Beiträge von Susina Alpina

    Alpina begab sich an diesem Morgen sehr früh zum Lupanar am Stadtrand. Sie hoffte, dass sich der Publikumsverkehr zu so früher Stunde in Grenzen hielt und sie ein geringeres Risiko einging, entdeckt zu werden. Und tatsächlich war es sehr ruhig in dem Gebäude. Einige der Mädchen schliefen wohl noch oder waren mit der Morgentoilette beschäftigt. Julia aber kam Alpina gleich im Vestibulum entgegen.
    "Gut, dass du kommst, Alpina", sagte sie. "Es geht Agnodice schon besser, aber sie gefällt mir ganz und gar nicht. Sie spricht kaum und wenn, dann klingt es wirr und unzusammenhängend."


    Alpina ließ sich in die Kammer der blonden Lupa führen. Agnodice lag auf ihrem Bett und starrte die Decke an. Sie reagierte nicht, als die beiden Frauen eintraten. Alpina näherte sich vorsichtig und sprach sie mehrfach mit ihrem Namen an. "Agnodice?"
    Endlich drehe sie ihr den Kopf zu. Ein Blick in die Augen der Blondine verriet, dass die Pupillen unnatürlich geweitet waren. Vermutlich hatte sie zu dem mit Raute versetzten Wein auch noch andere, berauschende Substanzen zu sich genommen. Alpina tippte auf die Alraune. Sie galt als aphrodisisch und es gab genügend Rezepte, die einen höheren Lustgewinn versprachen. Doch die Nebenwirkungen waren nicht zu unterschätzen. Überdosiert konnte die Pflanze nicht nur hypnotische Zustände, Raserei oder Irrsinn auslösen, sondern sogar zum Tod führen.
    "Hat sie sich entleert gestern?", fragte Alpina die ältere Lupa.
    Julia nickte.


    Die Behandlung versprach schwierig zu werden. Artemisia, die Alpina gerne als Gegengift und Ausscheidungsmittel verwendete, fiel aus, da sie Gebärmutterblutungen förderte. Und die waren ja auch noch nicht ausgestanden. Also entschied sie sich zu einer Kombitherapie: äußerlich und innerlich.
    "Ich möchte, dass sie einen Kräutertrank zu sich nimmt, der entgiftend wirkt. Ich mische ihn dir in meiner Taberna Medica. Lass ihn bitte später abholen. Sie soll eine ganze Kanne voll davon über den Tag verteilt trinken, dazu viel Wasser. Dazu lassen wir sie ein Sitzbad machen. Wenn du mir eine Kochgelegenheit zeigst, stelle ich den Sud dazu her. Du kannst dich ja inzwischen um einen Bottich für das Sitzbad und um warmes Wasser kümmern."
    Alpina ignorierte den indignierten Blick der Lupa, die es offensichtlich unter ihrer Würde fand, sich um eine ihrer Mitschwestern zu kümmern. Sie kramte die passenden Kräuter aus ihrem Korb und begab sich unter Führung Julias in die Culina des Gebäudes.


    Dort saßen zwei weitere, noch sichtbar müde Lupae beim Frühstück. Alpina kochte auf der Feuerstelle Wasser in einem Topf auf und gab je eine Handvoll Eichen- und Ulmenrinde hinein. Das Wasser färbte sich schnell dunkel. Misstrauisch beäugten die Lupae Alpinas Tun. Das Sitzbad sollte die Blutung stoppen. Alpina ließ die Mischung einige Zeit köcheln. Währenddessen nutzte sie die Gelegenheit, die Lupae auszuhorchen.
    "Sagt mal, verwendet ihr manchmal Liebestränke? Mit Alraune?"
    Die Blicke der angesprochenen jungen Mädchen huschten zur Ältesten. Die setzte eine warnende Miene auf. Folglich schüttelten beide schnell die Köpfe. Alpina war klar, dass sie in Anwesenheit Julias keine ehrliche Antwort der Lupae erwarten konnte. Sie goss den Sud durch ein Sieb in eine Karaffe und trug das heiße Gemisch ins Zimmer Agnodices.


    In der Kammer der blonden Lupa goss sie den Inhalt der Karaffe in die bereitstehende kleine Wanne. Sie näherte sich der verständnislos dreinblickenden Agnodice.
    "Komm, Agnodice. Du darfst jetzt baden. Dieses Sitzbad wird die Blutung hoffentlich beenden."
    Nachdem die Blondine keine Anstalten machte, selbst aufzustehen und sich zu entkleiden, zog Alpina sie hoch und raffte auch ihre Tunika so hoch, damit Agnodice in der Wanne Platz nehmen konnte. Agnodice ließ willenlos alles mit sich machen. Als sie sich gesetzt hatte, erkannte Alpina großflächige Hämatome an den Innenseiten ihrer Oberschenkel. Sie war eindeutig vergewaltigt worden. Ob in jener bewußten Nacht oder schon zuvor, war schwer zu sagen. Aber dass dieses Mädchen das Opfer einer Gewalttat war, konnte man erkennen. Das erklärte auch, warum ihr Geisteszustand so arg mitgenommen war. Die Überdosis an Rauschmitteln und ein sexueller Gewaltexzess... eine ungute Kombination.

