Na dann: Willkommen im IR und ein besonderes Willkommen in Mogontiacum.
Beiträge von Iullus Helvetius Curio
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Einen Tag, nachdem er das Schreiben seines Patrons erhalten hatte, war Curio wieder zur Salutatio von Duccius Verus erschienen. In die obligatorische Toga gekleidet stand er nun im Atrium der Villa und wartete, dass man ihn vorließe. Dabei war er nevös, nein, er war sogar sehr nervös, denn er sah seinen Patron heute das erste Mal seit dem Donarwetter in der Casa Helvetia wieder unter vier Augen (das gemeinsame Opfer am Festtag für Virtus und Victoria zählte natürlich nicht, denn da hatten sie ja stets im Blickpunkt der Öffentlichkeit gestanden). Wie Verus ihn empfangen würde, war ihm zudem vollkommen schleierhaft, da dessen Brief so gar keinen Rückschluss auf die Stimmung des Ducciers zugelassen hatte. So hatte sich Curio einfach vorbereiten müssen mit dem, was er sich von diesem Gespräch erwartete. Eine Tabula, die er bei sich trug, beinhaltete eine Liste der Projekte während seiner Amtszeit als Magister Vici, Meilensteine seiner Tätigkeit als Aedituus und zuletzt eine Liste sicherer Unterstützer im Ordo decurionum sowie den Kulten. Mit diesen Informationen hoffte er, einigermaßen gut vorbereitet zu sein. Doch jetzt hieß es erstmal: Warten.
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Bereits seit einer Stunde saß Curio an dem kleinen Schreibtisch und versuchte einen Brief zu schreiben. Seine Mutter hatte ihn... nein, nicht gezwungen, sondern nachdrücklich aufgefordert seiner zukünftigen Verlobten Valeria Diademata zu schreiben, um sich mit ihr bekannt zu machen. Doch wollten sich in seinem Kopf keine Sätze formen, die er hätte niederschreiben können. Er wusste nichts über sie und hatte auch keine Ahnung, was er ihr hätte schreiben sollen, denn alles, was sie über ihn wissen musste, war, dass er heiratsfähig, heiratswillig und eine angemessene Partie war, doch das konnten sich auch die Eltern schreiben. So starrte er nur auf die leere Tabula, klopfte mit dem Stilus an ihren Rahmen und hoffte, dass bald zum Essen gerufen werden würde. Leider wusste er nur zu gut, dass es zu früh zum Essen war und das Starren noch ein paar Stunden weitergehen müsste, bevor er diese Ausrede nutzen könnte, um die leere Tabula erstmal beiseite zu legen. Daher musste er sich eine andere suchen und wurde schnell fündig, als sein Blick auf die unerledigte Korrespondenz der letzten Tage fiel.
Es war einiges liegengeblieben, denn er hatte sich heute seit langem mal wieder an den Schreibtisch gesetzt, er hatte ihn sogar in den letzten Tagen bewusst gemieden, da er mal wieder in einer Phase gewesen war, in der die Gedanken an Silvana wieder im Mittelpunkt seines Denkens gestanden hatten. Vermutlich war das auch die Idee hinter der Aufforderung seiner Mutter, ihn von diesen Gedanken abzulenken, die jedoch in der Praxis an seinem schieren Unwillen scheiterte. Und da Acanthos die eingehende Post pflichtbewusst Tag für Tag auf seinen Tisch gelegt hatte, war der Stapel mehr und mehr angestiegen. So schob Curio nun tatsächlich die leere Tabula beiseite und begann damit, den Stapel abzuarbeiten. Es würde wahrscheinlich bis zum Abendessen dauern und dann, ja dann wäre auch keine Zeit mehr diesen Brief zu schreiben. Schade aber auch...
Der Großteil der Briefe behandelten Angelegenheiten des Apollokultes, in dem er mit der Zeit eine wichtige Rolle angenommen hatte. Zwar bekleidete er in ihm abseits des Aedituuspostens kein offizielles Amt, doch war er spätestens mit dem erfolgreichen Vortragsabend beim Mogonfest steil in der Anerkennung der Kultmitglieder gestiegen. Umso besser für ihn, denn es bedeutete nicht weniger, als eine verlässliche Basis an Unterstützern und potentiellen Wählern für die Zukunft. Brief für Brief arbeitete er durch, verfasste teils kurze Schreiben mit Ab- oder Zusagen für Opfer oder Opferberatungen und kam an die Schreiben an den Tempel. Hier ging es vor allem um neue Discipuli und den Dienstplan für den nächsten Monat, zu denen er sich äußern sollte. Auch hier erfolgten kurze Schreiben mit Kommentaren, Änderungen und Ergänzungen und landete zum Schluss bei den neuesten Briefen. Darunter fand sich auch das Schreiben seines Patrons.
Es war nicht lang und es sorgte dafür, dass er zuerst das Gesicht verzog - denn es wäre tatsächlich die erste Salutatio seit dem großen Donarwetter just hier, wo er grade saß - und danach in eine allgemeine Nervosität verfiel. Offenbar hielt es der Duccier wieder für möglich, ihn zu empfangen, und betonte zugleich, dass es einige Dinge zu besprechen gäbe. Was das war, war schnell zusammengestellt: Seine Aufnahme in den Ordo decurionum stand an und die dafür vorgesehene Anhörung musste vorbereitet werden, wahrscheinlich würde es auch um die Erhöhung des Duccius zum Eques und den Wechsel in das Flamenamt gehen und schließlich Curios weitere Beförderung in das Amt eines Pontifex. Na ja, als "Projekt" des Duccius, wusste er ja was er zu tun hatte und so strich er die Termine morgen Vormittag und bereitete einige Dinge für die Salutatio vor, bevor Acanthos dann endlich zum Essen rief. Tja... Da musste der Brief an die Valeria wohl bis morgen warten.
