Beiträge von DIVUS VALERIANUS

    "Dann gehst du davon aus, dass es ein Zufall war, dass du entführt wurdest? Wurde außer dir noch jemand entführt?"


    Valerianus fiel es sichtlich schwer, sich die Situation vor seinem geistigen Auge im Detail vorzustellen. Auch wenn er Legionskommandeur gewesen war, so war er doch auch der Adoptivsohn des Kaisers gewesen, den man ganz anders auf verschiedene Situationen vorbereitet hatte beziehungsweise ihn davor bewahrte.


    "Wie ist es dir in der Gefangenschaft ergangen und wann hat man entdeckt, welchen Rang du hast? Oder wurde das nie entdeckt und du wie ein einfacher Gefangener behandelt?"

    Wehmut lag im Blick des Kaisers, als er den beginnenden Bericht hörte. Er dachte an die Zeiten zurück, als er selber noch gesund und kräftig war und mit seiner Legion ins Feld zog. Als er flammende Reden hielt um seine Männer zu motivieren und ihre Moral hoch zu halten. Als er zusammen mit anderen Reitern mit donnernden Hufen die Wege entlang ritt. Das war lange her und er war nur noch ein Schatten dieser Tage. Er würde sich nicht einmal mehr lange auf einem Pferd halten können und jede Rede wurde jetzt schon vom Husten unterbrochen.


    Langsam kam er bei den weiteren Schilderungen wieder zurück in die Realität.


    "Du warst als hochrangiger Offizier auch für einen Parther gut zu erkennen, oder war es Zufall, dass du nicht getötet wurdest?"

    Die erste Antwort des Totgeglaubten konnte man wohl gleich in mehrere Richtungen missverstehen und auch Valerianus brauchte eine Weile, bis er unter den verschiedenen Bedeutungen diejenige gefunden hatte, die sein Gegenüber wohl gemeint hatte. Auf dem Weg zu dieser Erkenntnis kommentierte ein leicht unterdrückter Husten die anderen Gedanken und möglichen Interpretationen.


    "Wir müssen die Umstände nehmen, die die Götter uns darbieten. Dich haben sie zuerst von uns weg geführt und nun zu mir hin. Beides kam sicher unerwartet."


    Ein Diener machte auf einen Stuhl aufmerksam, auf dem Decimus Livianus Platz nehmen konnte, wenn er dem Kaiser von seinem Aufenthalt in Parthia berichten wollte.

    Valerianus hatte keineswegs geschlafen, sondern lediglich geruht. Trotzdem bestand strikte Anweisung, dabei unter keinen Umständen gestört zu werden, so dass er erst nach Beendigung der Ruhephase von der Ankunft des Senators unterrichtet wurde. Ohne Eile ließ er sich informieren, wer dieser Mann war, was mit ihm passiert war und warum er ihn unbedingt empfangen musste.


    Schließlich begab sich Valerianus in das vergleichsweise kleine Büro der Villa und ließ den Senator zu sich rufen. "Es ist eine Gunst der Götter, dass wir uns heute hier begegnen können" begrüßte er ihn nach dem Eintreten, ohne sich dabei von seinem Platz zu erheben oder eine andere große Geste zu machen. "Dir war vergönnt, was meinem Vater nicht vergönnt war - eine glückliche Rückkehr aus Parthia." Ob er deswegen Freude oder Neid empfand blieb unter seinen Gesichtszügen verborgen.

    Valerianus schaute nicht aus der großen Reisekutsche, als diese das Tor der Landvilla passierte. Auf der ganzen Reise hatte er selten nach draußen geschaut, um die vorbeiziehenden Städte, Dörfer oder Landschaften zu betrachten. Langsam war der große Tross voran gekommen und in der Gedankenwelt von Valerianus hatte sich die Reise noch länger gezogen.


    Seine Frau würde ihn in Misenum schon erwarten. Zumindest wäre sie schon vor ihm da. Ob sie ihn wirklich erwartete, wusste er nicht. Immerhin freute er sich darauf, sie nach längerer Zeit nun doch endlich wieder in seiner Nähe zu wissen.


    Auf die Bearbeitung von Regierungsgeschäften hatte er auf seiner Reise verzichtet. Die Kutsche erschien ihm so schon unbequem genug, da wollte er sich die Reise durch Lesen, Debatten oder Diktate nicht noch mehr erschweren. Die Aufenthalte in den Raststationen hatte er ebenso schweigsam verbracht, wenig gegessen und viel geschlafen. Und regelmäßig die Ärtzte konsultiert, die aber zu keiner Zeit zu einer Unterbrechung der Reise geraten hatten. Nun konnte also die hoffentlich erholsame Sommerpause beginnen.