    Auch wenn ihr die Agonie der blonden Lupa ebensowenig gefiel wie die Raserei zuvor konnte Alpina nicht ewig bleiben. Der Betrieb des Lupanars lief weiter. Sie konnte die Stimmen der Freier im Hintergrund hören und hatte keine Lust mit einem von ihnen zusammenzutreffen. Also überließ sie Julia eine gewisse Menge an Kräutern für zwei weitere Kannen Tee, die entgiftend und reinigend wirkten.


    "Ich komme morgen wieder. Dann sehen wir, wie es ihr geht. Lasst sie nicht alleine."


    Missbilligend schnaubte die ältere Lupa. "Wie stellst du dir das vor? Wir können doch nicht die ganze Zeit ein Mädchen bei ihr lassen, es ist schon schlimm genug, dass Agnodice ausfällt. Auf eine weitere Lupa können wir nicht auch noch verzichten..."


    Alpina seufzte. "Nun, es ist eure Sache. Wenn ihr sie nicht beobachtet, kann es sein, dass sie erneut in Raserei verfällt und sich womöglich selbst verletzt. Das hilft euch doch auch nicht, oder? Wie auch immer... Bringt ihr einen Nachttopf. Sie wird bald Durchfall bekommen. Und lasst sie viel trinken. Bis morgen."


    Als sich Alpina der Tür näherte, wurde ihr bewußt, dass sie auf keinen Fall in diesem Etablissment gesehen werden wollte. Das Schlimmste was ihr passieren konnte war, dass jemand, der sie kannte, Alpina hier über den Weg lief oder sie beim Verlassen des Lupanar beobachtete. Das würde die Gerrüchteküche erneut befeuern. Davon hatte sie in der letzten Zeit mehr als genug gehabt. Sie drehte sich also noch einmal Julia zu.
    "GIbt es hier einen Hinterausgang?", fragte sie.


    Die Ältere nickte und führte sie hinaus.

    Die Frau, die kurz darauf in der kleinen Kammer erschien war Alpina durchaus bekannt. Sie hatte schon des öfteren in der Taberna Medica eingekauft.



    Alpina dachte angestrengt nach, was sie eingekauft hatte. Doch es wollte ihr nicht einfallen. Die ältere Lupa grüßte kurz angebunden und stellte sich mit verschränkten Armen auf.


    "Salve, Julia", machte Alpina den Anfang. "Soviel ich verstanden habe, gibst du den Mädchen hier einen speziellen Wein zu trinken, in den du etwas mischst, das die Empfängnis verhüten soll. Was ist das für eine Arznei?"


    Die Angesprochene nickte. "Es ist Weinraute. Nichts besonderes. Das mache ich schon seit Jahren. Mit gutem Erfolg. Bislang haben es alle gut vertragen..."


    Alpina runzelte die Stirn. Tatsächlich war die Raute eine beliebte Heil- und Gewürzpflanze, die gerne dem Wein zugesetzt wurde. Sie hatte eine leichte Bitternote, war verdauungsfördernd und galt sogar als gutes Gegengift gegen Aconitum und andere Gifte. Die leicht abortive Wirkung wurde von den Lupae genutzt, um Blutungen auszulösen. Alpina wußte aber auch, dass Raute in hohen Dosierungen Vergiftungserscheinungen auslösen konnte und bei Personen, die empfindlich waren, als Nervengift zu Erregungszuständen oder umgekehrt zur Lethargie führen konnte.
    "Hat Agnodice sonst noch etwas zu sich genommen, was ihre Erregtheit auslösen könnte?"
    Sie dachte an beliebte Aphrodisiaca wie Lotus, Efeu oder Mandragora.


    Julia schüttelte den Kopf. "Man muss aber sagen, dass sie dem Saft des Dionysos recht häufig und sehr großzügig zugesprochen hat, wenn du weißt was ich meine..."


