Letzlich passierte das Unvermeidliche. Und es passierte schnell und laut. Curio kannte solche Situation zu genüge, er wusste, wie er sich zu verhalten hatte und er wusste, was er zu unterlassen hatte. So blickte er auf die Tischplatte vor sich - bloß nicht ins Gesicht schauen, das provozierte nur noch mehr - , verkrampfte seine Hände um die Armlehnen, zuckte dann und wann zusammen, wenn es besonders laut wurde und die Höhepunkte der einzelnen, fast schon theatralen Akte erreicht waren und mit großen Finalen über ihn hereinbrachen, beobachtete wie einzelne Gegenstände von dem ohnehin nur spartanisch belegten Tisch hinunterfielen - besonders ein Stilus hatte es ihm angetan, der in allegorischer Weise von der Mitte des Tisches bei jedem Handschlag seines Patrons auf die Tischplatte weiter zum Rand wanderte und schließlich mit einem beeindruckenden Salto den Tisch in Richtung Boden verließ - und hörte einfach nur zu, was sein Patron ihm erstaunlich detailliert, mit teils verbittertem, teils vor Wut regelrecht schnaubenden Ton vor den Kopf warf. Dabei widersprach er nicht - auch das war ein absolutes Tabu in solchen Situation, da vor allen wenn, wie es hier der Fall war, die meisten Dinge stimmten und alle anderen Dinge zum aktuellen Zeitpunkt unmöglich widerlegt werden konnten, ohne eine weitere Tirade herauszufordern, die ungleich heftiger über ihn hereinbrechen würde - sondern hörte einfach nur zu.
Irgendwann endete es dann. Immer endete es irgendwann, manchmal waren es nur Pausen, in denen das Gegenüber Energie und Luft für eine weitere, meist umso heftigere Tirade sammelte, manchmal lauerte es darauf, einen weiteren Anstoß für eine Tirade aufzuschnappen, manchmal verlangte es aber auch Erklärungen, weitere Informationen oder Rechtfertigungen. Letzteres war hier gegeben. Das erste Mal, seitdem die Tirade über ihn hereingebrochen war, schaute Curio nun auf. Und nun hatte Curio ein Dejavù. Er würde sich jetzt einmal auflehnen, so wie er sich an seinem letzten Tag auf dem Weingut seines Vaters aufgelehnt hatte. Es würde ihm wenig nutzen, ebenso, wie es ihm damals genutzt hatte - wobei man dabei auch durchaus unterschiedlicher Ansicht sein konnte - doch er konnte jetzt nicht schweigen. Seine Lippen zitterten etwas, als er nun zum Reden ansetzte, ebenso wie seine Hände leicht zitterten.
Ich liebe deine Tochter, Pontifex.
setzte er an und war nun bewusst in eine andere Anrede gewechselt, da er es nach den letzten Worten des Ducciers nicht mehr wagte, ihn mit Patron anzusprechen.
Ich liebe sie über alles. Es ist mehr als eine fixe Idee oder eine tumbe, kurzlebige Romanze. Ich liebe sie wirklich und ich könnte mir nichts schöneres vorstellen, als für immer mit ihr zusammen zu sein.
Da war es raus und es fühlte sich irrational gut an, dass es nun raus war und es nun in dieser Hinsicht keine Unwahrheiten mehr zwischen ihm und dem Duccier gab, den er doch so sehr schätzte.
Aber um deine Frage zu beantworten: Ich habe sie nicht entehrt. Niemals. Mein...
Er zögerte, es selbst auszusprechen, weil er damit etwas manifestierte, das unausgesprochen zwischen ihnen stand. Denn letztlich verband sie mehr, als eine unredliche Beziehung mit seiner Tochter, nämlich ein Patronat, das wohl aber den heutigen Tag nicht überstehen würde.
Mein Wort mag für dich keinen Wert mehr haben und dennoch versichere ich: Es ist nie passiert.
Und schon fiel sein Blick wieder hinab auf die Tischplatte, um die nächste Tirade über sich ergehen zu lassen.