Beiträge von Susina Alpina

    Alpina hatte sich sehr gefreut, dass Runa mit ihr zum Hagebuttenpflücken gehen würde. Sie packte sich also warm ein, mit mehreren Tuniken übereinander und einem wollenen Kapuzenmantel. Ein warmer Schal komplettierte die dem Wetter angemessene Kleidung. Alpina hatte einen Korb genommen und die notwendigen Utensilien eingepackt: eine kleine bronzene Sichel und zwei Lederstücke, die ihnen zum Festhalten der dornigen Gewächse helfen sollten.
    Von Vorfreude getrieben klopfte sie an das Tor der Villa Duccia.

    Alpina hatte einen Brief an Runa verfasst. Nun klopfte sie an der Tür der herrlichen Villa, um ihn abzugeben.


    Ad Duccia Silvana


    Liebe Runa,


    meinst du, du könntest dir ein wenig Zeit nehmen, um mit mir Hagebutten zu sammeln und zu verarbeiten? Alleine ist es sehr aufwändig und zudem viel langweiliger. Die Umgebung um die Villa Duccia wäre zum Sammeln ideal geeignet, wenn dir dein Vater erlaubt, mit mir in den Wald um euer Anwesen zu gehen. Gib mir doch Bescheid ob du Lust hast und wann ich dich abholen soll. Ich würde mich wirklich sehr freuen.


    Vale bene,
    Alpina

    Runas Frage, wie Alpina es mit der Familienplanung hielte, tat weh. Das konnte ihre Freundin jedoch nicht wissen. Doch da Alpina die Vertraulichkeit Runas mit Petronius Crispus auf Phrynes Feier nicht entgangen war, blieb sie vorsichtig. Sie wusste ja nicht, ob diese Vertraulichkeit auch für Marcellus galt oder nur für seinen Onkel.


    "Ich muss zugeben, dass ich auf der Suche nach dem richtigen Kandidaten bislang nicht sehr viel Glück hatte... nun ja, gut Ding will Weile haben, sagt man. Vielleicht findet er aber auch mich, nicht wahr? Wer weiß? Und wenn nicht... werde ich sicher nicht wie Phryne enden, die für Geld, wie du so schön sagtest, für jeden "die Beine breit macht"!"
    Alpina kicherte. Sie hob eines der Döschen, die Runa inzwischen befüllt hatte, hoch.
    "Sehr gut, meine "zauberhafte" Gehilfin. Dieses hier ist dein Lohn für die Arbeit. Wir machen wann anders weiter." Sie drückte ihr eines der Döschen in die Hand. "Und nun verrate mir noch, was auf ein baldiges Wiedersehen in deiner Sprache heißt!"

    Zitat

    Weißt du Alpina, ich bewundere dich dafür was du tust und vor allem bist du unabhängig und frei, so frei wie ich es auch gern wäre.“


    Alpina zweifelte, ob Runa ahnte, was es bedeutete, "unabhängig und frei" zu sein. Es bedeutete für Alpina, von der Hand in den Mund zu leben und sich weder auf die Eltern noch einen Ehemann verlassen zu können. Doch sie konnte aus Runas Ausführung über ihre Famlienverhältnisse entnehmen, dass es der jungen Germanin nicht leicht fiel "zwischen den Stühlen" zu sitzen, denn wie alle Kinder liebte sie beide Elternteile. Alpina beschloss deshalb selbst aus dem Nähkästchen zu plaudern.


    "Ich glaube, ich kann nachfühlen, wie es dir geht. Mein Vater ist römischer Soldat." Sie zögerte "gewesen" zu sagen. "Meine Mutter war als Peregina nicht verheiratet mit ihm, er kam und ging, wie er wollte oder auch seine Einsätze es zuließen. Für meine ältere Schwester suchte er noch einen Mann aus, bei mir kam er nicht mehr dazu. Er sagte meiner Mutter, dass er nach Mogontiacum versetzt worden sei und verschwand aus unserem Leben. Als ich ihm mit meiner Mutter nachreiste, mussten wir feststellen, dass er hier nicht angekommen ist und auch von der Legion nicht erwartet wurde. Er scheint eine Ausrede benutzt zu haben, um meine Mutter zu verlassen. Als sie das realisiert hat, brach es ihr das Herz. Sie ist in die Heimat zurückgekehrt. Ich blieb hier, um herauszufinden, was mit ihm passiert ist - ohne Erfolg. Ich leide mit ihr, aber ich liebe auch meinen Vater... noch weigere ich mich, zu glauben, dass er ein schlechter Mensch ist."