    Natürlich wußte Alpina, was sie meinte. Die gute Agnodice hatte einen außerordenlichen Weindurst. Das konnte der Grund für die verstärkte und verlängerte Blutung, aber auch für den Wahnzustand sein. Gerade eine länger anhaltende Überdosierung konnte das Nervensystem stark beanspruchen. Womöglich hatte sie einfach über zu lange Zeit zuviel der gefährlichen Mischung konsumiert.
    "Nun, dann scheint das der Grund für ihren Wahnsinn zu sein. Wir wollen versuchen, dieses Nervengift so schnell wie möglich aus ihrem Körper zu eliminieren. Zudem müssen wir aufpassen, dass sie nicht sich oder andere in ihrem Wahn verletzt."


    Die Ältere nickte. "Brauchst du unsere Hilfe?"


    Alpina begann in ihrem Korb zu suchen. "Ich denke schon. Zunächst brauche ich einen Becher mit Essigwasser, dann bereite mir bitte einen Trank aus diesen Kräutern."
    Sie überreichte der älteren Lupa zwei Dosen mit Eisenkraut und Brennnessel. "Jeweils eine halbe Hand in kochendes Wasser. Und bring mir einen Löffel."
    In der Zwischenzeit bereitete Alpina aus Koriandersamen und Rizinusöl in einer Reibschüssel eine Paste.


    Agnodice strampelte unruhig mit den Füßen. Es schien als trete sie nach unsichtbaren Käfern. Sorgenvoll musterte die Kräuterfrau die Blondine. Sie hoffte, dass das Nervengift keinen bleibenden Schaden angerichtet hatte. Wer wußte schon, warum sie so ausgerastet war. Womöglich spielte doch Gewalt oder Psychoterror eine Rolle und hatte diesen Zustand erst ausgelöst.
    Als Julia mit den gewünschten Dingen zurückgekehrt war, wollte Alpina zur Tat schreiten. Vorsichtig näherte sie sich der jungen Lupa.
    "Agnodice, ich tu dir nichts! Mein Name ist Alpina, ich bin Kräuterfrau. Ich kenne mich gut mit Heilmitteln aus. Ich werde dir helfen, wenn du mich läßt."
    Sie wartete ab, ob ihre Worte ein Ziel fanden. Agnodice musterte sie mit weit aufgerissenen Augen. Ihre Unruhe verstärkte sich als Alpina sich während die Raeterin sich vorsichtig vorschob. Als sie die Blondine beruhigend streicheln wollte, begann diese wieder exaltiert zu schreien und um sich zu schlagen. "Nein, nein, nein, nein, nein..."
    Alpina machte einen Rückzieher. Doch sie wusste, dass sie schnell handeln musste. Wenn Agnodice nicht bald das Gift ausschied, würde es womöglich noch mehr Schaden anrichten. Also bat sie Julia und die zweite Lupa, ihr zu helfen.
    "Bitte helft mir. Haltet sie fest. Ich muss ihr diese Paste einflößen. Das ist wichtig, damit sie das Gift schnell ausscheidet."


    Nur mit vereinten Kräften gelang es, die sich wie eine Furie gebärdende Lupa zu bändigen. Die "Schwestern" hielten sie fest, Alpina hielt ihre Nase zu. Als Agnodice den Mund öffnete, um einzuatmen, steckte Alpina den Löffel mit der Öl-Samen-Paste hinein. Die Blondine verzog das Gesicht aber sie schluckte. Alpina gab ihr Essigwasser zum Nachtrinken ein.
    "Gut", atmete sie erleichtert durch. "Das Rizinusöl wird bald Durchfall auslösen. Der Koriander soll beruhigen und den Irrsinn beenden. Außerdem werde ich ihr aus dem Kräutersud und ein wenig Lattichsaft ein entgiftendens und blutreinigendes Getränk mischen, das außerdem noch beruhigt. Wenn sie es nicht freiwillig trinkt, müssen wir es wieder auf diese Weise versuchen."
    Alpina widerstrebte der Einsatz von Gewalt vor allem in so einem Zustand sehr, doch wichtiger war jetzt, die Arme von dem Nervengift zu befreien, das ihren Geist so verwirrte.


    Den ersten Becher mussten sie Agnodice noch mit Gewalt einflößten, dann aber änderte sich der Zustand der blonden Lupa. Sie schrie nicht mehr und wehrte sich auch nicht mehr. Stattdessen saß sie apathisch auf dem Bett und starrte die Wand an. Nun konnten die beiden Lupae sie loslassen. Alpina reduzierte den Lattichsaft und flößte der Blonden den Kräutersud schließlich pur ein.

    Ein wenig hilflos betrachtete Alpina die Situation. In Hinblick auf die sich vehement wehrende Blondine versuchte sie Ruhe auszustrahlen. Sie besah sich den Zustands des Zimmers genau. Es sah aus, als habe ein Kampf stattgefunden. War die Lupa womöglich Opfer eines gewalttägigen Freiers geworden?


