„Hohes Gericht, werte Anwesenden,
danke an den Advocatus Imperialis Titus Helvetius Geminus für seine ausführliche Begründung der Klageschrift.
Ich werde nun das Wort vertretend für die Verteidigung der „Acta Diurna“ ergreifen.“
Eques Sabellius plusterte sich etwas auf und holte tief Luft.
„Senators Medicus Germanicus Avarus fühlte sich durch eine Veröffentlichung eines Berichtes in der ‚Acta Diurna’ in so fern persönlich tangiert, als dass er als ‚Legatus Augusti cursu publico’, vertreten durch die ‚Advocatio Imperialis’, eine Klage gegen den Verfasser des Berichtes, der kaiserlichen ‚Acta Diurna’, einreichte. Die ‚Acta Diurna’ bedauert es sehr, dass man durch das Verfassen des vorliegenden Artikels einen als persönlichen Angriff durch den Senator Medicus Germanicus Avarus empfundenen Inhalt transportierte.
Ich versuche nun zu begründen, wie es dazu kommen konnte und welche Stellung die ‚Acta Diurna’ in Bezug auf die Klage und deren Begründung bezieht.“
Der Advocatus holte ein weiteres Mal Luft ...
„Die Rolle der ‚Acta Diurna’ im Imperium besteht darin, die vernetzten Geschehnisse im Imperium deutlich und ungeschönt in Form einer Presse anzubieten. Kommuniziert werden dabei Inhalte – ob positive oder negative – welche von Interesse für die Leserschaft sind. Aus diesem Grund empfindet die ‚Acta Diurna’ ein Verschwinden der eigentlichen Sache im Zuge dieses Prozesses um Beleidigungen und Personen als unvollständige Betrachtung des Artikels, um welchen es letztendlich geht.“
Ein Zustimmung suchender Blick an die Anwesenden ...
„Nun berichtet die ‚Acta Diurna’ nicht immer meinungsfrei, was auch vom Volk nachgefragt wird. Es geht also um das Ansprechen des Lesers, welcher brisante Inhalte auch in brisanter Form präsentiert haben möchte. Das Problem einer schriftlichen Meinungswiedergabe ist daher besonders auf die Wahl der zu verwendenden Vokabeln, bzw. derer semantischen Einsatzes. Natürlich sind dabei allgemeingültige Regeln des ‚Codex Iuridicalis’ einzuhalten, allerdings in Form eines Rahmens und nicht einer lähmenden Begrenzung der Funktion.
Betrachten wir nun zusammen den Artikel über den ‚Cursus Publicus’ aus dieser Sichtweise.
Besonderes Augenmerk legte die Vertretung der ‚Advocatio Imperialis, geschehen durch Advocatus Imperialis Titus Helvetius Geminus, auf die Wortwahl und die sprachlichen Mittel des vorliegenden Artikels – um es deutlicher zu sagen : auf die Grundwerkzeuge einer Presse überhaupt. Und damit fokussierte die Anklage den entscheidenden Faktor der Klagebegründung, welchen ich nun aus Sicht des Angeklagten erläutern möchte.“
Leitete der Verteidiger den nächsten Abschnitt seiner Verteidigung ein ...
„Der Auctor des Artikels hat – wie bereits von der Anklage genannt – einige Vokabeln verwendet, welche in der kurzen Anreihung und Form des Artikels schnell zu Missverständnissen und Falschdeutungen führen könnten. Ich würde dies sowohl als bürgerlicher Leser des Artikels, als auch als die Vertretung der Beklagten ‚Acta Diurna’ so anmerken. Diese Vokabeln wurden eindeutig mit mangelnder Verantwortung und Weitsicht auf die zu erwartenden Reaktionen, besonders die des Senators Medicus Germanicus Avarus, in einem Zusammenhang veröffentlicht, welcher das eigentliche Anliegen des Artikels verfehlte. Der Auctor versuchte demnach, Kritik an einem Vorfall zu üben, welcher seiner Meinung nach den Sinn des ‚Cursus Publicus’ der Kommunikationsgewährung im Imperium widersprach. Da es in unserem Imperium in dem Zeitraum dieser Ausgabe, in welcher der Artikel erschien, nur wenige mögliche Schwächen im System zu erkennen gab, wurde der Vorfall des ‚Cursus Publicus’ mit in die damals aktuelle Auflage einbezogen. Im Zuge dessen, ein derart unauffälliges Ereignis als Kritik zu verfassen, musste im Sinne der Leserschaft und der Nachfrage auf eine hyperbolische Form der Vokabelver- und -anwendung zurückgegriffen werden. Dieses Maß der Formwahl hat der Autor zwar zu unsensibel gewählt, jedoch muss man dabei – bei vollster Respektierung geltendes Rechtes und Stellungen anderer Personen – sein Anliegen in den Vordergrund stellen.