    Mit einem Lächeln versuchte sie Runa Mut zu machen. "Wie ich deinen Vater kennengelernt habe, wird er sich die Entscheidung nicht leicht machen, den richtigen Mann für dich zu suchen. Und er scheint es nicht eilig damit zu haben. Jetzt wirst du erstmal Aeditua werden. Hast du schon eine Vorstelllung welcher Gottheit du deinen Dienst widmen willst? Ich persönlich habe mich zu Rosmerta hingezogen gefühlt . Sie erinnert mich sehr an unsere Stammesgöttin Raitia."

    Als Runa ihr die Freundschaft antrug, fiel Alpina ein dicker Felsbrocken vom Herzen. Sie hatte sich all die Zeit immer so sehr nach einer Freundin gesehnt. Deshalb lächelte sie offen und sagte:
    "Aber sicher, Runa! Das sind wir doch schon, oder nicht?" Einer plötzlichen Eingebung folgend, umarmte sie die neben ihr stehende Germanin herzlich.
    "Und nun, nimm einfach diesen Spatel und versuche die Döschen bis zum Rand zu füllen." Sie zeigte Runa, wie sie es machte.
    "Die Kamille hat entzündungshemmende und pflegende Wirkung, die Ringelblume hat zudem eine gute Wirkung, wenn es darum geht, hässlichen Narben vorzubeugen oder verhärtete Narben zu behandeln", erklärte Alpina weiter.


    Während die beiden Frauen also die Döschen befüllten, entschloss sich Alpina, ihre neue Freundin nach deren Familie zu befragen.
    "Runa, ich sehe immer nur dich und deinen Vater. Hast du keine Mutter mehr? Oder warum ist sie nicht bei euch?"

    Alpina sah Runa lange an. Gerne hätte sie in ihr bereits eine Vertraute gesehen, der sie ihr Innerstes öffnen konnte. Doch Alpina war ein gebranntes Kind, sie entschied sich also für ein abgespeckte Version.


    "Danke Runa. Danke dafür, dass du mich gestern so mutig verteidigtest. Es ist nicht leicht für eine Peregrine und noch dazu alleinstehende Frau wie mich, nicht ständig verdächtigt zu werden. Das war mir bis zum vergangenen Abend nicht so sehr bewußt. Ich habe Curio in mein Haus aufgenommen, weil sein Bruder mich darum bat. Da wir uns vom Alter nicht sehr unterscheiden - ich habe gerade die 20 Sommer vollendet - war es klar, dass eine Frau wie Phryne in diesem Leben unter einem Dach sofort einen Skandal wittert. Ich kann dir aber versichern, dass Curio und ich nur gute Freunde sind. Er hat mir durch eine schwere Zeit geholfen..."


    Ohne weiter auf die Hintergründe dieser Hilfe einzugehen, versuchte Alpina den Schwenk zur Medizin.


    "Wie du sicher weisst, ist der Weg zwischen einem Heilmittel und einem Gift nicht weit. Ein Scrupulum zuviel und aus dem Beruhigungstrank wird ein Trank des Thanatos, wenn du verstehst, was ich meine. Aber glaube mir, ich bin keine Giftmischerin..." Wieder musste sie an ihre glimpflich ausgegangene Abtreibung denken. "Es ist Aufgabe der drei Nornen zu entscheiden, ob ein Leben beginnt oder endet", sagte sie kryptisch.
    "Ich würde mich aber sehr freuen, wenn ich von dir, im Gegenzug für die Vermittlung meiner bescheidenen Kenntnisse, ein wenig von der Sprache und Kultur deines Volkes lernen könnte. Im Augenblick stelle ich eine Wundheilsalbe her. Ich verwende dazu Ringelblumen und Kamille. Da allerdings die Wirkstoffe der Ringelblume fettlöslich, die der Kamille aber wasserlöslich sind, habe ich den Ölauszug der Ringelblume mit dem Teeaufguss der Kamille heißgemacht und mit Hilfe von Bienenwachs zu einer streichfähigen Masse vermengt. Die muss jetzt nur noch in diese Knochendöschen umgefüllt werden. Möchtest du mir dabei helfen?"