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Wünschte er sich, dass dieses Patronat beendet würde? Keineswegs. Er hatte nie und gegenüber niemandem einen Zweifel gelten lassen, dass Pontifex Decimus Duccius Verus der denkbar beste, zuverlässigste und fürsorglichste Patron war, den man sich vorstellen konnte. Umso mehr quälten Curio auch bei jedem Treffen mit Silvana die Gedanken, dass er mit dem, was er tat, seinen Patron hinterging und eine Auflösung des Patronats aktiv provozierte. Es hätte so enden müssen und umso überraschender war Curio nun, dass der Duccius offensichtlich trotzdem daran festhalten wollte.
Als er dann aber hörte, warum Verus an all dem festhalten wollte, war die Demütigung komplett. Curio war ein duccisches "Projekt", ein duccisches "Aushängeschild". Er würde davon proftieren, keine Frage, doch wollte er solch ein Patronat haben? Die Antwort darauf war nicht von Belang, denn Curio konnte sich bestens vorstellen, was geschehen würde, wenn Curio jetzt hier Widerspruch erheben würde. Wahrscheinlich wäre dann die öffentliche Hinrichtung oder wenigstens die öffentliche Demütigung mit anschließender Zuschaustellung es ehemals so aufstrebenden Iullus Helvetius Curio nicht nur wieder auf dem Tisch, sondern ausgemachte Sache. Er hatte nun nicht mehr zu hinterfragen oder gar zu widersprechen, er hatte zu gehorchen. So nickte er, wollte grade antworten, doch kam ihm Verus dabei zuvor. Es konnte nun gar kein Zweifel mehr darin bestehen, wie das Patronat aussehen würde. Die folgende "Verbannung" von der Salutationes vervollständigte dieses Bild nur noch, denn es war nicht nötig, dass sie miteinander sprachen. Er würde in Zukunft schriftliche Anordnungen bekommen, die er umzusetzen hatte.
Ohne eine weitere Antwort Curios abzuwarten, verließ Verus schließlich den Raum und die Casa. Curio hingegen blieb noch einige Minuten sitzen, ließ das, was passiert war, Revue passieren und fragte sich, was er von all dem halten sollte. Sicherlich, seine Karriere war damit in seltsamer, surrealer Weise gesichert, doch konnte das für jetzt wirklich noch alles bedeuten?
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Curio wurde ruhiger und als sich Alpina schließlich löste, waren seine Augen zwar noch verquollen und gerötet, doch hatte er sich soweit beruhigt, dass er kein Problem damit hatte, dass Alpina ging. Sie hatte recht. Er musste jetzt nach vorne blicken, denn er musste lernen, sein Schicksal anzunehmen.Dieses war zwar niederschmetternd, doch annehmen musste er es, ob er wollte oder nicht. So nickte er Alpina zu, als sie ihm anbot, sie aufsuchen zu dürfen, wenn er es brauchte, folgte ihr zu Tür und lies sie dann hinaus. Danach verschloss er die Tür wieder von innen und setzte sich auf seinen Platz. Erneut wanderte sein Blick zu Feder und Anhänger neben sich auf den Tisch. Sie waren nun materielle Stellvertreter von dem, was er nicht haben konnte und er würde sie in Ehren halten.
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Nach dem Gespräch mit Alpina, hatte sich Curio dafür entschieden, zumindest das Essen, das ihm vor die Tür gestellt wurde, anzunehmen und so fand Acanthos abends immer einen leeren Teller vor Curios Tür. Doch dauerte es noch eine ganze Woche, bis der junge Helvetier wieder an Familienaktivitäten im Atrium, im Triclinium oder den Gärten teilnehmen konnte. Er brauchte diese Zeit, um seinen Panzer wieder aufzubauen, trainierte sich selbst, indem er sich immer wieder mit Silvanas Bild konfrontierte und versuchte, seine Gefühle dabei mehr und mehr zurückzudrängen. Es funktionierte. Zwar nur langsam und schmerzhaft und er merkte auch, dass es ihm nicht immer gelingen würde. Der Panzer nahm aber Formen an und Curio verschloss Tag für Tag eine weitere Lücke in diesem, bis nur noch jene Angriffsflächen vorhanden waren, die er zu schließen nicht fähig war.
Doch auch danach passierte es immer wieder, dass seine Gedanken plötzlich abschweiften und Gesten, Gespräche und Dinge an ihm vorüberzogen, ohne dass er sie wahrnahm. Auch suchte er immer noch die Einsamkeit im Garten oder seinem Zimmer, wenn ihm das ganze familiäre Getue zu viel wurde. Er war dankbar, dass dies von allen Einwohnern respektiert wurde, was wohl aber auch daran lag, dass er in solchen Phasen kein guter Gesprächspartner war, sondern zumeist unmotiviert einen unbestimmten Punkt fokussierte, ohne zu antworten oder auch nur aktiv zuzuhören.