    "Bitte lass sie erst einmal in Ruhe und erkläre mir, was hier vorgefallen ist. Warum sieht es hier so aus und wie erklärst du dir den Zustand deiner "Schwester"?"



    Die junge Lupa, die Alpina aus der Taberna Medica geholt hatte, seufzte.
    "Ich weiß es auch nicht, wieso sie so irre ist. Sie hatte lange Zeit einen Kunden und es muss recht feucht-fröhlich zugegangen sein, denn sie hat mehrmals Wein nachgeholt. Aber irgendwann ist sie förmlich ausgetickt. Sie hat geschrien und um sich geschlagen. Der Kunde ist geflüchtet und Agnodice hat die Becher, den Kurg und die Waschschüssel zerschlagen. Naja, die Kleider hat sie auch durch die Gegend geschmissen. Sie war durch nichts zu beruhigen und hat sich wie eine Wahnsinnige gebärdet. Dabei hat sie keinen sinnvollen Satz herausgebracht."


    Alpina sah die Frau an, die Agnodice genannt wurde. Sie schien immernoch nicht wahrzunehmen, wo sie war und dass man ihr helfen wollte! Fahrig fuchtelte sie herum, als wenn sie Dämonen verscheuchen müsse.
    "Du sagtest etwas über ihre Monatsblutung. Was genau ist da los?"


    Die junge Lupa zuckte die Achseln. "Genau weiß ich es auch nicht, aber in den vergangenen Tagen hat sie sich darüber beklagt, dass ihre Blutung nicht aufhört..."


    Alpina erinnerte sich nur zu gut an die Abtreibung, die sie vorgenommen hatte. Ihr kam ein Verdacht.
    "Könnte es sein, dass sie versucht hat, einen Abort auszulösen?"


    Wieder hob sie die Schultern. "Keine Ahnung. Aber Julia, die Älteste von uns, mischt dem Wein immer etwas bei, das verhindern soll, dass wir schwanger werden..."


    Alpina hob die Augenbrauen. "Ah, das ist interessant. Du weißt nicht, was sie hineinmischt? Ich müsste es wissen. Kannst du sie herholen?"


    Das junge Ding nickte und zog ab. Alpina versuchte sich der offensichtlich schwer verwirrten oder traumatisierten Agnodice zu nähern, doch die begann sofort wieder zu schreien und um sich zu schlagen. Also gab sie zunächst auf und wartete darauf, dass sie mehr zu den Substanzen erfahren würde, die dem Wein zugesetzt wurden.

    Als Alpina erkannte, in was für eine Art Gebäude sie geraten war, wollte sie bereits den Rückweg antreten. Das konnte nur Probleme mit sich bringen. Dies hier war mit Sicherheit ein Lupanar.
    Doch sie bekam keine Gelegenheit, einen Rückzieher zu machen. Die junge Frau, die sie aus der Taberna Medica für einen Notfall geholt hatte, hielt sie fest an der Hand und zog sie hinter sich her. An den Türen zu den kleinen Kammern standen die herausgeputzen Lupae und musterten Alpina von oben bis unten. Sie schienen nicht zu wissen, was sie von ihr halten sollten. Schließlich öffnete ihre Führerin die Tür zu einer Kammer und zog sie mit sich herein.


    Noch nie hatte Alpina ein Lupanar von innen gesehen. Die Kammer war klein. Außer einem Bett einem Tisch und einer Truhe war nicht viel zu sehen. Die Wände schmückten Kritzeleien und erotische Darstellungen von mäßigem Niveau. Auf dem Boden der Kammer waren Tonscherben und Kleidungsstücke verteilt. Im Eck des Bettes, an die Wand gelehnt, saß eine hübsche Blondine, die sie wild anstarrte und mit abwehrend mit den Armen fuchtelte.


    "Nein, nein, nein!", schrie sie. Sie trat und schlug um sich, als das Mädchen, dass Alpina geholt hatte, sie zu beruhigen versuchte.

    Das Glöckchen über der Tür von Alpinas Taberna Medica leutete Sturm. Sie beeilte sich, vom Haus in den dazugehörigen Laden zu kommen. Am Verkaufstresen stand eine junge, sehr bunt gekleidete Frau.


    Sie wirklte gehetzt und platzte sofort heraus:
    "Bist du Alpina, die Hebamme und Kräuterfrau?"


    Alpina nickte. "Salve. Ja, die bin ich. Wie kann ich dir helfen?"


    Die junge Frau beugte sich über den Tresen und flüsterte eindringlich. "Du musst sofort mitkommen! Meiner "Schwester" Agnodice geht es nicht gut. Sie redet wirr und schlägt um sich. Und sie hat eine starke Monatsblutung, die einfach nicht aufhören will. Komm!"