    Beeindruckt nickte Alpina und ließ sich den Runenstein umlegen. Als er auf ihrer Brust zu liegen kam, spürte sie förmlich die Kraft, die von ihm auszugehen schien. Sie musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht in Tränen auszubrechen. Alles, was die junge Duccierin gesagt hatte, traf so auf sie zu: da war ihre Angst vor der Verfolgung durch die Schicksalsschwestern, die sie als Erinnyen bezeichnet hatte, denen Curio aber den Namen der Eumeniden verpassen wollte und natürlich das Thema Hass und Streit, das erst vor wenigen Tagen im Raum gestanden hatte, als Phryne so auf Alpina losgegangen war. Sie hatte der jungen Frau nicht vergessen, dass sie für Alpina Partei ergriffen hatte. Besonders aber beeindruckte sie, dass es ihre Namensrune war. Konnten das alles Zufälle sein? Sicher nicht!


    Nach einigem Schlucken, um den dicken Kloß loszuwerden, der sich in ihrer Kehle gebildet hatte, sagte sie.


    "Ich weiß, dass Runen eine große Bedeutung für die Germanen besitzen. Jedoch kenne ich sie nicht und verstehe auch leider die germanische Sprache noch schlecht. Ich hatte zu wenig Gelegenheit sie zu lernen. Dort wo ich herkomme, in Raetia, spricht man auch eine eigene Sprache und wir besitzen auch eine eigene Schrift, die dem Lateinischen nicht gleicht. Mein Name stammt aus dieser Sprache. Er bezeichnet die heiligen Berge, den Sitz unserer Stammesgötter. Wie ist das bei dir? Hast du auch einen germanischen Namen? Magst du ... äh... darfst du ihn mir nennen?"

    Ungläubig sah Alpina auf den Anhänger, den Duccia Silvana ihr mitgebracht hatte. Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab, die sie über ihre einfache Tunika gezogen hatte. Erfürchtig nahm sie den Schmuckstein mit dem fremdartigen Zeichen in die Hand.


    "Vielen Dank, Duccia Silvana. Ich bin gerührt. Noch nie habe ich etwas Vergleichbares gesehen, geschweige denn geschenkt bekommen! Das ist aber ein schöner Stein! Du musst mir unbedingt erklären, was das für ein Zeichen ist und welche Bedeutung es hat. Es hat doch eine Bedeutung, nicht wahr?"


    Alpina war gerührt. Seit ihrer Ausstattung mit der raetischen Tracht, als sie vom Mädchen zur Frau geworden war, hatte sie keinen Schmuck mehr geschenkt bekommen. Damals hatte ihr die Großmutter die großen Flügelfibeln und den Gürtel mit den Bronzeplättchen geschenkt, die Teil der Tracht waren. Mit erwartungsvollem Blick wartete sie auf die Erklärung ihres Gastes.

    "Alpina, Besuch für dich!", kündigte Leonides das Erscheinen eines Gastes an. Überrascht sah Alpina von ihrer Arbeit auf. Sie erwartete niemanden. Als sie erkannte, dass es sich um Runa handelte, strahlte sie.


    "Oh, wie schön, dass Curio dir freigegeben hat! Komm herein! Ich bereite gerade noch eIne Wundheilsalbe zu. Wenn du möchtest, kannst du mir zusehen oder gleich helfen?"

    Hi, ich suche mal wieder verebens Kräuter auf dem Markt. Tatsächlich bräuchte ich 90 Einheiten. Mir wäre aber vorübergehend auch mit weniger gedient.
    Vielen Dank für ein Angebot! :)

    Als Alpina bemerkte, dass Curio ihr folgte, blieb sie stehen. Das Plätschern des Springbrunnens würde ihre Unterhaltung übertönen. Sie wartete bis er bei ihr war.