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Wieder trat der Rezitator an die Seite und die Musiker hoben zu einem langsamen, feierlichen Marsch. Die Töne der Pfeifen und Lyrae erfüllten das Theater und die Melodie versuchte den Frieden nachzuahmen, der durch die Ode mit Worten geformt worden war. Nachdem er Marsch seine Melodie vollständig ausgeformt hatte, trat von einem hintenliegenden Eingang aus Fortuna auf. Sie trug ein langes, wallendes, laubgrüne Kleid, in der einen Hand das Füllhorn und in der anderen den Heroldsstab, auf den sie sich stütze und im Takt des Marsches nach vorne trat. Als sie vorne angekommen war, ging sie gemessenen Schrittes die Zuschauerfront ab, warf wohlwollende Blicke ins Publikum und blieb irgendwann stehen.
Dies war das Zeichen für die Musiker einen beschwingten Tanz anzustimmen. Gleichzeitig damit kamen von links die beiden jungen Männer und von rechts die beiden jungen Frauen auf die Bühne gelaufen, trafen sich in der Mitte und begannen einen schnellen Kreistanz. Passend zur Musik drehten sie sich im Kreis, trennten sich, kamen wieder zusammen und drehten sich weiter.
Fortuna beobachtete dies mit zufriedenem Blick, umging die jungen Leute, die sich nicht zu sehen schienen und ließ dann hinten links einen Baum mit einem Stück grüner Wiese aus dem Boden sprießen. Langsam erhob sich der Baum aus dem Boden und blieb mit einem kleinen Ruck stehen. Auf einen Wink mit ihrem Heroldsstab trat ein Mann auf die Bühne, im Gang den beschwingten Rhytmus des Tanzes übernehmend und ließ sich durch Fortunas Stab an den Baum führen. Dort legte er sich auf den gräsernen Boden, lehnte sich an den Baum und erhielt von Fortuna einen Becher und einen Bund Trauben. Genussvoll trank er einen Schluck und ließ einige Trauben in seinem Mund verschwinden, während er den jungen Leuten beim Tanz zusah. Fortuna hingegen nahm Abstand stellte sich in den Hintergrund und beobachtete nicht ohne Stolz ihr Werk. Abschließend nickte sie nochmal wohlwollend ins Publikum und ging zur linken Seite ab. Ihr folgte der Mann, der soeben noch am Baum gelehnt hatte und schließlich tanzten sich die jungen Darsteller zur rechten Seite ab.
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Curio ließ tatsächlich alles raus. Alles was er konnte und sich in den letzten Tagen angestaut hatte. Niemals hätte er gedacht, dass Weinen noch befreiend sein konnte, doch war ihm auch klar, dass er gegen alle denkbaren Regeln seiner Mutter bezüglich der Zuschaustellung von Emotionen missachtete, was ihm sogleich noch einen weiteren Stich versetzte. Er konnte einfach nichts richtig machen. Zudem enstand noch für einen Moment die Angst, dass er zu weit gegangen war, denn irgendwann löste Alpina ihre Hand und hätte sich nicht herausgestellt, dass sie ihn nur umarmen und seinen Kopf auf ihre Schulter legen wollte, wäre er wohl endgültig in die tiefsten Tiefen einer Depression versunken, aus denen er wahrscheinlich nie wieder zurück nach oben gefunden hätte. So schluchzte und weinte er einfach weiter, bis er irgendwann seine Worte wiederfand.
Ich... Es... Es tut mir leid. Es tut mir alles so leid...
brachte er heraus, bevor ihn eine erneute Woge traf. Auch hier brauchte er wieder einige Zeit, bis er wieder sprechen konnte.
Dem Schickal kann man nun mal nicht entkommen...
Und eine weitere Woge, die ihn mit sich riss, da alle Gegenwehr in ihm verschwunden war. Morgen, ja, morgen würde er wieder an dem Anstandspanzer arbeiten und vielleicht schaffte er es dann in ein paar Tagen auch wieder, sein Zimmer zu verlassen. Heute musste und wollte aber einfach alles raus und Curio war emotional zu erschöpft, als dass er sich dem hätte entgegenstellen können.
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Nach den kurzen Erläuterungen für seinen Patron und für den duccischen Procurator, der aber nur mit einem Ohr zuzuhören schien, setzte sich Curio aus der Traube der bereits anwesenden Decurionen ab und ging nun erst zum Altar im hinteren Teil des Sitzungssaals, wo er nochmal die Opfergaben für das unblutige Opfer überprüfte und dann grade auf dem Weg hinaus war, um das Opfertier vorzubereiten, als der Petronier des Saal betrat. Der Raum war bereits gut gefüllt und Curio hoffte, dass er ungesehen hinaus gelangen konnte, ohne dass er in Kontakt mit dem Petronier treten musste. Seit dem Vorfall mit dem irren Agrippa, bei dem sich Curio immer noch nicht sicher war, ob er tatsächlich Mitglied seiner Gens war, hatte es kein direktes Aufeinandertreffen gegeben. Die Stadt war immerhin groß genug, dass man sich hier gut aus dem Weg gehen konnte. Doch solche Anlässe wie hier zwangen nunmal dazu, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, und gegebenfalls freundlich zu lächeln und zu grüßen, falls Curio doch noch in das Sichtfeld des Petronius käme.