Das Anliegen war weder dazu ausgelegt den Senator Medicus Germanicus Avarus zu beleidigen noch zielte es auf die Erfüllung von Beweggründen, Personen im Zusammenhang dieses Vorfalles mit Beleidigungen zu verknüpfen.“
Dies ließ der Advocatus kurz im Raum setzen ...
„Um an das Gesagte anzuknüpfen, möchte ich nochmals die Situation eines Schreibers für die ‚Acta Diurna’ erläutern, wessen Intentionen mitentscheidend für eine Bewertung der heutigen Klage sind. Es ist ein dauerhafter Spagat zwischen langweiliger Berichterstattung, welcher jegliche Leserschaft vergraulen würde, und gezielter Übertreibungen, um sein Publikum bei Laune zu halten. Die Mehrheit, das Volk, möchte von keinem Ausfall der Kommunikationswege auf Grund möglicher struktureller Probleme im System des Imperiums lesen, nicht von den einzelnen Personen, welche daran beteiligt sind. Es hat aber Wohl Interesse an knallharten und doch inspirativen Übertreibungen, welche die Probleme des Alltags kurzzeitlich vergessen machen, die den normalen Bürger auf die Augenhöhe eines wichtigen Mannes im Imperium zu bringen scheinen, um zu erkennen, dass es woanders auch Probleme und Sorgen gibt. Der Bürger hat Interesse an einer kurzzeitigen Befriedigung seiner Lust nach kleinen Skandalen und unmöglichen Möglichkeiten. Die ‚Acta Diurna’, wie auch der hier behandelte Artikel daraus, hat daher kein Interesse an langfristiger politischer Meinungsbildung oder hochkristallisierten Kampagnen. Und genau dieses setzt der Schreiber um. Einen Spagat zwischen der Akzeptanz im Volk und der Abstoßung auf Ebene der behandelnden Sachverhalte. Und er ist aus diesem Grund angewiesen auf einerseits Verständnis des Volkes, nur gegebene Grundlagen im Bereich des Möglichen auszubauen, und andererseits die Kulanz der betreffenden Verantwortlichen, dass Sachverhalte übertrieben dargestellt werden müssen, um die Lebensgrundlage einer Presse wie der ‚Acta Diurna’ nicht auf Dauer zu entziehen.“
Und anscheinend war der Advocatus noch nicht am Ende seiner Ausführungen ...
„Was bleibt zu sagen, nachdem wir die Forderungen der Anklage hörten. Eine Presse im Format der ‚Acta Diurna’ lebt von sich anbahnenden Skandalen und möglichen Fehlern anderer. Doch trat mit diesem Artikel leider eine der seltenen Ausnahmen, wo der besagte Spagat missling und ein zu bedauerndes Ärgernis für einen Senator entstand. Diese Tatsache möchte ich keinen Fall herunterspielen.
Die Frage der Bewertung fällt realistisch betrachtet anders aus, als die der Ankläger. Wie der Advocatus Imperialis Titus Helvetius Geminus schon trefflich im Bereich der zivilrechtlichen Bewertung zusammenfasste, gibt es keine Grundlage für eine Forderung von Schadensersatz – die damit auch nicht von dieser Seite gefordert wurde. Beim Bürger entstanden durch den Artikel weder Schäden im Ansehen des Nebenklägers Senator Medicus Germanicus Avarus, noch dem Imperium. Der Bürger, der Leser, wird den ‚Cursus Publicus’ nicht das Vertrauen bzw. die Grundlage seines uneingeschränkten Wirkens entziehen. Gerade weil nur wenige Einrichtungen und Ämter berechtigt sind, die Institution der gesicherten Postkommunikation zu nutzen – und ob dieser eingegrenzte Personenkreis wirklich wert auf einen Artikel in der Presse legt, wenn es um die wichtige und fast ausnahmslos unkompliziert funktionierende Übermittlung von Briefen über den ‚Cursus Publicus’ geht, bleibt in Frage zu stellen. Die Meinungen in den Nutzern des ‚Cursus Publicus’ sind vielmehr durch Erfahrungen als durch fadenscheinige und offensichtlich übertriebene Berichte geprägt.
Demnach ist die Forderung des Senators selbst nicht tragbar. Die beläuft sich auf einen Betrag, welcher fast in doppeltem Maße die Höchststrafe des zugeteilten Strafmaßes entspricht. Dies steht ebenso außer Frage der Realisierung wie seine Begründung, welche sich auf die strafrechtliche Erziehung der Angeklagten bezieht und in sich widersprüchlich zu der Basis eines Schadensersatzes ist.