    "Entschuldige bitte, Curio. Es tut mir leid, dass dieser Abend eine so unschöne Wendung genommen hat. Ich hatte keine Ahnung was für eine Schlange diese Phryne ist. Aber eines steht fest, ich werde nicht warten, bis Marcellus kommt und sie mich gemeinsam ausweiden. Du aber musst zurückgehen in dieses Schlangennest. Du hast einen Ruf zu verlieren. DIese Genugtuung wollen wir ihr nicht bieten. Sag bitte der Gastgeberin, vor allem aber den anderen Gästen, dass ich verrmutlich die Austern nicht vertragen hätte und deshalb das Fest vorzeitig verlassen muss. Entschuldige mich bei ihnen. Ich komme gut alleine zurecht. Wir spechen dann in der Casa Atia über diesen denkwürdigen Abend."
    Sie sah ihm fest in die Augen. "Wenn dir irgendetwas an mir liegt, dann gehst du jetzt zurück und verteidigst deine Ehre. Ich habe nichts mehr zu verrlieren."


    Dann schob sie Curio förmlich in Richtung Triclinium, machte auf dem Absatz kehrt und strebte dem Ausgang zu.

    Curios leise und vorsichtig formulierte Frage holte Alpina in die grausame Realität zurück. Um den Schein der Normalität zu wahren, hatte sie versucht sich selbst mit Hilfe der Konversation mit Silvana darüber hinwegzutäuschen, dass gerade ihre gesellschaftliche Demontage stattgefunden hatte. Was war der bisherige Abend anderes gewesen als eine Form der öffentlichen Hinrichtung? Selbst wenn Curio und Silvana sie verteidigt hatten, etwas blieb immer haften von den spitzen Anschuldigungen, die Phryne auf sie abgeschossen hatte. Wenn Marcellus tatsächlich noch auftauchen sollte, wäre das definitiv ihr Ende. Phryne würde mit Sicherheit keine Gelegenheit auslassen, sie zu verletzen. Weil er sie im CIrcus vor aller Augen geküsst hatte, wusste ohnehin die gesamte Stadt, dass Marcellus und sie ein Paar gewesen waren. Mt Sicherheit hatte Phryne das längst in Erfahrung gebracht. Wenn sie jetzt nicht aufpasste, dann würde Phryne mit Sicherheit das Thema erneut auftischen und sie auch in den Augen der Duccier zum Flittchen machen. Als Giftmischerin war Alpina nun ja schon bekannt. Und es ging ja nicht nur um sie. Sie selbst hatte keinen Ruf mehr zu verlieren, Curio sehr wohl. Der Umgang mit ihr brachte ihn womöglich mehr in Schwierigkeiten als er ahnte.


    SIe schenkte Curio einen langen Blick und hoffte inständig, dass er ahnte, was in ihr vorging. Ahnte er das wirklich? Woher sollte er es schon wissen? Und was dachte er überhaupt von ihr? Er hatte sich schließlich nie darüber geäußert. Hielt er sie auch für eine Lupa, die sich dem erstbesten Kerl an den Hals geworfen hatte, der ihr schöne Augen gemacht hatte? Und für eine Giftmischerin und Mörderin? Mit einem Mal wurde sie sich bewußt, dass sie schon jetzt alle Glaubwürdigkeit vor ihm verloren hatte.


    Alpina erhob sich.
    "Entschuldige, ich muss kurz raus, frische Luft schnappen."

    Zitat

    „Ich danke dir und ich hoffe, dass ich weder meinen Vater noch meinen Lehrer enttäuschen werde.“ sagte Runa doch recht diplomatisch, denn das war derzeit wirklich ihre größte Sorge. „Und du, du kennst dich mit Kräutern aus? Ich finde das faszinierend, du weißt die Gaben der Götter zu nehmen und sie für uns zu nutzen. Wenn ich darf würde ich dich gern mal besuchen und es würde mich freuen, wenn du mich an deinem Wissen teilhaben lässt.“


    Alpina lächelte die junge Duccierin offen an.


    "Du wirst sie sicher nicht enttäuschen! Da bin ich fest überzeugt. Du besitzt bereits jetzt sehr viele gute Eigenschaften, die deinen Vater mehr als stolz machen müssen. Es wäre mir eine große Freude, und eine Ehre, wenn ich ein paar meiner bescheidenen Kenntnisse über die Kräfte von Terra Mater an dich weitergeben dürfte. Die Tür meiner Taberna Medica in der Casa Atia steht dir jederzeit offen."