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Curio sah, wie Alpina auf ihn zukam und ihre Arme für ihn öffnete. Doch wieder zögerte er. Er hatte seine Gefühle bei den beiden in für ihn beispielloser Art und Weise zur Schau getragen, er hatte sich übermannen lassen und war damit grandios gescheitert. Es würde wahrscheinlich allen nutzen, wenn er in Zukunft wieder daran arbeiten würde, seine Gefühle irgendwo in den Tiefen seines Innern zu verschließen und sich einzig und allein in Anstand und Haltung üben sollte. Es wäre anstrengend, den Haltungspanzer wieder aufzubauen, doch musste er da wohl durch, damit er seine kommenden Aufgaben auch bewältigen könnte. Doch konnte er damit auch genauso gut morgen anfangen.
So nahm er Alpinas Hände, drückte sie leicht an seine Stirn und fing an, leise zu schluchzen. Es passierte ihm nicht häufig, eigentlich war Weinen bei ihm eine Emotion, die er nun wirklich nicht in Anwesenheit anderer herausließ, aber jetzt hatte sich soviel angestaut, so viel Angst, Verzweiflung, Wut und Hilflosigkeit, dass er es einfach nicht mehr zurückkhalten konnte. Es ging einfach nicht und schon schossen ihm die ersten Tränen in die Augen. Er konnte nichts mehr sagen, er wollte nur all das irgendwie herausdrücken, was ihn in den letzten Tagen und Wochen so fertig gemacht hatte. Und da er niemanden anschreien, beleidigen oder schlagen konnte oder wollte blieb ihm nur dieses endgültige Eingeständnis seiner Schwäche, das ihn als das entlarvte, was er eigentlich war, ein absurder, schwacher, unfähiger Hanswurst.
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Kaum, dass sich die Ränge wieder weitgehend gefüllt hatten, endete die Musik und der Rezitator trat wieder auf die Bühne. Erneut ließ er seinen Blick durch die Reihen schweifen, bevor er mit der dritten Ode des Abends begann.
Behende kommt er Faun vom Lycaeusberg
gar oft zum anmutsvollen Lucretilis
und wehrt mit dann von meinen Ziegen
sommerlich Glut und die Regenwinde.Gefahrlos schweifend suchen im sichren Wald
die Fraun des garstig duftenden Eheherrn
verstecktes Erdbeerlaub und Thymian;
grünliche Nattern, des Kriegsgotts Wölfe,sie können nimmer schrecken der Zicklein Schar,
erklingt die süße Syrinx, o Tyndaris,
im Tal und hallt vom glatten Fels am
Hange Usticas ihr Echo wider.Ja, mich beschützen Götter, mein frommes Herz
und meine Lieder sind ihnen wert. Hier wird
im Überfluss auch dir der Felder
Segen aus gütigem Füllhorn strömen.Hier spürst du nicht im lauschigen Tal die Glut
des Hundssterns, singst zur Laute, wie
um einen Mann Penelope und
Circe, die Zauberin, einst sich härmten.Du leerst den Becher lieblichen Lesbierweins,
im Schatten ruhend, ohne dass Händel sucht
vereint mit Mars Gott Bacchus, Sohn der
Semele; brauchst nicht zu fürchten Cyrus´Verwegnen Argwohn, dass seine rohe Hand
nach dir, dem schwachen Mädchen, zu greifen wag
und dir den Kranz im Haar zerreiße
und dein Gewand, das noch keine Schuld trifft. -
Zu Curios Überraschung folgte kein weiterer Ausbruch. Der Duccier war sogar überraschend als er die romantischen Vorstellungen Curios mit chirurgischer Präzision zu zerstören. Besser hätten es seine eigenen Eltern auch nicht geschafft. Daher erwiderte er darauf auch nichts, sondern ließ einfach alles, was der Pontifex da von sich gab unkommentiert. Es hätte keinen Sinn. Wahrscheinlich hatte es ihm tatsächlich alles den Verstand vernebelt, doch hatte er sich nie so wohl gefühlt, wie in ihrer Gesellschaft. Sie hatte an seinem Anstandspanzer gekratzt, immer und immer wieder, bis sie ein kleines Loch gefunden hatte und an den Vinalia ihn letztlich aufgesprengt hatte. Aber ihm ging es gut damit. Nach außen vorbildlich und anständig, nach innen und im privaten Bereich aber gefühlsbetont.
Und dann passierte etwas, dass ihn bei den Ducciern immer verwunderte, sie hatten allesamt ein beeindruckendes Timing, denn in dem Moment, als der junge Helvetier über die Vinalia gedacht hatte, schien es bei Verus Klick gemacht zu haben. Denn schon brach es wieder aus dem Duccier heraus, logisch, denn noch vor ein paar Wochen hatte Curio ihm noch quasi zugestimmt, als es um den Fundanier ging. Na ja, da kam er wohl nicht mehr raus. Aber wollte der Duccier es wirklich wissen? Na ja, er würde wohl sonst nicht fragen und so brachte Curio, nach einem kurzen Zögern alles andere zu.
Seit den Vinalia.
schob er ein und senkte den Kopf dann noch mehr. Es war lang, sehr lang, wahrscheinlich so lang, dass es für den Duccier endgültig das Fass zum überlaufen brächte. So nickte Curio auch nur noch verschüchtert, als Verus ihm die Modalitäten der zukünftigen Nichtbeziehung von Silvana und ihm auseinandersetzte, brachte noch ein
Verstanden...
hervor und war damit nun komplett in sich zusammengesunken. Kein Widerstand, kein Widerwort, kein Nein, wenn oder Aber mehr. Nur noch vollumfängliche Zustimmung.
Er blickte immer noch nicht hoch, als er aus dem ganzen Gespräch nun einen einigermaßen logischen Schluss zu ziehen versuchte.