    Die Vorbereitungen für die kaiserliche Reise hatten einige Zeit benötigt, denn immerhin ging es hier nicht um einen kurzen Truppenbesuch oder eine Vergnügungsreise, sondern um einen längeren Kuraufenthalt. Ein nicht unbeträchtlicher Teil des Hofstaates musste daher reisetauglich gemacht werden, während der andere Teil darauf vorbereitet werden musst, in Rom auch ohne den Kaiser die Stellung zu halten und die Verwaltung mit möglichst wenig Störungen abzuwickeln.


    Schon vor Tagen hatten die erste Wagen mit Gepäck den Palatin verlassen und ganze Scharen von Bediensteten, die gen Süden zogen. Schließlich war auch die Nachricht eingetroffen, dass die Frau des Kaisers uns ihr Sohn auf dem Seeweg in Misenum eingetroffen seien und die kaiserliche Landvilla bezogen hätten. Deshalb wurde es nun wirklich Zeit, dass auch Valerianus seinen Reisewagen bestieg, nachdem er sich von den engsten Mitarbeitern verabschiedet hatte. Noch im Laufe des Vormittags ließ er die Stadtmauer Roms hinter sich, begleitet von seinem Leibarzt, der auch in Misenum einer seiner engsten Begleiter bleiben würde.

    Valerianus atmete einmal langsam und hörbar durch. Nun war es wohl endgültig an ihm, das Wort zu ergreifen für einen längeren Beitrag.


    "Offenbar sind eure Anliegen zu Genüge besprochen. Ich habe hingegen noch eine Mitteilung zu machen. Ihr wisst, dass meine Gesundheit nicht die beste ist. Nach sorgfältiger Abwägung der Dinge bin ich daher zu dem Entschluss gekommen, den Sommer auf einem Gut in Misenum zu verbringen. Aus der Seeluft werde ich Kraft schöpfen können."


    Einer der üblichen Hustenanfälle machten unfreiwillig zeitnah deutlich, wie wichtig das immernoch war.


    "Vescularius Salinator wird mir in Rom ein würdiger Stellvertreter sein, der meine mangelnde Tatkraft mehr als gut zu ersetzen weiß. Und mein Bruder wird dafür Sorge tragen, dass kein wichtiges Anliegen länger als nötig für den Weg nach Misenum und zurück braucht. Ich werde bereits in wenigen Tagen aufbrechen."

    Ob die Götter nun ein Zeichen gesandt hatten, dass Summanus' Zorn tatsächlich besänftigt war oder nicht, bei einem Staatsopfer dieses Ranges gab es kaum eine andere Möglichkeit, als die Innereien für makellos und das Opfer somit als angenommen zu erklären. So fiel die Eingeweideschau nur des Ritus' wegen sorgfältig aus, bevor Valerianus zusammen mit den Consuln das erlösende Ergebnis verkünden konnte.


    "Litatio!"


    Sehr rasch zog er sich daraufhin vom Capitolium wieder zurück in den Kaiserpalast auf dem Palatin.

    Ein leichtes Nicken von Valerianus folgte auf den Vortrag von Claudius Menecrates, wobei nicht ganz deutlich war, ob es absichtlich dezent oder unbeabsichtigt kraftlos war.


    "Das reicht mir. Er soll den Weg gehen können, den ihm ein Augur aufgezeigt hat."


    Beamten machten sich eifrige Notizen, um alle Ergebnisse zeitnah nach dem Conventus umzusetzen.


    "Weitere Anliegen?"

    Da ihm sowohl sein Bruder als auch sein bester Freund den Namen des Vinicius Hungaricus wärmstens empfahlen, hatte Valerianus keinen Grund zu irgendwelchen Zweifeln oder Nachfragen. Schließlich hatten ihn die beiden in solchen Fällen noch nie enttäuscht.


    "Dann soll er mit dieser Aufgabe betraut werden. Sofern sein Vorgänger noch besondere Aufgaben übrig gelassen hat, soll er diese zu Ende führen. Sonstige spezielle Aufgaben in Germania haben wir nicht, oder?"

    Selbst wenn Valerianus wie so häufig nicht völlig konzentriert war, war der Spott in der Stimme seines engsten Freundes auch für ihn unüberhörbar. Zerstreut wandte er sich an den Claudier, von dem der Vorschlag stammte.


    "Was haben die Götter mit der Rückkehr jenes Claudius Verus zu tun?"


    Wenn tatsächlich ein göttliches Zeichen mit dem Einstieg in die Politik verbunden war, konnte er sich dem kaum widersetzen. Aber der Praefectus Urbi hatte noch mehr gesagt, was weiterer Nachfragen bedurfte.


    "Wer soll Nachfolger für Vinicius Lucianus werden?"

    Nachdem auch die beiden mit opfernden Consuln ihren Teil zur Opfervorbereitung beigetragen hatten, gingen die Opferhelfer mit ihren Opferbeilen und Äxten auf ihre Plätze. Ein Tier nach dem anderen sollte geopfert werden.