    Zu gerne hätte Alpina die junge Frau auch zu einer zwanglosen Cena eingeladen, doch sie wusste nicht, ob das hierarchische System des römischen Cultus Deorum so eine Schüler-Lehrer Nähe zuließ und da sie ja mit Curio unter einem Dach lebte, ließ sie die Einladung lieber sein. Es sprach ja auch nichts dagegen, wenn sie sich in der Taberna Medica trafen.


    "Ich hoffe, dass dir dein strenger Lehrer dafür Zeit geben wird, wenn der Terminplan mal nicht zu sehr gefüllt ist." Sie warf Curio einen fragenden Blick zu. Dass ihre Frage nicht ganz ernst gemeint war, versuchte sie mit einem spöttischen Lächeln und einem Wimpernschlag zu verdeutlichen.

    Phrynes Giftpfeile schossen Alpina nur so um die Ohren. Sie fragte sich, warum Phryne so auf sie los ging. Was hatte sie ihr getan? Oder war sie einfach nur ein leichtes Opfer? Bevor sich Alpina rechtfertigen konnte, war Phryne bereits aufgesprungen, um die neuen Gäste zu begrüßen. Alpina freute sich, Duccius Verus zu sehen. Dass das Mädchen an seiner Seite seine Tochter war, erkannte man sofort. Curio setzte Alpina in Kenntnis, dass Duccia Silvana seit kurzem seine Discipula war. Sie schloss die junge Frau sofort in ihr Herz, erst recht, als sie Alpina mutig verteidigte. Sie verfügte über die notwendige Schlagfertigkeit, die Alpina abging.


    Auch wenn Alpina durchaus neugierig auf die weiteren Räume des Hauses war, hatte sie momentan genug von Phryne. Sie wollte nicht eine weitere Angriffsfläche bieten, wie es bei einem Rundgang womöglich der Fall gewesen wäre. Und als dann die Bemerkung Phrynes folgte, dass Marcellus bereits die "wichtigsten Räume" des Hauses kannte, hatte sie definitiv genug. Sie würde das Cubiculum dieser Intrigantin nicht sehen wollen, in dem sie sich offenbar gut mit Marcellus amüsiert hatte. Er ließ mit Sicherheit keine Gelegenheit aus. Diese Erfahrung hatte sie längst gemacht. Ein Glück, dass er nicht da war. Für Alpina wäre es ein furchtbares Spießrutenlaufen gewesen.


    Um aus der Schußlinie zu kommen, ließ Alpina sich ihren Becher erneut füllen und nahm auch einen weiteren vollen Becher für die junge Duccierin vom Tablett. Mit diesem ging sie auf die junge Frau zu.
    "Es freut mich, dich kennen zu lernen, Duccia Silvana. Ich habe eben von Curio erfahren, dass du seine DIscipula bist. Ich bin sicher, dass du unter seiner kundigen Ausbildung rasch Aeditua werden wirst. Bei einem Pontifex als Vater bringst du die besten Voraussetzungen dafür mit."

    Zitat

    Und was die Fähigkeiten von Susina Alpina betreffen, besteht meines Wissens nach in der gesamten Stadt kein Zweifel daran, dass sie stets nur zum Wohle ihre Patienten handelt. Viele Einwohner lassen sich von ihr behandeln und ebenso viele berichten von einem guten Heilungsverlauf.


    Alpina warf Curio einen dankbaren Blick zu. Sie hatte nicht den Mut gehabt, sich selbst zu verteidigen und womöglich in eine von Phrynes Fallen zu tappen. Die Frau hatte Haare auf den Zähnen.
    Innerlich musste Alpina ein wenig lächeln, denn Curio konnte nicht viel von ihren Heilkünsten wissen. Er selbst hatte noch keinen Bedarf daran gehabt und das, was er bei Alpina erlebt hatte, gehörte ja tatsächlich eher in den Bereich der Giftmischerei. Um so höher rechnete sie ihm an, das er sie verteidigt hatte.
    Nachdem sie nun auch genug Zeit gehabt hatte, über eine adequate Antwort auf Phrynes Frechheit nachzudenken, hob sie doch noch an, ihre Profession klarzustellen.