    Sie griff nach Alpinas Tunikaärmel und zog daran.


    "Nun mal langsam", sagte Alpina beruhigend. "Wo ist denn das? Ich muss zunächst einen Korb mit Heilmitteln packen und meinem Sklaven Bescheid geben, dann kann ich mitkommen."


    Verwirrt nickte die junge Frau, versprach, dass es nicht weit sei und wartete. Alpina eilte in die Casa Atia zurück, gab Leonides Bescheid, dass sie einen Hausbesuch machen musste und packte ihren Korb. Dann folgte sie der bunt gekleideten Frau. >>

    Es kam wie es kommen musste. Phryne erkannte Alpina just, als sie den Dolch in Händen hielt. Und wie erwartet ließ sie sofort eine ihrer Bemerkungen fallen. Schlimmer noch, sie spekulierte, wofür Alpina den Dolch kaufte. Ihre Verdächtigungen trieben Alpina die Galle nach oben. Und obwohl sie ein durch und durch friedvoller Mensch war, dachte Alpina einen Moment lang darüber nach den Dolch sofort an Phryne auszuprobieren. Selbstverständlich verwarf sie diesen Impuls sofort wieder. Sie nahm sich zusammen und antwortete.


    "Salve, Phryne. Vielleicht kannst du es dir nicht vorstellen, aber in meinem Leben gibt es noch gefährlichere Situationen als die Begegnungen mit deiner scharfen Zunge. Doch lass das einfach meine Sorge sein und kümmere du dich um deinen Einkauf. Ein Spiegel ist gnädig, er zeigt dir nicht die schwarze Seele hinter der schönen Fassade. Bitte, du warst zuerst dran...."

    Alpina hatte die Basilika aus verschiedenen Gründen betreten. Zum einen wollte sie sich zu ihrer Sicherheit eine Waffe besorgen, zum anderen versuchen, Kontakt zu Händlern bekommen, die in die Germania Magna reisten. Aus diesen Gründen strebte sie die Stände des Handelskonsortiums Freya Mercurioque an. Als sie erkannte, dass ausgerechnet Phryne gerade dort stand und sich Handspiegel zeigen ließ, zuckte sie zunächst zurück. Auf keinen Fall wollte sie es zu einer weiteren Konfrontation mit der bissigen Freigelassenen kommen lassen. Alpina zog also ihre Palla tiefer ins Gesicht und vertiefte sich in die Auslage des Schmiedes, der neben Messern und anderem eisernem Küchengerät auch Waffen feilbot. Ihr Blick fiel auf einen schlanken Dolch, der schlicht, aber passend für eine Frauenhand war. Sie hob ihn hoch und wog ihn in der Hand. Mit der anderen Hand strich sie über die blankpollierte Klinge. Geduldig wartete sie darauf, dass jemand Zeit für sie hatte.

    Als Curio zurückkam warf Alpina nur einen kurzen Blick in den Korb, den er trug. Seine Frage, ob alles in Ordnung sei, beantwortete sie mit einem Schulterzucken. Er konnte sich denken, dass nach dem gescheiterten Opfer nichts in ihrer Welt mehr in Ordnung war. Doch sie wollte ihn nicht beunruhigen. Es war ja nicht seine Schuld. Er hatte alles für sie getan.


    "Lass uns gehen...", sagte sie leise und schlug den Rückweg zur Casa Atia ein. "Mir ist kalt."

    In Curios Miene spiegelte sich Unsicherheit, als er die Leber des Lammbocks begutachtete. Alpinas Angst wuchs. Irgendetwas stimmte nicht mit dem Organ. Sie spürte wie ihre Knie weich wurden. Nach einer gefühlten Ewigkeit sagte er endlich etwas: "Vielleicht..."
    Sein Tonfall verrstärkte die Vermutung, dass die Leber ein negatives Zeichen offerierte. Ein stechender Schmerz fuhr in ihre Magengrube. Nein, nein, bitte nicht...


    Curio gab dem Opferhelfer die Patera mit den Organen. Mit sichtlichem Bedauern wandte er sich an Alpina.
    "Alpina, ich muss dir leider mitteilen, dass Apollo dein Opfer abgelehnt hat."


    Den Rest hörte Alpina kaum mehr. In ihren Ohren hallte dieser Satz nach, wieder und wieder...
    Nur wie durch einen Nebel nahm sie noch wahr, dass er sich bei ihr entschuldigte. Wofür? Er vermutete, Apollo sei nicht zuständig gewesen. Sie nickte mechanisch und sah ihm zu wie er im Tempel verschwand.