Ich... nehme an, dass du... nun... unter diesen Umständen... auch dein... Patronat nicht mehr... aufrechterhalten willst?
Es war der einzig logische Schluss. Wenn Curio Glück hatte, würde es in stillem Einverständnis erfolgen und ohne großes Aufsehen. Bis zum nächsten Wahlkampf war ja noch Zeit und eine Auflösung des Patronats könnte ja auch vielfältig begründet werden, ohne dass an Silvana auch nur der kleinste öffentlich Zweifel entstünde. Sein eigenes Prestige war ihm zumindest im Moment recht egal. Denn so, wie er grade runtergeputzt worden war, könnte er sich nur glücklich schätzen, wenn es einfach nur vorbeiginge.
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Curios Blick wurde noch verständnisloser, denn jetzt begaben sie sich auf ein Feld abseits des Feldes, auf dem man alls vergangenen Gespräche kennen musste, um einen Gesamtüberblick bekommen zu können.
Ja, das nehmen wir hin.
antwortete er schließlich wie selbstverständlich und fügte noch hinzu
Denn so läuft das nunmal. Unsere Eltern entscheiden über unsere Ehen. Wir beide befinden uns noch in der patria potestas unserer Väter, also entscheiden sie, wie unsere Leben verlaufen sollen und zwar solange, bis wir sie beflügeln oder sie uns, aus welchen Gründen auch immer, daraus entlassen. Das wird aber nicht passieren, denn Runas Vater hat seine Position unmissverständlich klar gemacht und meine Eltern haben kein Interesse, an einer langwierigen, unsicheren, halbgaren Verlegenheitslösung. Also...?
Nicht Duccius Verus, nicht Helvetius Curvus und nicht Decria Timarcha hatten sich gegen die althergebrachten Traditionen, Sitten und Gesetze gestellt, Curio und Silvana waren es. Sie hatten es versucht, waren gescheitert und mussten sich nun fügen. Das waren die althergebrachten Regeln und denen hatte man sich zu fügen. Zumal sie in ihrem Fall sogar von Minerva mit Händen und Füßen verteidigt wurden, die ja bekanntlich auch noch eine persönliche Apfelrechnung mit Venus offen hatte.
Auf die letzte Feststellung Alpinas zuckte er die Schultern.
Sie wird dir das gleiche sagen, was ich dir auch gesagt habe.
Wahrscheinlich sogar wortwörtlich, denn Curio machte ja seit geraumer Zeit nichts anderes mehr, als das nachzuplappern, was sie ihm bereits gesagt hatte.
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Jäh wurde Curio durch Alpinas Ausbruch aus seinen Gedanken gerissen. Er blickte sie verständnislos an, denn sie musste doch verstehen... nein, musste sie nicht, denn sie war weder bei dem Gespräch mit dem Duccier dabeigewesen, noch bei dem darauffolgenden Gespräch mit seiner Mutter, in dem sie ihm die Hochzeits- und Zukunftspläne dargelegt hatte, und ebenfalls nicht bei dem Gespräch mit Silvana, das den endgültigen Schlusspunkt ihrer Beziehung markierte. Es war vorbei.
Du hast Runas Vater gehört, als er das letzte Mal hier war...
Jeder im Haus hatte ihn gehört, Curio ging sogar davon aus, dass ihn auch die Nachbarn gehört hatten, auch wenn sie wahrscheinlich und glücklicherweise nicht jedes Wort hatten verstehen können und es würde ihn schlussendlich nicht wundern, wenn man den Duccier auch jenseits der nebenliegenden Häuser noch gehört hätte.
Es ist vorbei. Die Pläne für sie sind in trockenen Tüchern. Ebenso wie diejenigen für mich.
Er stockte kurz, denn sie quasi direkt nebeneinander zu stellen, war alles andere als vernünftig. Während sie ihm nämlich nur nach Norden treiben würden, würden sie Silvana das Leben kosten.
Ich freue mich, dir mitteilen zu dürfen, dass ich mich in... ungefähr drei Monaten mit Valeria Diademata, der Tochter des Decurios Valerius Frugi aus Agrippinensium verloben werde. Sie soll ein nettes Mädchen sein... Zumindest wurde mir das von meiner Mutter versichert.
Kämpfen? Warum sollte er jetzt noch kämpfen? Denn wenn er es tat, würde es nur höhere Wellen schlagen, sein Ruf wäre ruiniert, der Ruf Silvanas wäre ruiniert und die Duccier würden dafür sorgen, dass es in die Binsen ging. Es würde nur noch mehr Leid und noch mehr Schmerzen für alle bedeuten, ohne dass es etwas ändern würde. Minerva hatte gewonnen. Venus verloren.
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Unentschlossen beäugte Curio den vollen Becher, den Alpina ihm hingestellt hatte. Was sollte er damit? Dennoch griff seine Hand danach, führte ihn zum Mund und er, oder besser sein undisziplinierter Körper, leerte den Becher in einem Zug. Auch der mahnende Unterton Alpinas führte zur Unentschlossenheit. Er könnte sie zusammenstauchen, dass das hier sein Wohnbereich war, und dass er entschied, wie er sich und seinen Körper für den ganzen Unsinn, den er im letzten Jahr seit den Vinalia verbrochen hatte, zur Verwantwortung ziehen musste. Doch warum sollte er das tun? Zumal Alpina gleich mit guten Neuigkeiten um die Ecke kam, die ihm zumindest ein kleines, schmales Lächeln auf die Lippen brachte.
