese Tiere verübt haben. Wichtig ist eigentlich nur, dass ich es überlebt habe. Und, dass ich euch gefunden habe! Ich bin so froh! Erzähl du doch, was euch passiert ist!"


    Sie kramte in ihrer Rückentrage und zog die letzten Münzen hervor, die sie noch hatte.
    "Würdest du mich noch einmal ein Stück bis in die Provinz Germania Superior mitnehmen? Ab da schaffe ich es alleine, denke ich."
    Mit dieser Frage hielt sie dem Pelzhändler die Münzen hin.