    Während sie auf Curio wartete, schossen ihr ganz viele Gedanken durch den Kopf. Apollo hatte ihr Opfer abgelehnt. Bedeutete das, dass er nur ihre Frage nach der Ursache ihrer Alpträume unbeantwortet ließ oder hatte er auch ihr Dankopfer für ihre Errettung durch Curio zurückgewiesen? Ihr kam ein schlimmer Verdacht... wenn er ihre Heilung und Rettung vor dem Tod mit einem negativen Zeichen belegte, dann bedeutete es womöglich auch, dass der junge Aedituus sie gegen seinen Wunsch gerettet hatte... Dann hatte womöglich er ihr die Rachegöttinnen gesandt, damit sie Alpina Nacht für Nacht daran erinnerten, dass sie für ihre Abtreibung eigentlich mit dem Tod hätte büßen müssen. War es so, dass Curio den Willen der Götter mißachtete, als er sie rettete?

    Interessiert hörte Alpina Runas Erklärungen zur germanischen Weltsicht und zu den Nornen. Sie schienen weit nachsichtiger zu sein, als die römischen Rachegöttinnen, die Furien oder, wie die Griechen sagten - Erinnyen. Runa ahnte ja nicht, was sie getan hatte. Alpina war klar, dass nach römischen Vorstellungen der Mord an einem Familienmitglied, also den Eltern oder in ihrem Fall, dem eigenen Kind, sehr wohl eine Schuld auf Alpinas Schultern lud, die nur durch Sühneopfer oder wie im Fall des Orestes, durch die Erfüllung einer edlen, frommen Tat gesühnt werden konnte. Dennoch machte es Mut, Runas Erläuterungen zu Orlog und UUrd zu hören.


    "Ich wünschte, du hättest Recht, Runa. Ich hoffe auf die Nachsicht der Nornen", sagte sie vorsichtig. Dann lächelte sie. "Du kannst so oft zu mir kommen, wie du möchtest. Je nachdem wie dein Dienst im Tempel es zulässt. Ich fürchte, dein Lehrer würde mir böse sein, wenn ich zuviel von deiner Aufmerksamkeit für die praktischen Dinge des Lebens und für die Heilpflanzen abziehe. Er nimmt seine Aufgabe sehr ernst und ich verdanke ihm so viel, dass ich ihn in keinem Fall verärgern möchte. Vielleicht spreche ich ihn in einer ruhigen Minute darauf an... Ich wäre jedenfalls sehr dankbar, wenn ich in dir eine versierte Helferin hätte, denn gerade wenn es um das Thema Frauenheilkunde oder auch die Geburtshilfe geht, kann ich nicht Leonides, meinen Sklaven, einspannen. Er vertritt mich ab und an in der Taberna Medica, wenn ich Besorgungen machen muss oder auch wenn ich auf Reisen bin. Aber er wird weder eine junge Frau mit Menstruationsbeschwerden untersuchen können, noch eine Frau von einem Kind entbinden. Außerdem ist er ein alter Mann. Er wird mich ohnehin nicht mehr lang vertreten können... es wäre ein gutes Gefühl, eine Freundin in die Geheimnisse der Heilkräuterkunde einweisen zu können..."
    Das war schon lange Alpinas Wunsch gewesen. Doch was würde Curio dazu sagen, und was Runas Vater? Alpina wollte es sich nicht mit diesen beiden für sie und Runa so wichtigen Männern verscherzen!
    Sie umarmte Runa und hielt sie eine Weile lang ganz fest. Als sie die Freundin wieder losließ, sagte sie leise: "Komm bitte bald wieder!"

    Dankbar spürte Alpina Runas Anteilnahme und hörte mit Interesse ihren Rat.
    "Ja, auch ich glaube, dass diese Träume von den Göttern gesandt werden. Ich weiß nur nicht, von welchen. Wenn ich ehrlich bin, befürchte ich, dass es die Nornen sind, die mich strafen für meine Schuld..." Sie brach ab und griff sich an den Talisman, den sie von Runa geschenkt bekommen hatte. Alpina seufzte tief, dann erhob sie sich.
    "Es wird Zeit, dass wir den Honig einrühren und dann die Masse im Mortarium fein zermusen."