Schön, sehr schön.
antwortete er und fügte, nachdem er eine grober Schätzung des Zeitraum vorgenommen hatte und dabei zum Schluss gekommen war, dass sich die Geburts noch in seinem Trauerzeitraum befand.
Schick doch bitte jemanden hierher, sobald es geboren ist, ja?
Ob er dann das Zimmer verlassen würde, wusste er nicht, glaubte es aber eher nicht. Seine Mutter wäre noch hier und die hatte erst in drei Monaten wieder das Recht, ein Lebenszeichen von ihm zu bekommen.
Dann folgte eine längere Pause, in der er sich nicht äußerte. Wieder wurde sein Geist vollkommen von jenen Gedanken vereinnahmt, die ihn nun schon seit einer Woche in Beschlag nahmen. Wieder ging er das gesamte Szenario durch: Silvana wurde an den Fundanier verheiratet, der prügelte den letzten Rest Selbstbewusstsein aus ihr heraus und irgendwann nahm sie sich einen Strick und... Hier stockte es immer, denn offenbar hielt ihn eine innere Sicherheitsbarriere davon ab, weiterzudenken. Er wäre währenddessen in Agrippinensium, lebte unter der Fuchtel des alten Valerius und würde nur durch einen Herzkrampf erfahren, was passiert war. Sein Blick hatte sich wieder verschleiert und richtete sich auf einen unbestimmten Punkt vor sich auf den Boden.
Es wird sie umbringen... so oder so...
kam es ihm plötzlich über die Lippen, als hätte Alpina seinem Gedankengang von Beginn an folgen können.
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Curio wirkte zerstreut und das war er auch. Er ging seinen letzten Gedankengängen nach und hatte nach wenigen Sekunden fast schon wieder vergessen, dass nun eine zweite Person im Zimmer war. Er war ja auch in den letzten Tagen hier immer alleine gewesen und überhaupt kam ja auch auch niemand herein, wenn die Tür abgeschlossen war. Die Gedanken waren keine guten Gedanken. Es waren die Bilder der geschundenen Silvana, die sich einen Strick nahm... Ihm fröstelte, so wie es ihn in den vergangenen Tagen immer wieder gefröstelt hatte, so oft, dass es schon fast an Bedeutung verloren hatte. Zurückblieb nur das Bild, das, so glaubte er, ihn Schritt für Schritt von innen hinaus auffraß. Doch genau das passierte nicht. Er stumpfte nicht ab, ganz im Gegenteil war das Bild, je öfter es kam, nur noch grauenvoller und furchteinflößender als beim letzten Mal. Normalerweise half ihm dann immer den Anhänger, ein bisschen Halt zu finden, doch als er sich fahrig in dessen Richtung wandte, erblickte er Alpina, runzelte die Stirn, nicht nur weil sie da war, sondern auch weil sie die Feder der Venus in der Hand hielt. Erneut räusperte er sich, blickte zu Tür, die er verschlossen sah und blickte wieder zurück zu Alpina.
Wie kommst du denn hier herein?
fragte er schüchtern und mit brüchiger Stimme. Sein Hals war trocken und eigentlich sollte er etwas trinken - wo die beiden Wasserkannen jeden Tag herkamen, die immer, wenn er abends im Zimmer ankam und hinter sich die Tür verschloss, wusste er nicht -, doch da war ein Eindringling in seinem Refugium. Und das ging ja mal so gar nicht. Noli turbare circulos meos*, hatte schon der alte Archimedes gesagt - und wurde erstochen... Gut, schlechtes Beispiel.
Ach, wie auch immer... Wie gehts dir...
fuhr er dann, immer noch sichtlich verwirrt hinzu und als er an ihr runterblickte und den Bauch wahrnahm, schob er noch schnell hinterher
... und dem Kind?
Sim-Off: * Störe meine Kreise nicht!
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Grade hatte seine Mutter wieder vor der Tür gestanden. Zum wie vielten Male konnte Curio nicht sagen. Er hatte irgendwann aufgehört mitzuzählen. Sie hatte es soeben mal wieder mit der autoritären Taktik versucht, hatte betont, dass sie seine Mutter war und er die Pflicht hatte, mit ihr zu sprechen. Er sollte öffnen. Augenblicklich. Curio aber sah keine Veranlassung dazu, denn erstens hatte sie ihm drei Monate Trauerzeit zugestanden, die er in vollem Maße auszunutzen gedachte, und zweitens war das hier sein Haus. Hier stellten seine Eltern ihre Füße unter seinen Tisch und wenn ihnen nicht gefiel, was hier geschah, stand es ihnen frei abzureisen, wenn sie für richtig hielten. Natürlich wären sie danach auch weiterhin hier willkommen und nach den drei Monaten würde er mit sich machen lassen, was auch immer sie sich bis dahin für ihn ausgedacht hätten. Aber solange war dieses Zimmer sein Refugium, sein ureigner Fluchtpunkt, in dem er sich sein Leben so einteilen konnte, wie er es für richtig hielt. So einfach war das.
