Mit gesenkten Haupt und unendlich langsamen Schritten, gebeugt von der Last der schweren Toga, der Krankheit und der Trauer begab sich Valerianus zu der Stelle, von der die Trauerrede zu halten war, gleich neben dem Totenbett seines verstorbenen Vaters. Die Kraft, die er für diese Rede brauchte, wollte sich nicht so recht einstellen, stattdessen beutelte ihn erneut ein Hustenanfall. Ein Becher Wasser musste erst Linderung bringen, bevor er seine Stimme erhob.
"Bürger Roms! Mein Name ist Gaius Ulpius Aelianus Valerianus, Sohn des Lucius Ulpius Iulianus, dessen Leichnam hier vor mir aufgebahrt ist."
Die großen Zeiten, in denen man eine Laudatio Funerbris politisch ausschlachten konnte, waren lange vorbei. Zumal sein Vater keiner politischen Verschwörung zum Opfer gefallen war. Höchstens für einen neuen Krieg gegen die Parther hätte er hetzen können, aber den gedachte er selber nicht zu führen.
"Schwere Stunden liegen hinter uns, seitdem er, der Imperator Caesar Augustus, Pontifex Maximus, Censor und Tribunus Plebis, auf dem Feldzug gegen die Parther einem heimtückischen Pfeil zum Opfer fiel. Doch gerade von ihm, der so viele schwere Stunden durchlebt hat, können wir lernen und es ist sein Vermächtnis uns zu zeigen, wie wir mit seinem Abschied umgehen sollen.
Schwere Stunden waren es, in denen er durch Ruhe, Gelassenheit, Besonnenheit und Umsicht die Aufmerksamkeit des Marcus Ulpius Traianus gewann, der in ihm eine stabile und verlässliche Kraft erkannte und ihn als seinen Sohn annahm, um ihm die Zukunft zu geben.
Schwere Stunden waren es, in denen er durch Kraft, Begeisterung, Tugend und Vorbild der republikanischen Revolution in Rom trotzen konnte und mit seiner Legio I Traiana Pia Fidelis dagegen halten konnte, um zunächst Hispania und dann dem ganzen Reich wieder Frieden zu bringen.
Schwere Stunden waren es, in denen er durch Milde, Güte, Weisheit und Gerechtigkeit die Folgen der Rebeliion beseitigen, Verschwörer gerecht bestrafen oder aber begnadigen und viele neue Kontakte knüpfen konnte, um Rom Aufschwung und Wachstum zu geben.
Schwere Stunden waren es, in denen er durch Einfühlsamkeit, Stille, Trauer und Opferbereitschaft den Verlust des von ihm auserkorenen Caesaren Gaius Ulpius Felix verschmerzen musste, um an der Seite seiner Frau Iulia Ulpia Drusilla trotzdem allen Familien Hoffnung und Vorbild zu sein.
Schwere Stunden waren es, in denen er durch Stärke, Mut, Standhaftigkeit und Unbeirrbarkeit Aufständen in Hispania und aus Africa widerstand und den Aufrührern fähige Kommadeure entgegen sandte, um keinen Zweifel an der Einheit des Reiches und einer funktionierenden Kommandostruktur aufkommen zu lassen.
Schwere Stunden waren es, in denen er durch Gelassenheit, Offenheit, Präsenz und Reiselust die Provinzen bereiste und sich dabei auch vor Attentaten auf seine Person nicht scheute, um sich vielen Problemen persönlich widmen zu konnen und seine Entscheidungen aus eigener Anschauung zu fällen.
Schwere Stunden waren es schleßlich auch, in denen er aus der Summe aller Eigenschaften heraus die Entscheidung fällte, den Parthern entgegen zu ziehen, die unsere Grenzen bedrohten und unsere Kultur missachteten, um Roms Licht weiter hinaus zu tragen und die Wege fortzusetzen, die sein Vater gegangen war.
Nun wird er denselben Weg wie sein Vater gehen und wir sind das letzte Stück mit ihm gegangen. Nun bin ich der Sohn, der den Weg weiter gehen muss, wie es sein Vater tat. Doch heute sind zuerst die Stunden, in denen es heißt Abschied zu nehmen und zu danken für all das, was er uns hinterlassen hat."
Sein Blick wandte sich dem Leichnam zu und verharrte dort, bevor er sich mit kurzen Schritten in Bewegung setzte und noch näher an das Totenbett heran trat. In stummer Zwiesprache mit dem aus Wachs geformten Abbild seines Vater verharrte er dort und vergas für einen Weile die Welt um ihn herum, bis ein Zittern ihm ganzen Körper und ein kalter Schauer auf dem Rücken ihn wieder zurückholte.