    Wie bereits geschildert, gab Alpina nun einige Löffel Honig in die Fruchtmasse und goss sie portionsweise in eine große, steinerne Reibschüssel. Mit einem Stößel begann sie die wenigen, noch intakten Schalen der Hagebutten zu zerreiben. Als sie mit dem Ergebnis zufrieden war, ließ sie Runa das fertige Produkt probieren.
    "Und, wie schmeckt´s dir?", fragte sie.
    Sie holte mehrere Vorratsgefäße und füllte die zähe, rote Masse ab. Mit Korken verschloss sie die Gefäße. Zwei Töpfchen hielt sie Runa hin. "Der eine ist wieder dein Arbeitslohn, zauberhafte Gehilfin, der zweite für Albin. Er kann es brauchen. Man löst einen Löffel von diesem Mus in heißem Wasser auf. Bei einer Erkältung kann man das natürlich auch mehrmals am Tag machen. Wie du gemerkt hast, schmeckt es auch recht gut, so dass es sich als Füllung für Gebäck oder Aufstrich auf Brot eignet. Hast du noch Fragen?"

    Alpina sah sich nach Thorgall um. Er wirkte nicht so schmächtig, aber sie würde wirklich mit dem Oberhaupt der Duccier sprechen müssen. Fürs´s erste aber war es gut, wenn sie nicht vor dem "Aufpasser" weitersprachen.
    "Gut, Runa, dann lass uns in die Taberna Medica gehen. Dort können wir uns unterhalten, während wir das Hagebuttenmus zubereiten. Komm mit!"

    Alpina und Runa betraten die Taberna Medica, um die Hagebutten zu verarbeiten. Auf der kleinen Kochstelle, die Alpina in ihrem Vorratsraum eingerichtet hatte, stand bereits ein Topf auf einem Dreifuß. Alpina reichte Runa ein Holzbrett und ein Messer.
    "Die Hagebutten müssen zunächst entkernt werden. Die Früchte enthalten haarige Samen, die furchtbar jucken, wenn man sie auf die Haut bekommt. Deshalb müssen wir sie herauslösen und dann später die Früchte auswaschen Man kann aus den Samen ein wunderbar pflegendes Hautöl machen. Doch das kann ich nicht selbst, dafür muss ich sie zu jemandem mit einer Ölmühle bringen."


    Sie zeigte Runa, wie man die Früchte entkernte. DIe Fruchtschalen sammelte sie in dem Topf auf dem Herd.
    "Die Früchte sind sehr nahrhaft, mit vielen guten Inhaltsstoffen. Das Mus, das wir herstellen, ist lang haltbar und im Winter eine hervorragende Quelle für die Vitalstoffe, die sonst nur in den grünen Gewächsen ist. Man kann es in Wasser oder Wein lösen oder Speisen damit zubereiten. Es wird auch gegen Gicht und Rheuma eingesetzt oder bei Erkältung eingenommen. Bei kranken und alten Menschen fördert es den Appetit."


    Das Entkernen war eine langwierige Arbeit, aber als sie endlich damit fertig waren, kam der interessante Teil. Alpina entfachte ein Feuer, stellte den Topf auf den Dreifuss, gab noch ein wenig Wasser dazu und ließ die Früchte aufkochen. Während das Mus einkochte, setze sie sich mit Runa auf zwei Hocker. Nun war Zeit in Ruhe ein paar Dinge zu erklären.
    "Ich möchte die weise Seherin aufsuchen, weil mich einige Fragen quälen, auf die ich bisher keine Antwort fand. Meine Hoffnung ist, von einer solchen weisen Frau mehr über mich und meine Bestimmung zu erfahren. Vor nicht allzulanger Zeit war ich selbstverschuldet sehr krank. Seither plagen mich arge Schlafstörungen und mein Leben geriet aus den Fugen. Außerdem nehme ich an, dass sie genaue Kenntnisse über Heilpflanzen hat. Ich würde gerne mehr über die hier im Norden verwendeten Heilmittel lernen. Vielleicht sogar ein wenig über deren magische Verwendung. Das könnte eventuell mein Problem lösen. Ich hätte dich gerne als Begleiterin und Übersetzerin gehabt, auch weil ich dir vertraue, wenn es um die Übersetzung eines heiklen Themas geht, aber ich bin sicher, dass dir dein Vater so eine gefährliche Reise niemals erlauben wird und das ist auch gut so. Du wirst eine wundervolle Aeditua, die ich dann für ein Opfer konsulieren werde, wenn ich zurück bin. Ich möchte im Frühjahr reisen, nachdem ich meinen Kräutergarten bestellt habe."

    Alpina fuhr mit dem Pflücken fort, erklärte aber gleichzeitig, warum sie gefragt hatte.
    "Ich hatte unlängst ein Gespräch mit deinem Vater. Es ging um meinen Wunsch, eine weise Frau oder auch Seherin eures Volkes aufzusuchen. Er nannte mir eine solche, warnte mich aber gleichzeitig, wie gefährlich so eine Reise werden könne. Ich fragte mich gerade, ob Thorgall mich nicht begleiten könnte... er spricht sicher eure Sprache und als Mitglied eurer Sippe könnte ich ihm vertrauen, oder nicht? Ich sollte deinen Vater fragen, ob ich Thorgall oder einen anderen Bediensteten "ausleihen" könnte."