Auf der anderen Seite der Tür hatte Timarcha mittlerweile aufgegeben und Alpina in dem engen Flur Platz gemacht, die sich ihrerseits zu Acanthos gesellt hatte. Der Macedone hatte sich seinen Stammplatz auf dem Boden rechts von der Tür mit einem Kissen bequem gemacht, empfing jeden, der herkam und ihn vom Klopfen und Rufen ablöste mit einem freundlichen, aufmunternden Gesicht und beobachtete dann deren Bemühungen, die sich in nichts von den seinen unterschieden. Nun aber geschah etwas überraschendes. Eine gute Woche lang hatte der Helvetier kein einziges Lebenszeichen von sich gegeben und hätte Acanthos dessen Zimmer nicht jeden Morgen leer vorgefunden, hätte er wohl schon dafür gesorgt, dass die Tür aufgebrochen werde, um zu schauen, ob er überhaupt noch am Leben wäre. Nun aber hörte er auf der anderen Seite der Tür Schritte, danach ein langer Moment der Stille und schließlich drehte sich der Schlüssel im Schloss und die Tür öffnete sich einen kleinen Spalt.
Zurück auf der innenliegenden Seite der Tür stand Curio mit dem Gesicht zum mit Vorhängen zugezogenen Fenster gewandt und wartete darauf, dass er die eintretenden Schritte vernahm. Die erste Reaktion, die darauf folgte, war ein kratziges Räuspern und eine brüchige Stimme.
Schließ bitte hinter dir ab, ja?
Erst als er hörte, wie sich der Riegel vor die Tür geschoben hatte, deutete er auf den zweiten Korbstuhl.
Setz dich doch bitte...
Wenn Alpina nun auf den Beistelltisch zwischen den Korbstühlen blicken würde, fände sie dort die Taubenfeder und daneben den steineren Anhänger mit dem Widderkopf vor. Dann folgte aber einige Zeit nichts. Kein weiteres Wort, keine Geste, nicht die kleinste Bewegung. Einfach nichts, als wäre Curio zur Säule erstarrt.
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"Was ich auch tu
immerzu
denke ich
immer doch wieder doch nur an dich."*
~Die Tage nach dem endgültig letzten Gespräch mit Silvana waren für Curio die Hölle. Doch konnte er es sich einfach machen. Er verließ das Haus früh am Morgen, wenn im Haus und auf den Straßen noch nicht viel los war, versah seinen Dienst im Tempel pflichtgemäß, aber unkonzentriert und zog sich, wenn er nachmittags oder abends nach Hause kam, sofort in sein Zimmer, verschloss die Tür und zog die Fenster mit Vorhängen zu. Dabei trank er nur, wenn er den Durst nicht mehr aushielt und verzichtete fast vollständig aufs Essen. Die vollen Tellern, die Acanthos ihm abends vor die Zimmertür stellte, waren am nächsten Morgen immer noch voll. Lediglich eine Frucht oder das bisschen Brot, das eigentlich nur als Beilage gedacht waren, fehlten und der Rest des schmackhaften Essens war zu einer kalten, braun-grauen Masse geworden. Immer wieder versuchte Acanthos, teilweise unterstützt durch die anderen Bewohner des Hauses, durch ein nachdrückliches Türklopfen und beständiges Rufen, eine Reaktion zu erzwingen, was sie jedoch meistens aufgeben mussten, da Curio stur und zäh genug war, das alles ebenso nachdrücklich und beständig zu ignorieren.
Im Inneren des Zimmer herrschte derweil immer das gleiche Bild vor. Curio, in einem der beiden Korbstühle sitzend, hielt die Feder der Venus in der Hand, deren Gegenstück bei Silvana lag und die von ihm als Zeichen der Unterstützung der Liebesgöttin aufgefasst wurde, und blickte zwischen ihr und dem steinernen Anhänger mit dem Widderkopf, den Silvana ihm nach dem Ende ihrer Ausbildung geschenkt hatte und zu dem ebenfalls ein Gegenstück mit Wolfssymbol bei ihr lag, hin und her. Die Unterstützung der Venus war bis jetzt aber eher spärlich gesät, oder besser gesagt nicht existent. Was hatte er aber auch geglaubt? Dass die Liebesgöttin sich für ihn und eine kleine Halbgermanin einen Arm ausriss und gegen die rächende Minerva, die Curio mittlerweile für die Wendung des Schicksals verantwortlich machte, da er sie in einer Verrenkung irrationaler Logik als Schutzgöttin des Fundanius erkannt zu haben glaubte, was ihr ganzes Vorhaben bereits von vornherein zum Scheitern verurteilt hatte. So saß er eine Woche lang jeden Abend, und manchmal auch jede Nacht, da er nicht selten im Korbstuhl einschlief, die Feder in der Hand haltend und darüber nachgrübelnd, wie lange Silvana wohl durchhalten würde, bis sie sich dafür entschied, das nächste Leben früher einzuläuten, als manch anderer vielleicht gedacht hätte.
Sim-Off: * Bodo Wartke: An dich, in: ders.: Achillesverse.
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Curio trat nun das erste Mal wirklich nach draußen, stellte sich an seinen Platz und blickte sich im Theater um. Er saß direkt am Ausgang und von hier aus konnte er das gesamte Theater und die Zuschauerreihen erkennen. In den Reihen der Decuriones sah er die Duccier, zuerst den Procurator mit seiner Frau, daneben seinen Patron mit dessen Frau und daneben Silvana. Sie blickte grade in eine Richtung, sodass sich ihre Blicke nicht trafen. Vielleicht war es auch besser so, denn hier würden sie keine ruhige Ecke finden, in die sie sich zurückziehen könnten . Allerdings folgte er dem Blick Silvanas nach oben und entdeckte seinen Bruder mit Alpina und zwei weitere Soldaten, von denen er den einen als Atius Scarpus erkannte und den anderen auch bereits gesehen hatte, aber vom Namen her nicht kannte. Die drei Soldaten befanden sich in einem angeregten Gespräch und so angeregt wie es war, konnte sich Curio nicht vorstellen, dass es irgendwas mit dem Bühnenprogramm zu tun hatte. Erneut ließ er seinen Blick schweifen und sah, wie Phryne grade mit ihren Begleitern ihren Platz einnahm. Er war also nicht der letzte, aber offensichtlich schon so spät dran, dass er fast alle für ihn wichtigen Personen hatte sehen können.