    Ein ums andere Mal stellte der Schlächter die rituelle Frage und ein ums andere Mal gab Valerianus deutlich, wenn auch etwas leise, die rituelle Antwort.


    "Age!"

    Ein leichtes Stöhnen war von Valerianus zu vernehmen. Er hatte sich wohl eine etwas lebhaftere Beteiligung gewünscht, aber seine Berater ließen ihn mehr raten, als dass sie ihn berieten.


    "Dann werden die eben alle ernannt. Der Decimer und der Duccier. Wenn ihr nichts dazu sagen könnt, dann sollen mir die Empfehlungen eben reichen, aufgrund derer sie es bis hierher geschafft haben."


    Ein Hustenanfall beendete seine kurze Schimpftirade. Vermutlich hätte er mit fast demselben Argument auch alle Ernennungen ablehnen können.


    "Sonst noch etwas von euch?"

    Zu einigen Kandidaten hatte Valerianus bereits genug gehört.


    "Für diesen Decimus Serapio reicht mir das Gehörte. Er wird erhoben. Ebenso der Praefectus Castrorum, der dann zur Legio I geht."


    Bei den anderen reichte es ihm noch nicht. Stattdessen beugte er sich über seine eigenen Notizen, beziehungsweise die seiner Beamten.


    "Ein Tiberius Duccius Lando steht noch auf meiner Liste. Kommentare zu ihm?"

    Valerianus schaute nach den Vorschlägen von Salinator in die schweigende Runde. Nichts anderes hatte er erwartet, als dass sein Praefectus Urbi wohlvorbereitete Vorschläge machte, an denen allenfalls Details geändert wurden.


    "Dann wird es so gemacht und verkündet. Was ist unser nächster Punkt? Neue Equites und neue Aufgaben für solche?"

    Während die Männer ihre Argumente austauschten, beugte sich ein Beamter zu Valerianus und deutete auf einige Einträge auf eine Wachstafel. Dieser nickte langsam.


    "Wir haben doch noch weitere Tribunate und Legionen. Welche Vorschläge gibt es denn sonst noch?"

    Nachdem die Handwaschung beendet war, blickte Valerianus kurz von einem Opfertier zum nächsten. Die Auswahl der Tiere hatte er erfahrenen Priestern überlassen, ebenso wie er das deuten der Innereien nicht selber vornehmen wollte. Aber bis dahin waren noch einige Schritte zu tun.


    So ließ er sich als nächstes eine Schale mit Salzlake reichen, um den ersten weißen Stier damit zu besprenkeln. Der schien schon ordentlich betäubt worden zu sein, denn außer einem schwachen Ohrenwackeln brachte er keine Reaktion zustande. Um auf dieselbe Weise mit dem nächsten Stier fortzufahren, reichte er dann auch die Salzlake wiederum an seinen Bruder weiter. Dasselbe sollte wenig später mit dem Opfermesser passieren, das der rituellen Entkleidung des Tieres diente.

    Unbeeindruckt vom kaiserlichen Hustenanfall spulten die Opferhelfer ihr Programm ab. Die Opfertiere wurden an Ringen im Boden vor dem Altar festgebunden. Zwei Helfer gingen umher und besprenkelten das Publikum mit Wasser, um die rituelle Reinheit der Anwesenden sicher zu stellen. In den hinteren Reihen waren auch einige Männer unterwegs, die Personen gänzlich des Platzes verwiesen, die nicht den nötigen rituell sauberen Eindruck machten.


    Dann forderte ein Herold mit lauter Stimme zum Schweigen auf und Valerianus ließ sich das Becken mit dem Wasser zur Handwaschung reichen. Während es danach an seinen Bruder weiter gereicht wurde, trocknete er selber seine hand und gab dann wiederum auch das Handtuch an seinen Bruder weiter. Ein Priester sprach derweil noch einige rituelle Formeln, von denen man wohl die meisten nur bei einem großen Staatsopfer zu hören bekam.

    Eingerahmt von den beiden Consulen schritt Valerianus die letzten Schritte der Steigung hinauf in Richtung des Iuppiter-Altares. Auch wenn die Prozession schon wegen der Opfertiere langsam zog, strengte der Weg ihn sichtlich an. Das übliche Flötenspiel verhinderte jedoch, dass die Zuschauer ein Stöhnen oder Seufzen wahrnehmen konnten und zuweilen verhinderten sogar ein paar Weihrauchschwaden einen allzu genauen Blick in sein Gesicht.


    Am Altar angekommen, schaute er sich kurz um, wie sich die Opferhelfer aufstellten und die Opfertiere auf ihre Plätze brachten, bevor ein leichter Windhauch wieder einen Hustenanfall provizierte.