Strafrechtlich bleibt anzumerken, dass die Forderung des Advocatus Imperialis zwar bereits in seiner Form, gemessen am Höchststrafmaß, gemäßigt, allerdings ebenso nicht umzusetzen ist. Die Wahrung der Personen im öffentlichen Leben ist durchaus in dieser gesonderten Form beizubehalten, gerade der Senatoren als wichtiges Glied in der funktionierenden Imperiumsstruktur. Jedoch wird durch den vorgelegten Artikel weder eine mögliche zuständige Person direkt vernetzt dargestellt, noch das Wirken dieser Person oder der Institution als solches beeinträchtigt.“
Stellte der Advocatus fest ... und setzte sofort wieder mit Blickkontakt zum Nebenkläger Senator Medicus Germanicus Avarus an ...
„Beim größten Respekt Senator Medicus Germanicus Avarus, doch wenn Ihr von Kleinstarbeit am bürgerlichen Image sprecht – es verbindet Euch sicherlich nicht jeder Bürger mit Eurem Amt beim ‚Cursus Publicus’, gerade wo der alltägliche bürgerliche Kontakt zwischen diesem Teil der imperialen Kommunikationsstruktur nur wenige Schnittstellen mit dem Bürger selbst besitzt.“
Erläuterte er logisch ... und wandte sich dem Vertreter der Hauptklage, Advocatus Imperialis Titus Helvetius Geminus, zu ...
„Wie Ihr bereits selbst festgestellt hattet, bildet sich die Meinung der In-Anspruch-Nehmer des Dienstes des ‚Cursus Publicus’ durch die Nutzung und die daraus entstehende, ich vermute oft positivste, Erfahrung und kann daher nur schwerlich durch einen Artikel in der Presse im Ganzen beeinträchtigt werden. Dass durch die verwendeten, durchaus unsensiblen Vokabeln, ein Schaden im Wirken des Staates entsteht, kann ich weiterhin kaum nachvollziehen.“
Trat die Verteidigung höchst respektvoll auf ... und kam zum Schluss ...
„Hohes Gericht, werte Vertreter der Anklage – ich möchte daran erinnern, dass Respekt der Institution, dem einzelnen Betroffenen und auch allen Beteiligten bei Erwähnung in Artikeln der Presse gewahrt werden soll und muss. Dies sei ausdrücklich gesagt. Doch gibt es auch einen Respekt vor den Aufgaben der Presse, der ‚Acta Diurna’ insbesondere, welche dem hungrigen Volk, dem auf Fehler der Unfehlbaren wartenden Volk, dem einfachen Manne, in interessanter Form kleinere Missverständnisse im Imperium aufzuzeigen.
Dass hier und heute mit Anprangerung dieses Artikels ein Fehler der ‚Acta Diurna’ und des zuständigen Schreibers offenbart wurde, steht außer Frage. Doch beläuft sich dieser Fehler nicht auf die unsittliche Beleidigung eines hohen Senators, nicht auf die Aufhetzung des Volkes auf Ämter und kaiserliche Einrichtungen, nicht auf die intentionelle Schädigung auf öffentlicher Bühne. Der Fehler belief sich im Verwenden unpassender Begrifflichkeiten, welcher der Auctor mit seiner unangenehmen und unsensiblen Wahl der Worte attestiert, welche in ihrer semantischen Aura traurigerweise einen Senator in seiner Ehre angriffen.
Dieser Fehler sollte, auch im Sinne der weiterhin unbefangenen Meinungsäußerung und Berichterstellung der ‚Acta Diurna’ nicht zu schwerwiegenden Folgen wie einer Verurteilung im Sinne der Anklage führen. Dieser Fehler eines fehlbaren Menschen, wie wir es alle sind, sollte ein sinnvolles und lehrreiches Zeichen hervorrufen, ein Zeichen des Gerichtes, die ‚Acta Diurna’ freizusprechen und gleichzeitig zur Wiedergutmachung der aus des Senators Sicht eigener negativ tangierter Ehre eine niedergeschriebene Entschuldigung, wie Senator Medicus Germanicus Avarus für sich selbst als Genugtuung empfand, auf gleicher Bühne der Begehung des Fehlers verlangen. Eine solche Entscheidung hätte langfristig eine viel wirkungsvollere Bedeutung für die Akklimatisierung der Beziehungen im Umfeld der Parteien.
Damit beantrage ich die ‚Acta Diurna’ der Vorwürfe freizusprechen und an Stelle einer Verurteilung verbindlich eine öffentliche Entschuldigung gegenüber dem Senator Medicus Germanicus Avarus festzulegen.“
Fing er fast an zu schwitzen ...
„Ich danke für Ihr Gehör.“
Ging Eques Sabellius wieder in die Stellung der Verteidigung und wartete auf Wortmeldung des Gerichtes ...