    "Ich möchte nicht unhöflich wirken, Phryne, aber ich möchte doch noch einmal klarstellen, dass ich in erster Linie Hebamme und Kräuterkundige bin. Magische Tränke und auch Liebestränke zählen nicht zu meinem Spezialgebiet und Helvetius Curio hätte mit Sicherheit keine magische Hilfe nötig."

    Zunächst genoss Alpina das lukullische Mahl. Sie probierte die verschiedenen ausgefallen gewürzten Speisen, die von der Dienerschaft hereingetragen wurden und lauschte den dahinplätschernden Gesprächen. Phryne plauderte aus dem Nähkästchen. Doch als die Platte mit den Austern hereingetragen wurde, überschritt die Gastgeberin die Grenze des guten Geschmacks. Sie schoß spitze Pfeile auf Alpina ab.


    Zitat

    Und Austern sind allemal gesünder als die Zaubertränke deiner Mitbewohnerin. Sei vorsichtig! Wer einen wirksamen Liebestrank mischen kann, der mischt sehr schnell auch einen Giftcocktail!


    Schon dass Phryne Curio offen angeflirtet hatte, verursachte bei Alpina ein unangenehmes Ziehen in der Magengrube, aber als sie dann Alpina erneut der Giftmischerei verdächtigte, brachte es das Fass zum Überlaufen. Diese Schlange! Alpina wollte aufbegehren und sich wehren, doch da sie nicht über Phrynes Schlagfertigkeit verfügte, dauerte es zu lange, bis sie sich eine Antwort zurechtlegte. Das war vielleicht sogar ganz gut so, wie sie feststellte. Wartete Phryne nicht gerade darauf? Versuchte sie nicht, Alpina aus der Reserve zu locken, um sie dann in schlechtem Licht darzustellen? Alpina wartete darum zunächst einmal ab, wie Curio reagieren würde.

    Der Geruch des frischen Blutes stieg Alpina in die Nase. Ihr wurde übel. Sicherlich einmal weil sie den ganzen Tag nichts gegessen hatte, aber auch weil sie solche Angst vor einem bösen Omen hatte. Curios beruhigende Hand auf ihrer Schulter veranlasste sie jedoch, sich wieder auf das Geschehen zu konzentrieren. Mit angstvoller Miene verfolgte sie, wie er die Patera mit den Organen entgegennahm und vor allem die Leber des Lammbocks nach auffälligen Zeichen untersuchte.

    Als Alpina sah, dass sich der Lammbock mit ein wenig Gras beruhigen ließ, wurde auch sie wieder ruhiger. Sie nahm die Gebetshaltung an und konzentrierte sich auf ihren Text. Jetzt bloß keinen Fehler machen!


    "Großer Apollo Grannus Mogon, Heiler und Helfer in der Not,
    großer Apollo Grannus Mogon, Kenner des Zukünftigen und des Schicksals der Menschen!
    Noch einmal danke ich Dir aus tiefstem Herzen für meine Errettung und Genesung, ich danke Dir für Deine Gnade."


    Alpina atmete tief durch, warf einen Blick auf den friedlich kauenden Bock und vollendete das Gebet.


    "Nimm diesen weißen Lammbock als Opfer von mir an und gewähre mir in Deiner unendlichen Güte Antwort auf eine Frage, die mir auf der Seele brennt. Vielleicht magst Du, großer Kenner der Zukunft und des Schicksals mir die Frage beantworten, ob mir die Larven oder die Eumeniden die schrecklichen Traumgesichte schicken, die mich verfolgen, und wie ich sie besänftigen kann? Ich versichere Dir, dass ich Dir ein weiteres Opfer darbringen werde, wenn Du mir in deiner göttlichen Weisheit Rat geben kannst und mich so von dieser Sorge befreist."


    Tränen standen in Alpinas Augen und mit den letzten Worten erstarb auch ihre Stimme. Sie wandte den Kopf nach rechts. Vorsichtig sah sie von unten her zu Curio auf. War alles richtig gewesen? Konnte das Opfer vollzogen werden?