Plötzlich legte sich eine Hand auf seine Schulter. Curio zuckte leicht zusammen, denn solche Aktionen gefielen ihm gar nicht. Körperkontakt ok, aber doch nicht so überraschend von hinten. Er wandte sich um und entdeckte einen Decurio, der ihm Lob für den ersten Teil aussprach. Curio setzte ein Lächeln auf, bedankte sich brav und war dann froh, als der Decurio seine Hand von seiner Schulter nahm und auf seinen Platz zurückkehrte. Curio setzte sich nun ebenfalls und hatte nun wieder das ganze Theater in seinem Rücken. Ein paar tausend Menschen, ging es ihm durch den Kopf, die alle nur einen großen Skandal der stadtbekannten Aciliana Phryne erwarteten. Und der umso delikater sein würde, weil unter diesem auch in großen Lettern der Name des jungen Helvetiers prangen würde... Eigentlich hatte er ja gestern bei der Generalprobe alles gesehen und nichts an den Bildern auszusetzen gehabt. Doch nach dem Versprecher seinem Patron gegenüber konnte er sich einer gewissen Paranoia nicht erwehren.
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Das sollte es also gewesen sein. Man musste nicht von Minerva geküsst sein, um zu verstehen, was Silvana meinte. Und da sie keine Hilfe wollte, und er nur helfen konnte, wenn man ihn informierte, musste er sich damit abfinden, dass sich irgendwann aus heiterem Himmel sein Herz zusammenkrampfen würde, so wie er es schon von so vielen Soldatenwitwen gehört hatte, die ihre Männer auf Schlachtfeldern verloren hatten und deren Herzen sich, so sagten sie, allesamt zusammengekrampft hatten. Bis dahin würde er wohl in Angst vor diesem einen Moment vor sich hin leben und wenn er Glück hatte, würde er nicht in einem wichtigen Moment erfolgen, sondern heimlich, still und leise in seinem zukünftigen Officium oder wenn er alleine in seinem Schlafzimmer lag, damit er sich danach ganz seiner Trauer hingeben konnte...
Ich wünsche dir alles erdenklich Gute, Aeditua Duccia. Aber nun: Leb wohl!
Er schenkte Silvana einen letzten Blick, bevor er Acanthos ein Zeichen gab, und ohne sich umzudrehen das Tempelinnere verließ. Mit jedem Schritt wurde sein Gang schneller und hastiger und Acanthos hatte Mühe, die stetigenTempowechsel mitzuhalten. Curio wollte nur noch raus, nach Hause und sich dort irgendwo vergraben. Wenigstens bis morgen.
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Sie mussten nicht verstehen, sie mussten akzeptieren. Doch das wusste sie selber. Aber schon als sie es aussprach war da wieder dieses grässliche Bild harter, unerbittlicher Schläge... Er konnte das Bild nicht zurückdrängen und bei jedem neuen Schlag zuckte er innerlich zusammen, als würde er jeden einzelnen Schlag am eigenen Körper spüren. Traurig blickte er sie an... und wurde komplett überrumpelt, als sie nun ihrerseits auf ihn zutrat und ihn aus heiterem Himmel küsste. Ohne darüber nachzudenken umfasste er ihre Taille, zog sie an sich heran und schloss die Augen, um ihren aller, aller, allerletzten Kuss ganz in sich aufzunehmen. Nie wieder würde er dieses Gefühl genießen können, denn mehr als Respekt würde er für die arme Valeria wohl niemals aufbringen können. Doch würde er damit irgendwann klarkommen und je öfter er sich das selber einredete, desto schneller würde es wohl genauso kommen.
Ich liebe dich auch, Runa. Mehr, als ich sagen kann.
Erst das dezente Räuspern seines Sekretärs ließ Curio aufschrecken und sorgte dafür, dass er den Kuss abschloss. Zwar glitzerte in seinen Augen ein kleines bisschen Freude über diesen letzten Kuss, doch wurde sie schnell von Trauer und Angst um Silvana überlagert. Er hatte gesehen, wie es mit ihr enden würde. Warum man ihm das angetan hatte, wusste er auch nicht, und doch musste er wohl mit diesem Bild leben...
Und noch eins: Lass dich von ihm nicht brechen, Runa. Hörst du? Wenn er es versucht, schreib mir. Egal wo ich sein werde, ich werde dafür sorgen, dass es aufhört.
Er konnte es nicht für sich behalten. Nein, er musste es ihr sagen. Wie und was er machen wollte, wusste er zwar nicht. Aber er kannte genug Leute, die mit ihm dort runterreisen und dafür sorgen konnte, dass es ein Ende nahm. Und auch wenn ihm der schlagkräftige Held nicht gut anstand - da war sein Bruder deutlich besser für geeignet - wusste er doch, wie man einem Mann ein Messer in die Brust rammte. Und mehr brauchte er dafür nicht zu wissen.