    Inzwischen war der Korb schon gut gefüllt. Alpina fröstelte.
    "Nun, den Rest sollten wir besser drinnen erledigen. Möchtest du mit mir in die Taberna Medica kommen oder meinst du, wir könnten eure Küche dafür nutzen. Allerdings habe ich bereits einen Vorratstopf und Honig hergerichtet. Was meinst du?"

    Zitat

    Original von Duccia Silvna:
    "Nicht geliehen.“ sagte sie


    Ungläubig sah Alpina Runa an. "Das ist nicht dein Ernst, oder?" Dann protestierte sie mit Nachdruck. "Das kann ich unmöglich annehmen, Runa! Aber danke für´s Leihen!"


    Dann folgte sie der Freundin in den Garten der Villa. Sie war dankbar den wärmenden Fellumhang nutzen zu dürfen, nicht nur weil der Wind eisig blies, sondern auch weil sich die Dornen der Heckenrosen nicht so leicht darin verfingen wie in ihrem Wollumhang. Als sie ein Heckenrosengestrüpp vollbeladen mit Hagebutten fanden, erklärte Alpina die Vorgehensweise.
    "So, wir nehmen das Lederstück so in die Hand, dass es Daumen und Zeigefinger bedeckt. Jetzt können wir halbwegs gefahrlos einen Ast greifen und festhalten." Sie machte es vor. "Au!", fluchte Alpina. Wie um sie zu ärgern, hatte die erste Dorne bereits das Leder durchbohrt. Während sie den blutenden FInger in den Mund steckte, nuschelte sie lachend. "Zumindest in der Theorie!"
    Sie probierte es erneut. DIesmal funktionierte es. Dann nahm sie die andere Hand und zwickte mit den Nägeln von Daumen und Zeigefinger eine Hagebutte ab. "Siehst du? So. Oder mit der Sichel."
    Sie legte die Hagebutte in den Korb und wiederholte den Vorgang mit der kleinen Bronzesichel. Runa machte es ihr nach. Sie war geschickt und bald waren die beiden jungen Frauen eifrig bei der Ernte.

    Thorgall lehnte inzwischen an einem Baum und schnitzte mit einem Messer Muster in einen Zweig. Alpina sah nachdenklich zu ihm hinüber, dann fragte sie leise Runa: "Sag, gehören zu eurer Sippe noch mehr solche "Aufpasser" wie Thorgall?"
    Ihr war eine Idee gekommen...

    Alpinas freute sich als sie Runa sah. Nach der freundschaftlichen Umarmung nahm sie dankbar den Fellüberwurf entgegen.


    "Salve, geheimnisvolle Runa oder wie wir in Raetia sagen würden: griaß di! Das ist aber lieb von dir, dass du mir so einen Fellumhang leihst. Ich hatte zuhause auch so einen, aber den habe ich leider dort gelassen. WIr konnten ja nicht so viel mitnehmen, weil wir zu Fuß gegangen sind."


    Dass sie Begleitung bekommen würden, war Alpina nicht unrecht. Es wurde um diese Zeit des Jahres ja schon früh dämmrig, also war ein Aufpasser nicht verkehrt. Sie begrüßte den Germanen.
    "Freut mich, dich kennenzulernen, Thorgall!"


    Und während sie gemeinsam die Villa verließen, zeigte Alpina ihrer Freundin den Inhalt ihres Korbes.
    "Diese Lederstücke brauchen wir wegen der Dornen, die kleine Sichel zum Abschneiden. Meist kann man die Hagebutten auch mit den FIngernägeln abzwicken, aber im Laufe der Zeit ist das sehr anstrengend. So können wir uns abwechseln. Hagebutten sind so ziemlich das einzige an Heilpflanzen, die man im Winter erntet. Je später desto süßer sind sie und desto gehaltvoller."

    Alpina lächelte den Ianator der Duccii an und grüßte in herzlich.


    "Salve! Wie schön, dich wohlauf zu sehen in dieser kalten Jahreszeit! Ich will deine Zeit nicht lange beanspruchen. Runa... äh...Duccia Silvana und ich sind verabredet. Wir wollen Hagebutten sammeln gehen. Soll ich dir von dem fertigen Hagebuttenmus etwas mitbingen lassen? Es ist gerade im WInterhalbjahr sehr gesund und kräftigend."


    SIe sah ihn fast bittend an. War doch gerade in seinem Alter der WInter immer besonders gefährlich. Eine heftige Erkältung konnte sich schnell zu einer tödlichen Lungenentzündung auswachsen.